Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2 Max Weber - Sinn als Aufgabe der Religion
2.1 Die fehlende Definition von Religion
2.2 Religiöses Handeln als besondere Gattung sozialen Handelns
2.3 Die Genese der Religion - über die Verlagerung von magischem zu religiösem Handeln
2.4 Die „Protestantische Ethik“
2.4.1 Puritanismus und Prädestinationslehre
2.4.2 Die innerweltliche Askese als Lebensführung
2.4.3 Die Mikro- und Makroebene
2.4.4 Loslösung des Kapitalismus von der Religion
2.5 Erlösung und Theodizee - der „gemachte“ Sinn als Aufgabe der (Erlösungs)Religionen
2.6 Am Ende steht „Die Entzauberung der Welt“
2.7 Max Webers religionssoziologischen Prognosen bezogen auf die Gegenwart
3 Émile Durkheim - Integration als Aufgabe der Religion
3.1 Die Universalität der Religion - der funktionale Religionsbegriff
3.2 Der Totemismus
3.3 Die Unterscheidung des Heiligen vom Profanen
3.4 Das Ideal der Gesellschaft als Reverenzziel
3.5 Kollektive Erfahrungen ermöglichen Religion
3.6 Religionsdefinition - der substantielle Religionsbegriff
3.7 Am Ende steht eine Verlagerung innerhalb der Aufgabe der Religion
3.8 Emile Durkheims religionssoziologischen Prognosen bezogen auf die Gegenwart
4 Max Weber und Émile Durkheim - Übereinstimmungen ihrer religionssoziologischen Ansätze
5 Fazit
1. Einleitung
- Die religiösen Vorstellungen sind Kollektivvorstellungen, die Kollektivwirklichkeiten ausdrücken; die Riten sind Handlungen, die nur im Schoß von versammelten Gruppen entstehen können und die dazu dienen sollen, bestimmte Geisteszustände dieser Gruppen aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen (Durkheim, 1981, S. 28).
Natürlich können wir damit nicht jetzt schon das tiefste und wirklich erklärende Wesen der Religion erreichen; dies wird erst am Ende derUntersuchung möglich sein (Durkheim, 1981, S. 45).
- Allein wir haben es überhaupt nicht mit dem „Wesen“ der Religion, sondern mit den Bedingungen und Wirkungen einer bestimmten Art von Gemeinschaftshandeln zu tun, dessen Verständnis auch hier nur von den subjektiven Erlebnissen, Vorstellungen, Zwecken der Einzelnen - vom „Sinn“ - aus gewonnen werden kann, da der äußere Ablauf ein höchst vielgestaltiger ist (Weber, 1980, S. 245).
Zwei Aussagen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Max Weber und Émile Durkheim blieben ihren soziologischen Vorstellungen auch in Fragen zur Religionssoziologie treu. Trat Durkheim vom Kollektivismus ausgehend an das Problem heran, war es für Weber klar, dass die Klärung der Aufgabe der Religion eines handlungstheoretischen Ansatzes bedürfe. Ausgangspunkt sei also das subjektive Handeln und zwar ein mindestens relativ rationales nach Erfahrungen geregeltes Handeln (Weber, 1980, S. 245). Bei Durkheim wird die Religion eher aus dem Kollektiv der Gesellschaft, die vor allem aktiv kooperiere, bzw. Gemeinschaft geboren und sie ist praktisch veranlagt, da die Tat das religiöse Leben alleine schon, weil die Gesellschaft ihre Ursache sei, beherrsche (Durkheim, 1981, S. 560). Das legt die Vermutung nahe, dass beide auch zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Aufgabe der Religion gekommen sind. Wie sich dies tatsächlich darstellt und ob es nicht doch auch Gemeinsamkeiten bei der Erarbeitung ihrer Religionsbegriffe gibt, soll im Folgenden erläutert werden. Die Argumentation fußt hauptsächlich auf den dieses Thema betreffenden Hauptwerken der beiden Klassiker, allerdings nicht ohne unterstützende Sekundärliteratur hinzuzuziehen.
2 Max Weber - Sinn als Aufgabe der Religion
2.1 Diefehlende Definition von Religion
„Eine Definition dessen, was Religion ,ist‘, kann unmöglich an der Spitze, sondern könnte allenfalls am Schlüsse einer Erörterung wie der nachfolgenden stehen“ (Weber, 1980, S. 245). Obwohl diese Einleitung in das Kapitel Religionssoziologie seines Werkes, Wirtschaft und Gesellschaft, vermuten lässt, dass am Ende dieser Passage eine Definition von Religion zu finden ist, trifft dies ausdrücklich nicht zu. Weber spricht davon, an welcher Stelle eine Definition überhaupt angeführt werden könnte, kommt aber offensichtlich, wie oben schon dargestellt, zu dem Schluss, dass es eben nicht um das Wesen der Religion geht. Die Soziologie Max Weber's ist geprägt vom Handeln und im Besonderen vom sozialen Handeln. An der Religion interessiert ihn also vornehmlich das religiöse Handeln und wie später noch zu zeigen ist (s. 2.4), jenes, in Relation zum wirtschaftlichen Handeln.
Was also von einer Definition bleibt ist, dass Religion wesenlos sei und nur eine Beschreibung einer Art sozialen Gemeinschaftshandelns, welches sich, bezogen auf das Diesseits, speziell auf das religiöse Handeln ausrichte. Hier seien sowohl die Voraussetzungen als auch die Auswirkungen dieses Handelns zu untersuchen. Besonderer Betrachtung erfahre dabei der subjektive Sinn der Handelnden (Weber, 1980, S. 245).
2.2 Religiöses Handeln als besondere Gattung sozialen Handelns
Religiöses Handeln ist also nur soziales Handeln, welches religiös geprägt ist. Somit ist es beispielsweise vergleichbar mit etischem Handeln. Soziales Handeln orientiert sich immer an einem Wert, Zweck, einer Tradition oder einer Gefühlslage, bzw. aus einer Mischform dieser Möglichkeiten. Hier stellt sich also die Frage, wo religiöses Handeln einzuordnen wäre. Nach Weber sei soziales Handeln wertrational bestimmt, wenn es durch bewussten Glauben an den - ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden - unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg sei (Weber, 1980, S. 12). Es ist aber von der Zweckrationalität nicht einfach zu trennen, da der erstrebte Erfolg eines Zwecks natürlich im religiösen Wert des Handelns liegen kann. Allerdings unter Einbeziehung der Mittel und Nebenfolgen und wie Weber weiß, mit der Erkenntnis, dass aus der Zweckrationalität betrachtet, das wertrationale also religiöse Handeln, je irrationaler sich gestalte, desto mehr es sich am Wert orientiere (Weber, 1980, S. 13). Und er geht noch weiter und konstatiert, dass religiöses Handeln nicht aus dem alltäglichen Zweckhandeln auszusondern sei, wobei und das bedarf besonderer Beachtung, seine Zwecke überwiegend ökonomische seien (Weber, 1980, S. 245).
2.3 Die Genese der Religion - über die Verlagerung von magischem zu religiösem Handeln
Weber unterscheidet zunächst nicht sonderlich zwischen religiösem und magischem Handeln. Er macht darauf aufmerksam, dass Subjekte und Objekte in der Welt außer alltägliche Kräfte besitzen können, die er Charisma nennt.
Diese „hinter“ den Dingen und Wesen vorhandenen Kräfte führten zum Geisterglauben. Dabei habe der Zauberer dauerhaft charismatische Fähigkeiten; im Gegensatz zum magischen Laien, welcher diese nur im Rahmen einer vom Zauberer geleiteten Orgie entfalten könne. Die Ekstase sei dabei die das Charisma repräsentierende und vermittelnde Zuständlichkeit (Weber, 1980, S. 246).
Die sich entwickelnden übernatürlichen Mächte vergeistigen sich durch die verschiedenen Beziehungen der Wesenheiten zu den Dingen zu Seele, Gott und Dämon. Ihre Verbindung zu den Menschen beschreibe das Reich des „religiösen Handelns“ (Weber, 1980, S. 246-247).
Der praktische Zauber, der eine kausale Verkettung erwarten lässt, verliere sich zunehmend und wandele sich zu einer Symbolik (Weber, 1980, S. 248). Das weiß auch Hubert Knoblauch, als er feststellt, dass das, was die Magie bewirken will eben manchmal zutreffe und manchmal nicht (Knoblauch, 1999, S. 52-53). Und Gert Pickel konstatiert, dass magische Handlungen, weil sie konkret mit Ereignissen im Diesseits verbunden seien, direkt auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen seien (Pickel, 2011, S. 94). So eine Unzuverlässigkeit führt unweigerlich zum Vertrauensverlust. Mit derartigen Problemen hat eine symbolische Welt der Zeichen, wie sie sich im religiösen Handeln äußert nicht zu kämpfen.
Ob die Gebete an den Gott erhört werden, könne im Gegensatz zum magischen Bezwingungsversuch eines Dämons, nicht widerlegt werden und die Unterbrechung der Kausalität einer magischen Handlung führe bei fortschreitender Rationalisierung in einer Gesellschaft zu einer Verschiebung von magischem zu religiösem Handeln (Pickel, 2011, S. 94). Weber erkennt allerdings auf der Grundlage der diesseitigen sowohl Abwendung äußerlichen Übels und als auch Hinwendung derer Vorteile, welche allen Religionen gemein sei, eine Zwiespältigkeit im Entwicklungsprozesses der o. a. Rationalisierung. So zeige sich, dass der Sinn, des spezifisch religiösen Sichverhaltens, parallel mit der Rationalisierung des Denkens über das Göttliche, sich verkehrt zu Zielen außerökonomischen Charakters. Schließlich zeigt er, dass sich Religion von Zauberei unterscheide, wo sich die Beziehungen zwischen Menschen und Übersinnlichem durch religiöse Bitte, Opfer und Verehrung an die Götter, von magisch zwingendem und bannendem Verhalten gegen die Dämonen trenne (Weber, 1980, S. 259).
2.4 Die „Protestantische Ethik“
Ein Blick in die Berufsstatistik eines konfessionell gemischten Landes pflegt mit auffallender Häufigkeit eine Erscheinung zu zeigen [...]: den ganz vorwiegend protestantischen Charakter des Kapitalbesitzes und Unternehmertums sowohl, wie der oberen gelernten Schichten der Arbeiterschaft, namentlich aber des höheren technisch oder kaufmännisch vorgebildeten Personals der modernenUnternehmungen (Weber, 2004, S. 65).
Weber erkennt eine Verbindung zwischen der protestantischen Konfession und dem Kapitalerwerb. Verantwortlich dafür macht er die Ausrichtung des Menschen hin zum Geist des Kapitalismus, dessen Leitmotiv er durch die Feststellung begründet sieht, dass das Erwerben von Kapital nicht mehr der Befriedigung der menschlichen, materiellen Bedürfnisse diene, sondern zum Selbstzweck des Lebens generiere (Weber, 2004, S.78).
„Webers berühmte Untersuchung [...] zeigt, dass der Typus des modernen Berufsmenschen und mit ihm die geistigen Grundlagen des modernen Kapitalismus ein Produkt puritanischer Religiosität sind“ (Guttandin, 2010, S. 17).
2.4.1 Puritanismus und Prädestinationslehre
War der Wandel von der Magie zur Religion mehrheitlich vollzogen habe sich im modernen Europa des 16. und 17. Jahrhunderts der Puritanismus entwickelt, wobei es sich um eine theologische Reform- und Protestbewegung der englischen Kirche gehandelt habe. Die Anhänger dieser Bewegung, die Puritaner, seien stark calvinistisch geprägt gewesen (Hillmann, 1994, S. 705). Die Lehre der Prädestination, wie sie sich im Calvinismus etabliert habe, führe dazu, dass ein Teil der Menschen selig werde und der andere nicht und das seien Gottes absolut freien Entschlüsse und keiner könne sie beeinflussen (Weber, 1972, S. 93). Die Gewissheit zu gewinnen, welcher Gnadenwahl Gottes man ausgesetzt sei, erkläre sich somit über das Resultat einer Lebensführung, die sich auf die innerweltlichen Askese ausrichte (Pickel, 2011,S. 100).
2.4.2 Die innerweltliche Askese als Lebensführung
Das Ergebnis der Lebensführung ist also dann als positiv zu betrachten, wenn sich durch ausgesprochen asketisches Verhalten eine Anhäufung von Kapital einstellt. Nicht mehr die von Luther vorgebrachte zu leistende Demut bringe die Gewissheit über die Gnade Gottes, sondern die rastlose Berufsarbeit (Weber, 1972, S. 105). Allerdings, so Weber: "Nicht Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott verlangte“ (Weber, 1972, S. 174). Der so angesammelte Reichtum dürfe aber keine unsittlichen Handlungen verursachen, so sich auf seinem Besitz auszuruhen, ihn müßig zu genießen, Fleisches- und anderen Gelüsten zu frönen und schließlich vom Streben nach dem heiligen Leben ablenken (Weber, 1972, S. 166-167). Hier entwickle sich gleichermaßen für das Individuum, wie für Gruppen einer Gesellschaft eine ethisch-moralische Haltung des kapitalistischen Geistes (Pickel, 2011, S. 100).
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