Christliche Soziallehre und Entwicklungshilfe


Term Paper, 2003

40 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

A. Einführung

B. Der Entwicklungsbegriff

C. Die Position der Kirche zur Entwicklungsproblematik in den sechziger Jahren
I. Empirische Analyse der Zeit aus der Sicht Johannes XXIII. und Paul VI.
II. Die normative Ausrichtung der Entwicklungshilfe
1. Das Personprinzip / Personalität
2. Das Subsidiaritätsprinzip
3. Das Gemeinwohl
4. Solidarität
III. Handlungsempfehlungen der Päpste

D. Die Position der Kirche zur Entwicklungsproblematik Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre
I. Empirische Analyse der Zeit aus der Sicht von Papst Johannes Paul II.
II. Normative Ausrichtung des Entwicklungsverständnisses
1. Wahre menschliche Entwicklung
2. Wechselseitige Solidarität als Lösung
3. Privateigentum zwischen Individualitäts- und Universalitätsanspruch
4. Zusammenwirken von Markt, Staat und Kirche .. 29ungsverzeichnis
III. Handlungsempfehlungen der Päpste

E. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einführung

Mit dem raschen Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, maßgeblich durch die Finanzhilfe des Marshallplans unterstützt, machte sich auf internationaler Ebene eine große Euphorie breit, die Probleme der unterentwickelten Länder nach der Entkolonialisierung ähnlich schnell und auf gleiche Weise lösen zu können. Das eine rein finanzielle Unterstützung dies jedoch nicht leisten kann, wurde bereits Ende der sechziger Jahre durch den Person-Bericht verdeutlicht.1 Infolgedessen wurde bis in die Gegenwart ein vielmaschiges Netz internationaler Zusammenarbeit mit dem Ziel geschaffen, eine nachhaltige Entwicklung (wirtschaftliche, politische,ökologische und soziale Aspekte beinhaltend) zu realisieren.2

Gegenstand dieser Hausarbeit ist die Analyse der kirchlichen Position in der Entwicklungsfrage. Diese ist deshalb interessant, weil die Kirche unabhängig von politischen Interessen handelt und eine große soziale Kompetenz besitzt. Somit kann sie konsequent bestehende Mängel anprangern und den vollen Umfang des Reformbedarfs aufzeigen. Maßgeblich bestimmt wird die Haltung der Kirche durch die Sozialenzykliken ihres Oberhauptes, des Papstes. In diesen Rundschreiben weisen die Päpste auf bestehende Missstände hin und zeigen Wege auf, wie diese beseitigt werden können. Es ist folglich zunächst zu prüfen, welche Gegebenheiten die Päpste zu den jeweiligen Zeitpunkten Entwicklungshemmnisse identifizieren. In einem zweiten Schritt geht es darum, herauszuarbeiten an welchen Normen die Entwicklungsarbeit ausgerichtet werden soll. Dabei ist auch geklärt werden, welches Verständnis von Entwicklung der jeweiligen Argumentation zu Grunde liegt. Im dritten und letzten Schritt sollen die aus den Prinzipien abgeleiteten, konkreten Handlungsempfehlungen für die Entwicklungsarbeit dargestellt werden.

Auf Grund der großen stofflichen Fülle werden in dieser Arbeit nur zwei geschichtliche Abschnitte nach dem beschriebenen Dreiklang analysiert und gegenübergestellt. Dies ist zum einen die Situation in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wie bereits eingangs dargestellt wurde, ging man in dieser Zeit zunächst sehr optimistisch an die Lösung der Entwicklungsfrage heran, da der Abschluss der Entkolonialisierung, in Verbindung mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in gewisser Weise einen Neuanfang darstellte. Geprägt wurde das Entwicklungsverständnis der Kirche in dieser Zeit durch Johannes XXIII. mit seinen Sozialenzykliken “Mater et magistra“ (1961) und “Pacem in terris“ (1963) sowie besonders durch Paul VI. mit seinem Rundschreiben “Populorum progressio“ (1967). Ebenfalls als Neuanfang kann die Beendigung der Teilung der Welt in zwei Blöcke angesehen werden. Dabei soll herausgestellt werden, wie Johannes Paul II. in seinen sozialen Rundschreiben “Sollicitudo rei socialis“ (1987) und “Centesimus annus“ (1991) an die Lösung der Entwicklungsfrage herangeht und welche Veränderungen im Vergleich zu seinen Vorgängern festzustellen sind.

Als Verständnisgrundlage soll aber zunächst auf die Vielschichtigkeit des Entwicklungsbegriffs eingegangen werden.

B. Der Entwicklungsbegriff

Eine Beschreibung dessen, was unter Entwicklung zu verstehen ist, wird notwendig, weil dieser Begriff in den verschiedensten Zusammenhängen verwendet wird und somit verschiedene Auffassungenüber den Inhalt bestehen. Eine Besonderheit des Begriffs besteht darin, dass Entwicklung nicht einen konstanten Zustand beschreibt sondern auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist. Die Zielbestimmung wiederum ist abhängig von individuellen Wertvorstellungen und somit variabel. Damit unterscheiden sich auch die gewählten Wege und Prozesse der Zielerreichung. Das heißt also, dass eine allgemeingültige Definition von Entwicklung nicht existieren kann, da das angestrebte Ergebnis variiert.3

Eine weit verbreitete und anerkannte Definition des Entwicklungsbegriffs wurde von Dieter Nohlen und Franz Nuscheler vorgenommen und ist unter der Bezeichnung des ’magischen Fünfecks von Entwicklung’4 bekannt geworden. Die Verfasser leiten dabei aus ihrem Verständnis von Entwicklung fünf Eigenschaften (Wachstum, Arbeit, Gleichheit/Gerechtigkeit, Partizipation, Unabhängigkeit) ab, die den Entwicklungsbegriff charakterisieren.

Wachstum

In Anlehnung an die von der UNO verabschiedete Strategie der ersten Entwicklungsdekade (sechziger Jahre) wird Wachstum zunächst imökonomischen Sinn verstanden - nämlich als die Zunahme der Produktion von Gütern und Dienstleistungen infolge von Kapitalinvestitionen. Als Haupthindernis des wirtschaftlichen Wachstums identifizierte die UNO damals den Kapitalmangel. Infolgedessen erhoffte man sich, ähnlich wie beim Marshall-Plan, durch Kapitalzufuhr an die Eliten der Entwicklungsländer wirtschaftliche Impulse zu erzeugen, die bis zur Mehrheit der Bevölkerung durchdringen sollten (Trickle-down-These).5 Das Ergebnis war jedoch, dass trotz hohen Wirtschaftswachstums die Verelendung zunahm. Der Wachstumsbegriff wird deshalb um einen qualitativen Aspekt erweitert. Demnach ist das Wachstum auch entsprechend seiner Verwendung zur Mehrung des gesellschaftlichen Gemeinwohls zu bewerten. Hier nimmt im Falle der Entwicklungsländer die Armutsbekämpfung breiten Raum ein. Um eine spürbare Verringerung der Armut zu erreichen, wird die Mobilisierung der mehr als ausreichend vorhandenen Arbeitskräfte durch Nohlen und Nuscheler empfohlen. Durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, in Verbindung mit der Installation eines Verteilungssystems für die Einkommen, wird ein Nachfragezuwachs erzeugt. Folglich muss die Armutsbekämpfung Ausgangspunkt des Wachstums sein (Trickle-up-These).6

Arbeit

Nohlen und Nuscheler sehen die Arbeit als ganz wesentlichen Aspekt der Entwicklung an. Mit der Förderung der Arbeit wird jene Ressource genutzt,über die die Entwicklungsländer in großem Umfang verfügen. Der Import moderner Technologien würde der Förderung des Faktors Arbeit entgegenwirken, da für deren Erwerb viel Kapital notwendig ist,über welches die Entwicklungsländer nicht verfügen, und die menschliche Arbeitskraft verdrängt wird. Als notwendig wird hingegen die Investition in das Humankapital (Ausbildung) erachtet, wodurch die Grundlage für qualifizierte Arbeit geschaffen wird. Mit der Förderung der Arbeit, in Verbindung mit einer angemessenen Entlohnung wird eine Massennachfrage und damit das Wachstum gefördert. Darüber hinaus wird den Menschen durch die Arbeit eine Möglichkeit gegeben ihre Armut selbst zuüberwinden und ein Stück Unabhängigkeit zu erlangen.

Ein dritter Aspekt der Arbeit ist die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, wodurch Arbeit mehr wird als bloße Existenzgrundlage.7

Gleichheit / Gerechtigkeit

Ausgehend vom Grundsatz der Gleichheit aller Menschen wirdüber die Erzeugung von Wachstum hinaus die Forderung aufgestellt, dass die produzierten Güter auch gerecht auf die Bevölkerung verteilt werden. Die Ursache für ungerechte Verteilung ist häufig politische Macht. Die Ungleichheit kann nur dann als gerecht angesehen werden, wenn sie zu Gunsten der Schwachen erfolgt.8 Da dies aber in der Praxis fast nie der Fall ist, fordern Nohlen und Nuscheler eine umfassende Strukturreform, durch die die Entwicklungsländer in die Lage versetzt werden sollen, ihre politischen und wirtschaftlichen Belange selbst zu regeln und gleichberechtigte Beziehungen zu anderen Staaten aufzubauen.

Partizipation

Partizipation ist jenes Element von Entwicklung, welches die Einbindung der unteren Bevölkerungsschichten in politisch-gesellschaftliche Prozesse gewährleistet. Damit wird erreicht, dass die Menschen den Entwicklungsprozess als ihre Aufgabe verstehen, dass sie eigenverantwortlich handeln und damit zum Träger ihrer Entwicklung werden. In der Einbindung der gesamten Gesellschaft sehen die Verfasser sogar die Voraussetzung für die Überwindung der Not (Entwicklung von unten). Mit der Umsetzung der Partizipation wird gleichzeitig die zuvor genannte Forderung nach Gleichheit und Gerechtigkeit realisiert.9 Unabhängigkeit

Die Forderung der Entwicklungsländer nach Unabhängigkeit fand ihren Anfang in der Entkolonialisierung und wurde durch die Gründung verschiedener Staatenbündnisse (Gruppe der 77,OPEC) bekräftigt und verstärkt. Das Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit bezieht sich neben einer gerechten Gestaltung internationaler Tauschverhältnisse auch auf die gleichmäßige Verteilung der Handelsgewinne. Darüber hinaus gehört zum Begriff der Entwicklung auch innen- und außenpolitische Souveränität sowie das Rechtüber die gesellschaftliche Konstitution des eigenen Landes selbst zu entscheiden.10 Nur mit der Bildung souveräner Regierungen kann der Forderung nach Partizipation der Menschen Folge geleistet werden.

Die fünf bisher genannten Elemente wurden später durch die Rahmenbedingungen der Menschenwürde und einerökologisch-sozialen Marktwirtschaft ergänzt.

Menschenwürde

Die Menschenwürde steht als Grundlage der Gleichheit allen Menschen zu und sichert diesen ein Lebenüber das wirtschaftliche Existenzminimum hinaus. Trotz der weltweiten Anerkennung der Menschenwürde wird die Umsetzung der aus ihr resultierenden Menschenrechte in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt.

Ökologisch-soziale Marktwirtschaft

Mit diesem Konzept wird von der Annahme des unendlich fortscheitenden Wachstums Abstand genommen. Ziel ist es nunmehr eine ’langfristig tragfähige Entwicklung’11 zu erreichen. Ausgangspunkt muss deshalb ein Staat sein, der durch sozial- und rechtspolitische Mittel der Marktwirtschaft einen gerechten Rahmen verleiht und so die negativen Effekte des Wettbewerbs kompensiert. Um einen in diesem Sinne handelnden Staat zu schaffen, muss eine auf demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen basierende Gesellschaftsordnung entwickelt werden.

C. Die Position der Kirche zur Entwicklungsproblematik in den sechziger Jahren

I. Empirische Analyse der Zeit aus der Sicht Johannes XXIII. und Paul VI.

Ausgangspunkt der Argumentation der drei hier analysierten Sozialenzykliken (Mater et magistra, Pacem in terris und Populorum progressio) ist jeweils eine Analyse der aktuellen Gegebenheiten der Zeit.

Im Abschnitt „neue Wandlungen“ führt Johannes XXIII. die für ihn wesentlichen Änderungen der „letzten zwanzig Jahre“ (MM 46) an. So greift er aus dem Bereich der Wissenschaft und Technik (MM 47) die Atomkraft heraus und verweist neben den positiven Effekten ihrer Nutzung, zum Beispiel für die Stromerzeugung, auch auf die verheerende Wirkung beim Einsatz zu Kriegszwecken (Hiroschima, Nagasaki). Ein weiterer Aspekt ist die zunehmende Automatisierung bei der Gütererzeugung und in der Landwirtschaft. Damit geht der Papst auf die zunehmende Konkurrenz zwischen der menschlichen Arbeitskraft und den Maschinen vor dem Hintergrund der Kostenfrage ein. Als ein positiver Effekt dieser Entwicklung ist die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern zu nennen. Dass dies keineswegs selbstverständlich war, zeigten die Versorgungsprobleme, vor allem in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Weiterentwicklung des Nachrichtenwesens (z.B. Einführung des Fernsehens) sieht Johannes XXIII. ein „Schwinden der Entfernungen“ (MM 47), also das direkte Wahrnehmen der Geschehnisse in der Welt durch eine große Menschenmengeüber die sich entwickelnde Medienlandschaft.

Auch im gesellschaftlichen Bereich stellt der Papst Veränderungen fest. Hier hebt er vor allem die Weiterentwicklung des Sozialversicherungssystems, welches, auf Beitragszahlungen beruhend, als System der Selbsthilfe zu verstehen ist, und die Implementierung von Systemen sozialer Sicherheit (z.B. Grund- oder Sockelrenten) hervor.12 Darüber hinaus begrüßt Johannes XXIII. die Ausweitung des Wohlstandes auf immer mehr Menschen und damit verbunden die Verringerung der Klassenunterschiede auf nationaler Ebene (MM 48). Ein nicht unwesentlicher Grund für diese Entwicklung ist neben dem Anwachsen des Bildungsniveaus durch erweiterte Lehrinhalte und verlängerte Schulbildung (zehn statt acht Jahre Schulbildung) auch der schnelle wirtschaftliche Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg (Wirtschaftswunder). Neben diesen positiven Beispielen führt der Papst aber auch zunehmende Konflikte zwischen wirtschaftlich unterschiedlich weit entwickelten Gebieten an. Dieser Problematik widmet er sogar einen eigenen Teil in Mater et magistra, auf den später noch genauer eingegangen werden soll. Aus dem politischen Bereich (MM 49) greift Johannes XXIII. die zunehmende Demokratisierung vieler Staaten auf. Diesen Vorgang sieht der Papst durch die Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg bekräftigt, wodurch die betroffenen Staaten zumindest politisch von ihren ehemaligen Mutterländern unabhängig geworden sind. Weiterhin wird auf die Gründungüberstaatlicher Organisationen verschiedenster Art hingewiesen. Dies ist neben UNO und NATO auch der Warschauer Pakt, um nur einige zu nennen. In der Schaffung dieser Institutionen ist aber nicht nur der Zusammenschluss verschiedener Staaten zu sehen, sondern auch die damit verbundene Blockbildung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Tragweite dieser Spaltung der Welt in zwei Blöcke und deren Auswirkungen auf die Entwicklungsarbeit ist zu Beginn der sechziger Jahre noch nicht absehbar. Johannes Paul II. wird sich ausführlich mit dieser Thematik befassen.

Im dritten Teil der Enzyklika Mater et magistra setzt sich der Papst mit den aktuellen Aspekten der sozialen Frage auseinander. Johannes XXIII. diskutiert die soziale Frage folglich nicht mehr nur als die Arbeiterfrage, so wie es in der Enzyklika Rerum novarum (Leo XIII.; 1891) der Fall war, sondern rückt unterschiedlich entwickelte Teile eines Staates und besonders der Welt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.13 Als „das Problem unserer Zeit“ (MM 157-160) identifiziert Johannes XXIII. somit auch jene Thematik, die wir heute unter der Bezeichnung des Entwicklungsproblems kennen. Der Papst zeigt damit, dass er die Unterschiede zwischen dem Reichtum der Industriestaaten und der Not der Entwicklungsländer erkannt hat. Aus der bereits dargestellten engen Verflechtung der Völker schließt der Papst auf die Verpflichtung zur gemeinsamen Problemlösung (MM 200,201). Als Ursachen der Unterentwicklung führt er deshalb zum einen die Diskrepanz zwischen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und zum anderen die nicht ausreichend entfaltete internationale Solidarität an.14 Auch auf der politischen Weltbühne wurde diese Problematik erkannt. Nach 1945 begann der Aufbau eines neuen Weltwirtschaftssystems, welches aus den drei Säulen Internationaler Währungsfonds (sichert Währungsstabilität und Austauschbarkeit der Währungen), Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Entwicklungsförderung durch Kreditvergabe) und Handels- und Zollabkommen (baut Handelsbeschränkungen ab) bestand. Diese Wirtschaftsordnung konzentrierte sich hauptsächlich auf die finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer, gemäß dem Erfolgsbeispiel des Marshallplans. Der Anspruch dieses Wirtschaftssystems weltumfassend etabliert zu sein fand seine Grenzen sehr bald im sich verfestigenden Ost-West-Konflikt. Das durch diesen ideologischen Gegensatz geschürte Misstrauen zwischen den Staaten ist aus der Sicht des Papstes ein weiterer Grund für das Stocken der Entwicklungsarbeit (MM 203). Dennoch blickt Johannes XXIII. der Lösung der Entwicklungsfrage optimistisch entgegen (MM 160,183,188).

Diese Zuversicht lässt der Papst auch in seiner zweiten Sozialenzyklika, Pacem in terris von 1963, erkennen. Auch hier führt er wieder eine Analyse der aktuellen Gegebenheiten durch. Johannes XXIII. setzt zunächst bei den zwischenmenschlichen Beziehungen an. Hierbei verweist er neben der umfassenden Integration der Arbeiterschaft (PT 40) auf die zunehmende Umsetzung der Gleichberechtigung von Frauen (PT 41). Auch in den Beziehungen zwischen den Menschen und der Staatsgewalt erkennt er Fortschritte. Als solchen versteht er neben der klaren Formulierung der menschlichen Grundrechte auch die Verankerung dieser in den Verfassungen vieler Länder (PT 75,76). Hintergrund dieser Feststellung des Papstes ist sicherlich die Erklärung der allgemeinen Menschenrechte durch die UNO im Jahr 1948. Mit der Verankerung dieser Rechte in den Verfassungen wird ihnen auch ein rechtlicher und damit verbindlicher Charakter verliehen. Darüber hinaus bemerkt Johannes XXIII., dass sich die Menschen auch tatsächlich ihrer Würde und ihrer Rechte bewusst werden und diese einfordern, ihre Interessen also aktiv vertreten (PT 79). So demonstrierten 1956 zahlreiche Arbeiter in Polen und Ungarn gegenüberzogene Normvorgaben.

Bei der Analyse der zwischenstaatlichen Beziehungen erkennt der Papst die Entwicklung an, dass bei der Lösung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Ländern Verhandlungen der Anwendung von Waffengewalt vorgezogen werden (PT 126). Als Grund dafür sieht er allerdings nicht die Einsicht in die Vorteilhaftigkeit einer solchen Lösung sondern vielmehr die Angst vor der Zerstörungskraft der modernen Waffen (PT 127). Hatte man unmittelbar nach der Zerschlagung des Naziregimes und dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch auf eine friedliche Zukunft gehofft, so wurde die Weltpolitik Mitte der sechziger Jahre vom sich verschärfenden und die Entwicklungsproblemeüberstrahlenden Ost-West-Konflikt geprägt. Die damit einhergehende Teilung der Welt in zwei Blöcke wurde am Beispiel der Spaltung Deutschlands und dem Mauerbau 1961 besonders deutlich. Beide Blöcke versuchten den „Gegner“ durch hochgerüstete Armeen, die auchüber Atomwaffen verfügten, von einem „Erstschlag“ abzuschrecken. Der Papst hoffte dennoch, dass die Beziehungen zwischen den Staaten zukünftig „nicht von der Furcht, sondern von der Liebe bestimmt“ (PT 129) werden. Darüber hinaus erkennt Johannes XXIII., dass sich der Grundsatz der Gleichheit aller Menschen auch international durchsetzt. Damit einher geht der Wandel der Anschauungen, wodurch das Über- und Unterordnungsverhältnis der Staaten aufgehoben wird (PT 43,44). Der Papst spricht damit die bis in die sechziger Jahre andauernde Entkolonialisierung an. Dieser Prozess der Abnabelung ehemaliger Kolonien von ihren Mutterstaaten macht auch vor den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges nicht halt und findet nicht selten unter Anwendung von Waffengewalt statt (z.B. Algerienkrieg). Die Vereinten Nationen erkennen in der Entkolonialisierung die praktische Umsetzung des in den Menschenrechten verankerten Grundsatzes der Gleichheit aller Menschen, und sehen diesen Vorgang deshalb als legitim an.15

Der Nachfolger Johannes XXIII., Paul VI., bestätigt in seinem Rundschreiben Populorum progressio von 1967 das weltweite Ausmaß und den Inhalt der aktuellen sozialen Frage. Deshalb setzt er bei der Analyse der Probleme seiner Zeit gleich auf Weltebene an (PP 1,3).

Paul VI. greift dabei zunächst das bereits dargestellte Problem der wirtschaftlichen Not auf. Er erkennt, dass jene Staaten, die erst jüngst im Zuge der Entkolonialisierung ihre politische Freiheit errungen haben, wirtschaftlich immer noch von ihren ehemaligen Mutterländern abhängig sind (PP 6). Der Papst führt dies vornehmlich auf die einseitige

Ausrichtung der Wirtschaft der betroffnen Länder zurück. So werden vorwiegend Rohstoffe und in Monokulturen angebaute Erzeugnisse (Kaffee, Tabak, Zuckerrohr) zu niedrigsten, von den Industrieländern diktierten Weltmarktpreisen exportiert (PP 57, 58). Da verarbeitende Industriezweige weitgehend nicht existent sind, müssen auf der anderen Seite Fertigprodukte mit enormen Kosten eingekauft werden, wodurch das Staatsdefizit rasant zunimmt und die Handlungsfähigkeit der Regierungen schwindet. Um eine „volle menschliche Entwicklung“ zu gewährleisten, erachtet Paul VI. das Zusammenspiel von politischer, wirtschaftlicher und sozialer Freiheit als grundlegend (PP 7,8). Neben der Schieflage auf internationaler Ebene spricht der Papst auch den sozialen Widerspruch auf Länderebe, nämlich zwischen einer kleinen Oberschicht und der an Armut leidenden breiten Masse der Bevölkerung, an. Er bezeichnet diesen Zustand als „Skandal schreiender Ungerechtigkeit“ (PP 9). Als ebenfalls wesentlich erachtet Paul VI. das Aufeinandertreffen verschiedenartiger Kulturen bei der Entwicklungsarbeit. So stehen die Menschen in den Entwicklungsländern häufig vor der Wahl sich entweder für die traditionelle Kultur und deren Gebräuche zu entscheiden und damit auf den schnellen Aufschwung zu verzichten oder sich den neuen Werten zuöffnen, um ihre Lebensbedingungen rasch zu verbessern. In Verbindung damit verweist der Papst auf sich verschärfende Generationskonflikte und die Gefahr des Verlustes eines ausgeglichenen, Rückhalt bietenden Sozialgefüges, in dem die Familien meist einen zentralen Platz einnehmen (PP 10,68).

Auch zwischen den Entwicklungsländern entdeckt Paul VI. Konflikte, die nicht selten auf Rassen- und Stammesrivalitäten zurückzuführen sind. Mit dem Hinweis auf die Gefährdung des Friedens und der Menschenrechte verweist er explizit auf die Kontraproduktivität solcher, aus der Kolonialzeit stammender Auffassungen für die Entwicklungsarbeit (PP 63,64,76). Dennoch erkennt der Papst eine Zunahme der internationalen Solidarität und lobt ausdrücklich die Arbeit von Fachleuten und ihren Entwicklungshilfeorganisationen (PP 65,71).

Abschließend bekräftigt Paul VI. seine Zuversicht, dass durch das Mitwirken „aller Menschen guten Willens“ (PP 83) die aufgezeigten Probleme in der Zukunft gelöst werden können.

Diese zuversichtliche Stimmung der beiden Päpste geht weitgehend konform mit der Einschätzung der Internationalen Einrichtungen zur Förderung der Entwicklungsarbeit. In dem 1969 veröffentlichten und von der Weltbank in Auftrag gegebenen Pearson Bericht wurden die Ergebnisse der Entwicklungsarbeit der letzten zwanzig Jahre (also der fünfziger / sechziger Jahre) vorgelegt und das zukünftige Aufgabenfeld umrissen. Dieses

[...]


1 Vgl. Andersen , U., Entwicklungspolitik, S. 33.

2 Vgl. Wieczorek Zeul, H., Bericht, Vorwort.

3 Vgl. Nohlen, D./ Nuscheler, F., Entwicklung, S. 48f.

4 Vgl. Langhorst, P., Kirche, S. 41.

5 Vgl. Andersen , U., Entwicklungspolitik, S. 32.

6 Vgl. Nohlen, D./ Nuscheler, F., Entwicklung, S. 56ff.

7 Vgl. Nohlen, D./ Nuscheler, F., Entwicklung, S. 58ff.

8 Vgl. Langhorst, P., Kirche, S. 42.

9 Vgl. Nohlen, D./ Nuscheler, F., Entwicklung, S. 62f.

10 Vgl. Langhorst, P., Kirche, S. 43.

11 Vgl. Langhorst, P., Kirche, S. 45.

12 Vgl. Welty, E., Sozialenzyklika, S. 110.

13 Vgl. Nell-Breuning, O., Soziallehre, S. 88f.

14 Vgl. Welty, E., Sozialenzyklika, S. 178.

15 Vgl. Watzal, L., Menschenrechte, S. 207 ff.

Excerpt out of 40 pages

Details

Title
Christliche Soziallehre und Entwicklungshilfe
College
Helmut Schmidt University - University of the Federal Armed Forces Hamburg  (Professur für katholische Theologie)
Course
Christliche Soziallehre
Grade
1,7
Author
Year
2003
Pages
40
Catalog Number
V19290
ISBN (eBook)
9783638234443
ISBN (Book)
9783638700382
File size
597 KB
Language
German
Keywords
Christliche, Soziallehre, Entwicklungshilfe, Christliche, Soziallehre
Quote paper
Jens Huke (Author), 2003, Christliche Soziallehre und Entwicklungshilfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19290

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Christliche Soziallehre und Entwicklungshilfe



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free