Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Von Adolf Hitler zu Arturo Ui
2. Kurze Inhaltszusammenfassung der Inszenierung
3. Die Szene mit dem Schauspieler
4. Die Szene mit der Erschießung Romas
5. Assoziationen einer Zuschauerin
Literaturverzeichnis
1. Von Adolf Hitler zu Artuor Ui
Zeugt es von Naivität anzunehmen, die heutige Gesellschaft setze Adolf Hitler mit einem klassischen Bösewicht gleich?
Ansichten über was oder wen auch immer sind stets an Umfeld, Zeit und Kultur gebunden und – dies ist von entscheidender Bedeutung – in jedem Fall wandelbar.
Dass sich das Hitlerbild mit den Jahren seit seinem Tod geändert hat, arbeitete beispielsweise Alexandra Löffler mit Hilfe der Lexikonartikel im Brockhaus heraus. „Eine relativ neutrale Darstellung“ führt zum „Inbegriff des Bösen“ und endet bei der „Begeisterung weiter Volksteile“.[1]
Es ist und bleibt immer noch eine interessante Frage, ob man dem politischen Führer oder doch vor allem seinem Volk die Schuld für sämtliche Verbrechen geben sollte. Allein mit dem Titel seines Werkes „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ deutet Bertolt Brecht an, dass der einzelne Mensch immer eine gewisse Verantwortung trägt und es kein Problem gewesen wäre, einen Verbrecher an der Machtergreifung zu hindern.
In der Inszenierung von ebendiesem Stück durch Heiner Müller gibt Martin Wuttke jedenfalls eine solch lächerliche Darstellung des Protagonisten Ui ab, dass man meinen könnte, es komme einem Witz gleich, dass diese Figur im Stück zunehmend an Macht gewinnt.
Dies dürfte noch gänzlich im Sinne Brechts sein, schließlich ist dieser Aufstieg ja aufhaltsam.
Und nicht umsonst „[müssen] Die großen politischen Verbrecher (...) durchaus preisgegeben werden, und vorzüglich der Lächerlichkeit. Denn sie sind vor allem keine großen politischen Verbrecher, sondern die Verüber großer politischen Verbrechen, was etwas ganz anderes ist.“[2]
Dabei darf man allerdings nicht missachten, dass gerade diese Lächerlichkeit keine allzu geringe Sympathie beim Publikum bewirken könnte. Es kann passieren, dass man sich selbst dabei ertappt, wie man sich lustig über den Protagonisten macht und doch zugleich auf den Erfolg seiner Unternehmungen hofft.
Wissentlich, dass diese Figur Arturo Ui der historischen Person Adolf Hitler entspricht, erkannte ich dennoch, wie ich mich als Zuschauerin automatisch auf seine Seite stellte und durchaus in mir den Wunsch hegte, er solle seinen politischen und gesellschaftlichen Aufstieg durchziehen.
Gibt es also Zeichen in diesem Stück, die jene Figur Arturo Ui – oder vielmehr die Darstellung derselbigen – zu einem Sympathieträger machen?
Ausgehend von dieser Frage werde ich zwei Szenen untersuchen. Natürlich bietet sich das ganze Stück zur Analyse an, doch das würde wohl zu weit führen. Zusätzlich ist es vermutlich besser nachzuvollziehen, inwiefern Zeichen zur Sympathie – in diesem Fall Sympathie als Bedeutung, nicht als Erfahrung – zu erkennen sind, wenn man zwei Szenen gegenüberstellt, die konträr zueinander wirken.
Also werde ich sowohl auf die Szene, in welcher Arturo Ui Unterricht bei dem Schauspieler nimmt, bis zu dem Moment wenn der Vorhang hinter ihm fällt, und auf die Szene, in welcher er Ernesto Roma erschießen lässt, zurückgreifen.
Hierbei wende ich die Zeichenerklärung des amerikanischen Semiotikers Charles Morris an, welche von Erika Fischer-Lichte präzise und einfach erläutert wird.[3]
Dafür bieten sich insbesondere die Kinesischen Zeichen an, welche sich in die mimischen, die proxemischen und die gestischen Zeichen unterteilen. Jeweils werden hier die Gesichtsbewegungen, die Bewegungen des Körpers und die Bewegung der Extremitäten untersucht.[4]
Da es mir am sinnvollsten erscheint, bei beiden Szenen die selbe Untersuchungsebene der Zeichen zu gebrauchen, um den Vergleich plastischer herauszuarbeiten, werde ich mich insbesondere auf die gestischen Zeichen stützen.
Gerade für die Szene mit dem Schauspielunterricht bieten sich zwar auch insbesondere die mimischen Zeichen oder die paralinguistischen Zeichen, welche sämtliche auditiven Merkmale erfassen,[5] an, aber – wie bereits gesagt – halte ich es für nachvollziehbarer, bei einer einzigen Untersuchungsebene zu bleiben.
In dieser Arbeit wird weniger dem Stück von Brecht selbst, als vielmehr Müllers Inszenierung Beachtung geschenkt werden. Außerdem sollte noch einmal betont werden, dass weder die historische Person Adolf Hitler, noch die Figur in Brechts Stück oder der Darsteller Martin Wuttke analysiert wird, sondern lediglich die Darstellung der Figur.
2. Kurze Inhaltszusammenfassung der Inszenierung
Die Besitzer des Karfioltrusts in Chicago stecken in finanziellen Schwierigkeiten, worauf ihnen der Gangster Arturo Ui anbietet, ihnen aus dieser Absatzkrise heraus zu helfen. Doch sie lehnen seine Unterstützung ab und hoffen stattdessen darauf, dass sich der als ehrlich angesehene Politiker Dogsborough bei der Stadt für sie einsetzt, damit man ihnen eine Anleihe gibt.
Dieser Bitte kommt jener erst nach, nachdem ihm die Führer des Trusts die Reederei haben zukommen lassen, welche sie selbst zuvor Sheet abgekauft haben. Auf diese Weise wird Dogsborough selbst ein Mitglied des Trusts und sorgt dafür, dass sie diese Stadtanleihe erhalten, welche sie angeblich für Kaianlagen haben wollen, sie letztendlich aber nicht dafür ausgeben, sondern das ganze Staatsgeld veruntreuen.
Arturo Ui, welcher davon erfährt, versucht Dogsborough mit diesem Wissen zu erpressen, damit jener für ihn vor der Polizei bürge und Ui auf diese Weise die Gewalt über den Karfioltrust an sich reißen kann, indem er vorgibt, den Gemüsehändlern Schutz zu gewähren.
Das Ganze führt zu einer Untersuchung gegen Dogsborough, doch der Untersuchungsbeauftragte O´ Casey kann ihm nichts nachweisen, weil sowohl Sheet – dem der Trust die Schuld geben will -, als auch der andere Zeuge Bowl – ein ehemaliger Angestellter Dogsboroughs – beide tot aufgefunden werden.
Arturo nimmt Unterricht bei einem Schauspieler, der ihm zu einem besseren Auftreten verhelfen soll. Im Anschluss daran hält er eine Rede an die Gemüsehändler, in welcher er wiederum seinen Schutz für dreißig Prozent ihres Umsatzes anbietet. Trotz des zusätzlichen Auftretens der Dockdaisy, die sich als Bowls Witwe ausgibt und Ui für seine angebliche Hilfe dankt, zweifelt der Gemüsehändler namens Hook besonders an seinen Worten und kurz darauf brennt dessen Speicher nieder.
Der zunehmend kranke Dogsborough verfasst sein Testament, in welchem er Ui und dessen Anhänger Ernesto Roma, Giri und Givola des Mordes und der Brandstiftung beschuldigt und auch seine eigenen Untaten gesteht.
Von diesen wird ein anderes Testament unter Dogsboroughs Namen geschrieben, in welchem sie sich selbst für sämtliche Machtpositionen vorschlagen. Roma befürchtet jedoch eine Intrige der anderen beiden gegen seinen Freund und Anführer Ui und verabredet sich mit diesem in einer Garage.
[...]
[1] http://www.lrz-muenchen.de/~lexika/0706hitlerbrockhaushitler.html
[2] Bertolt Brecht: Zu „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. In: gesammelte Werke, Band 17. Frankfurt am Main 1976, S.1177
[3] Erika Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters. Eine Einführung. Band 1. Das System der theatralischen Zeichen. Tübingen 1988, S.8
[4] Fischer-Lichte,S.38
[5] Fischer-Lichte, S.38