Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Lage für den männlichen Siedler in Deutsch-Südwestafrika
Die „Bedrohung durch die Mischlinge“
Die rechtliche Stellung von „Eingeborenen“
Das „Verkaffern“
Vorurteile gegenüber der afrikanischen Bevölkerung und Rassentheorien um die Jahrhundertwende
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Der deutsche Kolonialrassismus in Deutsch-Südwestafrika war nicht nur die praktische Anwendung rassistisch legitimierter Herrschaftsansprüche, sowie die logische Fortführung des, gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer populärer werdenden, Sozialdarwinismus, sondern diente zu einem nicht unerheblichen Anteil auch der Durchsetzung wirtschaftlich motivierter Interessen der deutschen Siedlergemeinschaft.
Die Machtansprüche der deutschen Kolonisatoren in Deutsch-Südwestafrika (und auch in den übrigen Kolonien) lagen größtenteils in der Überzeugung, dass die Afrikaner einer „minderwertigen Rasse“ angehörten und es ein „natürliches Verhältnis“ zwischen der herrschenden weißen und der beherrschten schwarzen Rasse gäbe.[1] Diese Rassentheorien waren somit also eine absolute Voraussetzung für die Annexion überseeischer Gebiete und die Unterwerfung der dort lebenden Bevölkerung.
Doch auch die Übernahme rassistischen Gedankenguts aus den Nachbarkolonien der übrigen europäischen Kolonialmächte beeinträchtigte die rigide Herrschaftspolitik der deutschen Kolonialbeamten.[2] Besonders der Herrschaftsverlust der spanischen und portugiesischen Kolonien diente als warnendes Beispiel für eine zu laxe Herrschaftspolitik gegenüber der schwarzen Bevölkerung. Dadurch, dass in Fragen betreffend der „Mischehe“ und der „Mischlingskinder“ mit zu viel Nachsicht gehandelt wurde, sahen die deutschen Kolonialbeamten das Scheitern anderer europäischer Kolonialmächte begründet und damit den praktizierten Rassismus legitimiert.[3]
Als besonderer Störfaktor galten die sogenannten „Mischlingskinder“, also Abkömmlinge weißer Siedler und afrikanischer Frauen. Männliche Nachkommen erbten automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit ihres Vaters und somit auch die Berechtigung diese zu beerben und öffentliche Ämter zu bekleiden.[4] Mit solchen Rechten ausgestattet, war es nur eine Frage der Zeit, so befürchteten die deutschen Kolonisten, bis eine solche Mischlingsbevölkerung den weißen Siedlern zahlenmäßig überlegen sei und ihnen ihre Herrschaftsansprüche streitig machen und sie schlussendlich verdrängen würde.[5]
Nicht zuletzt im Mischehenverbot von 1907 manifestierte sich diese Angst in konkretem Handeln. Männer mit afrikanischen Ehefrauen, oder solche, die mit Afrikanerinnen ein sexuelles Verhältnis eingingen, wurden mehr und mehr Opfer von Repressalien. Ihnen, sowie ihren Nachkommen, wurde das Wahlrecht aberkannt und sie wurden von der weißen Siedlergesellschaft weitestgehend ausgeschlossen. Diese Diskriminierungen fanden selbst über mehrere Generationen hinweg statt.[6]
Im Folgenden soll zunächst ergründet werden, inwieweit der eklatante Frauenmangel der weißen, zumeist männlichen, Siedler und nach der Niederschlagung der Herero- und Namaaufstände auch der Männermangel der afrikanischen Frauen, die Grundlage für ein zunehmendes Anwachsen der „Mischlingsbevölkerung“ in Deutsch-Südwestafrika bildete und welche Gefahren die deutschen Kolonisten hierin sahen, bzw. welche Schritte sie unternahmen um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Des Weiteren soll betrachtet werden, welche rechtlichen, aber auch gesellschaftlichen, Folgen das Mischehenverbot sowohl für die Frauen und deren Kinder, als auch für die, mit einer afrikanischen Frau verheirateten, bzw. zusammenlebenden, Männer hatte.
Schließlich wird noch zu erörtern sein, welche Rolle Rassentheorien und der angewandte Rassismus bei der Herrschaftslegitimation und auch der Durchsetzung des Herrschaftsanspruches spielten. Hierbei wird zu beachten sein, welche Vorurteile auf Seiten der weißen Siedler gegenüber der schwarzen Bevölkerung bestanden haben und welchen Einfluss die „Verkafferung“ auf die Kolonisten hatte. Schließlich bleibt noch die Frage zu klären, ob und in welchem Maße der Kolonialrassismus der Schaffung einer weißen Privilegiengesellschaft in Deutsch-Südwestafrika dienlich war und inwieweit auch wirtschaftliche Interessen der deutschen Siedler hierbei eine Rolle spielten.
Die Lage für den männlichen Siedler in Deutsch-Südwestafrika
Der Mangel an weißen Frauen im heiratsfähigen Alter in Deutsch-Südwestafrika war durch die gesamte Kolonialzeit hindurch ein soziales Problem und zeitweise heiß diskutiertes Politikum, das mit der zunehmenden Auswanderung junger Männer ab den 1890er Jahren in die Kolonien aufkam.[7]
Die Mehrzahl der deutschen Kolonisten lebten mit schwarzen Frauen zusammen, was durchaus Vorteile durch Mitgift in Form von Landbesitz und Vieh mit sich brachte. Auch afrikanische Familienoberhäupter waren bestrebt ihre Töchter mit den weißen Siedlern zu verheiraten, da sie sich hierdurch strategische Vorteile bei Verhandlungen und künftigen Wirtschaftsbeziehungen mit den Neuankömmlingen erhofften. Auf diese Weise kamen einige der Farmer schnell zu ansehnlichem Besitz und Reichtum, während die erhofften Vorteile der schwarzen Bevölkerung sich nicht einstellten.[8] Hierin zeigt sich bereits der Umstand, dass die deutschen, männlichen, Siedler einen ungleich größeren Vorteil aus den Konkubinatsverbindungen zogen, als die afrikanische Bevölkerung.
Ausgehend von der Annahme, dass das Verhältnis von Kolonisator zu Kolonisiertem per se das eines Herrschers über einen Beherrschten ist, liegt die Vermutung nahe, afrikanische Frauen, die sich in eine solche, wie auch immer geartete, Partnerschaft mit einem Weißen begaben, dies wohl in den seltensten Fällen freiwillig getan haben dürften. Selbst wenn eine sogenannte „Mischehe“ auf Freiwilligenbasis geschlossen wurde, bleibt doch immer die Frage im Raum stehen, wie sehr von einer „Freiwilligkeit“ gesprochen werden kann, deren Basis ein Herrscher-Beherrschter-Verhältnis bildet.
Ein nicht unerheblicher Faktor dürfte für die Frauen auch die wirtschaftliche Abhängigkeit von den weißen Männern infolge des Männermangels seit der gewaltsamen Niederschlagung der Herero- und Namaaufstände gewesen sein. Um sich und ihre Kinder zu versorgen begaben sich die Frauen oftmals in ein Abhängigkeitsverhältnis mit den Kolonisten. Durch die massive Aufstockung der deutschen Schutztruppen während der Kämpfe gegen Herero und Nama, sowie infolge der Entdeckung von Diamanten im Jahre 1908[9], wuchs die Anzahl der, sich in Deutsch-Südwestafrika niederlassenden, ledigen weißen Männer zeitweise auf bis zu 14.000 an.[10] Die Vermutung liegt nahe, dass beide Seiten durchaus voneinander profitiert haben könnten. Die afrikanischen Frauen, indem sie eine wirtschaftliche Absicherung für sich und ihre Kinder fanden und die deutschen Männer dadurch, dass das Problem der fehlenden Frauen auf diese Weise gelöst werden konnte. Jedoch bleibt trotz alledem die Tatsache, dass die Frauen erst durch das kriegerische Vorgehen der Kolonisten in Existenznot gerieten und obendrein gewaltsam unter deren Herrschaft gezwungen wurden, bestehen und lässt insgesamt doch lediglich die Schlussfolgerung zu, dass die „Vorteile“ für die afrikanischen Frauen in keinem Verhältnis zu den Folgen der Taten der weißen Kolonisten standen.
Dem allgegenwärtigen sexuellen Notstand, aufgrund fehlender deutscher Frauen, begegneten die Männer, indem sie mit afrikanischen Frauen zusammenlebten oder diese vergewaltigten. Bereits in der Anfangszeit der deutschen Kolonialbestrebungen in Süd-Westafrika diente die sexuelle Unterwerfung der kolonisierten Frauen als Machtbeweis der männlichen, weißen Kolonisatoren.[11] Zum Einen diente eine afrikanische Geliebte dem Prestige der Siedler untereinander, andererseits zeigten sie somit, dass sie sich nicht nur das Land nach belieben aneignen konnten, sondern dass ihnen auch die Bevölkerung uneingeschränkt zur Verfügung stand. Sowohl den männlichen Afrikanern wurde dadurch klar gemacht, dass die neuen Machthaber ihnen ihre Frauen nehmen konnten wann immer es ihnen beliebte, als auch den Frauen selbst, die hierdurch eine Degradierung zu Objekten der Herrschaftsausübung erfuhren. Die Unterwerfung der afrikanischen Frauen diente somit nicht bloß um Abhilfe in Fragen des sexuellen Notstandes deutscher Siedler zu schaffen, sondern in noch viel größerem Maße als Indikator für die Dominanz der Kolonisatoren über die afrikanische Bevölkerung.
Die „Bedrohung durch die Mischlinge“
Während in den 1890er Jahren Beziehungen zwischen deutschen Männern und Afrikanerinnen noch weitestgehend toleriert und mitunter sogar gutgeheißen wurden, änderte sich dies in zunehmenden Maße mit den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Kolonisatoren und der einheimischen Bevölkerung.
[...]
[1] So auch der ehemalige Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika Theodor Leutwein in einer Äußerung von 1907, abgedruckt in: Auswanderung, Leben und soziale Konflikte deutscher Frauen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika 1884-1920. Eine sozial- und frauengeschichtliche Studie, Magdeburg 1997, S. 151.
[2] Vgl. Sippel, Harald, Rechtspolitische Ansätze zur Vermeidung einer Mischlingsbevölkerung in Deutsch-Südwestafrika, in: Becker, Frank (Hrsg.), Rassenmischehen - Mischlinge – Rassentrennung. Zur Politik der Rasse im deutschen Kolonialreich, Stuttgart 2004, S. 138-164, hier: S. 141.
[3] Siehe Smidt, Karen, "Germania führt die deutsche Frau nach Südwest", Magdeburg 1997, S. 170.
[4] Vgl. Dietrich, Anette, Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von "Rasse" und Geschlecht im deutschen Kolonialismus, Bielefeld 2007, S. 208.
[5] Siehe Smidt, Karen, "Germania führt die deutsche Frau nach Südwest", Magdeburg 1997, S. 150.
[6] Ebd., S. 151.
[7] Vgl. Smidt, Karen, "Germania führt die deutsche Frau nach Südwest", Magdeburg 1997, S. 147.
[8] Siehe Trepsdorf, Daniel K. W., Afrikanisches Alter Ego und europäischer Egoismus. Eine komparative Studie zur Selbst- und Fremdenrezeption im Wilhelminischen Deutschland und Spätviktorianischen Großbritannien (1884-1914). Ausgewählte Aspekte zur Wahrnehmungskultur des "wilden schwarzen Anderen" sowie deren Konsequenzen für die indigene Bevölkerung der britischen und deutschen Kolonien im südlichen Afrika, Dresden 2006, S. 372.
[9] Vgl. Smidt, Karen, "Germania führt die deutsche Frau nach Südwest", Magdeburg 1997, S. 150-151.
[10] Ebd., S. 146-147.
[11] Siehe Walgenbach, Katharina, Rassenpolitik und Geschlecht in Deutsch-Südwestafrika (1907-1914), in: Becker, Frank (Hrsg.), Rassenmischehen - Mischlinge – Rassentrennung. Zur Politik der Rasse im deutschen Kolonialreich, Stuttgart 2004, S. 165–183, hier: S. 167.