Gesundheit und soziale Schicht: Österreichs Gesundheitswesen als Problemfall


Thèse de Master, 2011

169 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Ausgangssituation und Problemstellung

2 Ziel dieser Arbeit

3 Theorie
3.1 Wohlfahrtsstaatliche Theorie - Expansion oder Rückbau
3.2 Gesundheitsökonomische Theorie
3.2.1 Effizienz und gerechte Verteilung
3.2.2 Gesundheitsgüter und allokatives Versagen
3.2.2.1 Externe Effekte und der Kollektivcharakter von Gesundheitsgütern
3.2.2.2 Optionalgut medizinische Leistung
3.2.2.3 Konsumentensouveränität
3.2.2.4 Asymmetrisches Gesundheitswissen
3.2.2.5 Steigende Skalenerträge
3.2.3 Allokatives Marktversagen im Krankenversicherungsmarkt
3.2.3.1 Krankenversicherungsmarkt und asymmetrische Information
3.2.3.2 Trittbrettfahrer

4 Methodik
4.1 Der Fragebogen
4.1.1 Struktur des Fragebogens
4.1.1.1 Fragebogen Patient/Patientin
4.1.1.2 Fragebogen Mediziner/Medizinerin
4.2 Aufbau des Fragebogens

5 Sozial- und Wohlfahrtsstaat
5.1 Die Entwicklung des österreichischen Sozialsystems
5.2 Sozialstaat und Verfassung
5.3 Herausforderungen der Sozialstaaten
5.3.1 Globalisierung und Wohlfahrtsstaat
5.3.2 Modernisierung des Sozialstaats
5.3.2.1 Vom Wohlfahrtsstaat zum Wettbewerbsstaat?
5.3.2.2 Deregulierung und Wohlfahrtsstaatenwandel im Schatten der Hierarchie
5.3.2.3 Betrachtungsweisen des Neoliberalismus in Österreich
5.4 Kriterien für sozial- und wohlfahrtsstaatlicher Einstellungen
5.5 Die drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus
5.5.1 Der konservative Sozialstaat
5.5.2 Der liberale Wohlfahrtsstaat
5.5.3 Der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat
5.6 Kritik am Wohlfahrtsstaat: Soziologie vs. Ökonomie

6 Bedeutung von Arbeit
6.1 Arbeit und Gesundheit
6.2 Gegenwärtige Entwicklung der Arbeitswelt
6.3 Demographische Entwicklung

7 Soziale Ungleichheit und Gesundheit
7.1 Arbeitslosigkeit und Gesundheit
7.2 Präventionshypothese vs. Deprivationshypothese

8 Historischer Hintergrund der Sozialversicherung
8.1 Die Versicherten
8.2 Leistungs- und Aufgabenumfang der Sozialversicherung
8.3 Organisation der Sozialversicherung

9 Struktur des Gesundheitswesens in Österreich
9.1.1 Länder und Gemeinden
9.2 Finanzierung
9.3 Sozialversicherung vs. Zusatzkrankenversicherung
9.3.1 Die Versicherungsprämie in der Zusatzkrankenversicherung
9.3.2 Das Risiko
9.3.3 Steuerliche Absetzbarkeit
9.4 Zusatzkrankenversicherung in Österreich

10 Inanspruchnahme der Gesundheitsleistungen
10.1 Inanspruchnahme der Gesundheitsleistung im extramuralen Bereich
10.2 Inanspruchnahme der Gesundheitsleistung im intramuralen Bereich
10.3 Inanspruchnahme der Gesundheitsleistung und Alter
10.4 Inanspruchnahme der Gesundheitsleistungen und Arbeitslosigkeit
10.5 Gesundheitszustand und Migration
10.6 Lösungsansatz Gesundheitszentren

11 Fazit und Ausblick

12 Verzeichnisse
12.1 Literaturverzeichnis
12.2 Abkürzungsverzeichnis
12.3 Abbildungsverzeichnis
12.4 Tabellenverzeichnis

1 Ausgangssituation und Problemstellung

Gesundheit ist das größte Gut der Menschheit, denn ohne Gesundheit relativiert sich vieles. Österreich investiert viel Geld dafür, dass den Menschen in unserem Land eine bestmögliche Gesundheitsversorgung zukommt. Betrachtet man den Anstieg der Gesundheitsausgaben gemessen am BIP, zeigt sich, dass die Finanzierung einer Spitzenmedizin, welche für alle Österreicherinnen und Österreicher gleichermaßen zugänglich ist, in den nächsten Jahren in Bedrängnis kommen wird, sollte in die derzeitige Entwicklung nicht regulierend eingegriffen werden.

Genau hier ist meine Motivation für diese Arbeit zu finden, da ich der Meinung bin, dass im Gesundheitswesen, welches sehr komplex und wo alle Akteurinnen sehr sensibel auf Veränderungen reagieren, keine einseitigen Änderungen vorgenommen werden sollen. Mit den in dieser Arbeit vorgestellten Interventionsmöglichkeiten wird eine breite Veränderung im Gesundheitswesen angestrebt, welche vor allem bei einer Verhaltensänderung aller, im Gesundheitswesen Beteiligten ansetzt. Das Kernstück der Arbeit stellt eine quantitative Befragung von PatientInnen und ÄrztInnen dar, wodurch eine etwaige unterschiedliche Inanspruchnahme bzw. Nachfragen von medizinischen Gesundheitsleistungen aufgrund sozialer Herkunft erforscht werden soll. Dazu wird im Kapitel 10 noch genauer eingegangen.

Betrachtet man die gestiegenen Gesundheitskosten, wird ersichtlich, dass es sich vorwiegend um einen Anstieg der angebotenen medizinischen Leistungen und nicht um einen gravierenden Anstieg der Kosten pro Behandlungsfall handelt, da, speziell in den vergangenen Jahren, Untersuchungsmethoden und Medikamente entwickelt wurden, welche hohe Kosten verursachen und sich schnell als so genannter „Standard“ entwickelten. Hier seien zum einen die Magnetresonanztomographie (MRI), die Positronen Emissions Tomography (PET) und die Single Photon Emission Computed Tomography (SPECT) Untersuchungen zu erwähnen, welche in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen sind. Vergleicht man z.B. die Anzahl an Magnetresonanztomographie (MRI) Untersuchungen, welche in Österreich durchgeführt werden, mit jenen im europäischen Schnitt, zeigt sich, dass in Österreich um über 30% mehr von diesen teuren Untersuchungen durchgeführt werden.

Jedoch kommen ÄrztInnen auch immer mehr unter Druck, da die Erwartungshaltung der PatientInnen sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert hat. Nicht nur, dass sich PatientInnen Mehrfachgutachten einholen, welche hohe Kosten verursachen, werden Forderungen an ÄrztInnen bezüglich Untersuchungen herangetragen. Diese Mehrkosten aufgrund dieser Mehrfachgutachten sind den erhöhten Nutzen der betroffenen PatientInnen gegenüberzustellen. Eine Zweitmeinung bringt nicht nur mehr Sicherheit bzw. Vertrauen, sondern kann auch neue Aspekte der Behandlungsmöglichkeiten eröffnen.

Ein weiteres Problem, welches unser Gesundheitssystem belastet, sind ungewollte Mehrfachuntersuchungen. Da es bis heute noch nicht möglich war - vor allem aufgrund unterschiedlicher Einwände von Datenschützern, aber auch von Seiten der Ärztekammer - eine zentrale Patientendatenbank zu installieren, werden vielfach Untersuchungen, welche nicht nur das Gesundheitsbudget, sondern unter Umständen auch die Gesundheit der betroffenen PatientInnen zusätzlich belasten, durchgeführt. Hier seien unter anderem die radiologischen, aber auch die laboratorischen Untersuchungen zu erwähnen. Bei einigen PatientInnen entsteht aufgrund dieser wiederholten Diagnostik ein Nutzen, da, wie oben bereits erwähnt, unter Umständen neue Behandlungsmöglichkeiten oder aufgrund der speziellen Erfahrung des/der einzelnen Mediziner/In Beschwerden bzw. Symptome überhaupt erst danach effizient und nachhaltig behandelt werden können. Jedoch kann es auch zu Unsicherheiten bei den PatientInnen führen, wenn diese mehrere Fachgutachten eingeholt haben und diese nicht deckungsgleich sind. Speziell in der Medizin ist es in sehr wenigen Fällen möglich, dass nach einem standardisierten Schema vorgegangen wird, da hier die individuelle Behandlung und Zuwendung im Vordergrund stehen.

Das österreichische Gesundheitssystem wird aus zwei unterschiedlichen Töpfen finanziert. Zum einen die gesetzliche Sozialversicherung, welche nach dem Vorbild der Bismarckschen Sozialpolitik im Jahre 1887/1888 eingeführt wurde und als Fundament für das heutige Sozialsystem dient.1 Österreich verfügt somit über eine gesetzliche Pflichtversicherung. Diese gesetzliche Krankenversicherung finanziert den gesamten extramuralen Bereich, der neben der ärztlichen Behandlung im niedergelassenen Bereich auch Heilmittel und Heilbehelfe umfasst. Darüber hinaus leistet die Krankenversicherung, sollte eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen anfallen, auch Krankengeld, damit für den Versicherten über einen längeren Zeitraum keine bzw. nur niedrige finanzielle Einbußen aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls entstehen. Den zweiten Finanzierungstopf koordinieren die in den Ländern installierten Gesundheitsfonds (dieser ist zum größten Teil steuerfinanziert, in den Bund, Länder und Gemeinden ihren Beitrag einzuzahlen haben). Die Finanzströme werden in dieser Arbeit jedoch noch ausführlich erläutert. Diese finanzieren zum größten Teil den intramuralen Bereich. In Oberösterreich erreichte dieser im Jahre 2009 beinahe ein Gesamtvolumen von 1,7 Mrd. Euro2. Diese geteilte Finanzierung führt dazu, dass die gesetzlichen Sozialversicherungen bestrebt sind, möglichst viele Leistungen in den intramuralen Bereich, bzw. in die Krankenhausambulanzen zu verlagern, da dies für sie eine Kostenerleichterung bedeutet. Auf der „Gegenseite“ versuchen auch die Gesundheitsfonds die Krankenanstalten dahingehend anzuhalten, dass diese Patienten möglichst rasch in die Obsorge der niedergelassenen ÄrztInnen übergehen.

Es gibt kaum Studien darüber, aus welchem Beweggrund PatientInnen im Bedarfsfall nicht ihren Hausarzt/Hausärztin, sondern eine Krankenhausambulanz aufsuchen. Genau hier soll diese Arbeit ansetzen, denn ein steuernder Eingriff ist nur dann möglich, wenn der Grund für das Aufsuchen einer Krankenhausambulanz erforscht ist.

2 Ziel dieser Arbeit

Diese Arbeit beschäftigt sich nicht nur mit dem Problem der Finanzierbarkeit, sondern zeigt drei Interventionsansätze auf, wie ein Gesundheitssystem auf hohem Niveau weiter bestehen bleiben kann, ohne dass spürbare Einschnitte oder eine unterschiedliche Versorgung der einzelnen Bevölkerungsgruppen eintreten.

Dieser bereits oben genannte Grund für ein Aufsuchen einer Akutambulanz eines Krankenhauses soll mittels Fragebogen erhoben werden, bzw. ist bereits erhoben worden. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass eine gleichwertige Versorgung der PatientInnen im extramuralen Bereich kostengünstiger als im intramuralen Bereich ist. Mit Hilfe dieser Befragung kann eine Aussage darüber getroffen werden, welche PatientInnen (soziodemographische Herkunft), mit welchen Beschwerden (werden mittels Diagnosefallgruppe zugeteilt), aus welchem Beweggrund (von Arzt/Ärztin überwiesen, Hausarzt/Hausärztin nicht erreichbar, Wartezeiten in Akutambulanz kürzer, Vertrauen in Krankenhaus höher) eine Akutambulanz eines Krankenhauses aufsuchen. Der/die behandelnde ÄrztIn zeigt schlussendlich auf, ob der/die PatientIn ausschließlich in dieser Akutambulanz des jeweiligen Krankenhauses adäquat versorgt werden konnte, oder ob diese Versorgung bei einem/r niedergelassenen Arzt/Ärztin ebenfalls möglich gewesen wäre. Darüber hinaus wird noch abgefragt, ob eine Versorgung in einem Gesundheitszentrum möglich gewesen wäre, ähnlich den Plänen der Oberösterreichischen Ärztekammer in Perg. (Der Fragebogen befindet sich im Anhang der Arbeit).

Diese Erhebung findet in allen Linzer Krankenhäusern, welche im wechselseitigen Aufnahmezyklus Dienst versehen (Allgemeines Krankenhaus der Stadt Linz AKH, Barmherzige Schwestern Linz BHS, Barmherzige Brüder Linz BHB und im Krankenhaus der Elisabethinen ELIS) an zwei nicht aufeinander folgenden Monate statt. Es wurden der August und der November dieses Jahres ausgewählt. Auf diese beiden Monate wurde nach Gesprächen mit Ärzten zurückgegriffen, da diese den Unterschied zwischen den Aufnahmegewohnheiten in einem Sommermonat und einem Spätherbst/Wintermonat gegenüberstellen und aufzeigen. Im November wird diese Befragung auch noch im Landeskrankenhaus Vöcklabruck durchgeführt, wodurch noch die Möglichkeit entsteht, die Stadt Linz mit dem ländlichen Raum zu vergleichen. Damit kann ebenfalls untersucht werden, ob bei gleicher Diagnosefallgruppe im August, wo aufgrund unterschiedlicher Umstände eine höhere Anzahl an freien Krankenhausbetten zur Verfügung stehen, Patienten großzügiger in den intramuralen Bereich aufgenommen werden als im November. Darüber hinaus wird über eine Zeitspanne von vier Monaten diese Befragung im Kinderkrankenhaus durchgeführt. Dies soll einen etwaigen Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern aufzeigen. In diesen beiden Monaten sind 6911 Fragebögen aus den oben genannten Krankenhäusern und 5670 ausgefüllte Fragebögen von der Akutambulanz des Linzer Kinderkrankenhauses zurückgelaufen, wodurch eine hohe Repräsentativität für die Stadt Linz erreicht wird.

Mit dieser Befragung soll zum einen erforscht werden, ob es einen Unterschied zur Grundgesamtheit jener PatientInnen (soziale Schicht, Milieu, Randgruppen usw.) gibt, die eine Akutambulanz eines Krankenhauses aufsuchen. Zum anderen soll untersucht werden, wie hoch jener Anteil von PatientInnen ist, welche nicht die Notwendigkeit gehabt hätte, eine Akutambulanz eines Krankenhauses aufzusuchen, sondern bei einem niedergelassenen praktischen Arzt oder in einem Gesundheitszentrum, welches einen Interventionsansatz darstellt, ebenso gut versorgt werden hätte können. Die Beschreibung, wie ein solches Gesundheitszentrum personell besetzt und welche diagnostischen Möglichkeiten dort gegeben sein sollen, wird in Kapitel 11 Fazit und Ausblick erläutert.

Ein weiterer Interventionsansatz für eine etwaige Kostenreduktion im Gesundheitswesen setzt sich mit der Problematik einer Patientendatenbank auseinander. Die OÖ Ärztekammer hat dieses Problem bereits erkannt und gründete einen Arbeitskreis, welcher sich mit dem Nahtstellenmanagment zwischen Krankenhaus, niedergelassenem Bereich, mobiler Hilfe und Alten- bzw. Pflegeheime beschäftigt. Der praktische Arzt sollte als Begleiter für die PatientInnen zur Verfügung stehen. Begleiter dahingehend, dass dieser als „Gesundheitsmanager“ für die PatientInnen der erste Ansprechpartner bei einem gesundheitlichen Problem ist, alle gesundheitlichen Informationen seiner PatientInnen sammelt und diese auch für alle ÄrztInnen zur Verfügung stellt. Benötigt würde dafür eine zentrale Datenbank, wo alle Vorerkrankungen, Medikamentenunverträglichkeiten und Allergien, aber auch alle bereits durchgeführten Untersuchungen und Befunde gespeichert werden. Die Verwaltung und Speicherung dieser hochsensiblen Daten sollten nicht auf der Ecard erfolgen, da ein externer, unberechtigter Zugriff sich auf dieser leichter gestaltet als auf einer zentralen Datenbank. Der Zugang zur Datenbank sollte mittels Ecard und Pincode erfolgen, wodurch speziell im Notfall eine schnellere und gezieltere Behandlung durch Notärzte und Krankenhausärzte erfolgen kann. Daher wird durch diese Interventionsmöglichkeit nicht nur der positive Effekt einer Kostenersparnis aufgrund möglicher Doppeluntersuchungen, sondern auch eine schnellere und effizientere Behandlung der PatientInnen im Notfall erreicht.

Um den Effekt des „Moral Hazard“ zu minimieren, wird als weitere Interventionsmöglichkeit ein dreistufiges Krankenversicherungsmodell vorgestellt, welches den Versicherten eine Wahlmöglichkeit eröffnet. Breyer, Zweifel und Kifmann beschreiben zwei Formen der Ausprägung des „Moral Hazard“ im Gesundheitswesen.

„Das Individuum kann durch Krankheitsvorbeugung bzw. durch seinen allgemeinen Lebenswandel die Wahrscheinlichkeit zu erkranken beeinflussen; selbst bei bereits eingetretener Erkrankung muss der damit verbundene finanzielle Verlust (Behandlungskosten) für den Versicherer nicht eindeutig ersichtlich sein, da er die genaue Schwere der Erkrankung nicht beobachten kann. Dadurch hat der Versicherte Freiraum, mehr Gesundheitsleistungen nachzufragen.“3

Hier sprechen die Autoren das Problem an, dass Menschen ihre Gewohnheiten bzw. Verhalten ändern, da sie wissen, dass sie, sollte ein gesundheitliches Problem auftreten, eine adäquate Versorgung bekommen, ohne dafür einen vermehrten finanziellen Einsatz leisten zu müssen (ausgenommen die Selbstbehalte bei manchen Versicherungsanstalten, wobei dieser nur im extramuralen und nicht im intramuralen Versorgungsbereich zu entrichten ist).

Eine Ethikkommission, welche interdisziplinär zusammengestellt sein soll, teilt die einzelnen medizinischen Leistungen, Untersuchungen und Medikamente zu den jeweiligen Stufen in diesem Krankenversicherungsmodell zu, welche in festgelegten Zeitintervallen immer wieder überarbeitet werden, da der medizinische bzw. technische Fortschritt immer wieder eine Adaptierung benötigt. Es wird in dieser Arbeit eine Grundstufe, eine Upgradestufe und eine All Inklusive Stufe vorgestellt. Alle Patienten haben grundsätzlich Zugang zu allen medizinischen Leistungen, Untersuchungen und Medikamente jedoch sind ausgewählte mit Selbstbehalten belegt. Die Berechnung für die Beiträge in der jeweiligen Stufe erfolgt im prozentuellen Ausmaß vom Bruttoeinkommen, ohne wie bisher auf eine Höchstbemessungsgrundlage zurückzugreifen, damit nicht nur Fairness im System, sondern auch eine Klassenmedizin unterbunden werden kann. Es muss aber Durchlässigkeit dahingehend bestehen, dass jede/r PatientIn die Möglichkeit hat in eine höhere Stufe zu wechseln, jedoch mit der Prämisse, dass die aushaftenden Versicherungsbeiträge zur höheren Stufe nachgekauft werden müssen. Natürlich ist auch ein Downgrading möglich. Damit eine etwaige soziale Ungleichheit ausgeschlossen werden kann, sollen Kinder bis zu deren beruflichen Einstieg in der höchstmöglichen Stufe eingegliedert werden. Dieses System soll keinesfalls eine Zugangsbeschränkung für eine medizinische Leistung, Untersuchung oder Medikamente darstellen. Es soll damit ein gesetzlicher Rahmen für ÄrztInnen und eine höhere Eigenverantwortung der PatientInnen erzielt werden.

Um dieses gesamte Feld der Gesundheitsproblematik in Österreich zu erläutern habe ich mich für folgende Vorgehensweise entschieden, sodass diese Arbeit Durchgängigkeit und Nachvollziehbar bleibt, wobei die gezogenen Schlüsse immer wieder auf die Mannigfaltigkeit der sozialen Ungleichheit und Gesundheit zum einen und auf das Effizienz und Verteilungsproblem zum anderen eingehen.

In Kapitel 3 möchte ich vorab auf diese beiden Theorien - „Soziale Ungleichheit und Gesundheit“ und die „Theorie der Sozialversicherung“ mit ihren, für diese Arbeit zwei essentiellen Hauptaspekten, eingehen. Ausgehend von diesen Theorien wird die Forschungsfrage abgeleitet. In den einzelnen Kapiteln werden immer wieder Hypothesen vorgestellt und mit dem Blickwinkel der beiden Theorien und oftmals auch mit Hilfe der empirischen Untersuchung hinterfragt.

Kapitel 4 dient dazu, die angewandten Methoden dieser Arbeit darzulegen, wobei für den methodischen Zugang die beiden Theorien entscheidend waren, da auf dieser Grundlage der Interviewleitfaden und schlussendlich der Fragebogen entwickelt wurde.

Weiters beschäftigt sich Kapitel 5 mit den Definitionen, welche für das Verständnis, aber vor allem für den breiten Zugang zum Gesundheits- bzw. Krankheitsverständnis beitragen sollen. Hier wurde bewusst darauf geachtet, interdisziplinär und geschichtlich vorzugehen, da sich hier doch ein Unterschied in den Definitionen festmachen lässt.

Die Wichtigkeit, dass ein Mensch einer geregelten Erwerbsarbeit nachgeht, wird in Kapitel 6 herausgearbeitet, da durch Erwerbsarbeit ein Status in der Gesellschaft erreicht bzw. durch sie ein Mensch in die soziale Schicht zugeordnet wird. Viele Studien beschäftigen sich ausschließlich damit zu erklären, dass Bildung und Erwerbsarbeit die Eckpfeiler für die Gesundheit sind, ohne darauf zu achten, ob es einen etwaigen Unterschied in der gesundheitlichen Versorgung bzw. in der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen gibt. Diese Lücke soll durch diese Arbeit geschlossen werden.

Genau mit diesen Erkenntnissen, welche in der Literatur aus Bildung und Erwerbsarbeit der Gesundheit immer wieder gegenübergestellt werden, beschäftigt sich das 7 Kapitel Soziale Ungleichheit und Gesundheit. In diesem werden auch zwei Hypothesen vorgestellt, die meiner Meinung nach sehr wichtig sind, da wir uns immer die Frage zu stellen haben, was war zu Beginn.

Kapitel 8 und 9 beschäftigen sich mit der Sozialversicherung bzw. mit der Struktur des Österreichischen Gesundheitswesens. Diese beiden Kapitel sind deswegen für diese Arbeit so wichtig, da sie aufzeigen, dass vor allem durch diese geschichtliche Herausbildung der Sozialversicherung aber auch der Struktur des Föderalismus im Gesundheitssystem - welche für die Vergangenheit wichtig und richtig war - zwar „liebgewonnen“, aber nicht mehr zeitgemäß sind, da mitunter dadurch ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet wurde, dass die Ausgaben und Kosten im Gesundheitswesen überproportional gestiegen sind.

Schlussendlich kann sich nun Kapitel 10 mit der Inanspruchnahme der Gesundheitsleistungen auseinandersetzen, da diese nur aufgrund der augenblicklichen Sozialversicherung und der gegebenen Strukturen so Verhalten. Hier wird auf einen Datensatz von beinahe 7000 Fragebögen zurückgegriffen, wodurch es ermöglicht wird, Schlüsse und respektive Vorschläge zu präsentieren.

Kapitel 11 beschließt mit einem Fazit diese Arbeit und zeigt Lösungsansätze auf, welche es ermöglichen könnten, neue Wege im Gesundheitssystem zu gehen, welche auf der einen Seite die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gewährleisten und auf der anderen Seite das System effizienter und ausgewogener werden lassen.

3 Theorie

Diese Arbeit wird von zwei Theorien geleitet. Zum einen wird die Theorie der „Sozialen Ungleichheit“ einbezogen, und zum anderen wird auf die Theorie der Sozialversicherung zurückgegriffen.

Der Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Gesundheit beschäftigt die Wissenschaft schon über eine lange Zeit. Viele der Determinanten, vor allem Bildung, Einkommen, aber auch der Status in der Gesellschaft wurden weitestgehend erforscht, jedoch soll in dieser Arbeit der Focus auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen gelegt werden.

„Als „Soziale Ungleichheit“ werden gesellschaftliche Vor- und Nachteile von Menschen bezeichnet. Soziale Ungleichheiten bestehen in gesellschaftlichen bedingten, relativ beständigen, asymmetrischen Verteilungen knapper, begehrter „Güter“.“4

Somit stellt sich die Frage, warum eine Zugehörigkeit zu einer unteren sozialen Schicht das Risiko zu erkranken oder früher zu sterben erhöht. Betrachtet man dies mit der Kausationshypothese machen Geldmangel, Unbildung und untergeordneter beruflicher Status krank. Glaubt man der Selektions- oder Drifthypothese, sind Krankheiten dafür verantwortlich, dass Menschen in untere Schichten gelangen bzw. bleiben und ein Aufstieg in höhere Schichten lediglich den gesunden Menschen vorbehalten ist.5 Behrens beschreibt, dass wissenschaftliche Daten aufzeigen, dass die Kausationshypothese größere Einflüsse auf die Gesundheit bzw. Krankheit hat als die Selektions- bzw. Drifthypothese.6

Hradil merkt an, dass kaum jemand erkrankt, weil er bzw. sie lediglich einen Pflichtschulabschluss hat, oder als angelernter Arbeiter arbeitet und somit oftmals nur über wenig Einkommen verfügt. Jedoch sieht man sich mit dem Faktum konfrontiert, dass Männer aus der Unterschicht ca. 1,5 mal und Frauen aus der Unterschicht sogar 3,4 mal so häufig an Angina pectoris leiden als Frauen und Männer aus der Oberschicht. Überproportional häufig treten aber auch chronische Bronchitis, Rückenschmerzen, Schwindel und Depressionen - um nur einige zu nennen - in unteren sozialen Schichten auf.7

Somit stellt sich nun die Frage, welche Faktoren sind nun wirklich ausschlaggebend dafür, dass Menschen aus unteren sozialen Schichten häufiger erkranken und über eine geringere Lebenserwartung verfügen.

Hier soll diese Arbeit einen kleinen Baustein dazu liefern, indem die Inanspruchnahme der medizinischen Leistungen im Rahmen der Patientenbefragung untersucht wird. Die Fragen die hierbei beantwortet werden sollen sind:

- Ist ein Unterschied zur Grundgesamtheit zu erkennen, welche soziale Schicht eine Akutambulanz eines Krankenhauses aufsucht?
- Welche medizinischen Leistungen nehmen diese Personen sonst noch in Anspruch (Hausarzt bzw. Facharzt)?
- Gibt es einen Unterschied bei der Inanspruchnahme von niedergelassenen Fachärzten?
- Sind die Angaben zum subjektiven Gesundheitszustand abhängig vom jeweiligen soziökonomischen Status?
- Werden Patienten, welche aufgrund ihrer Bildung einer höheren sozialen Schicht zugeordnet werden können, bei gleicher Diagnose öfter in den intramuralen Bereich des Krankenhauses überführt?

3.1 Wohlfahrtsstaatliche Theorie - Expansion oder Rückbau

Die Theorie sozioökonomischer Determinanten begreift Staatstätigkeit vorwiegend als eine Reaktion auf die anzutreffenden strukturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Durch ökonomische, soziale und politische Modernisierungsprozesse wurden neue Probleme hervorgerufen, welche den Bedarf an größerer Staatstätigkeit schufen, meinen Vertreter dieser Theorie.8 Die dadurch ausgelöste bedingte Erhöhung an individuellen Risiken und die nicht ausreichende Möglichkeit der sozialen Absicherung des Individuums, erfordert im Interesse der Stabilität ein sozialpolitisches Eingreifen des Staates in dieses System.9

Dies wurde im Jahre 1911 festgestellt, und betrachtet man nun die heutige angespannte Lage im Gesundheitsbereich, steht man abermals vor einem derartigen Problem.

Gleichzeitig wird eine solche staatliche Intervention aber erst durch einen ökonomischen Aufschwung ermöglicht. Eine Politik der sozialen Sicherung ist ein natürlicher Weggefährte des wirtschaftlichen Wachstums und wird durch die Perzeption der politischen Führungsschicht, dem zunehmenden Druck der Bevölkerung und von wohlfahrtsstaatlichen Bürokraten verstärkt.10

Die beiden Autoren Iversen und Cusack betrachten die jüngere Expansion des Wohlfahrtsstaates als funktionale Reaktion auf Deindustrialisierungsprozesse und den dadurch einhergehenden sozialpolitischen Kompensationsbedarf. Oblinger und Tálos geben weiters zu bedenken, dass im Zentrum von konflikttheoretischen Ansätzen politische Auseinandersetzungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Ordnungsformen und Zielvorstellungen stehen. Es gilt hier die klassensoziologische, die elitentheoretische und die parteiendifferenztheoretische Schule zu unterscheiden.11

Betrachtet man die Lehre von den Machtressourcen organisierter gesellschaftlicher Gruppen, erklärt diese die Staatstätigkeit einschließlich der Sozialpolitik vorrangig aus der Machtverteilung zwischen gesellschaftlichen Klassen und Interessensverbänden, und zwar vor allem aus ihrer Staats- Markt- und Verbandsmacht, aber auch aus den Strukturen der Interessensvermittlung.12

Unterschiedliche politische respektive gesundheitliche Strömungen fühlen sich der klassensoziologischen Theorie nach verantwortlich, wenn es um die Ausbildung und Weiterentwicklung des Wohlfahrtsstaates geht. Esping-Andersen beschreibt drei Typen wohlfahrtsstaatlicher Regime; sozialdemokratische, liberale und konservative.13

Der konservative Typ zielt auf statuserhaltende soziale Sicherung ab und ist durch die Dominanz berufsgruppenspezifischer Altersicherungssysteme, verstanden als die Existenz besonderer Alters- und Gesundheitssicherungssysteme charakterisiert. Bedürftigkeit als Anspruchskriterium öffentlich finanzierter Sozialleistungen und ein hoher Anteil an privater Selbstfinanzierung für eine soziale Sicherheit zeichnet für den liberalen Regimetypus verantwortlich. Schlussendlich meinen sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten, welche gemeinhin durch das jeweilige Steueraufkommen finanziert werden, dass die Inklusion der Wohnbevölkerung, welche als umfassend gilt, und der Zugang sowie die Leistungshöhe, völlig getrennt von einer etwaigen Bedürftigkeitsprüfung oder einer Beitragszahlung, bedarfsorientiert sind. Ein Dekommodifizierungsgrad gibt laut Esping-Anderssen Aufschluss darüber, inwieweit sozialstaatliche Leistungen als Rechtsansprüche geleistet werden und inwiefern der Lebensunterhalt bestritten werden kann, ohne dass die eigentliche Arbeitskraft am Arbeitsmarkt angeboten werden muss.14

Die Vorteile der Machtressourcentheorie liegen in der Erklärung unterschiedlicher Strukturen und Leistungsprofile der einzelnen sozialen Wohlfahrtsstaaten, sowie im Vergleich der Sozialpolitik ähnlich reifer Demokratien. Eine Annahme, dass die Interessen und Ziele der jeweiligen Interessensgruppen über die Zeit hinweg konstant bleiben, ist indessen eine zentrale Schwäche dieser Theorie.

3.2 Gesundheitsökonomische Theorie

In allen gesundheitsökonomischen Ansätzen spielt die Ressourcenknappheit mit der daraus entstehenden Allokationsproblematik die zentrale Rolle. Es können Gesundheitssysteme aus dem Blickwinkel der mikroökonomischen aber auch makroökonomsichen Perspektiven betrachtet und verfolgt werden. In aller Regel werden Bereiche der Gesundheitsökonomik und der Gesundheitsökonomie im engeren Sinn nicht gleichgesetzt. Bedient sich die Gesundheitsökonomik vorzugsweise volkswirtschaftlicher Ansätze zu Marktprozessen, insbesondere auch der Mikroökonomie, kann Gesundheitsökonomie im engeren Sinn häufig unter dem Begriff der Kosten-Nutzen-Analyse aber auch der Kosten-Effektivitäts-Analyse verstanden werden.15

Der Focus wird auf Versicherte und Patienten als Konsumenten und Krankenversicherungsträgern und Leistungsanbietern als Produzenten gerichtet. Die theoretische Grundlage für diese Fragen bildet der Rational-Choice-Ansatz.16 Folgt man nun der Unterscheidung der Gesundheitsökonomie in die ökonomische Evaluation von Gesundheitsleistungen und die ökonomische Analyse der Gesundheitssystemen, so sind es diese ökonomischen Ansätze, die der Systemanalyse zuzuordnen sind, welche für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung sind. Funktion, Leistung, Struktur und Organisation bedingen maßgebliche Kriterien wie Leistungsfähigkeit, Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit, für deren Operationalisierung sowie deren Messung ökonomische Methoden notwendig erscheinen.

In dieser Arbeit wird ausschließlich die Nachfrageseite beleuchtet, da die Angebotsseite in Österreich jeder bzw. jedem beinahe uneingeschränkt zugänglich ist.

Breyer und Zweifel bezeichnen „das Individuum als Produzent seiner eigenen Gesundheit“.17 Die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen ist somit nicht nur auf Gesundheit oder Krankheit reduzierbar, sondern es werfen sich vor allem Fragen auf, unter welchen Bedingungen medizinische Leistungen und andere Faktoren zur Produktion von Gesundheit gegenseitig substituiert werden können bzw. komplementär zueinander wirken. Hier haben nicht nur die monetär bewerteten Kosten einer ärztlichen Behandlung großen Einfluss, sondern auch die Zeit des Patienten, die er bzw. sie in die Produktion von Gesundheit investiert.18

Ebenso soll eine mögliche unterschiedliche Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen, bei vergleichbarem Status (Berufsgruppe, Schulbildung) erhoben werden. Schmacke weist auf eine generelle gesundheitliche Benachteiligung von MigrantInnen, aufgrund von Sprachbarrieren hin19, welche nun durch das Abfragen der Nationalität und der Muttersprache am Patientenfragebogen aufgezeigt werden kann.

Darüber hinaus wird auf die Theorie der Sozialversicherung zurückgegriffen, wobei hier vor allem zwei Problematiken aufgezeigt werden sollen.

- Zum einen Effizienz versus Verteilung
- Zum anderen das Problem des „Moral Hazard“.

„Auch in westlichen Industrieländern, die sich ansonsten marktwirtschaftlichen Prinzipien verschrieben haben, können wir bei der Allokation von Gesundheitsgütern, d.h. insbesondere medizinischen Leistungen, erhebliche Abweichungen von diesen Prinzipien feststellen. Anders als etwa bei Kühlschränken wird im allgemeinen weder die Entscheidung, eine medizinische Leistung (z.B. Blinddarm-Operationen) anzubieten oder nachzufragen, von souverän entscheidenden und mit den vollen finanziellen Konsequenzen konfrontierten Individuen bzw. Firmen getroffen, noch werden die resultierenden einzelwirtschaftlichen Pläne durch den Preismechanismus koordiniert.“20

Das heißt unter anderem, dass speziell in Krankenhäuser Reservekapazitäten bzw. Ressourcen vorgehalten werden müssen, da gesundheitliche Probleme von PatientInnen oftmals Dringlichkeit aufweisen. Daher muss bzw. sollte den Krankenhausträgern auch ein monetärer Anreiz dahingehend geboten werden, dass diese eine ausreichende Reservekapazität zur Verfügung stellen und nicht nur nach Bettenauslastung abgegolten werden. Betrachtet man die Nachfragerseite, zeigt sich, dass eine stark ausgeprägte Informationsasymmetrie anzutreffen ist, wodurch es den einzelnen PatientInnen beinahe unmöglich ist, rationale Entscheidungen zu treffen.

3.2.1 Effizienz und gerechte Verteilung

Unter dem Begriff allokativer Effizienz wird gemeinhin das Funktionieren des Marktprozesses verstanden, während unter dem Begriff der distributiven Effizienz das Marktergebnis bezüglich der gesellschaftlichen Zielsetzung beurteilt wird. Aufgabe der Ökonomie ist es, sich mit der Zuteilung knapper Ressourcen auf unterschiedliche Verwendungszwecke auseinanderzusetzen, zu analysieren und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Sach- und Personalressourcen sowie finanzielle Mittel werden zur Vermeidung von Krankheiten, zur Finanzierung von Krankenbehandlung oder zum Ausgleich gesundheitlicher, sozialer oder finanzieller Folgen eingesetzt. Ärztliche Hilfe, die Behandlung in Spitälern, die Ausbezahlung von Krankengeld oder auch die Betreuung von kranken Menschen in den eigenen „vier Wänden“ zählen dazu. Die Verwendung der Ressourcen wird volkswirtschaftlich als Allokation bezeichnet. Da die einer Volkswirtschaft zur Verfügung stehenden Ressourcen auch in anderer Form eingesetzt werden können, wird eine Allokation dann als effizient bezeichnet, wenn mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die Ziele möglichst erreicht werden und, respektive gesehen, die Ziele auch mit dem geringst möglichem Einsatz an Ressourcen erfüllt wurden.21

Technische Effizienz meint die Optimierung des Verhältnisses von Input zu Output, es gilt einen bestimmten Output mit minimalem Ressourceneinsatz zu erreichen, oder bei gegebenem Ressourceneinsatz den Output zu maximieren. Dies unterscheidet zur ökonomischen Effizienz, da hier ein Ergebnis zu minimalen Kosten zu produzieren versucht wird, was einen etwaigen Abtausch von Produktionsfaktoren impliziert. Die effiziente Allokation wird in diesem Kontext auch als pareto-optimal bezeichnet. Diese stellt eine Allokation her, in der kein Patient besser gestellt werden kann, ohne im Gegenzug einen anderen schlechter zu stellen. Allokative Effizienz erhebt daher den Anspruch, dass der Ressourceneinsatz so erfolgt, das der gesellschaftliche Nutzen maximiert wird.22

Die Effizienzkriterien sind im Bezug auf eine der drei Ebenen, welche in Folge erläutert werden, als Möglichkeit der gesundheitspolitischen Steuerung zu betrachten.

Ist zum einen die Makroebene, welche einer staatlichen Steuerung entspricht und auf die Regelung des gesamten Gesundheitssystems anzielt, und zum anderen die Mesoebene, welche der Tätigkeit der Selbstverwaltung gleichkommt, beschreibt schlussendlich die Mikroebene das Verhältnis zwischen den einzelnen Versicherten und dem Leistungserbringer.23

In jeder Ebene ist ein entsprechender Effizienzbegriff einzutreffen. Handelt es sich um ein Optimierungsproblem des Staates, wie die zur Verfügung stehenden Ressourcen auf Bildung, Infrasturktur, Gesundheit oder andere Ressorts effizient verteilt werden können, spricht man in diesem Zusammenhang von Makroeffizienz. Betrachtet man nun den Begriff der Mesoeffizienz, zeigt sich, dass dieser auf die Optimierung der Ressourcenverteilung auf der Mesoebene beschränkt ist, wie beispielsweise die Verteilung der Mittel auf Prävention, extramurale Versorgung oder intramurale Versorgung erfolgen soll. Schlussendlich beschäftigen sich Effizienzfragen der Mikroebene über die Allokation zwischen Leistungserbringer, Versicherungsnehmer und Krankenversicherungsträger. Hier sind Fragen anzutreffen, wie eine optimale Leistungsvergütung niedergelassener ÄrztInnen auszusehen hat, oder ob Leistungen als Sach- oder Geldleistungen erbracht werden sollen.24

Bezüglich der Zielsetzung distributiver Effizienz können die allokativen Effizienzkriterien verschiedener Ebenen jedoch kollidieren, da sich meist keine scharfe Trennlinie zwischen den Ebenen ziehen lässt. Jedoch kann Gerechtigkeit als Gradmesser für die Distribution von Gesundheitsleistungen herangezogen werden. Verteilungsgerechtigkeit bezieht sich nicht nur auf Güter und Leistungen, sondern auch auf Rechte und Pflichten, mit den jeweils dahinter stehenden Ressourcen, Prozessen oder Institutionen, an denen ein gemeinschaftliches Interesse besteht.25

Die Konzepte der Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit begrenzen den weiten Raum der Gerechtigkeitstheorien im Hinblick auf den Themenkomplex Sozialversicherung. Leistungsgerechtigkeit impliziert zum einen die Zahlungsfähigkeit und zum anderen die Zahlungswilligkeit des jeweiligen Individuums zur Befriedigung des Konsums von Gütern und Dienstleistungen. Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ist die Basis des Konzepts der Marktwirtschaft. Darüber hinaus setzt der Begriff der Leistungsgerechtigkeit für den Zugang zu Gesundheitsleistungen Eigenverantwortung voraus und ist zudem von jeglicher Form des Bedarfs entkoppelt. Beim Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit sichert allein der Bedarf die Anspruchsberechtigung. In den letzten Jahren hat sich - vor allem im europäischem Kontext - das Konzept der sozialen Integration bzw. der Verhinderung sozialer Ausgrenzung immer mehr durchgesetzt und kann als Überbegriff für Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen angesehen werden. Um einer Stigmatisierung oder Ausgrenzung von Menschen mit gesundheitlichen Problemen zuvorzukommen, ist nicht nur ein allgemeiner, freier Zugang zu Gesundheitsleistungen zu schaffen, sondern auch dessen Leistbarkeit für alle sicherzustellen.26

Betrachtet man das österreichische Sozialversicherungssystem, ist eine starke Orientierung hin zur Bedarfsgerechtigkeit festzustellen. Trotzdem können beispielsweise die vermehrt eingeführten Selbstbehalte, welche sich auf der Mikroebene befinden, zunehmend als Steuerungsinstrumente aufgefasst werden, wodurch eine Entkoppelung von einer strengen Auffassung des Begriffs der Bedarfsgerechtigkeit interpretiert wird. Oftmals als einzige Rechtfertigung wird von den steuernden Organen der steigende Finanzdruck, sowie individuelles

Missbrauchsverhalten, welches aufgrund des „Vollkaskoprinzips“ der Krankenversicherungen resultiert, angeführt. Festzuhalten gilt, dass die Frage einer distributiven Effizienz nur im Bezug auf eine fixe Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit zu beantworten ist. Die Frage nach der allokativen Effizienz, ist hingegen als das Funktionieren des Marktprozesses eindeutig zu beantworten.

3.2.2 Gesundheitsgüter und allokatives Versagen

Entsprechend zum Begriff der Effizienz, ist auch der Begriff des Marktversagens in die beiden Bereiche allokatives und distributives Marktversagen zu unterteilen. Allokatives Marktversagen meint, dass auf Grund von besonderen Eigenschaften des Guts Gesundheitsleistung bzw. des Gesundheitsmarktes eine effiziente Allokation von Ressourcen über den Markt nicht sichergestellt werden kann, oder im Extremfall Leistungen überhaupt nicht angeboten werden.27

Als Ausgangspunkt für die These des Marktversagens gilt der erste Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie, wonach bei Abwesenheit externer Effekte und öffentlicher Güter jedes Gleichgewicht bei vollkommener Konkurrenz ein Pareto-Optimum darstellt. Vollkommene Konkurrenz setzt voraus, dass Konsumenten und Produzenten ihre Gewinne maximieren, alle Akteure den Marktpreis als gegeben hinnehmen und die resultierenden Pläne miteinander vereinbar sind.28

Der Markt für Gesundheitsgüter beschränkt sich allerdings nicht nur auf Leistungsanbieter und Patienten, sondern umfasst in Wirklichkeit viele andere Bereiche ebenso. Die Krankenversicherungsträger als dritte Akteure am Markt tragen ebenfalls zur Komplexität der Situation bei. Eine Unterteilung der Gesichtspunkte, die aus dem Spezifikum Gesundheitsgut und in dem Bereich Versicherungsmarkt rühren, scheint jedoch sinnvoll.

Eigenschaften von Gesundheitsgütern, die zu allokativem Marktversagen führen, sind externe Effekte, wie der Optionsgutcharakter medizinischer Leistungen, mangelnde Konsumentensouveränität, unvollkommene Information und steigende Skalenerträge. Das Versagen des Krankenversicherungsmarktes ist zum einen auf die Trittbrettfahrerproblematik und zum anderen auf die asymmetrische Information über das Krankheitsrisiko des jeweiligen Individuums zurückzuführen. Eine Analyse der Prozesse, die allokatives Marktversagen begründen, zeigt, dass diese auf der Mikroebene stattfinden. Dabei ist von zentraler Wichtigkeit festzuhalten, dass Gesundheitsgüter keine homogenen Güter sind, das heißt, dass eine effiziente Allokationsform für ein bestimmtes Gesundheitsgut nicht notwendigerweise auch effizient für ein anderes sein muss.29

3.2.2.1 Externe Effekte und der Kollektivcharakter von Gesundheitsgütern

Die klassische Definition besagt, dass eine Externalität eine nicht durch Entgelt ausgeglichene positive oder negative Auswirkung aus der Wirtschaftsaktivität eines oder mehrerer Wirtschaftssubjekte auf ein anderes oder mehrere andere Wirtschaftssubjekte darstellt.30 Vergleicht man nun mit einer paretoeffizienten Allokation, führt ein positiver externer Effekt meist zu einer Unterkonsumation, ein negativer externer Effekt zu einer Überkonsumation des jeweiligen Gutes. Breyer, Zweifel und Kifmann schreiben, dass bei Gesundheitsgütern positive externe Effekte eine höhere Relevanz aufweisen als negative externe Effekte.31

Ein physischer oder technischer externer Effekt liegt vor, wenn der Konsum einer Gesundheitsleistung durch eine Person zu einer Verbesserung der Gesundheit oder zu mehr Zufriedenheit einer anderen Person führt. Zum Beispiel zieht der Geimpfte einen direkten Nutzen aus einer Impfung, da dieser gegen eine infektiöse Krankheit geschützt ist. Überdies haben jedoch auch Personen aus dem direkten Umfeld des Geimpften einen Nutzen, da durch dessen Impfung eine wesentlich geringere Ansteckungsgefahr besteht, ohne dass dabei der Nutzen des Geimpften negativ beeinträchtigt wird. Jedoch ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich eine Person nur dann zu einer Impfung entschließt, wenn für ihn die Kosten einer Impfung nicht höher sind als sein persönlicher Nutzen daraus. Sollten die Kosten den Nutzen übersteigen, wird die Impfung nicht erfolgen. Die Tatsache, dass aus gesellschaftlicher Effizienzperspektive ein Konsum über das jeweilige individuell kalkulierte Ausmaß wünschenswert wäre, spielt im individuellen Entscheidungsverhalten keine Rolle.32

In den Kollektivgutgemeinschaften von Gesundheitsgütern sind physische externe Effekte begründet - dem Nichtausschlussprinzip im Konsum und der Nicht-Rivalität im selben. Es gestaltet sich völlig unabhängig, ob jemand zur Bereitstellung eines Gutes beiträgt oder nicht, denn dieselbe Person kann von der Nutzung nicht ausgeschlossen werden. Darüber hinaus wird der Nutzen des Geimpften ebenso wenig dadurch beeinträchtigt, dass einer nicht geimpften Person der Nutzen durch die Impfung Dritter zu Teil wird, da die Ansteckungsgefahr für nicht geimpfte Personen sinkt.33

Psychologische Externalitäten treten dann auf, sobald Individuen am Wohlergehen anderer Individuen interessiert sind.34

Der Konsum einer Gesundheitsleistung löst somit nicht nur bei einem Konsumenten einen Zugewinn an Nutzen aus, sondern auch bei physisch Unbeteiligten, welche sich an dessen Gesundheitsversorgung erfreuen (Altruismus).

Die Internalisierung externer Effekte kann auf der einen Seite über private Hilfsmaßnahmen erfolgen oder andererseits über ein staatliches Eingreifen. Für den Fall, dass der Staat regulierend eingreift, stehen Geld- oder Sachtransferleistungen als Lösungsmaßnahme zur Auswahl. Überdies sind auch eine Pflichtversicherung oder eine Versicherungspflicht geeignete staatliche Interventionsmaßnahmen, damit dem als Trittbrettfahrerverhalten bezeichneten Phänomens gegengesteuert werden kann. Jener Personenkreis wird als Trittbrettfahrer bezeichnet, welcher sich das Nicht-Ausschlussprinzip von Gesundheitsgütern persönlich zu Nutzen macht. Ausschließlich die Nachfrageseite ist betroffen, wenn allokatives Marktversagen, welches aus den Kollektivguteigenschaften von Gesundheitsgütern heraus resultiert, wodurch ökonomisch keine reine staatliche Bereitstellung gerechtfertigt wird.35

3.2.2.2 Optionalgut medizinische Leistung

Eines der zentralsten Kriterien für jedes Gesundheitssystem ist die Versorgungssicherheit für die Patienten. Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen kann im Allgemeinen nicht exakt geplant werden, hat jedoch im Anlassfall höchste Dringlichkeit und erfordert in der Folge die Bereitstellung von Reservekapazitäten. Schon alleine die Existenz einer solchen etwaigen Versorgung im Anlassfall, stiftet beim potentiellen Patienten - dem Konsumenten der Gesundheitsdienstleistung - bereits Nutzen. Diese Eigenschaft ist in der Literatur als Optionsgutcharakteristikum beschrieben. Um Leistungserbringern den nötigen Anreiz für eine ausreichende Vorhaltung von Reservekapazitäten zu geben, ist es notwendig, dass die Honorierung nicht ausschließlich an die tatsächlich erbrachten Leistungen geknüpft ist. Das Erfordernis einer staatlichen Bereitstellung von Gesundheitsgütern resultiert daraus insofern nicht, als dieser Sicherstellungsauftrag für medizinische Leistungen auch über private Verträge gewährleistet werden könnte.36

3.2.2.3 Konsumentensouveränität

In Bezug auf Gesundheitsgüter kann das Bild des „homo oeconomicus“ nur bedingt angewendet werden.37 Die Präferenzen eines Menschen unterscheiden sich deshalb, da sich dieser auf der Bandbreite vom gesunden bis zum kranken Zustand befinden kann. Vom Zustand der vollkommenen Unfähigkeit zu einer rationalen Entscheidung, über die eingeschränkte Fähigkeit derselben, bis hin zur weitestgehenden Fähigkeit rational entscheiden zu können, reicht das Spektrum an möglichen Bewusstseinszuständen, in welchen der einzelne Patient seine Nachfrageentscheidung zu treffen hat.38 Es ist ebenso davon auszugehen, dass der Bedarf an Gesundheitsgütern mit fortschreitendem Alter des Menschen zunimmt (siehe dazu Abbildungen 19, 22 und 23 sowie Kapitel 10.1 Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und Alter). Die Theorie der Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse besagt, dass Konsumenten immer den gegenwärtigen Konsum höher einschätzen als jenen der in der Zukunft liegt. Aus dieser Fehleinschätzung heraus droht bei einer reinen Marktallokation eine völlige Unterversorgung von Gesundheitsgütern im Alter. Ob es mit einer anderen Allokationsform hinsichtlich dieses Arguments zu einer pareto-besseren Verteilung am Markt kommt, kann grundsätzlich in Frage gestellt werden.39

3.2.2.4 Asymmetrisches Gesundheitswissen

Es kann festgehalten werden, dass der Patient als unvollständig informierter Konsument bezeichnet werden kann. Es fehlt am Markt für Gesundheitsgüter die vollständige Transparenz, wodurch der erste Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie nur eingeschränkt anwendbar ist. Die Informations- und Transaktionskosten für Gesundheitsgüter im Allgemeinen und für medizinische Dienstleistungen im Speziellen sind für den Nachfrager sehr hoch. Primär die Höhe der Informationskosten begründet die Überlegenheit der Anbieter.40

Die vollkommene Information der Produktqualität ist bei Dienstleistungen, bei denen Produktion und Konsum zeitlich zusammenfallen, für den Konsumenten der Dienstleistung unmöglich. Darüber hinaus ist auch eine Preisforderung der Angebote nicht vergleichbar.41

Von Dienstleistungsgütern, welche auch als Vertrauensgüter bezeichnet werden können, unterscheiden sich medizinische Leistungen, diese werden als Expertengüter eingestuft, in drei essentiellen Punkten.42 Erstens ist aufgrund der Dringlichkeit und der Unregelmäßigkeit im Konsum medizinischer Dienstleistungen für den Konsumenten eine objektive Qualitätsbeurteilung absolut unmöglich. Selbst wenn eigene Erfahrungen bereits gemacht wurden, oder wenn Erfahrungen von Vertrauenspersonen mitgeteilt werden, ist, aufgrund der Komplexität jedes einzelnen Falles, auf die jeweilige individuelle Situation nicht ohne weiters übertragbar. Zweitens ist es nicht möglich, die Qualität einer medizinischen Leistung ex ante, nicht einmal ex post zu beurteilen. Drittens führt der Informationsvorsprung des Anbieters dem Nachfrager gegenüber, speziell für den Teil der Diagnose, zu einer Art Marktmacht.43

Für den Fall, dass die Diagnostik und die daraus als erforderlich erachtete medizinische Leistung von ein und derselben Person durchgeführt wird, spricht man von einer angebotsinduzierten Nachfrage. Die Vertragsbeziehungen zwischen Patient und Leistungsanbieter kann in Folge dessen als Principal-Agent-Beziehung bezeichnet werden.44

Skizziert man den Idealfall, sollte der Leistungsanbieter dem Nachfrager als perfekter Sachwalter gegenübertreten. Das Verhältnis ist aufgrund des Informationsvorsprungs des Agenten gegenüber dem Prinzipal gekennzeichnet und entspricht daher einer Vertrauensbeziehung. Nachdem der Patient dem Leistungsanbieter seine Präferenzen kund getan hat, sollte er davon ausgehen können, dass dieser mit seinem Handeln ausschließlich den Nutzen seines Prinzipals und somit des Patienten maximieren will. Probleme, die aus genau diesen Informationsasymmetrien resultieren, sind in ex ante und ex post Klassifikationen zu trennen. Verborgene Eigenschaften sowie latente Absichten stellen Probleme dar, welche vor Vertragsabschluss, d.h. bevor der Leistungsanbieter gewählt wird, existieren. Verborgenes Handeln und verborgene Informationen sind Informationsprobleme, die erst nach Vertragsabschluss relevant werden.45

Dem Problem verborgener Eigenschaften und der damit verbundenen Unsicherheit über die Qualität der angebotenen medizinischen Dienstleistung wird im Gesundheitswesen mit Ausbildungs- und Zulassungskriterien für Leistungsanbieter durch den Gesetzgeber gegengesteuert. Verborgene Absichten des Agenten gegenüber dem Prinzipal, die für denselben ex ante unbekannt sind, für ihn irreversible Kosten verursachen und letztlich auch zu einem unerwünschten Ergebnis für den Prinzipal führen, finden im Gesundheitswesen noch wenig Beachtung.

Der Prinzipal kann mangels seiner Fachkenntnis und Vergleichbarkeit der Qualität die erbrachten medizinischen Leistungen nicht bewerten. Nutzt der Agent den Informationsvorsprung, welchen er gegenüber dem Prinzipal besitzt, zum persönlichen Vorteil, und kommt es für den Prinzipal zu einem suboptimalen Ergebnis, spricht man vom besagten „Moral Hazard“ - der moralischen Versuchung.

3.2.2.5 Steigende Skalenerträge

Treten über einen relevanten Bereich der Nachfrage hinweg fallende Durchschnittskosten und somit steigende Skalenerträge auf, kann von natürlichen Monopolen gesprochen werden. Steigende Skalenerträge führen unweigerlich zu allokativem Marktversagen. Gesundheitsgüter sind keinesfalls homogen und doch kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass bei proportionalem Einsatz an Produktionsmitteln überproportionale Produktionsergebnisse erreicht werden. Aufgrund von hohen Anfangsinvestitionen, wie sie beispielsweise bei Krankenhäusern außerhalb von Ballungsräumen auftreten, oder bei Labortests, kann ein einzelner Anbieter effizient agieren. Das Problem für den Gesundheitsmarkt besteht allerdings weniger in einer möglichen monopolistischen Angebotsstruktur sondern vielmehr darin, dass es zu einer möglichen Unterversorgung in Teilbereichen kommen kann. Der Handlungsspielraum des Gesetzgebers bei natürlichen Monopolen erstreckt sich somit von der Regulierung einzelner regionaler Märkte bis zur Rolle des uneigennützigen Monopolisten. In der Regel ist aber bei Gesundheitsleistungen aufgrund der ausbleibenden Netzwerkeffekte davon auszugehen, dass natürliche Monopole lediglich einen unbedeutenden Stellenwert in Bezug auf das allokative Marktversagen einnehmen.46

Dieses allokative Marktversagen wird im nächsten Unterkapitel behandelt, wobei auch auf die asymmetrische Information am Krankenversicherungsmarkt und auf die Trittbrettfahrerproblematik eingegangen wird.

3.2.3 Allokatives Marktversagen im Krankenversicherungsmarkt

Mit einer für ihn ungewissen Wahrscheinlichkeit besteht für jeden Menschen das Risiko, zu erkranken oder eine Verletzung zu erleiden. Für diese Form der Unsicherheit und den damit verbundenen etwaigen Kosten besteht die Möglichkeit, eine Versicherung abzuschließen, wobei vielen Staaten dieses Risiko durch eine Versicherungspflicht bzw. eine Pflichtversicherung für deren Bevölkerung verteilen und abfedern. Dies führt schlussendlich auch dazu, dass auch der Markt für Krankenversicherungen, gleich ob gesetzliche oder private, von asymmetrischer Information gekennzeichnet ist. Mit dem Unterschied zu persönlichen Dienstleistungen wie der medizinischen, liegt der Informationsvorsprung bei Finanzdienstleistungen nicht beim Anbieter dieser, sondern beim Nachfrager selbst.47

3.2.3.1 Krankenversicherungsmarkt und asymmetrische Information

Asymmetrische Information entsteht für den Krankenversicherungsträger da dieser, als Anbieter der Versicherungsleistungen, nicht vollständig über den gesundheitlichen Zustand des Konsumenten informiert ist bzw. nicht informiert sein kann, da davon ausgegangen werden kann, dass der Versicherungsanbieter weniger über den Risikotyp und vor allem über das zukünftige Verhalten des Versicherten weiß, als der Versicherte selbst. Entsprechend zum Informationsproblem, welches am Markt für Gesundheitsgüter herrscht, gilt es „Moral Hazard“ und „Adverse Selektion“ als Folgen von Marktallokationen unter lückenhafter Information zu unterscheiden. Von „Moral Hazard“ wird gesprochen, wenn, aufgrund des Versicherungsschutzes, der Versicherte sein Verhalten verändert, ohne dass der Versicherer dieses Verhalten beeinflussen bzw. beobachten kann.48

Somit ist das Verhalten der Vertragsparteien in dieser Theorie zentral und nicht der Begriff der Moral, wie es die deutsche Übersetzung „moralisches Risiko“ ausdrückt. Des Weiteren werden die Faktoren, die die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens verändern und jene Faktoren, die die Schadenshöhe beeinflussen, unterschieden. Spricht man vom „ex ante Moral Hazard“ meint man, dass der Krankenversicherungsnehmer auf der einen Seite aufgrund der bestehenden Versicherung präventive Aktivitäten und Maßnahmen, welche zu einer Risikominimierung beitragen würden, unterlässt oder auf der anderen Seite seine Risikobereitschaft z.B. bei der Ausübung von Sport oder Sexualverhalten steigert.49

Eine bestehende Versicherung führt dazu, dass mehr an Leistung, deren Kosten durch den Versicherer gedeckt sind, nachgefragt wird. Aus Sicht der ökonomischen Theorie werden die Versicherten von finanziellen Konsequenzen im Schadensfall entlastet. Dies kann dem Gesetz der Nachfrage und dem individuellen rationalen Handeln zugeordnet werden, wenn Bemühungen zu Schadensverhütung und Schadenseindämmung, welche mit Kosten einhergehen, durch eine Versicherungsleistung substituiert werden.50

Es ist aufgrund des unterschiedlichen Risikoverhaltens und der damit einhergehenden Informationsasymmetrie den Versicherern nicht möglich, jedem Individuum eine Versicherung, bzw. Versicherungsprämie anzubieten, welche äquivalent dem individuellen Risiko entspricht, wodurch ein Mischvertrag für alle angeboten wird. Dies führt dazu, dass es nur für schlechte Risiken individuell rational ist, sich zum gegebenen Marktpreis zu versichern. Schlechte Risiken sind jene Versicherte für einen Versicherungsanbieter, bei denen die zu erwartenden Gesundheitskosten über jenem Betrag liegen, welchen sie als Prämien dem Versicherer zahlen. Von guten Risiken spricht man bei jenen Versicherten, bei denen die zu erwartenden Kosten (erwartete in Anspruch genommenen Versicherungsleistungen) weniger hoch ausfallen als die geleisteten Prämien. Besteht in einem Land nun Versicherungspflicht und wird nicht einer Pflichtversicherung aufgrund einer Berufszugehörigkeit zugeteilt, so wie in Österreich üblich, ist ein Abwandern der guten Risiken zu jenen Konkurrenzunternehmen zu beobachten, welchen es gelingt, vor allem jene zu versichern, die dieser Gruppe zugeordnet werden können. Dies führt schlussendlich unweigerlich dazu, dass sich die Risikostruktur verschiebt und, vor allem ehemalige, etablierte Krankenversicherungsträger in Deutschland, sich gezwungen sehen, eine Prämienanpassung nach oben durchzuführen. Daher kann, so wie auch in Österreich im Augenblick anzutreffen, eine staatliche Pflichtversicherung, welche einen einheitlichen Betrag und somit eine Mischprämie verlangt, eine Pareto-Verbesserung für diese Situation schaffen.51

3.2.3.2 Trittbrettfahrer

Dem Vorstoß gegen das Ausschlussprinzip, welcher aus dem Kollektivgut- sowie den Optionsguteigenschaften von Gesundheitsgütern folgt, macht eine Allokation der medizinischen Leistungen, welche alleine über dem Markt abgewickelt werden, ineffizient. Des Weiteren stellt sich die Frage, welche Form der Bereitstellung nun wirklich am effizientesten wäre. Eine rein öffentliche und durch Steuern finanzierte Bereitstellung hat auch bei einer Einkommensgrenze als Anspruchsberechtigung die Gefahr der Trittbrettfahrerproblematik. Jene Menschen, bei denen sich das Einkommen nur marginal von dieser Bedürftigkeitsgrenze entfernt befindet, würden sich die Kosten im gesunden Zustand sparen und im Anlassfall schnell die Anspruchsberechtigung aufgrund des Unterschreitens der Einkommensgrenze erwerben. Dies lässt sich darauf zurückzuführen, da Krankenversicherungen im Allgemeinen auch Lohnersatzleistungen ausbezahlen. Daher haben nicht versicherte Menschen im kranken bzw. erwerbsunfähigen Zustand ein markant geringeres Erwartungseinkommen als im gesunden Zustand.52 „Eine gesetzliche Zwangsversicherung und/oder Subventionierung der Versicherungsprämien für Bedürftige löst das Trittbrettfahrerproblem und stellt eine effiziente Allokation von Gesundheitsgütern dar. Überdies wird eine ineffiziente Risikoallokation vermieden.“53

Aus dieser theoretischen Grundlage werden nun folgende Forschungsfragen abgeleitet.

- Ist aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht oder Herkunft ein Unterschied in der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bei jenen Personen erkennbar, welche eine Akutambulanz eines Krankenhauses für ihr medizinisches Problem konsultierten?
- Wird das Gesundheitssystem in Österreich überproportional in Anspruch genommen?

[...]


1 Vgl. Hofmacher, M., Rack, H. (2006), S.18

2 Vgl. http://www.ooegesundheitsfonds.at/ dl 03.09.2010 10

3 Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.222

4 Hrdil, S., (2006): S.34

5 Vgl. Heinzel-Gutenbrunner, M., (2001): S.41

6 Vgl. Behrens, J., (2001): 254

7 Vgl. Hradil, S., (2006): S.38f

8 Vgl. Schmidt, M., Ostheim, T., (2007): S.22

9 Vgl. Wagner, A., (1911): S. 732

10 Vgl. Wilensky, H., (1975): S.47f

11 Vgl. Obinger, H., Tálos, E., (2006): S.14

12 Vgl. Schmidt, M., Ostheim, T., (2007): S.22

13 Vgl. Esping-Andersen, E., (2006): S.5

14 Vgl. Esping-Andersen, E., (2006): S.21ff

15 Vgl. Lüngen, M., (2007): S.4

16 Vgl. Wendt, C., (2006): S.274

17 Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.64

18 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.64ff 21

19 Vgl. Schmacke, N., (2002): S.556f

20 Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.173

21 Vgl. Österle, A., (2003): S.179f

22 Vgl. Österle, A., (2003): S.180f

23 Vgl. Barié, H., et.al. (2005): S.104

24 Vgl. Österle, A., (2003): S.181f

25 Vgl. Österle, A., (1999): S.6

26 Vgl. Österle, A., (2003): S.182

27 Vgl. Österle, A., (2003): S.184

28 Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.174

29 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.174f 26

30 Vgl. Pigou, A., (1932): S.183

31 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.175f

32 Vgl. Österle, A., (2003): S.190f

33 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.176f

34 Vgl. Fritsch, M., Wein, T., Ewers, H-J., (1996): S.134

35 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.178ff 28

36 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.179f

37 Vgl. Zweifel, P., Buchholz, (2007): S.197

38 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.180f

39 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.181 29

40 Vgl. Schulenberg, J.M., Greiner, W., (2007): S.106

41 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.181

42 Vgl. Zweifel, P., Buchholz, (2007): S.196

43 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.182

44 Vgl. Hajen, L., Paetow, H., Schumacher, H., (2006): S.64 30

45 Vgl. Akerlof, G.A., (1970): S.492

46 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.155

47 Vgl. Zweifel, P., Eisen, R., (2003): S.293f

48 Vgl. Schulenburg, J.M., Greiner, W., (2007): S.47

49 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.222

50 Vgl. Zweifel, P., Eisen, R., (2003): S.296

51 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.187

52 Vgl. Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.185f

53 Breyer, F., Zweifel, P., Kifmann, M., (2005): S.185

Fin de l'extrait de 169 pages

Résumé des informations

Titre
Gesundheit und soziale Schicht: Österreichs Gesundheitswesen als Problemfall
Auteur
Année
2011
Pages
169
N° de catalogue
V194969
ISBN (ebook)
9783656203476
ISBN (Livre)
9783656204275
Taille d'un fichier
3984 KB
Langue
allemand
Mots clés
Gesundheit, Ökonomie, Gesundheitsmanagement, Gesundheitsökonomie
Citation du texte
MMag. MA, MBA Leonhard Heinzl (Auteur), 2011, Gesundheit und soziale Schicht: Österreichs Gesundheitswesen als Problemfall, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194969

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