Definitionen, Messverfahren und Auswirkungen von muskulären Dysbalancen


Diploma Thesis, 2011

129 Pages


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I. Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. ZUM BEGRIFF MUSKULÄRER DYSBALANCEN: ERKLÄRUNGSANSÄTZE UND URSACHEN FÜR DAS ENTSTEHEN MUSKULÄRER DYSBALANCE
2.1. Zum Ungleichgewicht zwischen tonischen und phasischen Muskeln
2.2. Zur arthromuskulären Dysbalance
2.3. Zur neuromuskulären Dysbalance

3. FOLGEN UND AUSWIRKUNGEN MUSKULÄRER DYSBALANCE

4. BEHANDLUNGSTHERAPIEN MUSKULÄRER DYSBALANCEN

5. DIAGNOSTISCHE VERFAHREN MUSKULÄRER DYSBALANCE
5.1. Definition und Messung der körperlichen Leistungsfähigkeit
5.2. Klinische Testverfahren
5.3. Geräteunterstützte Testverfahren
5.4. Maschinelle Kraftmessverfahren

6. VORBEUGUNG MUSKULÄRER DYSBALANCE:

ENTWICKLUNG EINES SPORTARTSPEZIFISCHEN KONZEPTS UM

MUSKULÄREN DYSBALANCEN VORZUBEUGEN

6.1. Dehnungsmaßnahmen zur Vorbeugung muskulärer Dysbalancen

6.2. Zu den Kräftigungsmaßnahmen für die Vorbeugung muskulärer Dysbalancen.

7. ZUSAMMENFASSUNG

8. LITERATURVERZEICHNIS

II. Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Charakteristik der posturalen und phasischen Muskulatur (Spring et al, 2008)

Tabelle 2: Einteilung in zu Verkürzung neigender Muskulatur (nach Spring et al, 2008 und Tittel, 1986, 2004)

Tabelle 3: Einteilung in zu Abschwächung neigender Muskulatur (nach Spring et al, 2008 und Tittel, 2004)

Tabelle 4: Zusammenstellung von Muskeln gemäß ihrer Faserzusammensetzung (nach Spring et al ,2008 und Johnson ,1986)

Tabelle 5: Zusammenstellung von Muskeln gemäß ihrer Funktionen (modifiziert nach Janda, 2000)

Tabelle 6: Muskelbioptische Befunde und Faserspektrumseinteilung des M. vastus medialis und des M. rectus fermoris an sechs Leichen (nach Johnson et al, 1973)

Tabelle 7: Faktoren neuromuskulärer Dysbalance im klinischen und sportlichen Feld (modifiziert nach Freiwald und Engelhardt, 1999)

Tabelle 8: Symptome bei neuromuskulären Dysbalancen in Bezug auf die

sportliche Leistung (Freiwald und Engelhardt, 1996, 19999)

Tabelle 9: Subpopulationsbezogene Beweglichkeitsnormen (Freiwald und Engelhardt, 1999)

Tabelle 10: Darstellung verschiedener Studien zu den Kraftverhältnissen verschiedener Muskelgruppen bei Schwimmern (modifiziert nach Dalichau et al, 2000; Bieder, 1995; Höltke, 1995; Denner, 1995)

Tabelle 11: Kraftverhältnisse verschiedener Muskelgruppen normaler Personen (modifizoertnachHabermeyer, 1989; Froböse, 1993; Denner, 1995)

Tabelle 12: Die sportmedizinisch relevanten Normwerte zur Festlegung des Toleranzbereichs für arthromuskuläre Verhältnisse (Ehrich et al, 2004).

Tabelle 13: Kraft-Ausdauerverhältnisse zwischen ventraler und dorsaler Kette (nach Remmert und Klomfaß, 2010)

Tabelle 14:Die "Theorie der muskulären Balance" (Klee,2000)

Tabelle 15: Sportmotorische Tests ("SMT") Gütekriterien (modifiziert nach Weineck, 2007; Hollmann und Hettinger, 2000)

Tabelle 16: Grundstufen zur Bestimmung der Muskelkraft (nach Janda, 2000)

Tabelle 17: Maschinelle Kraftmessverfahren (modifiziert nach Weineck, 2007)

Tabelle 18: Übersicht der Arten von Dysbalancen, diagnostischer Verfahren und von Therapieansätze

III. Abbildungverzeichnis

Abbildung 1: Zusammenspiel der Rückenstreck- und Hüftstreckmuskulatur bei der Hyperextension und Kreuzhebeübung (Gottlob, 2007)

Abbildung 2: Zusammenspiel der synergetischen Muskulautr im Schultergelenk (Tittel (a), 2004)

Abbildung 3 (Motiv a,b,c): Anatomische Darstellung der Streckschlinge beim Speerwurf (nach Tittel, 2004)

Abbildung 4: Verkürzungs- und Verlängerungsmuster der Muskulatur bei verschiedenen Haltungsschwächen (Bundesarbeitsgemeinschaftsgruppe, 1977)

Abbildung 5: Modell der Ruhespannungs-Dehnungskurve im physiologischn und experimentalen Bereich (Wiemann, 2000)

Abbildung 6: Kraftlänge-Relation zweier homogener Muskeln mit unterschiedlichen funktionellen Längen (Klee, Stratmann, Wiemann, 1998)

Abbildung 7: Modell zur Entstehung einer muskulären Dysbalance durch einseitige muskuläre Hypertrophie (Wiemann, Stratmann, Klee, 2000) ..

Abbildung 8: Verschiebung der arthromuskulären Balance durch Hypertrophietraining eines gelenkwirksamen antagonistischen Muskels und dessen Wiederherstellung nach der Hypertrophie des Agonisten

1. Einleitung

Das Thema der muskulären Dysbalance hat seit den 50er Jahren nicht an Aktualität verloren, sondern wird nach wie vor gegensätzlich diskutiert. Im Laufe der Jahre wurden die Messverfahren verbessert und erlaubten somit konkretere diagnostische Untersuchungen. Damit gingen veränderte Ansätze für Definitionen einher. Die Konzepte für Vorbeugung und Behandlung der muskulären Dysbalancen unterscheiden sich grundlegend: die Wissenschaftler, Ärzte, Therapeuten und Trainer haben unterschiedliche Perspektiven und Ziele bei der Prävention bzw. Behandlung. Hinzu kommen Faktoren wie pathologische, genetische, muskuläre und äußere Bedingungen, sportartspezifische Beanspruchung und Belastungsschäden, Trainingssteuerung und Periodisierung, wettkampfbedingte Belastungen, Trainingsumfänge, Erholungsmaßnahmen etc. Die Vielschichtigkeit der muskulären Dysbalancen erfordert eine genaue und vorsichtige Betrachtung. Worauf bauen die Konzepte auf? Wie wird in den verschiedenen Konzepten gewichtet? Wie werden die sportartspezifischen Merkmale berücksichtigt?

Das Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung eines sportartspezifischen Konzeptes, um muskuläre Dysbalancen vorzubeugen. Das Konzept betrachtet und berücksichtigt die sportartspezifischen Merkmale jeder Sportart und versucht die Überlastungsschäden zu minimieren bzw. ihnen vorzubeugen.

Verschiedene Aspekte können die muskulären Dysbalancen kennzeichnen. Als Beispiel kann man einen untersuchten mit einem angenommenen Wert vergleichen, ebenso gleichwertige Extremitäten, gegensätzliche antagonistische oder zusammenwirkende synergetische Muskelgruppen (Freiwald et al, 2000). Die Grundlagen der ersten Definitionen der muskulären Dysbalancen basierten Anfang der 50er Jahre auf der „manuellen Muskelfunktions-diagnostik“ von Janda. Er hat die Muskulatur in eine tonische und eine phasische Muskelgruppe klassifiziert. Während die erste Muskelgruppe zur Verkürzung neigt, tendiert die zweite Muskelgruppe zur Abschwächung (Spring et al, 1997). Janda verifizierte seine Thesen rein empirisch und nicht experimentell. Seine Definition wurde später als nicht eindeutig beschrieben (Wiemann, 1993; Klee, 1995; Freiwald, 2000) und es wurde mehrmals in Frage gestellt, ob es wohl auch heute noch Vertreter dieser Definition gibt.

Das Verhältnis der Drehkräfte, die auf das Gelenk einwirken, könnten nach Klee (1995) die Ursache der muskulären Balance bzw. Dysbalance sein: “Bei einer muskulären Balance wird das Gelenk durch das Verhältnis der Drehkräfte der das Gelenk überziehenden antagonistischen Muskeln in einer normalen und physiologischen Stellung gehalten. Bei einer muskulären Dysbalance ist dieses Verhältnis gestört: Das Gelenk befindet sich in einer Stellung, bei der Kräfte auftreten, die zu Verschleißerscheinungen des Gelenkes führen“ (Klee, 1995).

Die Aspekte der neuromuskulären Steuerung der Muskulatur wurden hier noch nicht betrachtet und später von Freiwald und Engelhardt eingeführt. Die beiden Autoren unterscheiden allerdings zwischen neuromuskulären Dysbalancen im klinischen Bereich und im sportlichen Feld, da der Sportler andere spezifische Ursachen und Symptome seiner neuromuskulären Dysbalance hat.

Trotz der verschiedenen Klassifizierungsansätze der Muskulatur und der Beachtung verschiedener Aspekte je nach Definition für muskuläre Dysbalancen, scheinen die Auswirkungen und die diagnostischen Verfahren ähnlich oder sogar gleich zu sein. Die muskulären Dysbalancen werden sowohl für die Leistungsminderung als auch für die Entstehung und Beibehaltung von Schädigungen der Haltung und des Bewegungsapparats verantwortlich gemacht (nach Freiwald und Engelhardt, 1996; Remmert und Klomfaß, 2010). Man kann die Dysbalancen am Beispiel der Veränderung der Kraftverhältnisse und der Beweglichkeit der Muskulatur klinisch oder mit Unterstützung von Geräten sowie mit Hilfe von maschinellen Kraftmaschinen messen und diagnostizieren.

Es wurden allerdings verschiedene Behandlungstherapien entwickelt, um der muskulären Dysbalance vorzubeugen. Förderung der Sensomotorik, Kräftigungs-, Dehnungs-, sowie viele andere Maßnahmen stellen die wichtigsten Therapieansätze dar. In der vorliegenden Arbeit soll am Beispiel der neuromuskulären Dysbalancen im Rücken die Thematik behandelt werden.

Besonders im Leistungssport erfordert jede Sportart bestimmte sportart­spezifische Anforderungen, Belastungen und Trainingsumfänge sowie spezialisierte Trainingsmaßnahmen und einseitige Trainingsprozesse mit hohem Trainingsaufwand, eventuell zu geringe Erholungsphasen, zu häufiges intensives Wettkampftraining und fehlendes Regenerationstraining etc, was zur Ausprägung der muskulären Dysbalancen führen kann.

2. Zum Begriff muskulärer Dysbalancen: Erklärungsansätze und Ursachen für das Entstehen muskulärer Dysbalance

Der Begriff „muskulärer Dysbalancen“ ist nach wie vor sehr populär. Trotzdem findet man in der neuen und alten Literatur bis jetzt keine einheitliche Definition des Begriffs. Das Thema wird mit großer Beachtung unter Sportlern, Therapeuten und Ärzten diskutiert. Ihr Verständnis des Begriffs ist leider immer noch unklar und ungenau, da jeder von ihnen eine andere Auffassung des Begriffs vertritt und entsprechend mit verschiedenen Voraussetzungen analysiert.

Die muskulären Dysbalancen werden durch folgende Aspekte gekennzeichnet:

- Vergleich zwischen einen untersuchten und einen angenommenen Wert (Normwert, differential)
- Vergleich gleichwertiger Extremitäten. Darunter werden insbesondere folgende Punkte betrachtet:
- Symmetrie / Asymmetrie
- Rechts / Links
- verletzt / unverletzt
- Vergleich von gegensätzlich arbeitenden Muskeln, die an einem Gelenk ansetzen, so z.B.: Agonisten/Antagonisten Darunter ist das Zusammenspiel von Beuger und Strecker bzw. Muskeln oder Muskelgruppen verstanden.
- Vergleich von synergetisch wirkender Muskulatur wie z.B.: die synergetische Dysbalance im M. quadriceps femoris und die selektive Abschwächung des Muskels vastus medialis bei Knietraumen.

Die muskuläre Dysbalance wird sowohl für die Leistungsminderung als auch für die Entstehung und Beibehaltung von Schädigungen des Haltungs - und Bewegungsapparats verantwortlich gemacht (Freiwald und Engelhardt, 1996).

Die ersten Erklärungsansätze des Begriffs basierten auf der Muskel­funktionsdiagnostik von Janda (1959), die er auch in späteren Veröffentlichungen beibehalten hat. Janda hat die Muskulatur in zwei Gruppen eingeteilt:

Gruppe 1: Die Muskulatur, die hauptsächlich aus Slow Twitch - Fasern besteht. Sie hat vorwiegend Haltungsfunktion.

Gruppe 2: Die Muskulatur hat überwiegend Bewegungsfunktion. Sie besteht hauptsächlich aus Fast Twitch - Fasern.

Während die erstgenannte Gruppe der Slow Twitch - Faser als Bestandteil der Haltungsmuskulatur durch Belastung und Entlastung zur Verkürzung neigt, neigt die Gruppe der Fast Twitch - Fasern, die ein Teil der antagonistischen und synergetischen Bewegungsmuskulatur ist, mit einer Abschwächung (Spring et al, 1997). Diese Zuordnung wurde innerhalb des Diskurses seit den 90er Jahren als grob und nicht eindeutig betrachtet und wurde als nicht mehr passend zum heutigen Kenntnisstand beschrieben.

Klee (1995) erklärte die muskuläre Balance und Dysbalance eines Gelenkes durch das Verhältnis der Drehkräfte, die auf das Gelenk einwirken: “Bei einer muskulären Balance wird das Gelenk durch das Verhältnis der Drehkräfte der das Gelenk überziehenden antagonistischen Muskeln in einer normalen und physiologischen Stellung gehalten. Bei einer muskulären Dysbalance ist dieses Verhältnis gestört: Das Gelenk befindet sich in einer Stellung, bei der Kräfte auftreten, die zu Verschleißerscheinungen des Gelenkes führen.“

Die Aspekte der neuromuskulären Steuerung der Muskulatur wurden hier noch nicht betrachtet und wurden später von Freiwald und Engelhardt eingeführt.

Die beiden Autoren haben ihre Erweiterung des Begriffs der Dysbalance durch die Bezeichnung neuromuskulärer Balance und Dysbalance in Bezug auf die neuronalen Steuerprogramme des Muskels definiert: „Neuromuskuläre Balance ist durch die anforderungsgerechte Homöostase (Balance) aller an den arthronalen Systemen beteiligten nervösen und humoralen Funktionen und Strukturen mit physiologischer Potenz gekennzeichnet. Neuromuskuläre Dysbalancen sind aber durch die Störung der Homöostase gekennzeichnet“ (Freiwald und Engelhardt, 1999).

Vor der detaillierten Analyse all dieser Definitionen, muss man die Funktion der Muskulatur verstehen: Wie ist eine Muskelgruppe in einer bestimmten Bewegung aktiv? Wie ist die Einteilung der Muskulatur beispielsweise bei einer Krafttrainingsübung?

Man klassifizierte anfangs die Muskeln in Bewegungs- und Haltemuskeln. (Lewit, 1981 und Janda, 1959). Gottlob (2007) stimmte der Klassifizierung nicht zu und erklärte, dass die Muskelarbeit nicht von der Art oder von der Muskelposition abhängig ist. Er vertritt die Auffassung, dass die Muskelarbeit rein übungsspezifisch ist. Sie ist abhängig von folgenden Faktoren:

- Der Körperposition
- Die Widerstandsrichtung
- Der Kinematik
- Dem Kraftfluss
- Den einzelnen Gelenkbewegungen

Infolgedessen sind die Muskelfunktionen in folgende Gruppen unterteilt:

1. Agonisten
2. Synergisten
3. Stabilisatoren
4. Antagonisten

Im folgenden sollen die Muskelfunktionen der genannten Gruppen nach Gottlob (2007) definiert werden.

Agonisten:

- Sie sind hauptverantwortlich für die Bewegungsausführung.
- Sie entfalten die größten Drehmomente gegen den Widerstand.
- Sie leisten den größten Anteil an der erforderlichen Arbeit.
- Die Muskelfasern verlaufen in der Bewegungsrichtung und bieten bewegungsadäquate Verkürzungsstrecken.

Synergisten:

- Sie beteiligen sich dynamisch an der Bewegung.
- Sie erfüllenjedoch mehr Hilfsfunktionen.
- Sie liefern entsprechend geringere Drehmomente und einen geringeren Arbeitsanteil.
- Die Fasern liegen nicht primär in der Bewegungsrichtung.

Stabilisatoren:

- Sie stabilisieren den Körper
- Sie gewährleisten die Körperhaltung
- Sie sichern die Gelenke.
- Sie leiten den auf den Körper einwirkenden Belastungsarm ab.
- Sie arbeiten meistens isometrisch.

Antagonisten

- Sie sind die Gegenspieler der Agonisten.
- Aufgrund der antagonistischen Hemmung weisen die Antagonisten eine reziproke Hemmung der Agonisten bei gleichzeitiger Aktivierung oder gleich­förmiger Bewegungen des Krafttrainings auf.
- Sie unterstützen den Gelenkschutz bei den schnellen Bewegungen und/oder bei freien dynamischen Bewegungen (z.B.: Wurf, Schlagwurf).

Der gleiche Muskel kann in einer Übungje nach Bewegungsablauf als Agonist / Antagonist wirken. Hierbei kommt es auf die Widerstandsrichtung bei der Bewegungsausführung an. Der Muskel kann auch synergetische Zwecke erfüllen und unter massiver Bewegungsamplitude für Einschränkungen zuständig sein, oder sogar eine reine Stabilisator Funktion erfüllen.

Individuelle Unterschiede können auch bei der Bewegungsausführung die erbrachte Leistung je Muskelgruppe beeinflussen: Bei der gleichen Muskel­beanspruchung wird die individuelle koordinative Ebene beeinflusst. Weitere Einflussfaktoren sind die Hebelkraftverhältnisse der Knochen und der Sehnenansatzpunkte. Die genannten Punkte beeinflussen den Arbeitsanteil der Synergisten und der Agonisten (nach Gottlob, 2007).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Zusammenspiel der Rückenstreck- undHüftstreckmuskulatur bei
derHyperextension und Kreuzhebeübung (Gottlob, 2007)

Die Abbildung 1 erklärt die Rumpfbewegung und das Zusammenspiel der Rückenstreck- und Hüftstreckmuskulatur bei Hyper- Extensionsübungen (a) und bei Kreuzhebeübungen (b).

Abbildung 1 (a) Bei der Hyper-Extensionsübung: die Rückenstreckmuskulatur arbeitet als Agonist und die Bauchmuskulatur als Antagonist. Die Hüftstrecker und die Gesäßmuskulatur arbeiten als Stabilisatoren.

Abbildung 1 (b) Bei der Kreuzhebeübung arbeiten die Hüftstrecker als Agonisten während die seitliche Bauchmuskulatur und die Rückenstreck­muskulatur gleichzeitig als Stabilisatoren arbeiten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Zusammenspiel der synergetischen Muskulautr im Schultergelenk (Tittel (a), 2004)

Die Abbildung 2 stellt das Prinzip des synergetischen Zusammenwirkens von Schultergürtelmuskulatur und Schultergelenkmuskeln bei der Abduktion des Armes dar: der M. trapezius (Pars descendens) und M. serratus anterior einerseits und M. deltoideus andererseits.

- Motiv (b): Bei der Abduktion des Armes bis 90 Grad.
- Motiv (c): Bei der Abduktion des Armes über 90 Grad.

Die gleichzeitige Aktivierung von Agonisten und Antagonisten erscheint erstmal als kontraproduktiv, da der Nettomoment des Gelenkes wegen der antagonistische Drehkräfte vermindert wird. Komi zeigt am Beispiel des Knies, wie die Maximalkraft der Kniestreckmuskulatur wegen des gegengerichteten Kniebeuger-Moments um 10 % reduziert wird (Komi, 1994). Mehrere Vorteile begründen diese scheinbar paradoxen Aktivierungen der Antagonisten: Die Ko-Kontraktion der Antagonisten verstärkt die Funktion des Band-Apparates in der Gelenkstabilisierung. Die Antagonisten spielen daher eine wichtige Rolle bei der Bewegungskoordination und können sogar schnelle und rasche Bewegungen abbremsen. Diesen Effekt nannte Komi „Schutzmechanismus - Effekt“ (Komi, 1994).

Letztlich spielt die verbesserte Zusammenarbeit der Agonisten und der Antagonisten eine entscheidende Rolle beim Erlernen von komplizierten Bewegungsabläufen, bei der mehrere Muskelgruppen gleichzeitig arbeiten.

Das Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen wird als „Muskelschlingen“ bezeichnet: „Ein reibungsloser Bewegungsablauf ist nicht nur die Arbeit eines einzelnen kräftigen Muskels, sondern es ist die innige Verbindung der Muskeln, die die Hauptarbeit gut, reibungslos, ökonomisch und zugleich ästhetisch leisten. Die Kraft einer Extremität wird dann wirksamer, mit der Unterstützung der Muskelschlingen der anderen Extremitäten, die optimal zusammenspielend sind“ (Tittel, 2004).

Am Beispiel der Endphase bei einem Speerwurf soll im Folgenden die Ganzkörper-Streckschlinge analysiert werden.

Die folgende Abbildung 3 zeigt die anatomische Darstellung der Streckschlinge beim Speerwurf (nach Tittel, 2004): Sie zeigt die letzte Wurfphase (Abwurf- und Bremsphase) im Moment der maximalen Bogen­spannung. Die Bogenspannung kann mit einer zusammengedrückten elastischen Feder verglichen werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 (Motiv a,b,c): Anatomische Darstellung der Streckschlinge beim Speerwurf(nach Tittel, 2004)

In Abbildung 3, Motiv (a) ist das linke Bein maximal gestreckt. Der linke Fuß des gestreckten Beines beendet die Wurfauslage. Gleichzeitig wird die rechte Hüft-Seite aktiv nach vorne gerissen („Hub des Körpers“). Damit wird die Zugwirkung auf den Wurfarm und auf den Speer vergrößert. Motiv (b) und (c) zeigen die Übertragung der gesamten Zug- und Streckkraft auf das Gerät im geeigneten Moment. Diese Rumpfbewegung bzw. „Bogenspannung“ macht den Unterschied zwischen geübtem und ungeübtem Werfer aus. Wo ein unerfahrener Werfer nur mit seinem Wurfarm wirft und die Rumpfkraft­Übertragung nicht ausgeprägt wird, macht der geübte Werfer zusätzlich eine ausgeprägte Rumpfbewegung. Dieser komplizierte Bewegungsablauf erfordert eine hohe Rumpfkraft und Streckkraft im Hüft-, Knie- und oberen Sprunggelenk.

Um die Rumpfkraft zu unterstützen, sollten die Werfer ihre Streckkraft optimieren. Nun wenn die Kraft der antagonistischen Muskulatur vernachlässigt, wird das Funktionsprinzip der Zusammenarbeit der Agonisten und Antagonisten nicht beachtet und es führt zwangsläufig zu einem gestörten

Verhältnis von Agonisten und Antagonisten. Demzufolge entsteht eine „muskuläre Dysbalance“. Als Beispiel des fehlerhaften Zusammenspiels kann einseitige Kraftentwicklung der Streckmuskulatur und Vernachlässigung der Antagonisten betrachtet werden.

Der Begriff der muskulären Dysbalance soll im folgenden Abschnitt genauer betrachtet werden. Dafür muss in der ersten Definition zwischen tonischen und phasischen Muskeln unterschieden werden.

2.1. Zum Ungleichgewicht zwischen tonischen und phasischen Muskeln

Muskuläre Dysbalance kann definiert werden als „ein Ungleichgewicht zwischen der tonischen und phasischen Muskulatur bzw. Schwächen in der kinetischen Kette als Folge von exogenen und endogenen Faktoren“ (Lenhard und Seibert, 2001; Bischof et al, 1991; Graff und Pragger, 1986 (a) und (b)).

Die Autoren erklärten ihre Einteilung der Muskulatur in tonische und phasische Muskelgruppen durch deren Hauptaufgaben. Die tonische Muskulatur übernimmt hauptsächlich die Haltungsfunktion und die phasische Muskulatur hauptsächlich die dynamischen Bewegungen.

Spring (2008) führt die gleiche Definition an und vermutet, dass die Muskelgruppen auf die Fehlbelastung und Überbelastung unterschiedlich reagierten: Die Inaktivität verstärkt die Abschwächung der phasischen Muskeln. Die Fehl- und Überbelastung verstärkt die Verkürzung der tonischen Muskeln.

Während die posturale (tonische und Haltungs-) Muskulatur mit einer Tonus­Erhöhung und eine funktionellen Muskelverkürzung und einer Hyperaktivität relativ schnell reagiert, reagiert die antagonistische phasische Muskulatur mit einer Abschwächung bzw. Erschlaffung und einer Absenkung des Muskeltonus (Lenhardtund Seibert, 2001; Spring, 2008).

Hier handelt es sich um einen typischen Teufelskreis: einerseits verstärkt die Verkürzung der Muskulatur die Abschwächung, anderseits verstärkt die Abschwächung die Verkürzung. Man vermutet sogar, dass in einem fortgeschrittenen Stadium der Dysbalance die auslösenden Faktoren nicht mehr ermittelbar sind (nach Bischof, 1991).

Noch dazu wird Folgendes vermutet:

- Ein verkürzter posturaler Muskel verstärkt die Abschwächung seiner phasischen Antagonisten durch die reflektorische Hemmung.
- Wegen der reflektorischen Hemmung durch die verkürzte antagonistische posturale Muskulatur, wird die abgeschwächte phasische Muskulatur nicht mehr maximal aktiviert.

Um das zu bestätigen, hatte Spring das Beispiel der Abschwächung der Bauch- und Glutealmuskulatur durch den verkürzten M. iliopsoas angeführt (1981).

Nicht nur die Kraftverhältnisse der Muskulatur werden gestört, sondern auch der Gelenkapparat. Da die Muskulatur mit den einzelnen Gelenkstrukturen eng verbunden ist, bedingen die Störungen der Muskulatur durch die wechselseitige reflektorische Beziehung eine Gelenkstörung und umgekehrt. Zum Beispiel treten Kniegelenksinnenschädigungen durch eine rasche Tonusminderung des Muskels quadrizeps femoris auf (Weber et al, 1985).

Als Ursache dieser muskulären Dysbalancen wurden verschiedene pathogenetische Faktoren genannt (nach Lenhardt und Seibert, 2001, Spring, 2008, Lexikon der Medizin Mensch Gesundheit, 2005):

- Zwangshaltung und lang anhaltende Ruhighaltung und monotone Bewegungen bei der Arbeit, in der Schule, bei der Freizeit­gestaltung oder beim Sport.
- Häufiges Sitzen
- Psychische Belastung
- Falsches Schuhwerk
- Zwangshaltung durch die Kleidung oder während des Schlafens
- Einseitige Bewegungsabläufe beim Sport
- Fehl- und Überbelastung des Bewegungsapparates
- Inaktivität
- Arthrose: degenerative Gelenkerkrankungen mit chronischen, schmerzhaften und zunehmenden funktionsbehindernden Gelenk­änderung
- Vertebrale Syndrome: akute oder chronische Erkrankungen der Wirbelsäule mit vetebragenen Schmerzen
- Spondylogene und radikuläre Syndrome: Wirbelsäulenerkrank­ungen
- Arthritiden: akute oder chronische Gelenkentzündung durch Infektionen, Rheuma, Blutkrankheiten oder Stoffwechsel­störungen
- Spondylithiden: Gelenkentzündung der Wirbelsäule
- Muskelverletzungen
- Tendopathien: primäre und nicht entzündliche oder degenerative mechanisch bedingte Irritation der Sehne und Sehnenansätze
- Myofasziale Schmerzsyndrome und Myogelosen und Muskel­Hartspann: Spindelig - knotige druckschmerzhafte einzelne Muskelfasern mit erhöhtem Muskeltonus

Spring (2008) erlaubte sich diese Einteilung auf Basis der Muskelfunktions- diganostik nach Janda (2004). Die folgende Tabelle 1 stellt die wichtigsten Merkmale der beiden Muskeltypen dar:

Tabelle 1: Charakteristik derposturalen undphasischen Muskulatur (Spring et al, 2008)

Zusätzlich zu diesen von Spring benannten Merkmalen erwähnte Page et al (2010), dass die tonische Muskulatur typischerweise fragil und eingelenkig ist. Die phasische Muskulatur hingegen ist typischerweise weniger fragil und zweigelenkig.

Bevor die Einteilung der Muskulatur in phasische und posturale Gruppen kritisch betrachtet wird, muss man die Begriffe „verkürzte Muskulatur“ in Anlehnung an Jandas Multifunktionsdiagnostik definieren.

Lewit (1986) meinte mit dem verkürzten Zustand der Muskulatur eine eingeschränkte Dehnfähigkeit der inaktiven Muskeln, das heißt: der Muskel war nicht elektrisch bzw. nerval aktiviert.

Muskuläre Dysbalance wirken nicht nur mit einem Dehnungsrückstand und einem Verkürzungsrückstand der Muskulatur, sondern sie wirken auch auf das Gelenk und das Bandapparat z.B.: Eine dauerhafte Knorpelüberbelastung führt auch zu arthritischen Veränderungen des Gelenkknorpels und im fortgeschrittenen Stadium zur Störung des Gelenkgleichgewichts und der Muskeldehnfähigkeit.

Im Zusammenhang mit dieser Beschreibung finden sich in der Literatur verschiedene Begriffe, um die unphysiologischen Zustände der Muskeln zu beschreiben, die eine muskuläre Dysbalance verursachen. Klee (1995) hat alle Gegensätze zusammengefasst:

- Verkürzte Muskeln - Abgeschwächte Muskeln: (Spring, 1981, 1986)
- Dehnungsrückstand-Kontraktionsrückstand(Dordel, 1975)
- Verkürzung-Verlängerung (Dordel, 1975)
- Zur Verkürzung neigende Muskulatur / zur Abschwächung neigende Muskulatur: (Bittmann, 1987)
- Kontraktionsfähigkeit- Dehnungsfähigkeit: (Berthold,1981)
- FunktionelleVerkürzung-FunktionelleSchwächung (Graff,1986)
- Muskelabschwächung - Muskelverkürzung (Rumler,1986)
- Verkürzung ihrer Länge - Abschwächung ihrer Kraft (Tittel,1986)
- Verkürzung bis hin zur Kontraktur - Erschlaffung, Abschwächung und Hemmung (Janda, 1986)

Das Verhältnis von abgeschwächten und verkürzten Muskeln wurde klinisch nachgewiesen und bestätigt: „Es konnte nämlich elektrophysiologisch nachgewiesen werden, dass vom Standpunkt der Funktion zwei Systeme der quergestreiften Muskulatur zu unterscheiden sind. Die vorwiegend posturale Muskulatur ist klinisch durch Neigung zur Hyperaktivität, Verspannung, Verkürzung, Hypertonus und die vorwiegend phasische Muskulatur durch die Neigung zu Hemmung, Abschwächung und Erschlaffung gekennzeichnet“ (Lewit, 1984).

Die folgende Tabelle 2 und Tabelle 3 fassen die Einteilung der quergestreiften Muskulatur in zur Verkürzung bzw. zur Abschwächung neigende Muskulatur laut verschiedenen Autoren dar:

Tabelle 2: Einteilung in zu Verkürzung neigender Muskulatur
(nach Spring et al, 2008 und Tittel, 1986, 2004)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Einteilung in zu Abschwächung neigender Muskulatur
(nach Spring et al, 2008 und Tittel, 2004)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kolár (2001) erweiterte die Einteilungsliste der Muskulatur und hat folgende Muskeln zur tonischen Muskelgruppe hinzugefügt: M. coracobrachialis, M. brachioradialis, M. subscapularis, M. Teres Major. Folgende Muskeln wurden von demselben Autor zur phasischen Muskulatur Gruppe hinzugefügt: M.rectus capitis anterior, M. supraspinatus, M. infraspinatus , M. teres minor, M. deltoid. Zu den beiden Muskelgruppen gehört der M. Latissimus dorsi als tonischer und phasischer Muskel.

Wiemann (1993) lehnte dieser Einteilung der Muskulatur ab und bemängelte das Kriterium der Faserzusammensetzung je Muskelgruppe, da es nur bei wenigen Muskeln eine eindeutige Zuordnung ergibt.

Aufgrund des hohen Anteils an Slow Twitch -Fasern (Typ I) lassen sich die ischiocrurale Muskulatur und der Muskel trapezius und unter Vorbehalt die Rückenstrecker Muskulatur und der Muskel triceps surae (besonders der Muskel soleus) zu den posturalen Muskeln zuordnen. Hingegen lassen sich aber der Muskel biceps brachii und die Mm Vasti aufgrund des hohen Anteils der Fast Twitch - Fasern (Typ II) zu den phasischen Muskeln zuordnen.

Die restlichen erwähnten Muskeln lassen sich aber auch aufgrund der gleichgewichtigen Faserzusammensetzung wahlweise zu den beiden Gruppen zuordnen: (z.B.: M. iliopsoas, M adductor magnus et longus, M gastrocnemius, M gluteus maximus) oder zu den anderen Gruppe zuordnen: (zB.: M. rectus femoris, M. pectoralis major, M. Armbeuger Muskulatur, M. tibialis anterior Mm peronaei).

Die folgende Tabelle 4 stellt die Muskeln gemäß ihrer Faserzusammensetzung (nach Johnson, 1986) und ihrer Funktionen (nach Spring et al, 2008) dar:

Tabelle 4: Zusammenstellung von Muskeln gemäß ihrer Faserzusammensetzung (nach Johnson, 1986) und ihrerFunktionen (nach Spring et al, 2008)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wiemann (1993) verstärkte ihre Stellungnahme in Bezug auf die nicht eindeutige Zuordnung der Muskulatur durch die Faserzusammensetzung:

„Da die Fasertypverteilung mit dem Typ der den Muskel innervierenden Neuronen und somit auch mit der Art der Innervation und der vorherrschenden Funktion (tonisch oder phasisch), scheinen auch die Innervations - und die Funktionskriterien fur manche Muskeln keine eindeutige Zuordnung zuzulassen“. (Wiemann, 1993)

Um die einheitliche Meinung vieler Autoren zu verstehen, muss man die Quelle der Autoren verfolgen und herausfinden, dass die einzige Bezugnahme aller dieser Autoren die Muskelfunktionsdiagnostik von Janda (1976; 2004) war. Die zur Verkürzung und die zur Abschwächung neigende Muskultur wurden aber von Janda nur aufgezählt. Er hat seine Thesejedoch nur empirisch und nicht experimentell gestützt. Es gab sogar keine Übereinstimmung beim Mm. scaleni. Bei Lewit (1984) und Spring (1986) wurde beschrieben, dass der Muskel zur Verkürzung neigt. Janda (1976) beschrieb diesen aber als einen zur Abschwächung neigenden Muskel.

Folgende Tabelle 5 fasst die zwei Gruppen der Muskeln zusammen, die bei Janda nur aufgezählt wurden:

Tabelle 5: Zusammenstellung von Muskeln gemäß ihrer Funktionen
(modifiziert nach Janda, 2000)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wenn man den heutigen Kenntnisstand betrachtet, wird man erkennen, dass die Einteilung der zur Verkürzung neigenden tonischen Muskulatur und zur Abschwächung neigender phasischer Muskulatur nicht mehr eindeutig und sogar nicht möglich ist.

Durch verschiedenen elektromyographische - und durch Plattform Untersuchungsergebnisse wurde festgestellt, dass bei 20 - 25% der Menschen die Bauchmuskeln der Schwerkraft entgegenwirke. Das heißt, dass bei diesen 25% der Menschen, bei denen das Schwerkraftlot hinter das Becken fällt, die Bauchmuskulatur als haltungsgarantierende Muskulatur betrachtet werden kann, obwohl die Bauchmuskulatur als zur Abschwächung neigende Muskulatur bzw. als phasische Muskulatur beschrieben wurde (Asmussen und Klausen, 1962).

Man kann das Verhalten der Bauchmuskulatur durch ein einfaches Beispiel im eigenen Körper erfahren: Wenn man den Oberkörper leicht nach vorne lehnt und das Becken zurück schiebt, fühlen sich die Bauchmuskeln weich und entspannt an. Wenn man gegenteilig den Oberkörper leicht nach hinten lehnt und das Becken nach vorne schiebt, fühlen sich die Bauchmuskeln hart und angespannt an (Klee, 1995).

Die Bauchmuskulatur, die als zur Abschwächung neigende Muskulatur bzw. phasische Muskulatur beschrieben wurde, neigt auch zum Verkürzen: bei Kyphose Erkrankungen der Wirbelsäule ist die Bauchmuskulatur verkürzt (Freiwald und Engelhardt, 1996).

Die Untersuchungs-Ergebnisse der Bundesarbeitsgemeinschaftsgruppe haben dagegen gezeigt, dass die Bauchmuskulatur bei Haltungsschwächen zur Erschlaffung, Dehnung und Verlängerung neigt:

Eine allgemeine normative Zuordnung der Bauch- und Rückenmuskulatur am Beispiel der Hüftbeuger und Hüftstrecker ist aufgrund der großen Intra- und
interindividuellen Variationen nicht möglich. Man hat die verschiedenen Haltungsschwächen diagnostiziert. Schließlich ist aufgefallen, dass die Bauchmuskulatur bei allen drei genannten Haltungsschwächen (Totalrundrücken, Hohlrücken und Hohlrundrücken) gedehnt ist, während bei den Hüftbeuger, der Hüftstrecker- und der Rückenmuskulatur Überdehnung und Verkürzung vermutet wird. Die Abbildung 4 zeigt die unterschiedlichen untersuchten Haltungs­schwächen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Verkürzungs- und Verlängerungsmuster der Muskulatur bei verschiedenen Haltungsschwächen (Bundesarbeitsgemeinschaftsgruppe, 1977)

Obwohl die beiden Muskelgruppen bei vielen Bewegungen als synergetisch arbeiten, beschrieb Janda (2004) auch die Bauchmuskulatur (hauptsächlich der M. rectus abdominis) als zur Abschwächung neigende Muskulatur und den Hüftbeuger (M. iliopsoas) ebenso als zur Verkürzung neigende Muskulatur.

Betrachten wir das Kriterium der Faserzusammensetzung am Beispiel folgender Muskeln: M. rectus femoris und die M. vasti. Die Muskelbiopsie des M. rectus femoris hat einen hohen Anteil an FT-Fasern gezeigt und widerspricht der Zuordnung des Muskels als tonischer Muskel mit überwiegend Slow Twitch -Fasern (Johnson et al, 1973). Muskelbiopsien des Muskels vastus medialis haben auch gezeigt dass er einen hohen Anteil an ST- Fasern hat, obwohl der M. vastus medialis als zur Abschwächung neigender Muskel beschrieben wurde bzw. er überwiegend aus FT-Fasern bestehen sollte (Der Faseranteil hängt von der Entnahmestelle bei der Biopsie ab). Die folgende Tabelle 6 stellt die muskelbioptischen Befunde von Johnsen dar:

Tabelle 6: Muskelbioptische Befunde und Faserspektrumseinteilung des M.
vastus medialis und des M.rectus fermoris an sechs Leichen (nachJohnson etal, 1973)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Muskelfaserzusammensetzung kann nicht als Kriterium für die Zuordnung der Muskulatur betrachtet werden. Die folgenden Studien bestätigen auch die abweichende Faserzusammensetzung im Muskel Vastus lateralis als Beispiel. Alle Studien waren Nadelbiopsien:

- Verhältnis der Typ I/Typ II Fasern bei Langstreckenläufern aus Skandinavien: 2.41 (Saltinetal., 1995).
- Verhältnis der Typ I/Typ II Fasern bei Langstreckenläufern aus Kenia: 2.19 (Saltin et al., 1995).
- Verhältnis derTyp I/Typ II FasembeiHochspringem:1.14 (Tihanyi et al., 1983).
- Verhältnis der Typ I/Typ II Fasern bei Volleyballspielern: 0.77 (Sleivert et al., 1995).
- Verhältnis der Typ I/Typ II Fasern bei Sprintern: 1.0 (Andersen et al., 1994)

Unsere Muskulatur ist ein sehr anpassungsfähiges Gewebe und zeigt ein großes Potential ihre Fasern umzuwandeln. Als Beispiel zeigten Studien von Muskeln mit hohen ST - Faseranteil vor dem Training signifikante Faserverschiebungen von ST- Fasern zu FT- Fasern nach dem Training (Andersen et al., 1994; Jacobs et al., 1987; Jansson et al., 1990), während solche mit weniger ST-Faseranteil weniger oder keine Transformation zeigten (Allemeier et al., 1994; Thorstensson et al., 1976).

Allerdings besitzt ein Muskel mit einem ausgeglichenen Faseranteil das größte Potential sowohl mehr langsame, als auch schnelle Fasern umzuwandeln (Hering, 2000). Verschiedene Faktoren beeinflussen die Faserzusammensetzung, diese sind neben z.B. Umwelt-Faktoren auch die erblichen Faktoren. Die erstaunliche Plastizität des Muskels ermöglicht dem Muskel sich in fast allen zellulären und molekularen Ebenen anzupassen (Howald, 1984).

Die Glutealmuskeln (M. gluteus medius und minimus) wurden auch als zur Abschwächung neigende Muskulatur (Bewegungs- bzw. phasische Muskulatur) klassifiziert, obwohl Janda (1994) und Storck (1951) bestätigten, dass diese Muskeln für den Einbeinstand (in Schrittphase) verantwortlich sind und infolgedessen posturale Funktionen übernehmen.

Weineck (2008) beschrieb die Mm Vasti als Haltungsmuskeln wegen ihres stumpfen Fiederungswinkels, während der Muskel rectus femoris wegen seinem spitzen Fiederungswinkel als schnellkraftfunktionierender bzw. Bewegungsmuskel beschrieben wurde. Der Fiederungswinkel wurde hier von Weineck als Zuordnungskriterium der posturalen und phasischen Muskulatur eingeführt.

Die begrenzte Aktivierung der abgeschwächten phasischen Antagonisten durch die reflektorische Hemmung der verkürzten posturalen Muskulatur wurde von Spring (1981, 2008) nicht begründet oder bestätigt, erscheint jedoch unproblematisch(Klee, 1995).

Zusammenfassend beschrieben Freiwald und Engelhardt die Einteilung in Muskulatur mit vorwiegender Haltungsfunktion (tonische Muskulatur), die zur Verkürzung neigt und in Muskulatur mit vorwiegender Bewegungsfunktion (phasische Muskulatur), die zur Abschwächung neigt als „eine vereinfachte, grobe und unstimmige Einteilung“ (Freiwald und Engelhardt, 1996).

Diese Einteilung verliert ihre Überzeugungskraft, da sich fast alle Autoren auf die gleiche „Janda“ Quelle bezogen, obwohl Janda seine Thesen nur empirisch und nicht experimentell stützte.

2.2. Zur arthromuskulären Dysbalance

Die arthromuskuläre Dysbalance- Definition basiert auf der Ruhespannungs­Balance bzw. Ruhespannungs-Dysbalance. Der verkürzte bzw. verlängerte Zustand eines Muskels wird häufig missverstanden und falsch verwendet. Deswegen ist es sinnvoller die verschiedenen Begriffe wie Muskellänge- oder Kraftlänge- Relation des Muskels oder Ruhespannung usw. zu erklären, bevor die arthromuskuläre Dysbalance- Definition erklärt wird.

Folgende Definitionen von Längen, Dehnungseigenschaften der Muskulatur werden (nach Wiemann, Klee, Stratmann, 1998) definiert:

- Muskelruhespannung: bei der Dehnung eines Muskels, setzt er gegen diese Dehnung einen Widerstand, auch wenn er völlig inaktiv ist. Das heißt der Muskel wird sich ohne nervale Aktivierung in der Ruheposition anspannen. Man bezeichnet dies als Ruhedehnungsspannung beim Dehnungsvorgang oder als Muskelruhespannung des ruhenden Muskels. Die Ruhedehnungsspannung drückt die elastischen Eigenschaften des Muskels aus: „sie steigt umso steiler, je weiter die Dehnung fortschreitet“ (Wiemann, 2000).

Als Quelle der in vivo Ruhespannung scheinen die hochelastischen Titinfilamenten Moleküle verantwortlich zu sein (Wang et al, 1991 und 1993). Dieses Verhalten wird durch folgendes Dehnungskurven Modell in der Abbildung 2 verdeutlicht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Modell der Ruhespannungs-Dehnungskurve im physiologischen und experimentalen Bereich (Wiemann, 2000)

Wenn man die Ruhelänge als 100% Ausmaß betrachtet, lässt sich ein Dehnungsausmaß von maximal 160% des Muskels in vivo erreichen. In vitro erreicht der Muskel ein Dehnungsausmaß von 200%, bevor das Präparat zerreißt.

[...]

Excerpt out of 129 pages

Details

Title
Definitionen, Messverfahren und Auswirkungen von muskulären Dysbalancen
College
Sport Academy Cologne  (Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik)
Author
Year
2011
Pages
129
Catalog Number
V192754
ISBN (eBook)
9783656179184
ISBN (Book)
9783656179795
File size
14639 KB
Language
German
Notes
Die Vielschichtigkeit der muskulären Dysbalancen erfordert eine genaue und vorsichtige Betrachtung. Worauf bauen die Konzepte auf? Wie wird in den verschiedenen Konzepten gewichtet? Wie werden die sportartszpezifischen Merkmale berücksichtigt?
Keywords
Muskulären Dysbalancen, Messverfahren musklärer Dysbalancen, neuromuskuläre Dysbalance, arthromuskuläre Dysbalance
Quote paper
Mohsen Bousnina (Author), 2011, Definitionen, Messverfahren und Auswirkungen von muskulären Dysbalancen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192754

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