Leseprobe
Inhalt
Einleitung und Fragestellung
1. Stellenwert des Berufs
2. Aktueller Stand der Berufsbildung
3. Bildungstheoretische Vorstellungen
4. Nachhaltigkeit (Sustainability)
5. Kerngedanke der Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung
6. Anknüpfung an die bildungstheoretischen Vorstellungen
7. Fazit
Literaturverzeichnis:
Einleitung und Fragestellung
Kaum ein politischer Bereich unterliegt einem so hohen Änderungsgrad wie unser Bildungssystem. Aber bringen uns eine Flut von organisatorischen und inhaltlichen Papieren und Umsetzungen voran? Wird nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt ohne, dass die Anforderungen des enormen technischen und ökonomischen Wandels berücksichtigt werden? Werden die richtigen Schlüsselqualifikationen und die richtigen Kompetenzen vermittelt? Müssen unsere Bildungsvorstellungen weiterentwickelt werden? Bildet eine berufliche Bildung für nachhaltige Entwicklung?
Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro hat sich erstmalig fast die gesamte Staatengemeinschaft (187 teilnehmende Länder) mit der zunehmenden Umweltzerstörung und dem Einfluss des Menschen auf Umwelt und Klima auseinandergesetzt. Die Handlungsempfehlungen für die Regierungen wurden in der Agenda 21 zusammengefasst.[1] Die Idee der Nachhaltigkeit, des nachhaltigen Handelns, ist also seit fast zwei Jahrzehnten auch Teil der Politik aller deutschen Bundesregierungen. Trotzdem ist festzustellen, dass in der Realität ökonomisches, ökologisches und soziales Vorgehen nicht grundlegend übereinstimmen und sich oft gegenseitig ausschließen.[2]
Die berufliche Bildung ist bisher nur unzureichend in die Thematik der Nachhaltigkeit einbezogen worden. Wolf fordert, dass die Umweltorientierung als wettbewerbsbestimmende Größe und als daseinsbestimmende Herausforderung von der beruflichen Bildung aufgegriffen werden muss.[3]
In dieser Arbeit soll untersucht werden, an welche Bildungsvorstellungen angeknüpft werden kann, wenn die Idee der nachhaltigen Entwicklung in der beruflichen Bildung verankert werden soll. Die Tatsache, dass dieses Thema in politischen und wissenschaftlichen Kreisen seit Erstellung der Agenda 21 bearbeitet wird, zeigt, dass es hier keine einfachen Patentlösungen gibt. Die Thematik ist sehr umfassend und komplex. Es erscheint daher folgerichtig zunächst zu beleuchten, wie der Stellenwert des Berufes in unserer Gesellschaft betrachtet wird. Wer Änderungen vornehmen will muss wissen, auf welchem Status er aufsetzen muss. Daher umreißt das zweite Kapitel den aktuellen Stand der heutigen Berufsbildung, d.h. den Ist-Zustand der derzeitig umgesetzten bildungstheoretischen Vorstellung. Einen Überblick über einige zur Zeit diskutierte bildungstheoretische Vorstellungen enthält das 3. Kapitel. Weiterhin erscheint es wichtig, den Begriff der Nachhaltigkeit in Kapitel 4 gesondert zu behandeln, da die Begrifflichkeit nicht eindeutig ist.
Bevor ich darauf eingehe, an welche Bildungsvorstellungen bei einer Umsetzung der Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung angeknüpft werden kann, werden in Kapitel 5 die dazu gehörigen Kerngedanken etwas umfassender betrachtet.
Nicht untersucht werden soll die konkrete Verankerung und Umsetzung im Bildungssystem in Form von Lernfeldern, Lehrplänen, Curricula sowie der Festsetzung von Personalaufwand und Finanzierungsfragen.
1. Stellenwert des Berufs
Welche Gedanken löst der Begriff „Beruf“ aus? Fischer beschreibt „Beruf“ als „Vorstellung vom gesellschaftlich legimitierten Wissens- und Qualitätsstandards“[4], die der Einzelne durch „eine rollen-typische Kombination von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten“[5] zu erfüllen vermag, um Erwerbschancen wahrnehmen zu können. Rein volkswirtschaftlich gesehen lässt sich der Beruf sicherlich so reduzieren. Es sind, wie Fischer genauer ausführt, die „auf Erwerb gerichteten, charakteristischen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie Erfahrungen erfordernde und in einer typischen Kombination zusammenfließende Arbeitsverrichtungen.“[6]
Betrachtet man das Wort Beruf aber aus einer anderen Sicht, so denkt man an Berufung, Menschen führen Tätigkeiten aus Überzeugung aus, ohne das primäre Ziel der Erwerbstätigkeit. Aber auch wenn man von solch ehrenwerter Berufsauffassung absieht und den gesellschaftlichen Stellenwert eines Berufs betrachtet, so geht es über die rein volkswirtschaftliche Definition hinaus.
Der Beruf ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. Bei sehr vielen Menschen dient er nicht nur dem Lebensunterhalt, sondern gibt ihrem Leben einen Sinn. Die Antwort auf die Frage nach dem Beruf führt zur Einordnung der gesellschaftlichen und sozialen Stellung, der Einkommensklasse, des Bildungsstandes, der Ausbildungsabschlüsse. Er beeinflusst bewusst oder unbewusst unseren Umgang miteinander. Zwar heißt es: „Der Mensch arbeitet um zu leben“, jedoch bedeutet Arbeits- und Berufslosigkeit meistens auch Ausschluss von der Teilhabe an der sozialen Gemeinschaft. Auch Stromporowski sieht dies so: „Die (Erwerbs-) Arbeit in der modernen (Erwerbs-) Arbeitsgesellschaft ist der Dreh- und Angelpunkt der gesellschaftlichen Ordnung wie auch der individuellen Lebensentwürfe und Existenzsicherung und darüber hinaus der eigenen Bedürfnisbefriedigung.“[7] Die Wahl des Berufs und der damit verbundene Weg über Berufsbildungsabschlüsse prägen unsere Persönlichkeit, entscheiden über soziale Wertschätzung, gesellschaftlichen Status, Anerkennung und geben uns Selbstsicherheit. Der Beruf ist ein fester Bestandteil der persönlichen Identität, er ist das womit der Mensch sich selbst und auch andere identifiziert und einordnet.
Schanz beschreibt den Beruf als Raster in das sich schon Jugendliche integrieren, als einen Identifikationskern bei sozialer und personaler Einordnung und als Einflussfaktor bezüglich des sozialen Ansehens. Zudem produziert der Beruf persönliche Befriedigung, sichert die Existenz und formt diverse Einkommens- und Lebensgestaltungsmöglichkeiten.[8] Doch auch die Entlohnung, das „Geld“, dient der Erweiterung der individuellen Handlungsspielräume und trägt zu einer sozialen Akzeptanz in der Gesellschaft bei.[9] Die Möglichkeit zum Aufbau und zur Teilhabe im Leben einer sozialen Gemeinschaft ist häufig mit finanziellen Aufwendungen verbunden. Die berufliche Tätigkeit und das Einkommen eines Menschen bestimmen seine Zugehörigkeit zur entsprechenden Gesellschaftsschicht.
Aus der beschriebenen Stellung des Berufes in der Gesellschaft ergibt sich folgerichtig, dass die Idee der Nachhaltigkeit nicht nur im privaten Leben verankert werden sollte, sondern mit Nachdruck im beruflichen Umfeld beachtet werden muss. Dann wird nachhaltiges Handeln zu einem Teil des Persönlichkeitsbildes des Berufstätigen. Seine professionellen Entscheidungen werden über die formalen fachlichen Kompetenzen hinaus auch im Sinne der Nachhaltigkeit beeinflusst.
2. Aktueller Stand der Berufsbildung
Die Berufsbildung folgt dem Schulabschluss und bereitet auf den zukünftigen Beruf vor. Laut Berufsbildungsgesetz gehören zur Berufsbildung: die Berufsausbildung, die berufliche Fortbildung, die berufliche Umschulung und die Weiterbildung. Es führen verschiedene Wege zu einer Berufsbildung. Es besteht die Möglichkeit einer dualen Ausbildung im Betrieb und in der Berufsschule, einer Ausbildung an einer Berufsfachschule, einer Weiterbildung an einer Fachschule oder Fachakademie oder einem Studium an einer Universität oder Fachhochschule.[10]
Die Berufsbildung ist eine vielseitige Ausbildung. In erster Linie sollen natürlich die notwendigen fachlichen Kenntnisse und Kompetenzen für den jeweiligen Beruf übermittelt werden. Jedoch signalisiert eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung auch Gewissenhaftigkeit, Ausdauer und Lernbereitschaft. Weiterhin sichert sie die soziale Stellung in der Gesellschaft, beugt Arbeitslosigkeit vor und gibt dadurch gesellschaftliche Stabilität, denn sie garantiert qualifizierte Erwerbstätige. Durch das aktive Mitwirken im Betrieb steigen zudem das Qualitätsbewusstsein, die Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen.[11]
Dementsprechend liegt heute die Aufgabe der Berufsbildung bei der Übermittlung von beruflichen Handlungsfähigkeiten, entsprechenden Fachkompetenzen und dem Erreichen und Verfestigen der Mündigkeit.[12] Im Berufsbildungsgesetz (BBiG) §14 Abs.1 Ziff. 5 ist dies ebenfalls verankert: „Der Ausbildende hat dafür zu sorgen, dass die Auszubildenden charakterlich gefördert sowie sittlich und körperlich nicht gefährdet werden.“[13]
Die Gesellschaft gewinnt an allgemeinem Bildungsniveau und gefestigter Sozialstruktur, sie kann besser den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt gestalten, ist dadurch wettbewerbsfähig gegenüber anderen Gesellschaften und auch das Wohlstandniveau der Bevölkerung steigt bzw. kann gehalten werden.[14]
Lassings ist zudem der Meinung, dass die beruflichen Kompetenzen nicht nur Produkt der Berufsbildung sind, sondern eine Kombination aus den im Laufe des Berufslebens angeeigneten Lernergebnissen und der Erstausbildung.[15] Das bedeutet, dass die Berufsbildung nicht nach der Ausbildung abgeschlossen ist, sondern bis zur Beendigung des aktiven Berufslebens fortgesetzt wird.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der aktuellen beruflichen Bildung? Fischer stellt fest: „Es lassen sich nur wenige Ansätze dafür nennen, dass Nachhaltigkeit in der berufsschulischen sowie der überbetrieblichen Ausbildung [...] eine Rolle spielen. In der betrieblichen Ausbildung wird Nachhaltigkeit in erster Linie im Zusammenhang mit Produktqualität und betriebsökologischen Erfordernissen aufgegriffen.“[16] Der Umweltschutz wird zwar in den Ausbildungsordnungen thematisiert, Inhalte und Umfang bestimmen jedoch die Unternehmen nach ihren Erfordernissen.
[...]
[1] Vgl. Weltgipfel Rio de Janeiro 1992.
[2] Vgl. Fischer 2000: S.1.
[3] Vgl. Wolf 1997, S.385f.
[4] Fischer 2010: S.10.
[5] Fischer 2010: S.10.
[6] Fischer 2010: S.9.
[7] Stromporowski 2010: S.77.
[8] Vgl. Schanz 2006: S.13-15.
[9] Vgl. Bayat 2010: S.120.
[10] Vgl. Demmel 1997: S.297f.
[11] Vgl. Möller, Paulus 2010: S.18.
[12] Vgl. Schanz 2006: S.16-20.
[13] Vgl. §14 Abs.1 Ziff.5 BBiG 2005.
[14] Vgl. Schanz 2006 S.116.
[15] Vgl. Lassings 2010: S.218.
[16] Fischer, Wenzel 2010: S.93