Belastung und Beanspruchung im Alltag von Lehrkräften

Vergleich zwischen Halbtags- und gebundener Ganztagsschule


Examination Thesis, 2010

65 Pages, Grade: 1,8


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Ausgangspunkt und Ziel der Untersuchung
1.2 Struktur der Untersuchung

2. Anforderungen und Erwartungen an den Lehrerberuf
2.1 Grundlegende Anforderungen im Lehrberuf
2.2 Äußere Anforderungen und Erwartungen an die Lehrkraft
2.2.1 Die Erwartungen der Gesellschaft an die Lehrkraft
2.2.2 Die Erwartungen der Schüler an die Lehrkraft
2.2.3 Die Erwartungen der Eltern an die Lehrkraft
2.2.4 Die Erwartungen der Kollegen und Schulleitung an die Lehrkraft

3. Belastungen und Beanspruchungen in der Berufstätigkeit von Lehrkräften
3.1 Zur Begrifflichkeit
3.2 Konkrete Belastungen im Lehrberuf
3.2.1 Belastungskomponenten auf der Systemebene
3.2.2 Belastungskomponenten auf der Organisationsebene
3.2.3 Belastungskomponenten auf der Individuumsebene
3.3 Nähere Bestimmung von Beanspruchungen im Lehrberuf
3.3.1 Kurzfristige, aktuelle Beanspruchungsreaktionen
3.3.2 Mittel- bis langfristige, chronische Beanspruchungsfolgen

4. Die Lehrtätigkeit an Halbtagsschulen und gebundenen Ganztagsschulen im Vergleich
4.1 Darstellung des Schulalltags von Lehrkräften an Halbtagsschulen
4.2 Zur Abgrenzung der Begriffe Ganztagsschulen in „gebundener Konzeption“ und „offener Konzeption“
4.3 Darstellung des Schulalltags von Lehrkräften an gebundenen Ganztagsschulen
4.4 Vergleich zwischen dem Lehreralltag an Halbtags- und gebundenen

5. Auswertung der empirischen Untersuchung
5.1 Fragestellung
5.2 Durchführung der empirischen Untersuchung
5.3 Auswertung der Lehrerinterviews
5.4 Ergebnisse der empirischen Untersuchung

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Ausgangspunkt und Ziel der Untersuchung

Die Zunahme an beruflichen Belastungen im Lehrberuf, mit denen Lehrerinnen und Lehrer innerhalb ihrer Tätigkeit in der Schule täglich konfrontiert werden, scheint stetig zuzunehmen. Nicht selten scheitert das Bemühen der Lehrkräfte um eine optimale Erfüllung der an sie gestelltenberuflichen Anforderungen und dienstlichen Verpflichtungen trotz Anstrengung und größtem Engagement. In Konsequenz dessen ergibt sich eine messbare Zunahme von Frustration, Berufsunzufriedenheit, bis hin zu völliger Resignation und Burnout-Phänomenen.[1] In Deutschland erreichen beispielsweise lautjüngeren Schätzungen, nur noch rund 20-25% aller Lehrkräfte das Pensionsalter. Ein großer Teil der Lehrkräfte quittiert den Schuldienst bereits frühzeitig aus meist gesundheitlichen Gründen.[2] Der Lehrberuf zählt damitzu den am meisten belastenden und gesundheitsgefährdenden Berufskategorien.[3]

Die Rahmenbedingungen für Bildung, Unterricht und Erziehung sind innerhalb deutscher Schulen oftmals weder für Schülerinnen und Schüler noch für deren Lehrkräfte förderlich. Damit werden große Schulklassen von bis zu 32 Schülerinnen und Schülern sowie die Reduzierung finanzieller- wie materieller Ressourcen der Schulen nicht selten für beide Parteien zum Problem. Aufgrund der institutionellen Rahmenbedingungen ist es für Lehrerinnen und Lehrer oft kein leichtes Unterfangen, Erziehungsschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten oder Entwicklungsstörungen der Kinder und Jugendlichen, neben dem zu erfüllenden Bildungsauftrag, aufzufangen und auszugleichen. Die Lehrerschaftwie auch die Institution Schule sind daher seit geraumer Zeit sehr stark in die Kritik der Eltern und der Öffentlichkeit geraten. Dabei hat das gesellschaftliche Ansehen des Lehrberufs erheblich gelitten.[4]

Durch die Veröffentlichung vonErhebungsdaten und Ergebnisdarstellungen internationaler schulischer Vergleichsstudien wie PISA ist das Schulsystem der Bundesrepublik Deutschland zunehmend ins Visier der Kritiker geraten. Innerhalb unserer Gesellschaft hat sich die Stellung der Frau durch Erwerbstätigkeit und dem damitverbundenen Wunsch nach Vereinbarkeit der Kindererziehung mit ihrem Berufmaßgeblich verändert.[5] Durch Berufstätigkeit beider Elternteile, berufsrückkehrwillige Mütter sowie Einelternfamilien und Familien mit Trennungs- oder Scheidungsproblematik wird für Kinder und Jugendliche eine verlässliche Lern- und Lebenswelt erforderlich. Daneben bestehen bei vielen Schülern Erziehungsdefizite, die durch Aggressivität, Rücksichtslosigkeit oder andere Anzeichen, aber auch durch Schulverweigerung oder Schulverdrossenheit zum Ausdruck kommen. Schon lange ist innerhalb der Institution Schule deutlich geworden, dass Schule mehr als nur Unterricht ist undda neben dem Schulversagen, innerhalb der Schulleistung bei vielen Schülern zudem offensichtliche Defizite vorhanden sind und zeitgleich der Anspruch besteht, allen Schülern eine optimale Erziehung und Bildung zu ermöglichen, sind ganztägige Betreuungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche dringend erforderlich geworden.[6]

Die eingeforderten Innovations- und Reformprozesse innerhalb der Diskussion zur Veränderung der Schule in der BRD schließen immer häufiger unterschiedliche Formen der ganztägigen Erziehung mit ein. Dadurch nehmen die schulischen Ganztagsangebote innerhalb der deutschen Bundesländer ständig zu. Nicht zuletzt durch die von 2003 bis 2007 anhaltende Milliardenförderung des Bundes im Rahmen des Investitionsprogramms„Zukunft, Bildung und Betreuung“ wurde der Ausbau von Ganztagsschulen innerhalb von Deutschland enorm beschleunigt.[7]

Angesichts der beschriebenen Sachlage wird zunehmend deutlich, dass die Zukunft unseres Schulwesens wohl im Ganztagsschulsystem liegen wird. In der vorliegenden wissenschaftlichen Hausarbeit soll nun untersucht werden, welche Belastungen und daraus resultierenden Beanspruchungen der Lehrberuf grundsätzlich mit sich bringen kann. Dabei sollenUnterschiedezwischen dem Lehrberuf an der gebundenen Ganztagsschule und dem an der Halbtagsschule kontrastiert werden. Darüber hinaus ist es Ziel der vorliegenden wissenschaftlichen Hausarbeit zu klären, ob Lehrkräfte an der gebundenen Ganztagsschule weniger Belastungen ausgesetzt sind als Lehrerinnen und Lehrer, die an Halbtagsschulen beschäftigt sind.Die im Rahmen der vorliegenden wissenschaftlichen Hausarbeit durchgeführte Studie zum Arbeitsalltag von Lehrerinnen und Lehrern an der gebundenen Ganztagsschule soll vor allem die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte in den Blickwinkel nehmen, da sich aus diesen auf Dauer Beanspruchungen ergeben können.

1.2 Struktur der Untersuchung

Um die genannte Forschungsfrage beantworten zu können, wird im ersten Kapitel der vorliegenden wissenschaftlichen Hausarbeit verdeutlicht, welchen äußerlichen Anforderungen und Erwartungen die Lehrerschaft während ihres Berufsalltags ausgesetzt ist. Damit ist in einem ersten Untersuchungsschritt zu klären, was innerhalb der Gesellschaft, wie von Seiten der Eltern und Schüler,aber auch von den Kollegen und Vorgesetzten, generell von Lehrkräftenerwartet wird. Kapitel zwei nimmt sich in einem weiteren Untersuchungsschritt die Begriffsklärung von „Belastungen und Beanspruchungen“ vor. Ferner sollen konkrete Belastungen innerhalb des Lehrberufs in den Blick genommen und dargelegt werden. Anschließend werdenin Kapitel vier Beanspruchungen, die bei Lehrerinnen und Lehrern durch Belastungen in Erscheinung treten können, näher bestimmt.Dies soll späterim fünften Kapitel durch eine empirische Datenerhebung in Form von Interviews mit Lehrkräften, die an einer gebundenen Ganztagsschule tätig sind, gestützt und weiter vertieft werden, sodass schlussendlich geklärt und bewertet werden kann, welche Auswirkungen auf die Belastungsintensität des Lehrberufs die Tätigkeit an gebundenen Ganztagsschulen mit sich bringt.

2. Anforderungen und Erwartungen an den Lehrberuf

2.1 Grundlegende Anforderungen im Lehrberuf

Durch die gesellschaftliche und individuelle Verantwortung die Lehrkräfte für ihre Schülerinnen und Schülerzu tragen haben, unterscheidet sich ihre berufliche Tätigkeit maßgeblich von anderen Berufen. Auf die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrernbeziehen sich Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche bezüglich der Zukunft der heranwachsenden Generationen einer Gesellschaft. Die Lehrkraft ist damit nicht nur für das Unterrichten der Schülerinnen und Schüler, sondern auch für deren Erziehung und Bildung mit verantwortlich.[8] Schmitt versteht Lehrerinnen und Lehrer darüber hinaus als „Sozialisationsagenten“, weil diese in ihrem Beruf gesellschaftliche Normen, Einstellungen und Werthaltungen vermittelt, die für das gesellschaftliche Handeln der Schülerinnen und Schülern von großer Bedeutung sein können. Gleichzeitig kommt der Lehrkraft auch eine Selektionsfunktion zu, denn sie trifft durch Notengebung, Beratung und Empfehlung sowie durch Motivation der Schülerinnen und Schüler Entscheidungen, diederen zukünftige berufliche Karriere und damit einhergehend auch deren gesellschaftlichen Status maßgeblichbeeinflussen.[9] Damit tragenLehrkräfte auch eine große Verantwortung, denn sie teilen gesellschaftliche Aufstiegschancen zu, oder verwehrendiese.[10]

In ihren Unterrichtsfächern und den zugehörigen Wissenschaften sind Lehrkräfte Fachleute und können daher kompetente Entscheidungen in Bezug auf die Planung und Organisation ihres Unterrichts treffen. Bei der Unterrichtsgestaltung müssen Lehrerinnen und Lehrerihre Entscheidungen nach dem Lehrplan ausrichten und begründen. Da ihnen beim Unterrichten auch eine Erzieherrolle zukommt, die sich unter anderem dadurch äußert, dass sie bei der Planung des Unterrichts auf die Schülerinnen und Schüler eingehen und ihre Maßnahmen auf diese ausrichten, erkennt die Lehrkraft die individuellen Persönlichkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler an und berücksichtigt diese innerhalb des Unterrichts. Die wichtigste Bedingung für gelungenen Unterricht schaffen Lehrkräfte dabei laut Schmittdurch ein gutes Verhältnis zu ihren Schülerinnen und Schülern.[11]

Während des Unterrichts muss die Lehrkraft über Stunden hinweg konzentriert sein und sie steht unter ständiger Reizüberflutung. Trotz vieler Störgeräusche innerhalb des Klassenzimmers, welche nicht selten durch aus einem Miteinander von bis zu 32 Schülerinnen und Schülern resultieren, müssen Lehrerinnen und Lehrer tausende schnelle Wahrnehmungen innerhalb des Unterrichts verarbeiten, um jederzeit einen professionellen Überblick zu bewahren und das Gesamtgeschehen zu navigieren. Besser-Scholz vergleicht die Anforderungen an den Lehrberuf aufgrund dieser Gegebenheiten während des Unterrichts mit denen des Fluglotsen, wobei sie einräumt, dass Fluglotsen aufgrund der besonderen Beanspruchung im Beruf bereits im Alter von 55 Jahren pensioniert werden.[12] Auch Saarschmidt zählt den Beruf der Lehrerinnen und Lehrer zu den anstrengendsten Berufen überhaupt, da Lehrkräfte während der Ausübung, ähnlich wie Pflegekräfte, Polizisten oder Ärzte starken psychosozialen Beanspruchungen ausgesetzt sind.[13]

Dem Lehrberuf haftet bis heute ein Negativ-Image mit langer Tradition an. Dieses nahm seinen Anfang wohl innerhalb einer Zeit, in der man Lehrkräfteals weltfremde, pedantische, despotische, schwächliche, prügelnde und mit Ticks behaftete Pauker verstand.[14] Auch wenn dieses eher klassische Bild der Lehrkraft als strengen Erzieher mittlerweilelängst überholt ist, weil esvermutlich aus der Zeit stammt, innerhalb der die Prügelstrafe in Schulen noch Anwendung fand, bestehen innerhalb unserer Gesellschaft gegenwärtig immer noch viele Vorurteile in Bezug auf den Lehrberuf. Eines hängt wohl auch damit zusammen, dass die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern im Prinzip auf zwei Arbeitsplätze verteilt ist. Neben demArbeitsplatz in der Schule, an dem die Lehrkraft in der Regel vormittags tätig ist, findet ein großer Teil der Arbeitszeit von Lehrinnen und Lehrern zu Hause statt.Dort müssen in erster Linie die Vor- und Nachbereitungen für den Unterricht getroffen werden. Für die Öffentlichkeit mag es dann so erscheinen, als hätten Lehrkräfte viel Freizeit und sie würden insgesamt wenig arbeiten und dabei noch ein hohes Gehalt beziehen.[15] Die Gesellschaft bekommt ja in der Regel nicht mit, was Lehrerinnen und Lehrer neben ihrer Arbeit innerhalb der Schule noch an weiteren vorbereitenden, nachbereitenden und organisatorischen Tätigkeiten zu Hause leisten. Dieses eben erläuterte Klischee ist wohl nur eine von vielen, dem Lehrberuf seit langemanhaftendenKolportagen.

2.2 Äußere Anforderungen und Erwartungen an die Lehrkraft

Der Lehrberuf stellt in seiner Vielfältigkeit komplexe Ansprüche an Lehrerinnen und Lehrer, die sie innerhalb der Institution Schule und darüber hinaus in der Öffentlichkeit bewältigen müssen.[16] Auch wenn es den Anschein haben mag, die Schule diene Schülerinnen und Schülern in erster Linie zur Vermittlung von Wissen, so handeln die Lehrkräfte keinesfalls ausschließlich als Vermittler von Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern tradieren darüber hinaus ebenso gesellschaftliche und moralische Werte und Normen an die Schülerinnen und Schüler. Die öffentliche Schule als staatlich unterstützte Lern- und Bildungseinrichtung gibt moralische, politische, gesellschaftliche und religiöse Vorstellungen weiter, welche sowohl den ideologischen Strukturen als auch sozioökonomischen Grundlagen der jeweiligen Gesellschaft entsprechen. Zudem hat jede Lehrkraft ihre eigenen Ziele und Vorstellungen bezüglich der ihr auferlegten Aufgaben und den von der Öffentlichkeit an sie gerichteten Erwartungen.[17] Die Lehrkraft steht in ihrem Beruf darüber hinaus in enger Beziehung zu sozialen Gruppen, die das Verhalten von Lehrerinnen und Lehrern durch ihre Erwartungen maßgeblich beeinträchtigen.

Im Folgenden soll nun auf diese Bezugsgruppen des Lehrerberufs näher eingegangen werden und deren Verhaltenserwartungen und Anforderungen an Lehrkräfte erläutert werden.

2.2.1 Die Erwartungen der Gesellschaft an die Lehrkraft

Da Lehrerinnen und Lehrer in der Öffentlichkeit durch ihreBeamtenrolle als Repräsentanten des Staates fungieren, sind sie dementsprechend innerhalb der Gesellschaft bestimmten Verhaltenserwartungen ausgesetzt.Die Gesellschaft erwartet von Lehrkräften sowohl ein Einhalten der Sittenregelnals auch ein zurückhaltendes Verhalten in ihrem öffentlichen Auftreten.[18] Für Lehrerinnen und Lehrer gelten nämlich über die Strafgesetze hinaus auch die Beamten- und Verwaltungsgesetze. Dadurch werden sie zum Träger spezifischer Pflichten, wasihr Verhalten außerhalb des Dienstes undin der Schule anbelangt.Das Verhalten der Lehrkraft in der Öffentlichkeit muss sowohl während der Arbeitszeit als auch in der Freizeit der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes entsprechen, denn Lehrkräfte sind als Staatsbeamte zum Schutze dieser verpflichtet.[19] Auchwird in Bezug auf die akademische Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern erwartet, dass sie sich so verhalten, dass das Sozialprestige der Akademikerschaft nicht in Misskredit gelangt.[20]

Die Stellung des Lehrberufs innerhalb der Gesellschaft bringt zuweilen einige Schwierigkeiten mit sich. Die Wahrnehmung von Lehrerinnen und Lehrern bedient in der Öffentlichkeit einige hartnäckige Klischees. Dies bestätigen auch Rothland/Terhart, wenn sie aufgrund der Selbstorganisation eines Teils der Arbeitszeit bei Lehrkräften von einer gesellschaftlichen Wahrnehmung der Lehrerinnen und Lehrer als "Halbtagsjobber" sprechen. Demnach besteht in der Öffentlichkeit das gängige Urteil, dass Lehrkräfte ausschließlich am Vormittag arbeiten und nachmittags frei haben. Zudem werden Fachkompetenz und Expertenstatus der Lehrkräfte oftmals wenig anerkannt, da Tätigkeiten wie Erziehen und Unterrichten offenbar als Fähigkeiten eingestuft werden, über die im Grunde jeder in gewisser Weise verfügt.[21] Außerdem wagt sich jeder über den Lehrberuf zu urteilen, da für gewöhnlich jeder im Laufe der Kindheit oder Jugend eine Schule besucht hat und damit auch ein Urteil über Lehrkräfte ausgebildet hat.

Die Gesellschaftnimmt Lehrerinnen und Lehrer als Verteiler von Sozialchancen wahr, die durch Unterrichtung und die damit einhergehende Beurteilung, Erziehung, Förderung, Motivaton und Beratung der Schülerinnen und Schüler deren künftigen Lebensweg mitbestimmen.[22] Daher kommt ihnen innerhalb der Öffentlichkeit eine machtvolle Stellung zu.Kramp sieht den Beruf des Lehrers daher als soziale Rolle, welche sich aus den Erwartungen der Gesellschaft in Bezug auf Aussehen, Charakter und Verhalten der Lehrkraftzusammensetzt.[23] Von diesen gesellschaftlichen Erwartungenwird das Handeln und Verhalten der Lehrerinnen und Lehrer gesteuert, denn als Inhaber ihrer Positionund den damit verbundenen Rollenvorschriften üben sie eine soziale Kontrolle aus. Diese wird durch die Einhaltung der von der Gesellschaft an die Lehrkräfte gestellten Erwartungen reguliert. Die soziale Kontrolle ist nämlich mit gewissen Sanktionen verbunden, mit denen ein rollenkonformes Verhalten mehr oder weniger erzwungen wird. Schließlich wird die gesellschaftliche Anerkennung oder Ablehnung der Lehrkraft von ihr beeinflusst.[24]

2.2.2 Die Erwartungen der Schüler an die Lehrkraft

Die Lehrkraft spielt für Schülerinnen und Schüler eine Rolle als Fachkraft und Wissende auf ihrem Gebiet, die ihnen im Idealfall als Berater, Helfer und Vorbild im Unterricht zur Seite steht, sie berät, erzieht, anleitet, führt und ihnen auf dem Weg in das Berufsleben eine gewisse Orientierung geben soll.[25] Die Erwartungen, die Schülerinnen und Schülerdabei an ihre Lehrer haben, sind sowohl vom Geschlecht der Schülerinnen und Schülerals auch von ihrem Lebensalter abhängig. Jüngere Schülerinnen und Schüler tendieren dazu,die Lehrkraft vorrangig nach Äußerlichkeiten zu beurteilen. So legen Grundschüler bei der Beurteilung ihrer Lehrerinnen und Lehrer beispielsweise Wert auf die Menge der von ihnen erteilten Hausaufgaben oderauf das Erzählen von schönen Geschichten. Elf- bis dreizehnjährige Schülerinnen und Schülererwarten vor allem Sportlichkeit und eine gepflegte äußere Erscheinung, verlangen allerdings zudemnachausgleichender Gerechtigkeit der Lehrkraft.[26] Rothland/Terhart bringen diese Erwartung folgendermaßen auf den Punkt: „ Lehrerinnen und Lehrer sind dazu verpflichtet, alle Schüler gleich zu behandeln, also gerecht und gleichmäßig zu fördern und nach einheitlichen allein schulleistungsbezogenen Maßstäben zu beurteilen “.[27]

Schülerinnen und Schüler im Alter von vierzehn bis sechszehn Jahren stimmen mit den Erwartungen der elf- bis dreizehnjährigen zwar zum Teil noch überein, fordern allerdings vorrangig eine verständnisvolle und gütige Lehrkraft mit ausgeprägtem menschlichem Verständnis. Vor diesem Hintergrund erwarten Jungen in erster Linie in Form eines kameradschaftlichen Umgangs der Lehrperson mit den Schülerinnen und Schülern, während sich Mädchen in Bezug auf das menschliche Verständnis eine Empathiefähigkeitder Lehrerinnen und Lehrerwünschen. Allerdings soll die Lehrkraft die Privatsphäre der Schülerinnen und Schüler dabei respektieren und sich nicht in deren private Angelegenheiten einmischen.[28]

2.2.3 Die Erwartungen der Eltern an die Lehrkraft

Die Eltern sind laut Kramp ein „äußerst empfindlicher Partner“[29]. Die Elternschaft erwartet von der Lehrkraft die Unterrichtung, Erziehung und individuelle Förderung ihrer Kinder. Fremdling geht in ihrer These sogar so weit zu behaupten, dass Eltern grundsätzlich eine Sonderbehandlung ihres Kindes von Lehrerinnen und Lehrern erwarten. Sie geht noch weiter, indem sie schreibt, dass die Eltern die Lehrkraft sogar verpflichten, für ihr eigenes Kind nur das Allerbeste zu tun. Was sie mit der Forderung und dem Wunsch der Eltern begründet, dass es dem eigenen Kind immer um einiges besser ergehen soll, als es möglicherweise den Eltern ergangen ist.[30] Man sollte bei den Erwartungen der Eltern an die Lehrerinnen und Lehrerallerdingsgrundsätzlichdifferenzieren und nicht über einen Kamm scheren. Kramp triffteine Unterscheidung zwischen drei verschiedenen Elterntypen, die in ihren Erwartungen an Lehrkräfte voneinander abweichen. Dabei wird zwischen Angehörigen der oberen Mittelschicht, denen großes pädagogisches Selbstbewusstsein zugeschrieben wird, derer der Mittelschicht mit mittelmäßigem pädagogischem Selbstbewusstsein und derer der Unterschichten mit eher schwachem pädagogischen Selbstbewusstseinunterschieden.[31] Die spezifischen Erwartungen der Eltern werden auch von Combebestätigt. Dieser erläutert ebenfalls eine idealtypische Differenzierung der Elternschaft. Der Elterntypus des gehobenen Mittelstands wird als pädagogisch-selbstbewusst beschrieben. Dessen Wunsch nach Schul- und Unterrichtserfolg der Kinder dominiert ihr schulisches Engagement und ihre Anpassungsbereitschaft. Sie haben in der Regel zweierlei Erwartungen an Lehrerinnen und Lehrer. Einerseits sollen diese als Gutachter des Lernerfolgs ihrer Kinder fungieren, indem sie die Schüler beurteilen und bewertenund somit den weiteren Schulweg sowie den Aufstieg in weiterführende Schulen, bis hin zur sozialen Platzierung, ebnen.Ferner wünschen die Eltern, regelmäßig über den Leistungsstand ihrer Kinder informiert zu werden. Dies beinhaltet sowohl kompetente Auskünfte über den Stand ihrer Kinder innerhalb der Klasse als auch gezielte Tipps für Nachhilfe und Förderung der Leistung.[32] Kramp führt dies noch weiter aus und bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Eltern künftiger und derzeitiger Gymnasiasten, die vorwiegend der gehobenen Mittelschicht angehören und ein dementsprechend ausgeprägtes Selbstbewusstsein haben, erwarten vom Lehrer, dass er sich ausschließlich um den Schulerfolg, nicht aber um das soziale und persönliche Schicksal ihrer Kinder kümmere, sofern er das tut, sind ihm Zustimmung und Mitarbeit des Elternhauses sicher(…) “[33].

Während der Grundschulzeit der Kinderhegen noch alle Elterntypen fast ausschließlich den Wunschnach dem Schulerfolg ihrer Kinder. Dieserist durch die Hoffnung, dass ihre Kinder nach der vierten Klasse den Übergang an eine weiterführende Schule schaffen, charakterisiert. Dahingegengeben Eltern der Hauptschüler, die in manchen Fällen größtenteils den sozialen Unterschichten entstammen und meist nur geringfügig pädagogisches Selbstbewusstsein ausbilden, diesen Wunsch auf, nachdem feststeht, dass ihr Kind auf eine Hauptschule gehen wird. Ihre Erwartung an die Lehrkräfte der Hauptschule,in umfassender Weise auch erzieherisch tätig zu werden, besteht aufgrund ihres mangelnden pädagogischen Selbstbewusstseins. Es ist für sie oft schwierig, in Konfliktsituationen ihre Interessen gegenüber dem Nachwuchs zielgerichtet durchzusetzen.[34] Die übrigen Elterngruppensehen die Lehrkraftüberwiegend als Vermittler von Sachkenntnissen und stufen daher die Charaktererziehung und Persönlichkeitsentwicklung als eine von der Lehrkraft zu respektierende Domäne des Elternhauses ein.[35]

2.2.4 Die Erwartungen desKollegiums und der Schulleitung an die Lehrkraft

Durch die Rolle des Arbeitskollegen wird die Lehrkraft ebenfalls zum Erwartungsträger. Die Kolleginnen und Kollegen sehen sie als Interessenten, Freund, Mithelfer und Berater oder Mitstreiter von dem sie Anteilnahme, Unterstützung, Solidarität, aber auch Entlastung und Hilfe erwarten.[36]

Die Vorgesetzten erwarten von der Lehrkraft in erster Linie ihren Beitrag zum reibungslosen Ablauf des Schulalltags. Dadurch dass die Lehrerinnen und Lehrer das Schulgeschehen mit kontrollieren, verwalten und organisieren,entlasten sie die Arbeit der Schulleitung. Darüber hinaus sollen die Lehrkräfte das Image der Schule pflegen, indem sie Öffentlichkeitsarbeit leisten. Sie sollen der Schule aber auch helfen, sich weiter zu entwickeln, und einige freiwillige Arbeiten verrichten (z.B. Projektleitungen, Protokollführung oder Ausgestaltung von Betriebsausflügen).[37]

Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass das Kollegium von der einzelnen Lehrkraft eine Einhaltung der allgemeingültigen Spielregeln des Umgangsstils, einen durchschnittlichen Kraft- und Zeitaufwand für die Berufsarbeit aber auch ein gewisses Maß an gegenseitiger Hilfe erwartet. Sofern die Lehrerinnen und Lehrer den Kollegen keine wie auch immer gearteten, unnötigen Aufregungen verschaffen und der Schulleitung keine zusätzlichen Mühen bereiten, könnendiean die Lehrkraft gestellten Anforderungen und Erwartungen relativ einfach erfüllt werden, denn sie wird innerhalb ihres Arbeitsplatzes, im Vergleich zu anderen Beamten wesentlich weniger beobachtet und kontrolliert, da dieLehrkraft ihre Arbeit weitestgehend alleine verrichtet.[38]

[...]


[1] Vgl. Spanhel, Dieter; Hüber, Heinz-Georg: Lehrersein heute . Berufliche Belastungen und Wege zu deren Bewältigung. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1995. S.48.

[2] Vgl. Besser-Scholz, Birgit: Burnout – Gefahr im Lehrerberuf. Vandenhoeck& Ruprecht, Göttingen 2007. S.7.

[3] Vgl. Kramis-Aebischer, Kathrin: Stress, Belastungen und Belastungsverarbeitung im Lehrerberuf. Paul Haupt, Bern, Stuttgart, Wien 1996. S. 96f.

[4] Vgl. Spanhel, Dieter; Hüber; Heinz Georg: Lehrersein heute . Berufliche Belastungen und Wege zu deren Bewältigung. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1995. S.49.

[5] Vgl. Prüß, Franz; Kortas Susanne; Schöpa Matthias (Hrsg.): Die Ganztagsschule: Von der Theorie zur Praxis. Anforderungen und Perspektiven für Erziehungswissenschaft und Schulentwicklung. Juventa, Weinheim und München 2009. S. 15 ff.

[6] Vgl. Appel, Stefan: Erfahrungen aus der Schulentwicklung. Betrachtungen aus Sicht der Praxis. In: Prüß, Franz; Kortas Susanne; Schöpa Matthias (Hrsg.): Die Ganztagsschule: Von der Theorie zur Praxis. Anforderungen und Perspektiven für Erziehungswissenschaft und Schulentwicklung. Juventa, Weinheim und München 2009. S.60 f.

[7] Vgl. Appel, Stefan; Rutz, Georg: Handbuch Ganztagsschule. Praxis, Konzepte, Handreichungen. Wochenschauverlag, Schwalbach 2009. S. 15.

[8] Vgl. Rothland, Martin; Terhart, Ewald: Beruf: Lehrer – Arbeitsplatz: Schule. Charakteristika der Arbeitstätigkeit und Bedingungen der Berufssituation. In: Rothland, Martin (Hrsg.): Belastungen und Beanspruchungen im Lehrerberuf. Modelle, Befunde, Interventionen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007. S. 24.

[9] Vgl. Schmitt, Guido: Beruf und Rolle des Lehrers. Otto Meyer Verlag, Ravensburg 1975. S.19

[10] Ebd. S.27

[11] Ebd. S.5

[12] Vgl. Besser-Scholz, Birgit: Burnout- Gefahr im Lehrerberuf. Vandenhoeck& Ruprecht, Göttingen 2007. S.17.

[13] URL: http://www.zeit.de/2006/51/B-Lehrer Quelle: Die Zeit, 14.12.2006 Nr.51. Abgerufen am 14.09.10.

[14] Vgl. Rothland, Martin; Terhart, Ewald: Beruf: Lehrer – Arbeitsplatz: Schule. Charakteristika der Arbeitstätigkeit und Bedingungen der Berufssituation. In: Rothland, Martin (Hrsg.): Belastungen und Beanspruchungen im Lehrerberuf. Modelle, Befunde, Interventionen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007. S 23.

[15] Ebd.

[16] Vgl. Bieri, Thomas: Die berufliche Situation aus der Sicht der Lehrperson. Zufriedenheit, Belastung, Wohlbefinden und Kündigungen im Lehrberuf. Soz. Diss. Tübingen 2004. S.115 f.

[17] Vgl. ebd. S.116.

[18] Vgl. Kramp, Wolfgang: Studien zur Theorie der Schule. Kösel-Verlag GmbH, München 1973. S. 190 f.

[19] Ebd. S.168.

[20] Siehe Ebd. S.191.

[21] Vgl. Rothland, Martin; Terhart, Ewald: Beruf: Lehrer – Arbeitsplatz: Schule. Charakteristika der Arbeitstätigkeit und Bedingungen der Berufssituation. In: Rothland, Martin (Hrsg.): Belastungen und Beanspruchungen im Lehrerberuf. Modelle, Befunde, Interventionen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007. S. 12.

[22] Vgl. Robinson, Saul B.: Der Lehrer zwischen gestern und morgen. In: Seidelmann, Karl (Hrsg.): Schüler - Lehrer – Eltern. Schroedel Verlag, Hannover 1970. S. 87.

[23] Vgl. Kramp, Wolfgang: Studien zur Theorie der Schule. Kösel-Verlag GmbH, München 1973. S. 186.

[24] Ebd. S. 187-188.

[25] Vgl. Rothland, Martin; Terhart, Ewald: Beruf: Lehrer – Arbeitsplatz: Schule. Charakteristika der Arbeitstätigkeit und Bedingungen der Berufssituation. In: Rothland, Martin (Hrsg.): Belastungen und Beanspruchungen im Lehrerberuf. Modelle, Befunde, Interventionen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007. S20.

[26] Vgl. Kramp, Wolfgang: Studien zur Theorie der Schule. Kösel-Verlag GmbH, München 1973. S. 157.

[27] Siehe: Rothland, Martin; Terhart, Ewald: Beruf: Lehrer – Arbeitsplatz: Schule. Charakteristika der Arbeitstätigkeit und Bedingungen der Berufssituation. In: Rothland, Martin (Hrsg.): Belastungen und Beanspruchungen im Lehrerberuf. Modelle, Befunde, Interventionen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007. S22.

[28] Vgl. Kramp, Wolfgang: Studien zur Theorie der Schule. Kösel-Verlag GmbH, München 1973. S.157 ff.

[29] Siehe ebd. S. 159.

[30] Vgl. Fremdling, Julia Christiane: Das Selbstverständnis des Lehrers. Ein Berufsstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In: Keil, Werner (Hrsg.): Sammlung Pädagogischer Beiträge, Band 9. S. Roderer Verlag, Regensburg 2008. S.68.

[31] Vgl. Kramp, Wolfgang: Studien zur Theorie der Schule, Kösel-Verlag GmbH, München 1973. S.159 ff.

[32] Vgl. Combe, Arno: Kritik der Lehrerrolle. Gesellschaftliche Voraussetzungen und soziale Folgen des Lehrerbewusstseins. List Verlag, München 1972. S. 211.

[33] Siehe: Kramp, Wolfgang: Studien zur Theorie der Schule, Kösel-Verlag GmbH, München 1973. S.160-161.

[34] Vgl. ebd. S.161.

[35] Vgl. ebd. S. 160.

[36] Vgl. Rothland, Martin; Terhart, Ewald: Beruf: Lehrer – Arbeitsplatz: Schule. Charakteristika der Arbeitstätigkeit und Bedingungen der Berufssituation. In: Rothland, Martin (Hrsg.): Belastungen und Beanspruchungen im Lehrerberuf. Modelle, Befunde, Interventionen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007. S20.

[37] Vgl. ebd.

[38] Vgl. Kramp, Wolfgang: Studien zur Theorie der Schule, Kösel-Verlag GmbH, München 1973. S. 192.

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Details

Title
Belastung und Beanspruchung im Alltag von Lehrkräften
Subtitle
Vergleich zwischen Halbtags- und gebundener Ganztagsschule
College
University of Frankfurt (Main)
Grade
1,8
Author
Year
2010
Pages
65
Catalog Number
V194985
ISBN (eBook)
9783656218661
ISBN (Book)
9783656219255
File size
805 KB
Language
German
Notes
Deutschlandweit die erste Studie zur Lehrerzufriedenheit an gebundenen Ganztagsschulen
Keywords
Belastung, Beanspruchung, Lehrberuf, Lehrer, gebundene Ganztagsschule, Vergleich Halbtags- Ganztagsschule, Belastung im Lehrberuf, Studie Lehrerzufriedenheit
Quote paper
Alina Müller (Author), 2010, Belastung und Beanspruchung im Alltag von Lehrkräften, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194985

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