Theatralität in der interaktionistischen Lebenswelt


Term Paper, 2010

16 Pages, Grade: 1,0

Patricia Weber (Author)


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theatrale Körper im Theaters und Alltag
2.1 Körperkonzepte des semiotischen und phänomenalen Körpers
2.2 Die Wirkung von Körper und Zeichen
2.3 Theatralität, Inszenierung und Identität

3. Goffmans Welt des Theaters
3.1 Einführung in Goffmans dramaturgische, interaktionistische Perspektive
3.2 Vorder-und Hinterbühne, Ensemble und Publikum
3.3 Rolle und Rollendistanz
3.4 Reflexion Goffmans Theater-Metaphorik

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

ÄAll the world’s a stage, and all the men and women merely player“1. Nach diesem berühmten Zitat aus Shakespears Komödie ÄAs you like it“ ist unser ganzes Leben eine Bühne, auf der wir unsere Rolle spielen. Shakespeare schrieb bereits um 1600, dass sich Vorgänge im Theater auf den Alltag übertragen lassen. Theatralität2 bestimmt unser Leben, wir spielen Rollen, stellen unsere Identität dar und setzen unseren Körper als Ausdrucksinstrument ein, um spezifische Eindrücke zu vermitteln. Die Sprache des Theater ist tief in anthropogische und soziologische Diskurse eingedrungen. Die Rede ist von der Kultur der Inszenierung,3 der Dramaturgie des Alltags bis hin zur Inszenierungsgesellschaft.4

Die vorliegende Arbeit ergründet, warum wir von theatralen Prozessen im Alltag sprechen, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede im inszenierenden Verhalten auf der Bühne und in Interaktionen liegen. Anhand der Theatermetaphorik von dem amerikanischen Soziologen Erving Goffman wird unser Alltag beleuchtet, gezeigt wie unser Verhalten entsprechend unserer eingenommenen Rolle oft unbewusst inszeniert ist. Am Ende sollte die Arbeit die Frage: ÄWie und warum stellen wir uns permanent in der interaktionistischen Lebenswelt selbst dar?“ beantwortet haben, und ebenso den körperlichen Aspekt bezüglich der Selbstdarstellung beleuchten.

Um dieses Ziel zu erreichen wurde die Arbeit in zwei Kapitel gegliedert. Zu Beginn sollen die dargelegten Verkörperungskonzepte von der Autorin Erika Fischer-Lichte dazu dienen, einen Aspekt im Theater zu beleuchten, der sich problemlos auf das reale Leben übertragen lässt: Der Körper als dramaturgisches Medium ist nicht nur im Theater Bedingung für eine gelungene Aufführung, sondern auch in alltäglichen Interaktionen. Weiterhin dienen die Begriffsdefinitionen von Theatralität und Inszenierung als theoretisches Konzept, um theatrale Prozesse im Alltag im Bezug auf unser Rollenverhalten und Lebensweltgestaltung zu ergründen. Um zu erklären, warum Selbstinszenierung als tiefmenschlicher Prozess der Konstitution der Identität gedacht ist, wird an dieser Stelle die Identitätstheorie Helmuth Plessners aufgegriffen.

Auf diesen Erkenntnissen aufbauend wird im darauf folgenden Kapitel Erving Goffmans dramaturgisch, interaktionistische Perspektive beleuchtet. Sein begriffliches Modell, bestehend aus Theaterfachtermini, dient nicht nur zur Deutung der sozialen Ordnung in Interaktionen, sondern impliziert zusätzlich eine Identitätsthematik. Wie sich unser Selbst im Alltag darstellt, versucht überzeugende Eindrücke, entsprechend der eingenommenen Rolle, zu hinterlassen, stellt Goffman mit unterschiedlichsten Metaphern und Analogien aus der Theaterwelt dar. Seine soziologische Rollentheorie wird anhand von Begrifflichkeiten wie Vorderbühne, Hinterbühne, Publikum und Ensemble sowie Rollenspiel und Rollendistanz vermittelt, und am Ende bezüglich der gegenwärtigen Entwicklung der Gesellschaft reflektiert.

2. Theatrale Körper im Theater und Alltag

2.1 Körperkonzepte des semiotischen und phänomenalen Körpers

Ende des 18. Jahrhunderts bildete sich in Deutschland ein neuer Begriff für die Tätigkeit des Schauspielers: Bis zu diesem Zeitpunkt pflegte man zu sagen ‚er spiele eine Rolle‘, was durch die Redeweise ‚er verkörpere eine Rolle‘ ersetzt wurde. Die Aufgabe des Schauspielers sollte darauf fokussiert sein, die literarische Vorlage körperlich zu vermitteln, seinen Körper als Bedingung der Darstellung einer dramatischen Figur auf der Bühne zu verstehen. Die Grundlagen und das theoretische Fundament dieses damals entstandenen Verkörperungskonzept wurde vom französischen Schriftsteller Diderot gelegt: Bereits 1751 schrieb er in ÄLettre sur les sourds et mueds“, dass sich alle sprachlichen Zeichen in gestische Zeichen übersetzen lassen, was später in der Definition für Verkörperung -Körper als existenzieller Grund der dramatischen Figur- weiterentwickelt wurde.5

Die Thematik der Verkörperung wurde unter anderem von der Autorin Erika Fischer-Lichter in ihren zahlreichen theaterwissenschaftlichen Veröffentlichungen aufgegriffen. Sie erweiterte den Begriff der Verkörperung, indem sie den Körper in die grundlegenden Körperkonzepte des semiotischen und phänomenalen Körper einteilte. Laut ihren Untersuchungen der historischen Verhältnisse ging mit der ÄHerausbildung des Literaturtheaters im 18. Jahrhundert eine Transformation des phänomenalen Körpers des Schauspielers in einen Zeichenkörper einher“,6 was als Bedingung für das Hervorrufen von Emotionen beim Publikum angesehen wurde. Die Auffassung den Körper ganz in theatralische Zeichen zu übersetzen wurde jedoch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ein verändertes Verhältnis transformiert. Verkörperung, wie es heute als Definition in den Theaterwissenschaften verstanden wird, beinhaltet das Zusammenspiel von phänomenalen und semiotischen Körpern. Dieses Zusammenspiel bedeutet, dass der Körper des Schauspielers, also sein eigener (phänomenaler) Körper als Medium für Zeichenbildung, sozusagen als semiotischer Körper eingesetzt wird, Äsein individueller phänomenaler Körper [jedoch] niemals in oder hinter diesem semiotischen verschwindet oder in ihm aufgeht, sondern vielmehr dessen Fundament und Bedingung seiner Möglichkeit darstellt“.7 Der phänomenale Körper wird folglich nie ganz vom Zeichenkörper verdrängt und ist als Bedeutungsträger und Quelle von Symbolleistungen sowie von kulturellen Einschreibungen nicht auszulöschen. Der Körper fungiert auf der Bühne als agency, als ÄAgent produktiver Körperinszenierung…[den] der Schauspieler mittels einer Reihe von sich im Laufe der Geschichte wandelnden Techniken der Körper- und Stimmverwendung, Darstellungscodes und Aufführungskonventionen in Szene [setzt]“.8

2.2 Die Wirkung von Zeichen und Körper

Ist in der Schauspielkunst von Ausstrahlung oder Charme die Rede, beziehen sich diese Attribute immer auf den phänomenalen Körper des Schauspielers. Die Wirkung beim Publikum wird dennoch erst in Verbindung mit Semiotik erzeugt. So stellen entsprechende Zeichen in der Schauspielkunst die Bedeutsamkeit des Körpers als Quelle der Kunstform des Theaters sicher. Wie ist es jedoch möglich, dass der Zuschauer durch Inszenierungen auf der Bühne in andere Empfindungszustände versetzt werden kann?

Empfindungen oder seelische Zustände, die die Schauspieler auf der Bühne versuchen darzustellen, rufen einen speziellen Körperausdruck hervor: Dem Zuschauer wird damit die Chance geboten durch die Schauspielkunst, frei von Zufälligkeiten des Alltags, sein psychologischen Wissen und seine Menschenkenntnis zu erweitern. Der Ausdruck von Gebärden, Mienen und proxemischen Zeichen erreicht den Zuschauer in der illusorisch dargestellten Rolle. Diese bewirken Empfindungen, die nicht nur emotional, sondern auch körperlich wahrgenommen werden. Ob Räuspern, Seufzen, Lachen oder Weinen, die Veränderung des Körpers im Zusammenspiel mit Ton und Stimme bewirken zugleich eine körperliche Modifikation des Wahrnehmenden.9 Der Mensch in der Rolle des Zuschauers hat so die Möglichkeit Äseinen Körper als für Empfindungen offen und durchlässig und damit sich selbst als ein empfindendes Wesen zu erfahren“.10 Die Zeichenhaftigkeit des Körpers ist neben anderen Merkmalen des menschlichen Verhaltens nicht nur in der Theaterkunst von Bedeutung: In jeder alltäglichen Interaktion ist Gestik, Mimik, Kleidung etc. deutlich und interpretierbar, wird Teil der Inszenierung im Alltag.

Wie in den folgenden Kapiteln ausführlich beschrieben wird, sind nicht nur Theaterstücke Momente in denen Körper inszenierend eingesetzt werden, sondern wir als Regisseure inszenieren täglich unser Sprechen und Handeln und verständigen uns in Interaktionen durch eigene Regieanweisungen und Deutungen der Situationen. All diese Phänomene implizieren den Begriff der Theatralität als spezifisches menschliches Verhalten in Interaktionen.11

2.3 Theatralität, Inszenierung und Identität

Theatralität zielt nicht primär auf die Kunstform des Theater, sondern ist ein Prinzip zur Herstellung von Wirklichkeit und lässt sich als Konzept der ÄWahrnehmung, Darstellung und Erkenntnis“12 begreifen. Der grundlegende Unterschied zwischen Theatralität im Theater und im Alltag ist, dass im Theater sich beide Beteiligten - Publikum wie auch Zuschauer- der theatralen Prozesse vom inszenierten und inszenierenden Körper auf der Bühne, bewusst sind. Durch Techniken der Aufführungs- und Darstellungskonventionen, Stimm- und Körper- verwendung, ebenso durch Schminke und Kostüm wird ein Körper inszeniert, der nicht nur Vorstellungen über Körper bzw. Körperkonzepte widerspiegelt, sondern auch Erklärungs- ansätze über die Relation zwischen Körper und Identität im wirklichen Leben erlaubt.13

Die Grundidee der Theatralität begreift im soziologischen bzw. anthropologisch- philosophischen Sinne theatrales Handeln aus der menschlichen Existenz heraus. Der Körper wird in theatralen Prozessen zur Darstellung des Selbst eingesetzt. Er ist Akteur und zugleich Opfer von Inszenierungsstrategien, mit welchen das Ich eine Weltanschauung, eine Idee oder einen sozialen Status präsentiert. Im DFG- Schwerpunktprogramm „Theatralität. Theater als kulturelles Modell in den Kulturwissenschaften“ stand die Ausgangsthese, die gegenwärtige Kultur der Inszenierung konstituiere sich in theatralen Prozessen, im Fokus. Dabei wurde Theatralität in vier Aspekte unterteilt: Körperlichkeit, Inszenierung, Wahrnehmung und Performance. Inszenierung erscheint hier als ein ‚Teilbereich‘ der Theatralität. Unter anderem wurden in diesem Projekt Mittel der Verkörperung und deren Effekte in verschiedenen kulturellen Bereichen, wie Politik oder Alltagsleben, erforscht und lassen wertvolle Erkenntnisse im Bezug auf die theatrale Bedeutung des Körpers in sozialen Handlungen zu.14 Der Körper ist ein theatralischer Ort, dessen Präsenz Ausgangspunkt der Selbstinszenierung. Durch Theatralität wird also Körperinszenierung in Erscheinung gebracht:

[...]


1 Shakespear, William: As you like it, in: Delius, Nicolaus: Shakspere’s Werke. Sechster Band, Elberfeld, 1860, S. 52.

2 Kursiv geschriebene Wörter stammen nicht aus dem Vokabular des Autors. In der vorliegenden Arbeit handelt es sich hierbei um theoretische Begriffe auf dessen direktes Zitieren verzichtet wurde. Alle Quellen befinden sich jedoch in den Fußnoten.

3 Vgl. hierzu Fischer-Lichte, Erika /Horn, Christian/Warstat, Matthias: Verkörperung, a.a.O., 2001.

4 Vgl. hierzu bspw. Willems, Herbert/Jurga, Martin: Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Opladen u.a., 1998.

5 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Verkörperung / Embodiment. Zum Wandel einer alten theaterwissenschaftlichen in eine neue kulturwissenschaftlichen Kategorie, in: Fischer-Lichte, Erika /Horn, Christian/Warstat, Matthias: Verkörperung, Tübingen, 2001, S. 13ff.

6 Klein, Gabriele: Das Theater des Körpers. Zur Performance des Körperlichen, in: Schroer, Markus: Soziologie des Körpers, Frankfurt am Main, 2005, S. 76.

7 Fischer-Lichte, Erika: Verkörperung / Embodiment. Zum Wandel einer alten theaterwissenschaftlichen in eine neue kulturwissenschaftlichen Kategorie, in: Fischer-Lichte, Erika /Horn, Christian/Warstat, Matthias: Verkörperung, a.a.O., 2001, S. 16.

8 Fischer-Lichte, Erika: Theater im Prozess der Zivilisation, Tübingen, 2000, S. 11.

9 Vgl. Fischer-Lichte, Erika /Schönert, Jörg :Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts. Inszenierung und Wahrnehmung von KörperMusik-Sprache, Göttingen, 1999, S. 59ff.

10 Ebd. S. 67f.

11 Vgl. Soeffner, Hans-Georg: Einleitung, in: Fischer-Lichte, Erika: Theatralität und die Krisen der Repräsentation, Stuttgart u.a., 2001, S. 165.

12 Klein, Gabriele: Das Theater des Körpers. Zur Performance des Körperlichen, in: Schroer, Markus: Soziologie des Körpers, a.a.O., 2005, S. 76.

13 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Theater im Prozess der Zivilisation, a.a.O., 2000, S. 11.

14 Vgl. Fischer Fischer-Lichte, Erika: Verkörperung / Embodiment. Zum Wandel einer alten theaterwissenschaftlichen in eine neue kulturwissenschaftlichen Kategorie, in: Fischer-Lichte, Erika /Horn, Christian/Warstat, Matthias: Verkörperung, a.a.O., 2001, S. 20f.

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Details

Title
Theatralität in der interaktionistischen Lebenswelt
College
http://www.uni-jena.de/  (Soziologie)
Grade
1,0
Author
Year
2010
Pages
16
Catalog Number
V192812
ISBN (eBook)
9783656178439
File size
2128 KB
Language
German
Keywords
Goffman, Theatralität, Rolle, Körpersoziologie, Interaktion, Lebenswelt
Quote paper
Patricia Weber (Author), 2010, Theatralität in der interaktionistischen Lebenswelt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192812

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