Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Lesekompetenz
2.1 Definition
2.2 Entstehung von Lesekompetenz durch Lesesozialisation
2.3 Der Einfluss des Vorwissens für die Lesekompetenz
2.4 Der Unterschied der geschlechtsspezifischen Lesekompetenz
3. Hospitationserfahrungen mit Blick auf die Lesekompetenz
4. Die PISAStudie
4.1 Aufbau, ZieleS
4.2 Kompetenzstufen im Lesen
5. Ergebnisse der PISAStudie hinsichtlich der Lesekompetenz
5.1 PISA 2000
5.2 PISA 2003
5.3 PISA 2006
5.4 PISA 2009
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis.
1. Einleitung
Im Rahmen meines Studiums des Master of Education habe ich die ersten drei Wochen des Schulpraktikums an der Comenius-Schule in Flensburg absolviert und die restlichen drei Wochen an der Käte-Lassen-Schule, an der ich sehr gut von meiner Mentorin Frau Lunau-Asmuß betreut wurde. Diese hat mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden und schließlich auch den Entwicklungsbericht über mich verfasst.
Es handelt sich sowohl bei der Comenius-Schule als auch bei der Käte-Lassen-Schule um Gemeinschaftsschulen. Letztere von beiden, auf die ich mich beziehen möchte, beschult derzeit 520 Schüler, die sich auf 21 Klassen verteilen und von insgesamt 50 Lehrern unterrichtet werden. Darüber hinaus arbeiten 11 Lehrer, die sich noch in Ausbildung befinden an der Käte-Lassen-Schule. Auch eine Schulsozialpädagogin ist hier tätig und unterstützt sowohl Schüler, Eltern als auch Lehrer. Bei der Käte-Lassen-Schule handelt es sich um eine „offene Ganztagsschule“ an der nach der 9. Jahrgangsstufe der Hauptschulabschluss und nach der 10. Jahrgangsstufe der Realschulabschluss erworben werden kann.
An vier Nachmittagen bietet die Schule zusätzliche Kursangebote (verschiedene sportliche Aktivitäten, Legasthenie- Unterricht, Hausaufgabenbetreuung) an, an denen sich die Eltern mit einem geringen Kostenbeitrag beteiligen müssen. Während zahlreicher Hospitationsstunden bei unterschiedlichen Lehrern in verschiedenen Klassen und Fächern habe ich einen guten Einblick in den Schulalltag als auch in die Tätigkeiten eines Lehrers gewinnen können. Des Weiteren habe ich im Rahmen mehrerer Einzelstunden und einer umfangreichen Unterrichtseinheit einige Erfahrungen im Unterrichten sammeln können. Diese möchte ich im Folgenden darstellen. Dabei habe ich meinen Schwerpunkt auf die Frage nach der Lesekompetenz 15-jähriger Schüler/innen im internationalen PISA-Vergleich gesetzt. Bevor ich jedoch auf meinen eigenen Unterricht zu sprechen komme, möchte ich zunächst auf die Bedeutung der Lesekompetenz sowie den Untersuchungsergebnissen und Konsequenzen aus der PISA-Vergleichsstudie eingehen.
2. Lesekompetenz
2.1 Definition
Der Begriff der Lesekompetenz umfasst nicht allein die Fähigkeit zu lesen, sondern umfasst laut PISA auch die Kompetenz, „geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren Absichten und ihrer formalen Struktur zu verstehen und in einem größeren Zusammenhang einordnen zu können.“[1] Des Weiteren umschließt die Lesekompetenz die Fähigkeit, Texte auf vielfältige Weise sachgemäß zu nutzen. Demnach ist die Lesekompetenz ein wichtiges Instrument für das Erreichen persönlicher Zielsetzungen, der Weiterentwicklung des eigenen Wissens sowie der eigenen Fähigkeiten. Nur auf diese Weise kann die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben garantiert werden.[2]
2.2 Entstehung von Lesekompetenz durch Lesesozialisation
Lesekompetenz entwickelt sich im Laufe der Lesesozialisation, d.h. die möglichst frühe „Begegnung mit fiktionalen Geschichten als Schulung des Denkens und der Intelligenz.“[3] Diese Form von sprachlich-kultureller Lernerfahrung gilt bereits im Vorschulalter als der zuverlässigste Prädikator für eine erfolgreiche Schulkarriere. Des Weiteren stellt auch die Schreibfähigkeit als Beispiel für eine frühe „Buchstabenkenntnis“ wie auch die „phonologische Bewusstheit“ wichtige Vorläuferinstanzen dar. Empirische Untersuchungen haben zudem herausgefunden, dass die Lesesozialisation entscheidend von der Alltags- und Gesprächskultur in der Familie abhängt.[4] In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass die innerhalb der Familie stattfindenden Interaktionsformen nicht nur die gemeinschaftliche Bilderbuch-Rezeption beim Kleinkind prägen, sondern auch auf „spezifische sozial unterschiedliche Handlungsorganisation(en) erster Vorlesegespräche hineinwirken.“[5]
Die Entwicklung der Lesekompetenz ist somit entscheidend von den Vorbildern alltagssprachlicher sowie schriftlichkeitsorientierter Interaktionen im unmittelbaren Umfeld der Kinder abhängig.
Untersuchungen zur Lesesozialisation konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf sogenannte ‚literacy events.’ Dieser Begriff umschließt alle Gelegenheiten des alltäglichen Lebens, in denen schriftliche Formen der Sprachverwendung für das Kind eine Bedeutung haben, z.B. die ‚Gute-Nacht-Geschichte’, das Wiedererkennen von Aufschriften, Etiketten wie z.B. bei Lebensmitteln etc. Im Hinblick auf das Vorlesen in Kindergarten und Schule können Studien zufolge wichtige Einsichten hinsichtlich der „Ausbildung und Integration ‚textimmanenter’ vs. ‚wissensbasierter’ Verstehensleistungen unterschieden werden.“[6] Folgende Wissensbestände werden den Kindern in Vorlesesituationen dargeboten:
1- “General knowledge of the world,
2- Knowledge of literary conventions,
3- Knowledge of narrative structure,
4- Knowledge of how to respond as members of a reading audience.”[7]
Die Integration dieser Wissensbestände in Vorlesesituationen kann dabei als besondere Verstehensanforderung angesehen werden, in denen Kinder mit literarischen Texten von ausgeprägtem Fiktionalitätscharakter gegenübergestellt werden. Weiterhin wird durch diese Interaktionen den Kindern eine grundlegende Strategie des Schlussfolgerns im Rahmen des Textverstehens vermittelt.[8]
2.3 Der Einfluss des Vorwissens für die Lesekompetenz
Das Vorwissen hat für die Lesekompetenz hinsichtlich des Textverstehens eine zentrale Bedeutung. Derjenige, der bereits über prozedurales Wissen verfügt, ist in der Lage dieses in Anwendungssituationen mit der neu eingegangenen Information flexibel zu verbinden.[9] Kognitionspsychologische Untersuchungen haben ergeben, das Lesen sowohl eine „komplexe kognitive Aktivität“ als auch ein Instrument zur Lösung von Problemen darstellt. Für den Leseprozess spielen dabei verschiedene Wissensformen eine Rolle: Das „thematische Vorwissen, Wortschatzwissen und kognitive Wissen.“[10] Auch die PISA-Studie setzt bei der Lesekompetenz auf ein ausgewogenes Verhältnis von kognitiver Grundfähigkeit, Lernstrategiewissen, Dekodierungsfähigkeit, inhaltlichem Vorwissen sowie inhaltlichem Interesse. Dabei unterscheidet die Studie zwischen wissensbasiertem und textimmanentem Verstehensleistungen. Im letzteren Fall sind die in einem Text enthaltenen Informationen ausreichende Basis zur Beantwortung von Fragen. Im ersteren Fall muss zur Interpretation auf das nicht im Text enthaltene Vorwissen zurückgegriffen werden. Es stellt somit eine Voraussetzung vor allem im Kontext von Erklärungs- und Problemlöse-Aufgaben dar.[11]
2.4 Der Unterschied der geschlechtsspezifischen Lesekompetenz
Die internationale PISA-Studie belegt, dass vor allem im Bereich des Lesens Geschlechterunterschiede bestehen. Laut der Studie zeigen alle 32 getesteten Staaten dieses Phänomen auf. Dabei stellte sich heraus, dass Mädchen nicht nur anders sondern auch besser lesen als die Jungen. In Deutschland beträgt der Vorsprung der Mädchen dabei ungefähr einer halben Kompetenzstufe und entspricht damit in etwa der über alle OECD-Staaten gemittelten Differenz. Wenn man die Differenzen im Bereich der Lesekompetenz näher betrachtet, so wird deutlich, dass die Mädchen umso besser bei den Leseleistungen abschnitten, je anspruchsvoller die Aufgabenstellungen waren. Bei der PISA-Studie werden dabei drei Teilkompetenzen mit aufsteigender Komplexität im Bereich der Lesekompetenz getestet: 1. „Informationen ermitteln“, 2. „textbezogenes Interpretieren“ und 3. „Reflektieren und Bewerten.“ Die Ergebnisse zeigten, dass die Differenz zwischen beiden Geschlechtern besonders im letzteren Teilbereich besonders groß ist. Weiterhin ließ sich auch ein Unterschied der Geschlechter hinsichtlich der Textsorte feststellen. Während Mädchen eher Stärken bei Erzählungen, Argumentationen sowie bei Darlegungen zeigen, weisen die Jungen dafür beim Lesen von Diagrammen, Graphen und Karten keinerlei Differenzen zu den Mädchen auf.[12]
Die Überlegenheit der Mädchen gegenüber den Jungen zeigt sich auch in der Lesegeschwindigkeit. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass der Unterschied in der Lesekompetenz zwar in den einzelnen Schulformen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, jedoch auch hier im Hinblick auf die Kompetenzstufen gezeigt hat, dass Jungen auf den unteren Stufen stark überrepräsentiert sind. Die Ursache für die Unterschiedlichkeit in der Lesekompetenz der Geschlechter wird damit begründet, dass die bessere Leseleistung der Mädchen wahrscheinlich mit ihrer höheren Lesemotivation zusammenhängt. Laut PISA ist die Einstellung der Jungen gegenüber dem Lesen negativer als die der Mädchen. Im Durchschnitt gaben 46 % der Jungen aus den OECD- Ländern an, dass sie nur lesen würden, wenn sie es denn müssten. Bei den Mädchen waren es nur 26 %.[13] Ganz entscheidend hängt die Lesemotivation der Jungen von ihrem Interessensgebiet ab. Dementsprechend zeigte sich, dass sie bei ähnlicher Motivation wie die Mädchen für Mathematik diesen in den Leistungen überlegen sind. Empirische Untersuchungen der letzten Jahrzehnte, die sich intensiv mit dem Leseverhalten der Geschlechter beschäftigt haben, kamen zu dem Ergebnis, dass die Unterschiede beim Lesen in folgenden drei Dimensionen zu finden sind: Lesestoffe, Leseweise, Lesefreude bzw. Leseneigung und Lesequantität oder- intensität (Mädchen und Frauen lesen mehr als Jungen und Männer). Des Weiteren wurde festgestellt, dass diese Unterschiede bereits am Ende der Grundschulzeit ausgeprägt sind.[14] Bettina Hurrelmann, die in einer Studie 200 Kinder im Alter von neun und elf Jahren zusammen mit ihren Familien interviewte, stellte fest, dass das Geschlecht ein zuverlässiger Prädikator ist, um die Aussage treffen zu können, ob ein Kind eher viel oder wenig liest. Sie behauptet demnach, „dass Mädchen und Jungen sich in ihren Lesepräferenzen, Lesestilen, Leseerfahrungen, Lesehemmungen- überhaupt in allen Dimensionen ihrer Lesetätigkeit – unterscheiden.“[15] Entsprechend ihren Ergebnissen falle es den Mädchen leichter sich lesend in die Erfahrungswelt anderer Menschen hineinzuversetzen. Aus diesem Grund würden sie stärker von einem Deutschunterricht, der auf fiktionale Texte konzentriert ist, profitieren. Die Jungen dagegen, die ihren Leseschwerpunkt eher auf Sachbücher richten, würden daher wenig vom Literaturunterricht in der Schule angesprochen werden.
[...]
[1] Toman, Hans: Die PISA-Vergleichsstudie und der öffentliche Meinungsaustausch. Das Lesebuch einer kritischen Bestandsaufnahme. Baltmannsweiler : Schneider Verlag Hohengehren 2011. S. 12.
[2] Vgl. ebd. S. 12.
[3] Wells 1982; vgl. Ulich/Ulich 1994, S. 824.
[4] Vgl. Abraham, U., Bremerich-Vos, A., Frederking,V., Wieler, P.: Deutschdidaktik und Deutschunterricht nach PISA. Freiburg im Breisgau: Fillibach Verlag 2003. S. 49.
[5] Vgl. Feneberg 1997, S. 143.
[6] Vgl. Artelt et. al. 2001, S.82.
[7] Cochran-Smith 1986, S. 48.
[8] Vgl. Abraham, U., Bremerich-Vos, A., Frederking, V., Wieler, P.: Deutschdidaktik und Deutschunterricht nach PISA . Freiburg im Breisgau: Fillibach Verlag 2003. S. 52.
[9] Vgl. Stern 2003, S. 15.
[10] Schiefele 1996, S. 118-120.
[11] Vgl. Abraham, U., Bremerich-Vos, A., Frederking, V., Wieler, P.: Deutschdidaktik und Deutschunterricht nach PISA. Freiburg im Breisgau: Fillibach Verlag 2003. S. 92.
[12] Vgl. Baumert u.a. 2001, S. 253.
[13] Vgl. ebd. S. 262.
[14] Vgl. Baumert u.a. 2001, S. 70, 71.
[15] Hurrelmann, Bettina: Leseförderung. Basisartikel. In: Praxis Deutsch 127 (1994). S. 25.