Naturzustandstheorie in Thomas Hobbes 'Leviathan'

Der Naturzustand - ein Krieg aller gegen alle?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

17 Seiten, Note: 14


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Naturzustand – ein weiter Begriff

3. Die Naturzustandstheorie bei Thomas Hobbes
3.1 Der Naturzustand als Kriegszustand
3.2 Gründe, Voraussetzungen und Konsequenzen
3.3 Probleme und Kritik

4. Zusammenfassung und Ausblick

5. Literaturverzeichnis

Wo keine öffentliche Macht ist,

gibt es kein Gesetz,

wo kein Gesetz ist,

gibt es keine Ungerechtigkeit.

Gewalt und Betrug sind in einem Krieg

die beiden Kardinaltugenden.[1]

1. Einleitung

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Es herrscht ein Krieg aller gegen alle.

Es sind diese eingängigen (verkürzten) Sätze, mit denen nicht selten auf Thomas Hobbes Leviathan Bezug genommen wird. Die folgende Arbeit wird sich der Theorie des Naturzustands in Thomas Hobbes Leviathan widmen[2]. Dabei soll im Folgenden nicht der Naturzustand bloß als ein Teil des von Hobbes konzipierten, triadisch aufgebauten Gedankenexperiments[3] angesehen werden. Zweifellos ist der Naturzustand Teil dieser Triade, aber er ist eben nicht bloß Teil, sondern auch Grundlage der auf ihn folgenden, gedanklichen Schritte Hobbes. Zu unpräzise gestalten sich daher Untersuchungsansätze, die auf eine Beschreibung Hobbes Herrschaftsvertrag ausgerichtet sind, den Naturzustand, auf welchem dieser jedoch gründet, in nur wenigen Sätzen abhandeln. Die Notwendigkeit eines Vertrages als ein logischer Schluss wird nur dann verständlich, wenn die Grundlage des Gedankenexperiments – der Naturzustand – angemessen beschrieben wird. Um sich also Hobbes Kontraktualismus angemessen widmen zu können, muss zunächst gezeigt werden, warum dieser überhaupt notwendig ist. Hobbes Vertragstheorie setzt nicht bloß ein potenziell mögliches Naturzustandstheorem voraus, sondern dediziert dieses geradezu. Wenn sich der Herrschaftsvertrag als ein Ausweg, als eine Lösung aus der im Naturzustand herrschenden Unerträglichkeit des menschlichen Miteinanders versteht, so muss zunächst der von Hobbes beschriebene Naturzustand in seiner Gänze nachvollzogen werden. Dieses soll Ziel der vorliegenden Arbeit sein. Es soll eine möglichst genaue Rekonstruktion Thomas Hobbes Naturzustandstheorie durchgeführt werden. Dies meint einerseits, die Konzeption seines Gedankenexperiments, dass heißt, die Gründe, Prämissen und Konsequenzen von denen Hobbes in seinem Theorem ausgeht nachzuvollziehen, es meint andererseits aber auch, die daraus resultierenden Probleme und etwaigen Kritiken, die an der Naturzustandskonzeption zu tätigen sein werden, darzustellen. Im Folgenden soll in einem ersten Schritt der Begriff des Naturzustands im Allgemeinen, das heißt nicht bloß im Hobbesschen Sinne, verständlich gemacht werden. Im Anschluss soll im Speziellen auf Hobbes Naturzustandstheorie eingegangen werden und letztlich diese in die sich daraus ergebenden Probleme und Kritiken überführt werden.

2. Der Naturzustand – ein weiter Begriff

Es ist Thomas Hobbes (1588-1679), der mit seinen Werken The Elements of Law Natural and Politic (1640), Elementorum Philosophiae Sectio Tertia De Cive (1642) und insbesondere mit dem Leviathan (1651) als Neubegründer der politischen Philosophie gilt, in dem er einerseits inhaltlich, mit traditionellen metaphysischen und theologischen Rechtfertigungen bricht und andererseits aber auch methodisch mit seinen an der Geometrie orientierten Genauigkeitsidealen neue Standards setzt[4]. Hobbes wendet sich von Theorien des guten Lebens ab und provoziert mit seiner Konzeption einer Theorie der reinen Selbsterhaltung[5]. Zunächst kann jedoch eine allgemeine Einordnung des Begriffs hilfreich sein und zwar insofern, als dass sie verdeutlicht, dass es sich bei dem Begriff des Naturzustandes um einen polysemischen handelt. Konkret liegen dem Begriff drei unterschiedliche Bedeutungsdimensionen zu Grunde, die sich aus der epikureischen, der aristotelisch-thomistischen und der stoisch-patristischen Tradition ergeben[6]. Während nach aristotelisch-thomistischer Tradition der Naturzustand als ein natürliches Stadium des Wachstums der Menschen hin zur Vollendung nach göttlich-natürlichem Recht verstanden werden kann, beschreibt die stoisch-patristische Tradition den Naturzustand als ein paradiesisches Zusammenleben, als einen Idealzustand, frei von einer unnatürlich-staatlichen Ordnung[7]. Bevor nun im Folgenden die epikureische Tradition beschrieben werden soll, welcher sich Hobbes Naturzustand am ehesten zuordnen lässt, sollte festgehalten werden, dass der Begriff des Naturzustandes vornehmlich als eine analytische Kategorie begriffen werden sollte. Dies, insofern, als dass sie einen vorgeschichtlichen, ursprünglichen Zustand zu beschreiben versucht, von dem aus im Anschluss abstrahiert werden kann, wenn die ursprünglich vorhandenden, koexistierenden Individualinteressen in eine Form wie Herrschafts- oder Gesellschaftsvertrag vereinigt werden sollen[8].

Nach epikureischer Tradition ist der Begriff des Naturzustands ebenfalls als eine vorstaatliche Situation zu begreifen. Das heißt, Natur steht in diesem Sinne für etwas Ursprüngliches, der Zivilisation durch einen Staat Vorausgehendes. Hier allerdings ist dieser natürliche Zustand negativ konnotiert, es handelt sich um eine Freiheit der Menschen, welche zwangsläufig in Barbarei sowie Recht- und Friedlosigkeit mündet[9]. Dass Thomas Hobbes Naturzustandstheorie an der epikureischen Tradition orientiert ist und nicht als eine historische Stufe der Menschheitsentwicklung anzusehen[10] bzw. wie seine Naturzustandstheorie konkret ausgestaltet ist, soll nun im folgenden Hauptteil dieser Arbeit untersucht werden.

3. Die Naturzustandstheorie bei Thomas Hobbes

Für die Rekonstruktion Hobbes Naturzustandstheorie ist vor allem das 13. Kapitel („ Vom Naturzustand der Menschen in bezug auf ihr Glück und ihr Elend “) des Leviathans von zentraler Bedeutung. Zunächst muss deutlich gemacht werden, dass es sich bei Hobbes Naturzustand um ein Abstraktionsprodukt und um ein Gedankenexperiment handelt[11]. Gedanklich, nicht ausgehend von einem historisch-faktisch existierenden Zustand, werden Menschen, ausgestattet mit vorab definierten Eigenschaften inklusive eines spezifischen Verhaltensrepertoires, in einen Lebensraum transferiert, der frei von jeglichen institutionellen Regelungen oder sonstigen Ordnungselementen ist[12]. Thomas Hobbes löst das, was seiner Auffassung nach als natürliche Anlagen der Menschen anerkannt werden können, aus dem vorherrschenden historisch-sozialen Kontext hinaus und konstruiert somit das Abstraktionsprodukt des Naturzustandes, welcher daher nicht als eine historische Stufe der Menschheitsentwicklung angesehen werden sollte[13]. Die Frage, die Thomas Hobbes mit dem Gedankenexperiment des Naturzustands aufwirft ist, ob Menschen ohne jegliche externen verhaltensregulierenden Normen, das heißt bloß auf der Basis natürlicher Merkmale, eine weitestgehend stabile, für die Menschen erträgliche, zwischenmenschliche Ordnung herausbilden können, oder ob ein solcher Zustand zu einer unerträglichen Existenz führt, in der ein jeder Mensch dem anderen ein Wolf ist (homo homini lupus)[14] ? Im Folgenden soll nun gezeigt werden, dass Hobbes Naturzustandstheorie zum Letzteren, das heißt zu einem negativen Ergebnis, kommt:

Ausserhalb von Staatswesen herrscht immer ein Krieg eines jeden gegen jeden. Hierdurch ist offenbar, daß sich die Menschen, solange sie ohne eine öffentliche Macht sind, die alle in Schrecken hält, in jenem Zustand befinden, den man Krieg nennt, und zwar im Krieg eines jeden gegen jeden[15].

Der Naturzustand wird zu einem Kriegszustand. Es herrscht ein Krieg aller gegen alle (bellum omnium contra omnes). Ein friedfertig gesellschaftliches Zusammenleben wird undenkbar, wodurch sich der Naturzustand in Hobbes Leviathan, als ein Kriegszustand definiert. Von welchen Vorannahmen und Konsequenzen er sich leiten lässt, das soll im Folgenden konkretisiert werden.

3.1 Der Naturzustand als Kriegszustand

Um von einem Kriegszustand innerhalb des Naturzustandes bei Thomas Hobbes Leviathan sprechen zu können, sollten zunächst die Voraussetzungen rekonstruiert werden, von denen Hobbes ausgeht, welche dann zu jeweils spezifischen Folgen für das menschliche Zusammenleben[16] führen. An diesen Ausführungen soll im Folgenden auch deutlich werden, dass mit Kriegszustand bei Hobbes keine, wie üblich angenommen, tatsächlich andauernden Gefechte oder Schlachten gemeint sind[17]. Viel mehr meint Hobbes mit Kriegszustand die permanente Bereitschaft zu kampfartigen Handlungen, die konstitutiv für das Wesen des Krieges innerhalb der Naturzustandstheorie sind[18].

3.2 Gründe, Voraussetzungen und Konsequenzen

Eine der Voraussetzungen dafür, dass der Naturzustand als Kriegszustand angesehen werden kann, ist Hobbes Auffassung darüber, dass Menschen prinzipiell egoistisch sind. Das eigene Wohlergehen, der Erhalt des eigenen Lebens stellt den Nukleus des eigenen Interesses dar. Der Erfolg eigener Handlungen, die Realisierung des eigenen Glücks und alle übrigen Interessen treten hinter das der Selbsterhaltung zurück[19]. Das eigene Überleben bildet bei diesen Überlegungen den Ausgangspunkt: Kein Interesse kann wichtiger sein, als der Erhalt der eigenen Existenz, da diese erst die Möglichkeit schafft, irgendein anderes Interesse verfolgen zu können. Neben diesem konstitutiven Egoismus ist nach Hobbes eine permanente Konkurrenz um knappe Güter ausschlaggebend dafür, dass es zu Konflikten zwischen Menschen kommt. Dies meint einerseits, dass jedes Gut potenziell begrenzt ist und damit nicht unendlich zur Verfügung steht (z.B. Land, Nahrung etc.). Dies meint andererseits aber auch die Macht, die dafür nötig ist, um sich mit Gütern zu bereichern: Auch diese ist begrenzt und durch diese Knappheit kommt es zu Interessenkonflikten[20]. Dies führt wiederum dazu, dass im Naturzustand prinzipiell jeder – seinem Nächsten – ein Machtkonkurrent ist und diese Konkurrenz wird nach Hobbes Auffassung mit Gewalt bis zum Tod ausgetragen:

Und wenn daher zwei Menschen das gleiche verlangen, in dessen Genuß sie dennoch nicht beide kommen können, werden sie Feinde; und auf dem Weg zu ihrem Ziel (das hauptsächlich in der Selbsterhaltung und zuweilen nur in ihrem Vergnügen besteht) bemühen sie sich, einander zu vernichten oder zu unterwerfen[21].

[...]


[1] Im Folgenden wird sich an der Übersetzung des Leviathan aus dem Englischen von Jutta Schlösser orientiert: Hobbes, Thomas (1996): Leviathan. Übers. von Jutta Schlösser, hrsg. von Hermann Klenner, Hamburg: Meiner-Verlag.

[2] Seine politische Philosophie erarbeitet Thomas Hobbes neben dem Leviathan auch in den Elements of Law Natural and Politic (1640), sowie in den zwei Auflagen von De Cive (1642, 1647). Die folgende Arbeit orientiert sich schwerpunktmäßig am Leviathan.

[3] Unter Kapitel 3 (S. 4ff.) wird deutlich gemacht, dass es sich beim Naturzustand um ein Solches handelt und nicht von einer physisch-realen Situation auszugehen ist.

[4] Vgl. Kersting, Wolfgang (2008): Die Begründung der politischen Philosophie der Neuzeit im Leviathan, in: Thomas Hobbes: Leviathan: oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hrsg. von Wolfgang Kersting, 2. Auflage, Oldenburg: Akademie-Verlag, 19; Vgl. Meluschke, Günther (1983): Philosophische Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, Freiburg: Verlag Karl Alber, 74f; Zu Hobbes an der Mechanik orientierter Methodik, siehe etwa auch Hobbes Einleitung im Leviathan: „Denn was ist das Herz, wenn nicht eine Feder, was sind die Nerven, wenn nicht die vielen Stränge, und was nicht die Gelenke, wenn nicht die vielen Räder, die dem ganzen Körper Bewegung verleihen?[…]“.

[5] Vgl. Kersting (2008), 13ff.

[6] Vgl. Hofmann , H. (1984): Naturzustand, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Bd. 6, Basel: Schwabe& Co AG, 653.

[7] Vgl. a.a.O., 653f.

[8] Vgl. a.a.O., 654.

[9] Vgl. a.a.O., 653.

[10] Vgl. a.a.O., 655.

[11] Vgl. Kersting, Wolfgang (2009): Hobbes zur Einführung, Hamburg: Junius-Verlag, S. 107.

[12] Vgl. Ebd.

[13] Vgl. Hofmann (1984), 654; So beschreibt auch Meluscke den Naturzustand als Gegenbegriff zur bürgerlich-rechtlichen Ordnung: Vgl. Meluscke (1983), 26f.

[14] Vgl. Kersting (2009), 107f.

[15] Hobbes (1996), 104.

[16] Der Begriff des Zusammenlebens muss in den Untersuchungen zu Hobbes Naturzustandstheorie möglichst konnotationsfrei verstanden werden. Er suggeriert in unserem alltäglichen Sprachgebrauch eine gewisse Friedfertigkeit oder Harmonie, gerade diese kann jedoch im Naturzustand nicht vorausgesetzt werden. Zusammenleben meint daher schlicht das gleichzeitige Existieren von Menschen, die miteinander in Verbindung treten, etwa durch das Konkurrieren um Güter und Macht.

[17] Vgl. Hespe, Franz (2011): Homo homini lupus – Naturzustand und Kriegszustand bei Thomas Hobbes, in: Handbuch Kriegstheorien, hrsg. von Thomas Jäger und Rasmus Beckman, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 179.

[18] Vgl. Kersting (2009), 118; Nida-Rümelin, Julian (2008): Bellum omnium contra omnes. Konflikttheorie und Naturzustandskonzeption im 13. Kapitel des Leviathan, in: Thomas Hobbes: Leviathan: oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hrsg. von Wolfang Kersting, 2. Auflage, Oldenburg: Akademie-Verlag, 91.

[19] Vgl. Kersting (2009), 109; Hobbes (1996), 103; Waibl, Elmar (1980): Gesellschaft und Kultur bei Hobbes und Freud. Das gemeinsame Paradigma der Sozialität, Wien: Löcker-Verlag, 50.

[20] Vgl. Kersting (2009), 110.

[21] Hobbes (1996), 103.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Naturzustandstheorie in Thomas Hobbes 'Leviathan'
Untertitel
Der Naturzustand - ein Krieg aller gegen alle?
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
14
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V193089
ISBN (eBook)
9783656182894
ISBN (Buch)
9783656184027
Dateigröße
406 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
naturzustandstheorie, thomas, hobbes, leviathan, naturzustand, krieg
Arbeit zitieren
Moritz Schneider (Autor:in), 2012, Naturzustandstheorie in Thomas Hobbes 'Leviathan', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/193089

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