Leseprobe
GLIEDERUNG
1 Einleitung
2 Grundformen der Beratung
3 Prozessberatung nach Edgar H. Schein
3.1 Philosophie, Kerngedanken und Ziele
3.2 Der Beratermodus
3.3 Prozessberatung im Kontext Organisation
4 Systemische Organisationsberatung
4.1 Konzepte, Grundannahmen und Ziele
4.2 Die systemische Sichtweise auf Organisationen
4.3 Rolle und Haltung des Beraters
5 Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Professionalität
6 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Kaum ein Unternehmen kommt bei größeren Veränderungen heutzutage ohne Berater[1] aus. Diese werden zu allen möglichen Anlässen, wie z.B. Abteilungsfusionen, Zentralisierungs- und Dezentralisierungsprojekten oder der Integration von übernommenen Unternehmen gerufen. Nicht immer wird auf die Auswahl der Berater die notwendige Sorgfalt verwandt. Große Namen, wie z.B. Accenture, KPMG und Boston Consulting werden oft als vermeidlicher Garant dafür genommen, dass die Probleme des Unternehmens nach Abschluss des Beratungsauftrages beseitigt sind. Die Verantwortung für das Problem wird an die namhafte Beratungsfirma abgegeben und bei Scheitern der Umsetzung der vorgeschlagenen Lösungen werden passende Gründe dafür gesucht. Nicht selten werden diese Gründe dann aus Sicht der Unternehmensleitung in den Reihen der Mitarbeiter und Führungskräfte gefunden, die sich einfach nicht in die neuen Strukturen, Rollen und Aufgaben einfinden wollen. Die Veränderungsbereitschaft im Unternehmen wird beklagt. Die Möglichkeit, dass die Auswahl des Beraters oder der Beratungsform für den Anlass falsch war, wird kaum in Betracht gezogen. Aber welche Beratungsform ist die Richtige? Wann kann Beratung überhaupt wirksam sein? Welche Konzepte können dabei hilfreich sein? Wann ist Beratung eigentlich professionell?
Um auf diese Fragen Antworten zu erhalten, werde ich in dieser Hausarbeit beispielhaft zwei Formen der Beratung, die Prozessberatung nach Edgar H. Schein und die systemische Organisationsberatung in ihren Grundzügen darstellen und beide miteinander vergleichen. Beide Beratungsformen befassen sich mit der Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen bzw. dem Lernen in Organisationen. Die Wahl fiel auf die Prozessberatung, deren geistiger Vater Edgar H. Schein ist, weil dieser Ansatz bereits 1969 publiziert wurde und die Organisationsberatung stark geprägt hat. Dagegen ist die systemische Orientierung erst seit einigen Jahren zunehmend Bestandteil verschiedener Anwendungsgebiete, wie z.B. in der psychotherapeutischen Einzelfallberatung, der Paar- und Familienberatung, der Supervision und der Team- und Organisationsberatung. Der systemische Ansatz wird als eine neue Art verstanden, die Welt zu sehen und zu kategorisieren. Das Neue dabei ist, dass das systemische Denken das Ursache-Wirkungs-Denken der klassischen Erklärungsmodelle infrage stellt. Stattdessen wird die ganze Welt als ein hochkomplexes System verstanden.
Da die theoretischen Grundlagen bei der systemischen Organisationsberatung deutlich komplexer sind, als bei der Prozessberatung nach Edgar H. Schein, wird die Beschreibung beider Beratungsansätze unterschiedlich umfangreich sein. Hauptsächlich werde ich darauf eingehen, woher die beiden Beratungsformen kommen, welche Konzepte und Kerngedanken ihnen zugrunde liegen, welche Haltung und Rolle dem Berater zugedacht wird und wie der organisationale Kontext hergestellt wird. Auf konkrete Methoden und Interventionstechniken wird jeweils nur kurz eingegangen, da eine ausführliche Schilderung zu umfangreich wäre. Zu Beginn stellt sich jedoch die Frage, was Beratung eigentlich meint und wo beide Ansätze einzuordnen sind.
2 Grundformen der Beratung
Was ist eigentlich Beratung? Umgangssprachlich bedeutet Beratung eine Form des lösungsorientierten strukturierten Gespräches. Königswieser und Hillebrand verstehen unter Beratung, dass eine Person, Gruppe oder Organisation von jemandem geraten wird, dies oder jenes zu tun oder eben nicht zu tun (2011, S. 19). Walger (1995) unterscheidet vier idealtypische Grundformen der Beratung, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Als eine mögliche Beratungsform nennt er das „Gutachten“, welches in der Regel zur Entscheidungsvorbereitung für z.B. den Vorstand oder die Geschäftsführung dient. In dieser Beratungsform ist der Berater neutraler Sachverständiger, der aufgrund seines Sachverstandes eine Situation beurteilt und dem Klientensystem die dazu fehlenden Informationen liefert. Trotz seines Fachwissens, z.B. zum Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz bleibt der Berater passiv, denn er entscheidet nicht, sondern überlässt dies dem Klientensystem (Walger, 1995, S.4).
Der zweite Ansatz ist die Expertenberatung, die genau dort ansetzt, wo die Beratung des Gutachters aufhört. In diesem Fall versteht sich der Berater als Spezialist, der dem Klientensystem aufgrund Expertise in einem oder mehreren Fachgebieten Lösungen vorschlägt und diese dann gemeinsam mit dem Klientensystem umsetzt (Walger, 1995, S. 5).
Als weitere und damit dritte Form der Beratung stellt Walger die Organisations- bzw. Prozessberatung dar. Dieser Beratungsansatz geht davon aus, dass der Mensch grundsätzlich lernfähig ist und durch Beratung zum Lernen animiert werden kann. Die Organisationsberatung basiert auf der Annahme, dass nur der Klient selbst das Problem lösen kann. Demzufolge ist bei diesem Ansatz der Berater Prozessbegleiter, der das Klientensystem bei seiner notwendigen Entwicklung unterstützt (Walger, 1995, S. 7). Auf die Beratungsform Prozessberatung werde ich im nächsten Kapitel ausführlich anhand des Prozessberatungsmodells nach Edgar H. Schein eingehen.
Der letzte Beratungsansatz ist die systemische Beratung. Er unterscheidet sich von den anderen Ansätzen vor allem dadurch, dass der systemische Berater das Klientensystem als soziales System versteht, welches sich über Beobachtungen ihr spezifisches Wirklichkeitsverständnis aufbaut und bestätigt (Walger, 1995, S. 12). Der Berater erarbeitet mit dem Klientensystem für die Lösung des Problems eine angemessene Problemansicht, um die festgelegten Wahrnehmungs- und Erklärungsmuster für das Problem aufzuweichen. Dies kann im optimalen Fall im Klientensystem zu Veränderungen und Weiterentwicklungen führen (ebd.[2], S. 13). Die systemische Organisationsberatung werde ich in Kapitel 4 näher beschreiben.
3 Prozessberatung nach Edgar H. Schein
Edgar H. Schein war Professor an der Sloan School of Management am Massachusetts Institute of Technology. Er ist Schüler von Douglas McGregor und Richard Beckhard und einer der Mitbegründer der Organisationspsychologie und der Organisationsentwicklung. Er hat durch zahlreiche Veröffentlichungen zur Entwicklung der Prozessberatung als grundlegende Form von Organisationsentwicklung beigetragen. Edgar H. Schein vereinigt seinen Hintergrund als Anthropologe und Sozialpsychologe mit seiner Praxis als Gruppendynamiker und Prozessberater (Schein, 2000). Sein Konzept lässt sich nicht durch einen wissenschaftlichen Ansatz und dazugehörige Methoden und Techniken beschreiben, da es eher eine Philosophie des Helfens darstellt. Die damit verbundenen Annahmen über den Prozess des Helfens sollen den Berater dazu veranlassen, eine bestimmte Haltung gegenüber seinem Klienten und der Beziehung zwischen Berater und Klienten einzunehmen.
3.1 Philosophie, Kerngedanken und Ziele
„Prozessberatung ist eine Philosophie des Helfens – des Prozesses des Helfens und der hinter der Hilfeleistung für Einzelne, Gruppen, Organisationen und Gemeinschaften stehenden Haltung (Schein, 2000, S. 19).“ Sie ist eher eine Philosophie, als eine Technik oder Interventionssammlung. „Es ist ein wesentlicher Gedanke der Prozessberatungsphilosophie, dass die Lösung von Problemen länger Bestand hat und effektiver ist, wenn die Organisation lernt, diese Probleme selbst zu lösen (Schein, 2000, S. 28).“ Sie ist daher eine „nichtdirektive Beratung“, der Berater kann dem sozialen System lediglich dabei helfen, sich selbst zu helfen. Dies ist deshalb der Fall, da der Berater niemals einen ausreichenden Einblick in das soziale System, seine Situation und Kultur gewinnen kann, um Interventionen zur Problemlösung empfehlen zu können. Besteht aber zwischen Berater und KIientensystem eine helfende Beziehung, kann das Problem gemeinsam analysiert und können geeignete Interventionen gefunden werden (ebd., S.19). Schein geht davon aus, dass eine Kategorisierung von Interventionen nicht hilfreich ist, da diese von der grundlegenden Frage ablenken, was für die Entwicklung der Beziehung zwischen Berater und Klient gerade sinnvoll ist. Er zieht ein „Konzept der Fördernden Intervention“ vor, was bedeutet, dass der Berater die jeweils hilfreichste Intervention für die Situation wählen soll (ebd., S. 300). Der Berater sollte natürlich mit verschiedene Techniken, Methoden und Interventionsformen vertraut sein, aber dies ersetzt nicht das Gespür, was genau jetzt für die Förderung der Beziehung notwendig ist (ebd., S. 301). Daher sollte sich der Berater mehr auf die zwischenmenschliche Realität, wie sie aus der Interaktion zwischen ihm und dem Klienten sichtbar wird, konzentrieren. „Das, was sich zwischen einem Helfer und dem Menschen, dem geholfen wird, abspielt, ist das, was ich „Prozessberatung“ nenne (ebd., S. 21).“ Ziel ist es also, eine effektive helfende Beziehung zwischen Berater und Klientensystem aufzubauen, die es dem Klienten… „erlaubt, die in seinem internen und externen Umfeld auftretenden Prozessereignisse wahrzunehmen, zu verstehen und darauf zu reagieren, um die Situation, so wie er sie definiert, zu verbessern (Schein, 2000, S. 39).“
Prozessberatung lässt sich am leichtesten verstehen, indem man diese als eine Art Operationsmodus sieht. Diesen Modus kann der Berater variieren. Dies ist besonders zu Beginn des Beratungsprozesses von Bedeutung, weil sich in diesem Modus am besten herausfinden lässt, welche Wünsche der Klient hat und welche Art des Helfens dabei nützlich ist. Um dies zu verdeutlichen, unterscheidet Schein drei Grundmodelle der Beratung. Diese verschiedenen Beratungsmodelle werden im Folgenden anhand ihrer impliziten Annahmen bezüglich des Klientensystems, des Wesens der Hilfe, der Rolle des Beraters und der Wirklichkeit, in der sich Klientensystem und Berater bewegen, unterschieden (Schein, 2000, S. 23). Sie lassen sich als verschiedene Operationsmodi auffassen und werden durch die jeweiligen Rollen definiert, die dem Berater zur Verfügung stehen, wenn er seinem Klienten hilft. Die drei Modelle werden deshalb getrennt definiert, damit sich der Berater an ihnen orientieren kann und erkennt, in welcher Rolle er sich gerade befindet bzw. welches Modell er gerade anwendet. Jedoch gehen alle drei Modelle davon aus, dass Hilfe die primäre Funktion der Beratung ist (Schein, 2000, S. 24).
1. Der Einkauf von Informationen oder das Expertenmodell: Telling and Selling. Dieses Model geht davon aus, dass das Klientensystem eine Expertendienstleistung erwerben will, die es selbst nicht leisten kann, da die Ressourcen oder die Zeit dafür fehlen. Deshalb wird ein Berater hinzugezogen. Dass diese Art der Hilfe funktioniert, hängt von mehreren Faktoren ab: Hat der Klient seine eigenen Bedürfnisse richtig erkannt? Konnte er diese auch dem Berater vermitteln? Kann er einschätzen, ob der Berater diese Expertendienstleistung erbringen kann? Hat er bedacht, dass durch die vom Berater eingeholten Informationen auch Veränderungen folgen? Gibt es eine externe Realität, die sich nicht nur objektiv studieren, sondern auch in Wissen, welches dem Klientensystem hilft, übertragen lässt? In diesem Model gibt der Klient die Macht an den Berater ab und begibt sich damit in eine Abhängigkeit.
2. Ein weiteres Beratungsmodell ist das Arzt-Patient-Modell. Das Anliegen des Klientensystems ist in diesem Fall, dass der Berater herausfinden soll, ob die Organisation irgendwelche Probleme hat. Möglicherweise hat das Klientensystem Symptome erkannt, wie z.B. einen erhöhten Krankenstand oder höhere Fluktuation, weiß aber nicht, wie es die Ursachen dafür herausfinden kann. Der Berater soll dies nun herausfinden und entsprechend wie ein Arzt ein Rezept ausstellen, welches die Probleme beseitigt. Dieses Modell gibt dem Berater noch mehr Macht, da dieser sowohl das Problem diagnostiziert, als auch die Behandlung verschreibt und durchführt. Das Funktionieren dieses Modells hängt davon ab, inwieweit der Klient genau definiert, was im System krank oder therapiebedürftig ist, ob der Klient motiviert ist, genaue Informationen zu dem Problem zu geben, ob der Klient die Diagnose des Beraters und die empfohlenen Interventionen akzeptiert, ob die Konsequenzen der Diagnoseschritte vom Klienten genau verstanden und auch akzeptiert werden und ob das Klientensystem zu den daraus resultierenden Änderungsvorschlägen auch in der Lage ist.
3. Dem Prozessberatungsmodell oder der Prozessberatungstheorie liegen folgende Hauptthesen zugrunde: Klientensysteme sind sich oft nicht über das eigentliche Problem im Klaren, dennoch gehört ihnen das Problem. Sie wissen außerdem nicht immer, welche Formen der Beratung angeboten werden. Deshalb benötigen sie bereits Hilfe auf der Suche nach der für sie und ihr Problem geeigneten Beratungsform. Obwohl die Klientensysteme in der Regel ein konstruktives Interesse daran haben, ihre Probleme selbst zu lösen, benötigen sie trotzdem Hilfe herauszufinden, was wie verbessert werden soll. Kein Klientensystem ist vollkommen bzw. ohne Probleme. Jede Organisation hat Schwächen. Nur das Klientensystem selbst weiß, was in seiner Organisation hilfreich ist und was nicht. Berater können unmöglich mit vertretbarem Aufwand genug über das Klientensystem lernen, um dann geeignete Interventionen zu empfehlen. Solche Empfehlungen müssen daher falsch sein und auf Ablehnung stoßen, da sie von einem Externen kommen, der nicht wissen kann, was in der Kultur des Klientensystems erfolgreich sein wird.
Der Hauptunterschied dieses Beratungsansatzes im Vergleich zu den beiden anderen Ansätzen liegt in der zentralen Beziehung zwischen Klient und Berater und deren Gestaltung. Auch bei dem Prozessberatungsmodell sind Probleme innerhalb des Klientensystems der Ausgangspunkt. In diesem Fall bietet der Berater jedoch keine Lösung an, sondern erarbeitet die Lösung innerhalb des Klientensystems und mit ihm gemeinsam. Der Klient besitzt das Problem und behält es auch während des gesamten Beratungsprozesses (Fatzer, 1990, S. 65). Im Grunde geht es bei dem Prozessberatungsmodell darum, dem Klientensystem soviel Diagnose- und Interventions-Wissen zu vermitteln, dass dieses in der Lage ist, zukünftig die eigene Organisation selbst weiterzuentwickeln (Schein, 2000).
[...]
[1] Im weiteren Verlauf der Ausarbeitung werde ich mich aus Gründen der Lesbarkeit nur auf die männliche Form des Beraters beschränken, wobei sich dies immer auf beide Geschlechter bezieht.
[2] ebenda