Dietrich Bonhoeffer - Ein Märtyrer und protestantischer Theologe im 20. Jahrhundert


Dossier / Travail, 2003

19 Pages, Note: 1 (sehr gut)


Extrait


1.

Der 1906 in Breslau[1] geborene Dietrich Bonhoeffer wird zu jener Theologen­generation gezählt, die „zum Teil durch den Zweiten Weltkrieg um ihre Entfal-tung“[2] gebracht wurde. Dennoch gelangte er sowohl mit sei­nem fragmentarischen Werk als auch mit seiner widerständigen Biografie ungefähr zehn Jahre nach sei-nem gewaltsamen Tod zu einer weltbekannten Berühmtheit. Leben und Werk, Den-ken und Handeln gehören bei ihm so we­sentlich zusammen, dass es Frevel wäre, dies nun durch eine äußere Gliede­rung strukturieren, also auseinander legen zu wollen.

Seine überragende Bedeutung liegt nach Meinung des Neffen, Hans-Wal­ter Schlei­chers, „nicht in erster Linie im Politischen, denn Bonhoeffer war kein Politiker und wollte nicht ‚politisch’ handeln, sondern als Mensch und Christ, der an der Stelle, an die ihn Gott gestellt hat, Verantwortung über­nimmt.“[3]

Allein seine von Weitsicht und Mut zeugenden Äußerungen, die zu Lebzei­ten an die Öf­fentlichkeit gelangten, werden neben denen Karl Barths (1886-1968) zu den „klassischen Zeugnissen kirchlich-evangelischer Besin­nung in dieser Zeit“[4] gezählt. Über Bonhoeffers Dissertation, die er als Drei­undzwan­zigjäh­ri­ger unter der Überschrift „Sanctorum Communio. Eine dogmati­sche Unter­suchung zur Soziologie der Kirche“[5] eingereicht hatte, schrieb Karl Barth fast 30 Jahre später: „Ich gestehe offen, dass es mir Sorge macht, die von Bonhoeffer damals erreichte Höhe (...) wenigstens zu halten (...) nicht schwächer zu reden, als dieser junge Mann es damals getan hat.“[6] Barth ist jedoch anzukreiden, dass ihn seine Fehlur­teile über Sta­lin (1879-1953) und den Kommunismus weit unter das Niveau Bonhoeffers geraten ließen[7], abgesehen von der Polemik voller Verdächtigungen gegen den protestantischen Theologen und späteren Spitzenpolitiker Eugen Gerstenmaier (1906-1986).[8]

Es belegt Bonhoeffers Sachlichkeit trotz der Hingabefähigkeit an an­dere, sei­nen Sinn für Realitäten trotz eines waghalsig-konsequenten Mutes, wenn er das Unabgeschlossene nicht nur seines Werkes, sondern auch des Lebens selber tref-fend zu thematisieren vermochte: „Je länger wir aus unse­rem ei­gentlichen beruf-lichen und persönlichen Lernbereich herausgeris­sen sind, desto mehr empfinden wir, dass unser Leben - im Unterschied zu dem unse­rer Eltern – fragmentarischen Charakter hat.“ Und gleich darauf fragte er: „Wo gibt es heute noch ein geistiges ‚Lebenswerk’? Wo gibt es das Sam­meln, Verarbeiten und Entfalten, aus dem ein solches entsteht?“[9]

Solche Fragen stellte er sich - wohlgemerkt! - als er noch nicht wissen konnte, dass sein Leben einmal mit 39 Jahren gewaltsam beendet werden sollte. Abgesehen davon, war sein Lebensentwurf von vornherein nicht dazu angelegt, etwa eine Schrift Luthers (1483-1546), die auf einer Seite Platz fand, mit über 1400 Seiten zu kommentieren, wie das sein jüngerer Kollege Gerhard Ebe­ling (1912-2001) fertig brachte.

Und wer hat schon 1934, also kurz nach Hitlers (1889-1945) Machtantritt gewusst, was die Stunde schlug? Er rief bereits zu dieser Zeit mit einem bei ihm ei­gentlich ungewohnten Pathos dazu auf, einen „radikalen Ruf zum Frieden an die Christusgläubigen ausgehen (zu) lassen (...) Die Stunde eilt - die Welt starrt in Waffen und furchtbar schaut das Misstrauen aus allen Augen, die Kriegs­fanfare kann morgen geblasen werden - worauf warten wir noch?“[10]

Ebenso schien er sein Schicksal voraus gesehen zu haben, als er schon im Juni 1932 als Prediger in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche pro­vo­zierend fragte: „Muss es denn so sein, dass das Christentum, das einstmals so unge­heuer revolutionär begonnen, nun für alle Zeiten konservativ ist? Dass jede neue Bewegung ohne die Kirche sich Bahn brechen muss, dass die Kir­che immer erst zwanzig Jahr hinterher einsieht, was eigentlich geschehen ist? Muss dem wirklich so sein, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn auch für unsere Kirche wieder Zeiten kommen werden, wo Märtyrerblut ge­fordert werden wird.“[11]

2.

Dietrich Bonhoeffer war vielseitig begabt, praktisch veranlagt und schon als Kind ein guter Pia­nist; und die Eltern erwogen, ihn zum Musiker aus­bilden zu lassen. Im Kreise von acht Geschwistern genoss er eine gutbürger­liche Er­ziehung. Sein Vater, Prof. Dr. Karl Bonhoeffer (1868-1948), hatte ab 1912 in Ber­lin den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie inne, so dass die deut­sche Haupt­stadt unter drei verschiedenen Gesellschaftssystemen zu einer Stätte der Bil­dung, Reife und schließlich Bewähr-ung der gesamten Familie wurde, nach­dem schon der zweitälteste Sohn sowie Vettern der Bonhoeffer -Kinder im I. Weltkrieg gefal­len waren. Vier weitere Familienmitglieder ver­lor sie dann im Widerstand gegen das NS-Regime.

In der Tradition sowohl des Groß- als auch des Urgroßvaters mütterlicher­seits begann er 1923 mit dem Studium der Theologie in Tübingen, wo er der liberal geson­nenen Studentenverbindung „Igel“ beitrat und ihm „die Leute ei­gentlich ganz gut“[12] gefielen. Als jedoch 1933 der antisemiti­sche Arierpa­ragraf in die Satzung Einlass fand, verließ er die Verbindung.

Während eines Zwischensemesters in Rom geriet ihm das „Phänomen Kir­che in sein Gesichtsfeld“[13]. 1927, also 21-jährig, promovierte er bereits in Berlin, wobei er ebenfalls sein erstes theologisches Examen ablegte. Im An­schluss an das Vik-ariat in Barcelona wurde er an der Berliner Universität As­sis­tent, nachdem er 1930 mit dem 2. theologischen Examen und der Habili­tation un­ter dem Titel „Akt und Sein“ abgeschlossen hatte. Im Juli 1939, soeben von einem Stu­dienaufenthalt in New York zurückgekehrt, hielt er sich anschließend 14 Tage bei Karl Barth in Bonn auf, den er zuvor als „die theologische Entdeckung seines Lebens“[14] be­zeichnete. In Berlin nahm Bonhoeffer eine Dozentur an der Universität, das Amt eines ökumeni­schen Ju­gendsekretärs und ein Stu­dentenpfarramt an­. Des Weiteren wurde er vor die Aufgabe gestellt, eine verwilderte Konfir­manden­klasse im proletari­schen Berliner Wedding zur Konfirmation zu füh­ren, was ihm ge­lungen sein soll.

Innerhalb des Studiums, in dem ihm von seinen Kommilitonen ein „ge­wandtes, sicheres Auftreten; stürmisches Temperament“[15], aber auch Weltof­fen-heit und scharfe Kritikfähigkeit bescheinigt wurden, mussten auch prakti­sche Tä-tigkeiten nachgewiesen werden. So übernahm er zum Beispiel einen Kindergottes-dienst und machte dabei „die ihn zuweilen erschreckende Er­fah­rung, in welcher Weise er Menschen an sich zu binden vermochte“[16].

[...]


[1] Heute: Wroclaw

[2] Fischer, Hermann: Protestantische Theologie im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 9

[3] Schleicher, Hans-Walter: Dietrich Bonhoeffer, In: 20. Juli. Porträts des Widerstands. Hrsg. Oberreuter, Heinrich, zweite aktualisierte u. überarbeitete Neuausgabe, Düsseldorf 1995, S. 149

[4] Scholder, Klaus: Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 2, München 2000, S. 47

[5] Bonhoeffer, Dietrich: Werke, Bd. 1, München 1986; im Folgenden: DBW

[6] Schleicher, S. 157

[7] Karl Barth: „Und weil der russische Kommunismus im künftigen Deutschland auf alle Fälle eine politische, eine wirtschaftliche, eine geistige Macht sein wird, so wäre es weise, hinzuzufügen: man wird dieser Begegnung nur dann gewachsen sein, wenn man ihr ungehemmt durch überlieferte, ungehemmt auch durch gewisse neu aufgekommene Vorurteile jedenfalls aufgeschlossen und verständniswillig entgegengeht.“ Aus: Der Götze wackelt. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960, Hrsg. Karl Kupisch, Berlin 1961, S. 95

[8] siehe Karl Barth: Neueste Nachrichten zur neueren deutschen Kirchengeschichte? S. 443-451. In: Klärung und Wirkung. Zur Vorgeschichte der „Kirchlichen Dogmatik“ und zum Kirchenkampf, Hrsg. Walter Feurich, Berlin (Ost) 1966

[9] Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung, München 1970, S. 245

[10] DBW, Bd. 1, S. 219

[11] DBW, Bd. 11, S. 466

[12] DBW, Bd. 6, S.27

[13] Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 19. Auflage, Reinbek 2001,

S. 27

[14] Ebenda

[15] Ebenda, S. 24

[16] Ebenda, S. 28

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Dietrich Bonhoeffer - Ein Märtyrer und protestantischer Theologe im 20. Jahrhundert
Université
University of Würzburg  (Lehrstuhl für Evangelische Theologie 1)
Cours
Evangelische Theologie im 20. Jahrhundert
Note
1 (sehr gut)
Auteur
Année
2003
Pages
19
N° de catalogue
V19419
ISBN (ebook)
9783638235570
ISBN (Livre)
9783638781701
Taille d'un fichier
512 KB
Langue
allemand
Annotations
Vollständige Zitierung über Fußnoten, daher kein extra ausgewiesenes Literaturverzeichnis.
Mots clés
Dietrich, Bonhoeffer, Märtyrer, Theologe, Jahrhundert, Evangelische, Theologie, Jahrhundert
Citation du texte
Siegmar Faust (Auteur), 2003, Dietrich Bonhoeffer - Ein Märtyrer und protestantischer Theologe im 20. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19419

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