Clinical Reasoning in der Altenpflege


Fachbuch, 2012

186 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

VorwortundMethodik

1 Einführung und Definition
1.1 ClinicalReasoningin derAltenpflege
1.2 Pflegeprozess in der Altenpflege
1.3 Pflegeprozess als evolutionäre Helix
1.4 Einfluss des Clinical Reasoning auf den Pflegeprozess

2 Prozess des Clinical Reasoning in derAltenpflege
2.1 Inhalte des CR-Prozesses
2.2 Intellektuelle Standards imCR-Prozess
2.3 Intellektuelle Eigenschaftenund Tugendenim CR-Prozess
2.4 Einstellungen der Pflegekraft im CR-Prozess

3 Assessment und Prozess-Schritte des Clinical Reasoning
3.1 Prozess-SchrittealsAssessment
3.2 Assessment-Typen
3.3 Pre-Assessment Image
3.4 Cue Acquisition
3.5 Hypothesis Generation
3.6 Cue Interpretation
3.7 Hypothesis Evaluation
3.8 Diagnosis

4 Ebenen desClinicalReasoninginder Altenpflege
4.1 Mikro-Ebene
4.2 Meso-Ebene
4.3 Makro-Ebene
4.4 Exo-Ebene
4.5 Top-Down-undBottom-Up-Effekte
4.6 Ökosystemischen Ansatz im Clinical Reasoning

5 Situated Clinical Decision-Making Framework
5.1 Kontext
5.2 Fundamentale Wissensbereiche
5.3 Entscheidungsprozess
5.4 Denken

6 Formen des Clinical Reasoning
6.1 Scientific Reasoning
6.2 Interaktives Reasoning
6.3 Konditionales Reasoning
6.4 Narratives Reasoning
6.5 Pragmatisches Reasoning
6.6 Ethisches Reasoning
6.7 Weitere CR-Formen
6.7.1 Diagnostisches Reasoning
6.7.2 Prozedurales Reasoning
6.7.3 Prädiktives Reasoning
6.7.4 Ethisch-Pragmatisches Reasoning
6.7.5 Kollaboratives Reasoning
6.7.6 Teaching as Reasoning
6.7.7 Didaktisches Reasoning
6.7.8 Intuitives Reasoning

7 Richtungen des Clinical Reasoning
7.1 Backward Reasoning
7.2 Forward Reasoning

8 Übergreifende Formen des Clinical Reasoning
8.1 Soziales Reasoning
8.2 Systemisches Reasoning
8.3 Multigrade Clinical Reasoning

9 Temporäre Ebenen des Clinical Reasoning

10 Elemente des Clinical Reasoning
10.1 Kognition
10.1.1 Denken
10.1.1.1 Definition desDenkens
10.1.1.2 Methoden undFormen desDenkens
10.1.1.3 Denkstrategien
10.1.1.4 Einflussfaktoren aufdasDenken
10.1.2 Wahrnehmung
10.1.2.1 Wahrnehmungstäuschungen
10.1.2.2 Wahrnehmungsmöglichkeiten
10.1.3 Motivation
10.2 Wissen
10.2.1 Formen und Dimensionen des Wissens
10.2.2 Wissensrepräsentation
10.2.3 Wissenserwerb
10.3 Metakognition
10.4 Patienten-Input
10.5 Umfeld
10.6 Problem
10.6.1 Problembeschreibung
10.6.2 Problembeurteilung
10.6.3 Problemlösung

11 FörderlichelnstrumenteimCR-Prozess
11.1 PatternRecognition
11.2 Illness-Script
11.3 Die4CdesClinicalReasoning
11.4 Die 6 L des Clinical Reasoning
11.5 CR-Web

12 Entscheidungsprozess
12.1 Rubikon-Modell im CR-Prozess
12.2 Entscheidungsregeln

13 Zusammenfassung,KritikundAusblick

Anhang 1: 6 Phasen des Pflegeprozesses nach Fiechter und Meier
Phase 1: Informationssammlung
Phase 2: ErkennenvonProblemen und Ressourcen
Phase 3: Festlegung derZiele
Phase 4: Planung der Maßnahmen
Phase 5: Durchführung der Maßnahmen
Phase 6: Beurteilung der durchgeführten Pflege

Anhang 2: Stoffsammlung Denkbegriffe

Literaturverzeichnis

Abkürzunqsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildunqsverzeichnis

Abb. 1: Die sechs Elemente im CR-Prozess

Abb. 2: Die drei Herzelemente des Clinical Reasoning

Abb. 3: Formen, Elemente und Prozess des Clinical Reasoning. Darstellung als Ishikawa-Diagramm mit Einflussfaktoren auf Mikro-, Meso- und Makro-Ebenen

Abb. 4: Pflegeprozess nach Verena Fiechter und Martha Meier

Abb. 5: Pflegeprozess als evolutionäre Helix

Abb. 6: Einfluss des CR-Prozesses auf den Pflegeprozess

Abb. 7: Inhalte des CR-Prozesses

Abb. 8: Intellektuelle Eigenschaftenund Tugendenim CR-Prozess

Abb. 9: Die Pflegekraft wird im Spannungsfeld der CR-Formen durch die Makro-, Meso- und Mikro-Ebene beeinflusst

Abb. 10: Beeinflussung der CR-Formen durch die Makro-, Meso-, Mikro- und Exo-Ebenen

Abb. 11 : Die Affinität des Multigrade Clinical Reasoning zur Meso-Ebene

Abb. 12: Übergang des Interaktiven CRzum Sozialen und Systemischen CR

Abb. 13: Wechselseitige Beeinflussung der Ebenen

Abb. 14: Pflegesetting als Mikrosystem im Ökosystemischen Ansatz

Abb. 15: Mesosystem in der Pflege

Abb. 16: Exosystem in der Pflege

Abb. 17: Makrosystem in der Pflege

Abb. 18: Modell des Situated Clinical Decision-Making Framework

Abb. 19: Zusammenhang Moral,Moralität und Ethik

Abb. 20: Backward Reasoning

Abb. 21: ForwardReasoning

Abb. 22: Pflegekraft als In-timer

Abb. 23: Pflegekraft als Through-timer

Abb. 24: Zusammenarbeit von Kurzspeicher und Kurzzeitgedächtnis

Abb. 25: Problemzergliederung

Abb. 26: Divergentes und konvergentes Denken

Abb. 27: Analytisches Denken

Abb. 28: Synthetisches Denken

Abb. 29: Induktives und deduktives Denken

Abb. 30: Lineares Denken

Abb. 31: Laterales Denken

Abb. 32: The Triangle Frame

Abb. 33: Browse and Scan im Triangle Frame

Abb. 34: The Circle Frame

Abb. 35: The Square Frame

Abb. 36: The Heart Frame

Abb. 37: The Diamond Frame

Abb. 38: The Slab Frame

Abb. 39: The White Hat

Abb. 40: The Red Hat

Abb. 41: The Black Hat

Abb. 42: The Yellow Hat

Abb. 43: The Green Hat

Abb. 44: The Blue Hat

Abb. 45: Logik der Diagnose

Abb. 46: Logik der Beziehung und Verknüpfung zwischen Konkurrierenden Pflegediagnosen und dem Endergebnis

Abb. 47: Logik der Pflegemaßnahme

Abb. 48: Logik der Muster und Beziehungen

Abb. 49: Logik der pflegerischen Entscheidung

Abb. 50 Logik der Selbstbeobachtung:

Abb. 51 Rubikonmodell der Handlungsphasen

Abb. 52: Volition als Umsetzungskompetenz

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Übersicht über verschiedene Formen des Clinical Reasoning (angelehnt an Klemme und Siegmann 2006, S. 32-33)

Tab. 2: Übersichtüberdie vier Modelle derKollaboration (angelehnt an Wiemeyer-Faulde 2003, S. 33)

Vorwort und Methodik

Die vorliegende Arbeit „Clinical Reasoning in der Altenpflege“ basiert auf einer Bachelor-Thesis im Studiengang Medizinalfachberufe und ist im wesentlichen Teil eine Literaturrecherche der deutsch- und englischsprachigen Fachliteratur zu diesem Themenkomplex. Ergänzt wird diese durch eigene Erfahrungen und Beispiele aus der Praxis der Altenpflege um den Prozess des Clinical Reasoning mit dem Pflegeprozess zu verbinden.

Im ersten Teil der Arbeit werden Clinical Reasoning und Pflegeprozess vorgestellt und zum CRA-Prozess zusammengefasst. Es wird weiterhin auf Eigenschaften und Tugenden eingegangen, die der Pflegekraft helfen, den Prozess des Clinical Reasoning in der Altenpflege umzusetzen. Um das Thema zu erfassen sind Kenntnisse der Prozess-Schritte notwendig, die im Anschluss daran vorgestellt werden. Im vierten Teil des Buches werden die Ebenen erläutert, in denen der CR-Prozess das Pflegesetting determiniert. Mit dem Situated Clinical Decision-Making Framework wird ein Modell dargestellt, welches durch die Pflegekraft im CR-Prozess eingesetzt werden kann um ihren Entscheidungsprozess voranzubringen. Der Teil 6 geht vorwiegend auf die geläufigsten Formen ein, beschreibt aber auch CR-Formen, die weniger häufig in der Literatur zu finden sind. Im Anschluss daran werden die Richtungen des CR und die übergreifenden Formen vorgestellt sowie auf die temporären Ebenen eingegangen. Die sechs Elemente des Clinical Reasoning finden ihre Beschreibung im 10. Kapitel, dem sich förderliche Instrumente, die durch die Pflegekraft genutzt werden können, anschließen. Der CR-Prozess mündet schließlich in einen Entscheidungsprozess, der im vorletzten Gliederungspunkt behandelt wird. Eine Zusammenfassung mit Kritik und Ausblick schließen den textlichen Teil ab.

1 Einführung und Definition

Bislang waren es eher die Berufe Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, die in Ausbildung und täglicher Arbeit den Begriff „Clinical Reasoning“ verwendeten. Im US-amerikanischen Raum wird Clinical Reasoning auch im Pflegebereich verwendet und entsprechende Erkenntnisse publiziert. Dabei sind die Grenzen recht unscharf gezogen: Manche Publikationen verwenden den Begriff Clinical Reasoning (CR) synonym mit Critical Thinking (CT), Clinical Judgement (CJ), Clinical Decision Making (CDM) oder Clinical Problem Solving (CPS), andere wiederum sehen Critical Thinking als einen Aspekt des Clinical Reasoning und dieses wieder als Unterpunkt von Clinical Judgement (CJ), Clinical Decision Making (CDM) oder Clinical Problem Solving (CPS). „In the nursing literature, the terms „clinical judgement“, „problem solving“, „decision making“, and „critical thinking“ tend to be used interchangeably.“ (Tanner 2006, S. 204) Für die vorliegende Arbeit soll folgende Ansicht bestimmend sein:

Critical Thinking (CT) bezeichnet eine besondere Denkweise und ist somit ein Aspekt des Clinical Reasoning, welches den anderen Bezeichnungen, also CJ, CDM und CPS gleichgestellt ist.

Clinical Reasoning meint einen Denk-, Handlungs- und Entscheidungsprozess, der der Pflegekraft alleine, in Auseinandersetzung mit Berufskollegen oder im interdisziplinären Team (Multigrade Clinical Reasoning) als theoretisches Konstrukt dient, um das Vorgehen zur Behandlung, die Therapie, was hier immer die Planung und Durchführung der Pflege meint, möglichst optimal mit dem Pflegebedürftigen (Patient, Bewohner) gestalten zu können.

Mit der Professionalisierung der Pflege mittels Einrichtung zahlreicher pflege­wissenschaftlicher Studiengänge, findet sich auch der Begriff Clinical Reasoning zunehmend in den Curricula der Gesundheitswissenschaften, Pflegewissenschaften oder Medizinalfachberufen und bedarf somit einer weiteren Bearbeitung, Verbreitung, Vertiefung und Erforschung.

1.1 Clinical Reasoning in der Altenpflege

Clinical Reasoning in der Altenpflege hat das Ziel, die bestmögliche Pflege, das bestmögliche Vorgehen für den Pflegebedürftigen im Rahmen des Pflege­prozesses zu erreichen.

Den englischsprachigen Begriff „Clinical Reasoning“ kann man dabei mit „klinischer Argumentation, klinischer Schlussfolgerung oder klinischer Beweis­führung“ übersetzen. Hier ist auch die ursprüngliche Herkunft aus dem anglo- amerikanischen Kulturraum, insbesondere dem klinischen Bereich abzulesen. „Unter Clinical Reasoning sind demnach Denkprozesse von klinisch tätigen Personen, also Angehörigen der Medizin- und Gesundheitsberufe, zu ver­stehen, die darauf abzielen, eine klinische Entscheidung zu treffen.“ (Klemme und Siegmann 2006, S. 7)

Higgs und Jones nennen in ihrem „integrierten, patientenzentrierten Modell des Clinical Reasoning“ sechs Elemente, die miteinander in Relation stehen.

Es sind dies:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Die drei Herz¬elemente des Clinical Reasoning

Die drei „Herzelemente“ werden aus Kognition, also einer reflektierten Erkundung und Überlegung zur bestmöglichen Ent­scheidung, einer stark disziplin-spezifischen Wissensbasis und Metakognition, welche ein integratives Element zwischen Kognition und Wissen darstellt, gebildet.

(Klemme und Siegmann 2006)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für die Altenpflege bedeutet dies, dass die, im Rahmen des Pflegeprozesses gesammelten Informationen aus Eigen- oder Fremdanamnese, Screening- und Assessmentverfahren sowie eigener Beobachtung als Patienteninput verstanden werden können. Die definierten Pflegeprobleme stellen das Problem im Sinne des CR-Prozesses dar, die im Umfeld von Pflegemaßnahmen, aber auch räumlichen, zeitlichen, personellen, finanziellen und auch rechtlichen Rahmenbedingungen durch Pflegemaßnahmen gelöst werden sollen. Die Pflegekraft bedient sich dabei ihres Fachwissens, welches sie durch Strategien der Kognition, beispielsweise Methoden und Formen des Denkens anwendet und durch die Metakognition reflektiert.

Alle Entscheidungen sind dabei interdependent auf Mikro-, Meso-, Makro- und Exoebene von inneren, in der Pflegekraft, der Beziehung zum Pflege­bedürftigen und von äußeren Rahmenbedingungen determiniert.

Feiler unterscheidet daher sechs Formen des Clinical Reasoning:

- Scientific Reasoning

(Denkstruktur bestimmt durch logisches, sachliches Denken)

- Interaktives Reasoning

(Durch Gefühle, Wahrnehmung und Beobachtung geleitetes Denken)

- Konditionales Reasoning

(Durch das Vorstellungsvermögen (...) (der Pflegekraft) geleitetes Denken)

- Narratives Reasoning

(Das Denken in und durch Geschichten)

- Pragmatisches Reasoning (Sachlich pragmatisches Denken)

- Ethisches Reasoning

(Durch Einstellungen, Haltungen und Werte bestimmtes Denken)

(Feiler 2003, S. 4)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Formen, Elemente und Prozess des Clinical Reasoning. Darstellung als Ishikawa-Diagramm mit Einflussfaktoren auf Mikro-, Meso- und Makro-Ebenen.

1.2 Pflegeprozess in derAltenpflege

Unter einem Prozess versteht man einen „Satz von in Wechselbeziehung stehenden Mitteln und Tätigkeiten, die Eingaben in Ergebnisse umgestalten“ (DIN EN ISO 9000:2005) beziehungsweise die „Gesamtheit von in Wechsel­beziehungen stehenden Abläufen, Vorgängen und Tätigkeiten, durch welche Werkstoffe, Energien oder Informationen transportiert oder umgeformt werden.“ (DGQ 2009)

Seit 1974 verwendet auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Begriff „Prozess“ (WHO 1987) zur Festschreibung des Pflegeprozesses als Bestandteil der pflegerischen Arbeit. (MDS 2005) Der Pflegeprozess besteht dabei auf logisch aufeinander folgenden, sich wechselseitig beeinflussenden Phasen. „Seinen Ursprung hat der Pflegeprozess in der Systemtheorie der Kybernetik und der Entscheidungstheorie. In Deutschland gilt der Pflegeprozess als anerkannte fachliche Methode zur systematischen Beschreibung der professionellen Pflege“ (MDS 2005, S. 10)

Erste Veröffentlichungen zum Pflegeprozess gehen auf Helen Yura und Mary Walsh 1967 zurück, die ein 4-schrittiges Pflegeprozessmodell, bestehend aus Assessment, Planung, Intervention und Evaluation vorstellten.

Das von den beiden Schweizerinnen Verena Fiechter und Martha Meier konzipierte 6-schrittige Modell zum Pflegeprozess gilt heute in der Altenpflege in Deutschland als das gängigste.

Es besteht dabei aus folgenden Phasen:

- Informationssammlung
- Erkennen von Problemen und Ressourcen
- Festlegung derZiele
- Planung der Maßnahmen
- Durchführung der Maßnahmen
- Beurteilung der durchgeführten Pflege

(Näheres im Anhang 1 zu entnehmen)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Pflegeprozess nach

Verena Fiechter und Martha Meier

1.3 Pflegeprozess als evolutionäre Helix

Die gängige Beschreibung des Pflege­prozessmodells nach Fiechter und Meier ist ein deterministischer Zyklus. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass sich dieser Prozess durch die Zeit fortbewegt und immer zu neuen, umfangreicheren Erkenntnissen führt. Er ist folglich ähnlich dem CR-Prozess als Spirale (Helix) aufgebaut. Daher soll für die weiteren Betrachtungen diese Metapher einer evolutionären Helix verwendet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.4 Einfluss des CR-Prozesses auf den Pflegeprozess

Der Pflegeprozess wird in allen Phasen durch den CR-Prozess beeinflusst. Am deutlichsten wird dies innerhalb der ersten Phasen Informationssammlung, Definition der Probleme und Ressourcen, Zielformulierung und Maßnahmenplanung, da hier die Suche nach idealen Lösungen am offensichtlichsten zu Tage tritt. Aber auch die beiden anderen Phasen, der Durchführung der Pflege und der Evaluation sind hiervon berührt. Die einzelnen Phasen stehen nicht für sich alleine sondern beeinflussen sich als System. Während der gesamten Pflege ist die Pflegekraft gefordert durch die Beobachtung des Pflegebedürftigen in Abwägung der unterschiedlichen Formen des Clinical Reasoning und unter Nutzung der CR- Elemente reflektiert die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen um dem Pflege­bedürftigen eine optimale Pflege, Betreuung und Behandlung zukommen zu lassen. Hierbei handelt die Pflegekraft nicht nur im Kontext materieller, struktureller und organisatorischer Einflussfaktoren sondern ist auch vom eigenen Wissen und Denken abhängig.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2 Prozess des Clinical Reasoning in der Altenpflege

Clinical Reasoning findet als wiederkehrender kybernetischer Prozess statt. Die Aufgabe der Pflegekraft, im Sinne des Pflegebedürftigen nachzudenken, zu entscheiden und zu handeln, besteht innerhalb des Pflegesettings fort und ist nicht mit einmaligem Durchlauf, lediglich als singulärer Zyklus, erledigt.

2.1 Inhalte des CR-Prozess

Hawkins et al. definierten acht Strukturen, die den Inhalt des CR-Prozesses bilden. Jedes Strukturelement beeinflusst dabei systemisch die anderen:

„Each of these structures has implications for the others. If you change your purpose, for example, you change your questions and problems. You are then forced to seek new information and data. And this changes the implications and consequences of your conclusions and decisions.” (Hawkins et al. 2010, S. 5)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese acht Inhaltselemente sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Clinical Reasoning hat einen Zweck, vertritt eine Absicht!

Im CR-Prozess ist die Pflegekraft aufgefordert sich über folgende Fragen klar zu werden:

- Kann die Absicht klar dargelegt werden?
- Was ist der Zweck?
- Ist der Fokus zur Zielerreichung geeignet?
- Ist das Ziel realistisch?

Standpunkt (Pointof view)

Clinical Reasoning geschieht von einem Standpunkt aus!

Die Pflegekraft soll sich mittels folgender Fragen Gedanken machen:

- Welcher Standpunkt herrscht vor?
- Welches Verständnis beruht darauf?
- Welche Gefahren bestehen?
- Welche anderen Ausgangspunkte sollten / können in Erwägung gezogen werden?
- Welche Stärken / Gefahren bestehen dort?

Annahmen (Assumptions)

Clinical Reasoning beruht auf Annahmen und Vermutungen!

Diese Fragen helfen der Pflegekraft zur weiteren Klärung:

- Welche Vorannahmen sind vorhanden?
- Wie beeinflussen Annahmen (Vorurteile, Mutmaßungen) die Sichtweise?
- Welche Theorien und Annahmen sollten überdacht / bedacht werden?

Folgerungen und Wirkungen (Implications and consequences)

Clinical Reasoning führt zu Konsequenzen!

Das Handeln der Pflegekraft determiniert die Pflegesituation, weshalb sie folgende Gedanken reflektieren sollte:

- Welche Konsequenzen treten auf?
- Werden diese Konsequenzen akzeptiert, geduldet, anerkannt?
- Wären andere, bisher ungedachte Konsequenzen möglich?

Informationen (Informations)

Clinical Reasoning beruht auf Daten, Fakten und Beobachtungen!

Hilfe im CR-Prozess kann die Pflegekraft erhalten durch Fragen wie:

- Gibt es Daten, die zu einer anderen Erklärung führen (können)?
- Wie klar, exakt, relevant sind die Fakten?
- Sind die Beobachtungen geeignet um richtige Schlussfolgerungen zu ziehen?

Interpretationen (Interpretations and inferences)

Clinical Reasoning beinhaltet Interpretationen, die zu Schlussfolgerungen führen!

Um richtige Entscheidungen zu treffen ist die Pflegekraft aufgefordert, sich folgende Fragen zu stellen:

- Sind die unterschiedlichen Interpretationen und Schlussfolgerungen miteinander vereinbar?
- Gibt es andere Möglichkeiten der Interpretation, der Schlussfolgerung?

Konzepte (Concepts)

Clinical Reasoning wird durch Konzepte, Modelle und Vorstellungen bedingt!

Laut Hawkins et al. ist es daher wichtig, dass sich die Pflegekraft fragt:

- Welche Schlüsseltheorien sind bestimmend?
- Welche Alternativen sind möglich?
- Welche Rahmenbedingungen müssen / sollen beachtet werden?

Fragen zum Fall (Clinical question of issue)

Clinical Reasoning versucht etwas zu ergründen, eine Frage zu klären oder ein Problem zu lösen!

Hierzu kann es der Pflegekraft helfen über folgende Fragen nachzudenken:
- Welche Frage soll beantwortet werden?
- Gibt es andere Wege über das Problem nachzudenken?
- Kann das Problem unterteilt werden?
- Gibt es nur eine oder mehrere Lösungen?

(Hawkins et al. 2010)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Inhalte des CR-Prozess

(angelehnt an Hawkins et al. 2010, S. 5) i?

2.2 Intellektuelle Standards im CR-Prozess

Um die Inhalte des CR-Prozesses richtig anwenden zu können, bedarf es gewisser intellektueller Standards. Wenn wir denken, denken wir für einen Zweck, mit einem Ausgangspunkt, basierend auf Annahmen, die zu Konsequenzen führen. Wir nutzen Daten und Fakten, sowie Erfahrungen, um Lösungen und Schlussfolgerungen zu ziehen, die auf Thesen, Vorstellungen, Modellen aber auch Gesetzen beruhen um die klinische Frage (Pflegeproblem) zu beantworten. (Hawkins et al. 2010)

Unter der Bezeichnung „Intellektuelle Standards im CR-Prozess“ sind eine Reihe von Eigenschaften zu verstehen, die sich die Pflegekraft vergegen­wärtigen soll:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Hawkins et al. 2010)

Hierzu stellt Hawkins et al. eine Reihe von je drei Fragen zur Reflektion der Pflegekraft auf:

Klarheit (Clarity)

- Kann dieser Punkt weiter ausgeführt werden?
- Kann ein Beispiel angeführt werden?
- Kann die Meinung verdeutlicht werden?

Sorgfalt (Accurancy)

- Wie kann eine Überprüfung durchgeführt werden?
- Wie kann die Richtigkeit überprüft werden?
- Wie kann der Test verifiziert werden?

Genauigkeit (Prescision)

- Ist mehr Wissenschaftlichkeit möglich / erforderlich?
- Ist mehr Exaktheit möglich?
- Ist mehr Detailblick möglich?

Relevanz (Relevance)

- Wie hängt es mit dem Problem zusammen?
- Wie korrespondiert es mit der Fragestellung?
- Wie hilft es beim Problem und dessen Lösung?

Tiefe (Depth)

- Was macht es zu einem (schwierigen) Problem?
- Was sind die Schwierigkeiten?
- Was führt zu dieser Komplexität?

Breite (Breadth)

- Ist eine andere Sichtweise notwendig / sinnvoll / möglich?
- Ist ein anderer Blickwinkel notwendig / sinnvoll / möglich?
- Ist eine andere Bewertung notwendig / sinnvoll / möglich?

Logik (Logic)

- Macht alles zusammen Sinn?
- Macht die Vorgehensweise eine Lösung erfolgreich / möglich?
- Macht die Begründung Sinn?

Wertigkeit (Significance)

- Ist dies das Hauptproblem?

Ist die zentrale Lösung fokussiert? Ist die Wichtigkeit richtig erfasst?

Gerechtigkeit (Fairness)

- Sind andere Interessen eingeflossen?
- Sind Sympathien / Antipathien eingeflossen?
- Sind die Entscheidungen ausgeglichen?

2.3 Intellektuelle Eigenschaften und Tugenden im CR-Prozess

Niemand kann von sich behaupten absolut objektiv zu sein. Der CR-Prozess wird demnach von Stärken und Schwächen der Ausbildung, Erfahrung, Vorlieben, Denkweisen und Interessen der Pflegekraft beeinflusst. Daher sind bestimmte, Hawkins et al. (2010) nennen sie „Intellektuelle Eigenschaften und Tugenden“, notwendig:

- Intellektuelle Bescheidenheit
- Intellektueller Mut
- Intellektuelles Einfühlungsvermögen
- Intellektuelle Einheit
- Intellektuelle Ausdauer
- Intellektuelle Autonomie
- Vertrauen in den Verstand
- Unparteilichkeit

Intellektuelle Bescheidenheit (Intellectual humility)

Die Pflegekraft muss sich der Möglichkeit eigener Vorurteile, eingeschränkter Erfahrungen, Selbsttäuschungen und subjektiver Sichtweise bewusst sein. Mögliche Fragen:

- Was weiß ich wirklich über dieses Problem?
- Wozu führen meine Vorurteile und Einstellungen?
- Qualifiziert mich meine Erfahrung?

Intellektueller Mut (Intellectual courage)

Pflegekräfte müssen den Mut haben auch anders zu denken, andere Gedanken zu berücksichtigen und dieses Denken gegenüber Kolleginnen und Kollegen sowie anderen Berufsgruppen zu vertreten.

Mögliche Fragen:

- Bin ich bereit meine Meinung / Entscheidung anderen gegenüber zu vertreten?
- Habe ich den Mut mit meiner Meinung / Entscheidung gegen die Mehrheit zu stehen?
- Habe ich den Mut unkonventionelle Entscheidungen zu treffen, unkonventionell zu denken?

Intellektuelles Einfühlungsvermögen (Intellectual empathy)

Meinungen anderer können stark von der der Pflegekraft abweichen. Dies muss seitens der Pflegekraft verstanden werden. Sie muss sich in die Gedankenwelt mit deren Sicht- und Standpunkten, Prämissen, Vorlieben und Ideen der anderen, sowohl einer anderen Pflegekraft, als auch eines Pflegebedürftigen, eindenken und einfühlen.

Mögliche Fragen:

- Was ist an der Begründung / Sichtweise des anderen sinnvoll / bedeutsam?
- Durch welche Annahmen kommen Kollegen und andere Berufsgruppen zu einer (anderen) Entscheidung?
- Kann ich deren Sichtweise nachvollziehen?

Intellektuelle Einheit (Intellectual integrity)

Pflegekräfte müssen mit ihren Kollegen auf Augenhöhe agieren, d. h. den gleichen fachlichen und intellektuellen Standard an sich, wie an andere Pflegekräfte anlegen.

Mögliche Fragen:

- Was verlange ich von anderen, was von mir?
- Wie beeinflussen andere mich?

Was zeichnet mich, was andere aus?

Intellektuelle Ausdauer (Intellectual perseverance)

Manche Probleme sind schwer zu bearbeiten und zu lösen. Die Pflegekraft benötigt ausreichend Willen und Ausdauer um alle Schwierigkeiten gedanklich zu erfassen.

Mögliche Fragen:

- Bin ich gewillt die Komplexität des Problems zu bearbeiten?
- Habe ich genügend Geduld und Hartnäckigkeit
- Habe ich Strategien um komplexe Probleme zu lösen?

Intellektuelle Autonomie (Intellectual autonomy)

Pflegekräfte sind in ihren Entscheidungen auf eigene Schlussfolgerungen, Meinungen, Standpunkte und Erfahrungen angewiesen. Sie benötigen eine Autonomie im Denken um nicht andere Ansichten und Meinungen unreflektiert zu übernehmen.

Mögliche Fragen:

- Übernehme ich unkritisch was mir gesagt wird?
- Verwerfe ich eigene Ansichten um andere zu akzeptieren?
- Bin ich bereit mit meiner Meinung auch allein da zu stehen?

Vertrauen in den Verstand (Confidence in reason)

Pflegekräfte müssen ihrem eigenen Verstand vertrauen, aber auch den Kollegen deren zutrauen.

Mögliche Fragen:

- Bin ich bereit meine Ansicht zu ändern, wenn sich ein Irrtum herausstellt?
- Ermutige ich andere zu ihren eigenen Schlussfolgerungen oder erzwinge ich deren Zustimmung?

Unparteilichkeit (Fairmindedness)

Der Pflegekraft muss bewusst sein, dass sie von äußeren Gegebenheiten bedingt ist. Diese müssen objektiv bewertet werden und dürfen nicht subjektiv über- oder unterrepräsentiert in die Überlegungen eingehen.

Mögliche Fragen:

- Habe ich relevante Punkte bewusst ausgelassen, unterbewertet, überbewertet?
- Lasse ich Eigeninteressen zu?
- Habe ich eine verzerrte Sichtweise auf das Problem?

(Hawkins et al. 2010)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: Intellektuelle Eigenschaften und Tugenden im CR-Prozess

(angelehnt an Hawkins et al. 2010, S. 46)

2.4 Einstellungen der Pflegekraft im CR-Prozess

Zur optimalen Ausgestaltung des CR-Prozesses sind bestimmte Einstellungen seitens der Pflegekraft mitzubringen. Philosophisch vertieft wird oft die Frage gestellt, was denn Pflege eigentlich ist und beispielsweise ein akademischer Abschluss Bachelor oder Master ,,of Arts“ oder doch besser ,,of Science“ lauten müsste. Ist eine Pflegekraft “nur” wissenschaftlich tätig und genügt demnach ein rein biomedizinisches Weltbild oder ist es doch mehr - schon eine Kunst - was es in der Pflege zu leisten gilt (Einfühlungsvermögen, Gesprächsführung, Herstellung sozialer Beziehungen)

„Nursing is both art and science.“ (Pesut und Herman 1999, S. 4)

Die Wissenschaft hilft der Pflege zu analysieren und zu evaluieren, die Kunst ermöglicht es den Pflegenden Intuition und Erfahrung einzubringen. (Pesut und Herman 1999) „Science alone will not solve all the problems of nursing.“ (Johnson 1994, S. 1 in Pesut und Herman 1999, S. 6)

Die Schlussfolgerung daraus ist, dass eine gute Pflegekraft sowohl Einstellungen und Begabungen eines Wissenschafters, als auch eines Künstlers haben soll um den Prozess des Clinical Reasoning optimal in der Altenpflege anzuwenden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Einstellungen identifizierten Pesut und Herman (1999):

Absicht (Intent)

Die Pflegekraft muss im Pflegeprozess planvoll und zielgerichtet Vorgehen. Sie sollte von Intentionen geleitet werden und eine beabsichtigte Vorgehensweise zeigen. Die, auch vom MDK seit einigen Jahren geforderte Pflegeplanung, unterstützt diese Forderung.

Reflektion (Reflection)

Pesut und Herman (1999) sehen darin die wichtige Fähigkeit der Pflegekraft sich selbst von außen zu beobachten und auch (gedanklich) Selbstgespräche zu führen. Diese Reflektion führt dazu, dass die Pflegekraft sozusagen zweimal im Pflegesetting vorhanden ist: Als „Aktives Selbst“ (action self), welches „tut und handelt“, sowie als „Reflektives Selbst“ (reflective self), das beobachtet und das eigene Tun kommentiert.

Während diesem stillen Reflection in action soll sich die Pflegekraft folgende Fragen stellen:

- Was denkeich? (Content of Thinking) (Denk-Inhalt)
- Wie denkeich? (Processof Thinking) (Denk-Prozess)
- Warum denke ichso? (Premises of Thinking) (Denk-Grund)

„Reflection is the way you become aware of what you are thinking (the content of thinking), how you are thinking (the process of thinking), as well as why you are thinking (the premises of thinking).“ (Pesut und Herman 1999, S. 12)

Neugier (Curiosity)

Um eine solide Informationsbasis zu erhalten ist es unbedingt notwendig, dass die Pflegekraft „neugierig“ ist und beharrlich nachfragt. Ihr soll ein Wissensbedürfnis inne wohnen (Pesut und Herman 1999). Pflege ist Neugier mit Absicht, absichtliche Neugier. Die Pflegekraft soll dabei neugierig sein, wie der Pflegebedürftige denkt, fühlt und handelt.

Toleranz zur Ungewissheit (Tolerance for ambiguity)

[...]

Ende der Leseprobe aus 186 Seiten

Details

Titel
Clinical Reasoning in der Altenpflege
Hochschule
DIPLOMA Fachhochschule Nordhessen; Zentrale
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
186
Katalognummer
V191186
ISBN (eBook)
9783656160083
ISBN (Buch)
9783656160359
Dateigröße
6375 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
reasoning, altenpflege, denkhut, denkhüte, pragmatisches, ethisches, interaktives, scientific, diagnostisches, denken, rubikonmodell, Situated Clinical Decision-Making Framework
Arbeit zitieren
Horst Kolb (Autor:in), 2012, Clinical Reasoning in der Altenpflege, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191186

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