Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Psychologische Prädikate
2.1 Bennett und Hacker über psychologische Prädikate
2.1.1 Psychologische Prädikate als Homonyme
2.1.2 Psychologische Prädikate als Analogien
2.1.3 Psychologische Prädikate als Metaphern
2.1.4 Fazit
2.2 Searle über psychologische Prädikate
2.3DennettüberpsychologischePrädikate
2.4 Fazit
3. Der mereologische Fehlschluss
3.1 Searle vs. Bennettund Hacker
3.2 Dennett vs. Bennett und Hacker
3.3 Fazit
4. Qualia
4.1 Bennett und Hacker — perception vs. sensation
4.2 Searle — Qualia = Bewusstsein
4.3 Dennett — Qualia, nein danke
4.4 Fazit
5. Resümee
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Kann das Gehirn denken - oder ist es die Person als Ganzes, die denkt? Was macht Bewusstsein aus, und welche Bedeutung spielen Gefühle in diesem Zusammenhang? Welche Sprachverwendung ist die richtige, um sich dem Phänomen Bewusstsein angemessen zu nähern? Zwischen diesen und vielen anderen Fragestellungen oszilliert die Debatte in dem Buch Neurowissenschaften und Philosophie - Geist, Gehirn und Sprache. Drei renommierte Philosophen und ein namhafter Neurowissenschaftler ringen darin um die besten Argumente für ihre Theorie über das menschliche Bewusstsein.
Als Grundlage von Neurowissenschaften und Philosophie - Geist, Gehirn und Sprache dient eine Gemeinschaftspublikation des Oxforder Philosophen Peter Hacker und des Neurowissenschaftlers Maxwell Bennett. Unter dem Titel Philosophical Foundations of Neuroscience publizierten sie im Jahr 2003 eine kritische Analyse der neurowissenschaftlichen Sprachpraxis. Den Hirnforschern werfen Bennett und Hacker einen nachlässigen Sprachgebrauch vor, der falsche Implikationen weckt und die Forschung insofern behindert, als dass vermeintliche Lösungen proklamiert werden, welche die zugrundeliegenden Probleme verschleiern. Philosophical Foundations of Neuroscience erregte gleichermaßen bei Neurowissenschaftlern wie Philosophen große Aufmerksamkeit, und so wurden Bennett und Hacker im Herbst 2004 von der American Philosophical Association (APA) nach New York eingeladen, um dort auf einer Veranstaltung mit dem Titel Autoren und ihre Kritiker ihre Thesen auf den Prüfstand stellen zu lassen.
Bei den eingeladenen Kritikern handelte es sich um niemand Geringeres als die Philosophen John Searle und Daniel Dennett, deren Wirken im Bereich Philosophy of Mind als besonders einflussreich gilt. In einer dreistündigen Podiumsdiskussion brachten Searle und Dennett ihre auch untereinander kontroversen Argumente gegen die Thesen von Bennett und Hacker ins Feld. Diese leidenschaftlich geführte Auseinandersetzung ist in dem Buch Neurowissenschaften und Philosophie - Geist, Gehirn und Sprache schriftlich festgehalten und im Jahr 2007 erstmalig unter dem englischen Originaltitel Neuroscience and Philosophy. Brain, Mind, and Language bei der Columbia University Press veröffentlicht worden. Die deutsche Übersetzung erschien beim Suhrkamp- Verlag im Jahr 2010.1
Ziel der vorliegenden Arbeit soll nun eine Analyse der Buches Neurowissen- schaften und Philosophie - Geist, Gehirn und Sprache sein. Die Argumente der Autoren Bennett, Hacker, Dennett und Searle sollen nachgezeichnet werden und Parallelen und Differenzen herausgearbeitet werden. Zu beachten ist dabei, dass hinter den Thesen jedes Autors eine autarke komplexe Theorie steht. Jede dieser Theorien von Grund auf detailliert darzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, mit Verkürzungen und Vereinfachungen muss daher stellenweise vorlieb genommen werden. Da die Argumentationen der vier behandelten Autoren und deren neurowissenschaftliche und philosophische Forschung ein derart ausgedehntes Feld umfasst - von Sprachphilosophie, über Neuroanatomie und Künstliche-Intelligenz-Forschung bis hin zur Evolutionstheorie -, wird bei der vorliegenden Arbeit kein Anspruch auf Vollständigkeit bei der Darstellung der Argumente erhoben. Vielmehr sollen die von Bennett und Hacker gelieferten Stichworte als Aufhänger dienen, die Positionen der widerstreitenden Parteien nachzuvollziehen und anhand dieser Thesen tiefer zu ihren grundlegenden Annahmen vorzudringen.
Die zentralen Stichworte von Neurowissenschaft und Philosophie - Geist, Gehirn und Sprache, auf welche sich die vorliegende Arbeit konzentrieren soll, lauten Psychologische Prädikate, Mereologischer Fehlschluss und Qualia. Ihnen istjeweils ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem die Positionen der verschiedenen Autoren dargestellt werden. Am Ende eines jeden Kapitels soll eine kurze Zusammenfassung das Kapitel abschließen, ein Resümee soll einen Überblick über die erarbeiteten Ergebnisse verschaffen.
2. Psychologische Prädikate
Das erste Stichwort, welches die Debatte in Neurowissenschaften und Philosophie - Geist, Gehirn und Sprache kennzeichnet, lautet Psychologische Prädikate. Eine kurze Beschreibung des Sujets soll in das Thema einführen, in den Kapiteln 2.1, 2.2 und 2.3 kommen die behandelten Autoren zu Wort, zum Schluss soll ein Fazit einen Überblick über die Ergebnisse verschaffen.
Dem Menschen können sowohl physikalische als auch psychologische Prädikate zugeschrieben werden. Physikalische Prädikate referieren auf objektiv beobachtbare, messbare Tatsachen, wie beispielsweise "Hans wiegt mehr als 80 kg" oder "Anna hat braune Haare". Die beschriebenen Attribute sind eindeutig definiert, die Aussagen sind wahrheitsfähig. Psychologische Prädikate hingegen charakterisieren den Menschen als wahrnehmendes, handelndes und Gefühle empfindendes Subjekt: "Anna glaubt, dass sie heute Geburtstag hat", "Yves wünscht sich ein blaues Bild". Hierbei fehlt eine Skala, anhand derer die Richtigkeit der Aussagen überprüfbar wäre. Es mag zwar Anzeichen dafür geben, dass Anna wirklich glaubt, heute Geburtstag zu haben, doch Gewissheit darüber besitzt nur Anna selbst.
Dass der Mensch ein legitimer Träger psychologischer Prädikate ist, scheint offensichtlich zu sein, nur allzu gut sindjedem von uns die Tätigkeiten des Überlegens, Entscheidens oder Wünschens bekannt. Doch können auch nicht-personale Entitäten solche Tätigkeiten ausführen? Ist es zulässig, von Gehirnen oder einem Schachcomputer auszusagen, er oder es denke, entscheide, wünsche - wie es in den Neurowissenschaften üblich ist?
Der Bereich des Psychischen lässt sich in intellektuelle Fähigkeiten (Denken, Urteilen, Schließen etc.), emotionale Eigenschaften (Fürchten, Freuen, Trauern etc.), voluntative Fähigkeiten (Wünsche, Absichten etc.) und den Bereich des sinnlichen Erlebens (Schmecken, Fühlen, Riechen etc.) unterteilen.2 Die Schwierigkeit bei der Verwendung von psychologischen Prädikaten liegt darin, dass es bei intellektuellen, emotionalen, voluntativen oder sinnlichen Zuständen keine objektiv beobachtbaren Kriterien für ihre Zuschreibung gibt. So können zwar Handlungen eines Menschen oder die Aktivität bestimmter Neurone im Gehirn Anzeichen für eine bestimmte psychologische Verfasst- heit - einen bestimmten mentalen Zustand - sein und somit die Verwendung psychologischer Prädikate rechtfertigen, Gewissheit darüber besitzt allerdings nur das denkende, wünschende, fühlende Subjekt.
Die Zuschreibung psychologischer Prädikate ist der Unbestimmtheit unterworfen, die Zuschreibung physikalischer Prädikate jedoch nicht. Dass psychologische Prädikate verwendet werden, gibt wegen der Unbestimmtheit der Zuschreibung solcher Aussagen den resultierenden Aussagen eine Art von Ungenauigkeit oder Vagheit, die Aussagen, in denen allein aus der Physik stammende Prädikate Vorkommen, nicht aufweisen.3
"[N]ur vom lebenden Menschen, und was ihm ähnlich ist, (sich ähnlich benimmt) [kann man] sagen, es habe Empfindungen; es sähe; sei blind; höre; sei taub; sei bei Bewusstsein, oder bewusstlos"4, darin sind sich die meisten Philosophen und Neurowissenschaftler - und so auch die Autoren Bennett und Hacker, Dennett und Searle - einig. Doch wann benimmt sich etwas ähnlich wie ein lebender? Kann das notwendige Kriterium auch von einem Gehirn oder einer Maschine erfüllt werden?
2.1 Bennett und Hacker über psychologische Prädikate
In den Neurowissenschaften ist es üblich, dem Gehirn psychologische Prädikate wie denken oder entscheiden zuzuschreiben. Bennetts und Hackers These lautet hingegen, dass die Verwendung psychologischer Prädikate in Bezug auf das Gehirn vermieden werden soll. Anhand verschiedener Beispiele expliziert das Autorenduo seine Forderung. Dies soll im Folgenden nachvollzogen werden.
Bennett und Hacker behaupten, "dass viele zeitgenössische [neurowissenschaftliche] Veröffentlichungen über das Wesen des Bewusstseins und des Selbstbewusstseins durch begriffliche Schwierigkeiten beeinträchtigt werden",5 und versuchen mit ihrer Arbeit den Neurowissenschaftlern einen "Überblick über die begrifflichen Verhältnisse"6 zu verschaffen, der den Hirnforschern vor der Planung von empirischen Untersuchungen als Orientierung dienen soll. Denn laut der Autoren besteht eine Diskrepanz zwischen der gängigen Auffassung der gegenwärtigen Neurowissenschaften, die in der Re- geljegliche Form des Substanzdualismus ablehnen, und dem anachronistischen Sprachgebrauch der Wissenschaftler, der seine Wurzeln in Descartes überholter Vorstellung eines vom Körper separaten Geist findet.7
Bennett und Hacker zitieren aus neurowissenschaftlichen Arbeiten von Francis Crick, Gerald Edelman, Colin Blakemore, John Young, Antonio Damasio, Benjamin Li- bet et alii, aus denen hervorgeht, "das Gehirn [wüsste] etwas, es [ziehe] induktive Schlüsse und [stelle] auf der Grundlage von Argumenten Hypothesen auf; die für das Gehirn konstitutiven Nervenzellen [seien] intelligent, können Wahrscheinlichkeiten schätzen und Argumente unterbreiten."8 Demnach sei es möglich, dass das Gehirn spontan Handlungen in die Welt setzen könne, wodurch die zentrale Frage des mind-body- Problems nach der Interaktion zwischen Mentalem und Physikalischem nicht gelöst, sondern lediglich vom Geist auf das Gehirn verlagert wird.
Anschließend stellen Bennett und Hacker die Frage, ob der Inhalt neurowissenschaftlicher Aussagen verständlich sei. "Verstehen wir, was es heißt, ein Gehirn (ganz zu schweigen von einer Nervenzelle) ziehe Schlüsse [...], schätze Wahrscheinlichkeiten, unterbreite Daten und stelle auf der Grundlage seiner Interpretationen Hypothesen auf?"9 Sie antworten mit einem deutlichen Nein!, es sei unverständlich dem Gehirn solche Fähigkeiten zuzuschreiben, denn "nur vom Menschen und dem, was sich wie ein Mensch verhält, [kann] gesagt werden [...], es sei ein Träger dieser psychologischen Prädikate."10 Dem Gehirn Attribute wie sehend, wissend, entscheidend etc. zu unterstellen, sei schlichtweg sinnlos, denn es sei den psychologischen Prädikaten und deren Negation wesentlich, "dass sie nicht auf die Teile eines Lebewesens, sondern nur auf das ganze Lebewesen zutreffen können."11 Psychologische Begriffe könnten zwar mit übertragener Bedeutung auf das Gehirn (und alle anderen nicht-personalen Entitäten) angewendet werden, aber es finde eine solche Sprachverwendung in den Neurowissenschaften nicht konsequent statt. Unabhängig davon, ob eine homonyme, analoge oder meta phorische Sprachverwendung - sozusagen als termini technici - angestrebt wird, immer käme es zusemantischen Vermischungen, so dass bei genauer Begriffsanalyse völlig unklar bliebe, was das Ausgesagte eigentlich meint. Es würden unzulässige Implikationen geweckt und ungelöste Probleme verschleiert, so dass die Verwendung psychologischer Prädikate in Bezug auf das Gehirn die Forschung nicht vorantreibe, sondern sogar behindere. Auf die Verwendung psychologischer Prädikate im neurowissenschaftlichen Kontext sollte daher vollständig verzichtet werden.12
2.1.1 Psychologische Prädikate als Homonyme
Als Homonym wird ein Wort dann bezeichnet, wenn ihm verschiedene Bedeutungsinhalte entsprechen. So kann beispielsweise dem Wort Kiefer der Bedeutungsinhalt besondere Art des Nadelbaums als auch vorderer, unterer Teil des Schädels zugesprochen werden.
Homonyme sind aus ursprünglich differenten Morphemen entstanden, die im Lauf der Zeit gleichlautend wurden. Ein Beispiel dafür ist das mhd. Wort für den Kiefer kiver und das althochdeutsche Wort für den heute als Kiefer be- zeichneten Baum kienforha, die heute beide mit Kiefer bezeichnet werden.
Werden die mehrdeutigen Wörter auf eine gemeinsame etymologische Wurzel bzw. dasselbe Lexem zurückgeführt, handelt es sich nicht um Homonyme, sondern um Polyseme.13
In Neurowissenschaft und Philosophie kritisieren die Autoren Bennett und Hacker den Sprachgebrauch der Neurowissenschaftler; zum Beispiel Sätze wie "das Gehirn denkt". Zu ihrer Verteidigung führen die Neurowissenschaftler an, sie würden das Verb denken nicht im buchstäblichen, sondern in einem homonymen Sinne verwenden. Mit der obenstehenden Definition eines Homonyms wird deutlich, dass sie sicherlich keine homonyme, vielmehr eine polyseme Sprachverwendung verteidigen wollen. Denn dass die verschiedenen Bedeutungsinhalte, welche die Neurowissenschaftler anstreben, durch unterschiedliche Morpheme entstanden sein sollen, ist offensichtlich unsinnig. Die verschiedenen Bedeutungsinhalte des Verbs denken sollen selbstverständlich voneinander abgeleitete Formen sein. Um den nachfolgenden Text mit den entsprechenden Zitaten verständlich zu halten, soll dennoch am (falschen) Begriff Homonym statt Polysem festgehalten werden.
Der Neurowissenschaftler Shimon Ullman verteidigt die Verwendung psychologischer Prädikate im neurowissenschaftlichen Kontext. Solange psychologische Prädikate als Homonyme mit technischer Spezialbedeutung benutzt würden, sei es vollkommen legitim und für die Forschung hilfreich, Aussagen wie das Gehirn denkt, glaubt, folgert, interpretiert zu treffen.14 Darauf replizieren Bennett und Hacker folgendermaßen:
Die von [den Neurowissenschaftlern] gebrauchten psychologischen Ausdrücke sind durchaus keine neuen Homonyme, sondern sie werden in ihrem üblichen Sinn in Anspruch genommen, denn sonst würden [die Neurowissenschaftler] nicht die tatsächlich daraus gezogenen Schlüsse ziehen.15
In der Regel käme es nämlich zu einer Durchmischung von technischem und alltäglichem Sprachgebrauch, so dass inkohärente Aussagen entstünden, deren Inhalt nur auf den ersten Blick klar zu sein scheint, die einer genaueren Analyse aber nicht standhalten. Dies würde beispielsweise bei dem Gebrauch des Begriffs symbolische Repräsentationen geschehen, welcher von Shimon Ullman und dem Neuroinformatiker David Marr bei der Beschreibung des Sehvorgangs benutzt wird. Marr benutzt diesen Ausdruck zunächst in einem rein kausalen, physikalischen Bedeutungszusammenhang: der Ausdruck symbolische Repräsentationen soll beschreiben, wie beim Vorgang des Sehens bestimmte Merkmale des Gesichtsfeld auf das Feuern bestimmter Zellen in der Sehrinde des Gehirns abgebildet werden.16 In dieser rein kausalen Verwendungsweise ist der Begriff harmlos. Allerdings wird von Marr und Ullman fälschlicherweise im weiteren Verlauf ihrer Forschung oftmals eine andere Bedeutung des Begriffs verwendet. Bennett und Hacker werfen ihnen vor, den Begriff symbolisch in seiner buchstäblichen Bedeutung zu benutzen. In dieser Verwendung meint symbolisch, dass eine semantische Interpretation - durch Konvention festgelegt - geleistet wird. Dieser buchstäbliche - nach Bennett und Hacker unangemessene - Sprachgebrauch wird deutlich, wenn Marr Zahlensysteme ebenfalls als symbolische Repräsentationen bezeichnet. Dass es sich bei Zahlensystemen um arbiträr festgelegte, auf Konventionen beruhende Relationen handelt - und eben nicht um Kausalrelationen -, ist offensichtlich.17 Bei der physikalischen Beschreibung des Sehvorgangs dürfen allerdings keine anderen als kausale Relationen angeführt werden, da physikalische Reaktionen keine Konventionen in Betracht ziehen. Bei der Verwendung des Begriffs symbolisch ist zwischen den Bedeutungen von Zeichen und Anzeichen nicht klar unterschieden worden. Ersteres ist das Resultat einer Repräsentationskonvention, der zweite Ausdruck legt einen kausalen Bedeutungszusammenhang nah, denn das Feuern von Neuronen im »visuellen« Kortex ist keine symbolische Beschreibung von Gegenständen im Gesichtsfeld, obwohl ein Neurowissenschaftler womöglich dazu imstande wäre, von seinem Wissen über die Identität der im »visuellen« Kortex feuernden Zellen Schlüsse auf das zu ziehen, was für das betreffende Lebewesen sichtbar ist. Das Feuern der Zellen in VI kann ein Anzeichen dafür sein, dass sich im Gesichtsfeld dieses Lebewesens eine Figur befindet, deren Linien in bestimmter Weise ausgerichtet sind, aber es steht nicht für irgend etwas. Diese Vorkommnisse des Feuerns sind keine Symbole und sie beschreiben gar nichts.18
Psychologische Prädikate als Homonyme zu verwenden, lehnen Bennett und Hacker zwar nicht prinzipiell ab, doch zeigen sie, dass eine einheitliche Verwendung nicht beibehalten wird; kausale und konventionelle Relationen werden vermischt. Daher empfehlen sie, auf einen homonymen Gebrauch psychologischer Prädikate in Bezug auf das Gehirn vollständig zu verzichten.
2.1.2 Psychologische Prädikate als Analogien
Die Anwendung psychologischer Prädikate auf das Gehirn sollte nach Bennett und Hacker auch dann vermieden werden, wenn es sich um einen vermeintlich analogen Sprachgebrauch handelt. Was genau ist eine Analogie?
Das Verhältnis der Analogie besteht zwischen zwei beschriebenen Gegenständen genau dann, wenn für diese Gegenstände ein gemeinsamer Beschreibungsinhalt gilt. Wo die Beschreibungen (a) I und (b) I gelten, sind die Ge - genstände a und b einander analog. [...] Dass für zwei Gegenstände ein gemeinsamer Beschreibungsinhalt gilt, schließt nicht aus, dass ein anderer Beschreibungsinhalt nur für einen der beiden Gegenstände gilt. Analogie verträgt sich also mit Verschiedenheit.19
Zwar gestehen Bennett und Hacker ein, dass Analogien "eine Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis"20 sein können und verweisen dazu auf die Analogie zwischen elektrischem Strom und dem Verhalten von fließendem Wasser. Allerdings bestreiten sie, dass zwischen der Verwendung psychologischer Prädikate und der Funktionsweise des Gehirns eine sinnvolle Analogie hergestellt werden könne. Eine Analogie könne nur dann brauchbar angewendet werden, wenn hinter ihr eine komplexe wissenschaftliche Theorie stehe, "in der es von funktionalen, mathematischen Beziehungen wimmelt, die sich durch quantifizierbare Gesetze ausdrücken lassen, wie sie [beispielsweise] in der Elektrizitätslehre zu finden sind."21 Dies könne bei der Anwendung psychologischer Ausdrücke in Bezug auf das Gehirn nicht der Fall sein, denn bewusste bzw. unbewusste Überzeugungen, Triebe oder Motive lassen sich nicht auf einer fixen Skala messen, es gäbe keine konsequent korrespondierenden Äquivalente zwischen den Komponenten der Analogien. Daher sei Analogiebildung bei der Beschreibung der Funktionsweise des Gehirns nicht hilfreich.22
Viele Neurowissenschaftler23 beschreiben das Gehirn als bewusstes, selbständiges System, das auf einer für den Menschen charakteristischen Ebene wahrnimmt, denkt und entscheidet. Dadurch wird deutlich, dass sie keineswegs die ehemals angestrebte analoge, sondern eine buchstäbliche Sprachverwendung der psychologischen Verben verwenden.24 Bennett und Hacker betonen, dass sie einen solchen Sprachgebrauch nicht als falsch, sondern als sinnlos erachten, denn um sagen zu können, dass etwas falsch sei, muss man wissen, was es hieße, wenn es wahr wäre. In diesem Fall müssten wir wissen, was es hieße, wenn das Gehirn dächte, sähe und hörte usw., und wir müssten festgestellt haben, dass das Gehirn dergleichen de facto nicht tut.25
Da sich aber nichts unter der Aussage "das Gehirn entscheidet sich" vorstellen lässt, ist neben dem analogen Sprachgebrauch auch eine buchstäbliche Verwendungsweise psychologischer Prädikate in Bezug auf das Gehirn ohne Nutzen.
2.1.3 Psychologische Prädikate als Metaphern
Auch eine metaphorische Verwendungsweise psychologischer Prädikate halten Bennett und Hacker für nicht hilfreich und sogar schädlich für die wissenschaftliche Forschung. Deutlich machen sie dies durch einen Verweis auf den Neurobiologen Colin Blakemore.
Dieser schreibt, dass Karten im Gehirn bei der Repräsentation und Interpretation der Welt durch das Gehirn eine Rolle spielen. Diese Beschreibung mag solange harmlos sein [...], sofern damit nichts anderes gemeint ist als mathematische Abbildungen bestimmter Merkmale des Wahrnehmungsfelds auf topographisch entsprechende Zellgruppen, die systematisch auf diese Merkmale reagieren.26
Doch wird es dann gefährlich, wenn daran anknüpfend behauptet wird, das Gehirn interpretiere die vorliegenden Karten. Was soll damit gemeint sein? Interpretieren bedeutet - nach Bennett und Hacker - soviel wie "die Bedeutung von etwas erklären oder etwas Mehrdeutiges im einen oder anderen Sinn auffassen."27 Und dazu sei das Gehirn nicht in der Lage.
Denn eine Karte ist eine bildliche Darstellung in Einklang mit bestimmten Abbildungskonventionen und Projektionsregeln. Wer mit einem Atlas umgehen kann, muss diese Konventionen kennen und verstehen und die Merkmale des Dargestellten von den Karten ablesen. Aber die »Karten« im Gehirn sind in diesem Sinne gar keine Karten. Das Gehirn gleicht nicht dem Leser einer Karte, denn man kann nicht sagen, es kenne irgendwelche Darstellungskonventionen oder Projektionsmethoden bzw. es sei dazu imstande, in Übereinstimmung mit bestimmten Konventionen irgend etwas von der topographischen Anordnung feuernder Zellen abzulesen.28
Ähnlich wie bei der homonymen Sprachverwendung des Begriffs symbolisch, wird auch bei der Verwendung des Begriffs Karten dem Gehirn implizit die Fähigkeit zugesprochen, aufgrund von Konventionen zu reagieren. Dazu ist das Gehirn als physikalischer Körper aber nicht in der Lage.
Eine metaphorische Verwendung psychologischer Prädikate ist also ebenso irreführend wie die homonyme oder analoge. Dem Gehirn werden implizit Fähigkeiten unterstellt, die sich bei genauem Hinsehen als äußerst rätselhaft erweisen.
2.1.4 Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Bennett und Hackerjegliche Verwendung psychologischer Prädikate in Bezug auf das Gehirn ablehnen. Anhand verschiedener Beispiele neurowissenschaftlicher Arbeiten zeigen sie, welche Verwirrungen entstehen, wenn aus - zunächst im übertragenen Sinne gemeinten - Begriffen Schlüsse gezogen werden, welche die ehemals übertragene Bedeutung vernachlässigen und sich somit nicht mehr auf der homonymen, metaphorischen oder analogen, sondern auf der buchstäblichen Ebene befinden.
Die Beziehung zwischen der neuronalen Aktivität im Gehirn und bestimmten Merkmalen des Wahrnehmungsfelds ist rein kausaler Art, es handelt sich dabei keineswegs um eine auf Konventionen basierende Relation. Allerdings täuschen die Begriffe wie Karten oder symbolische Repräsentation darüber hinweg. Sie suggerieren, das Gehirn sei selbständiger Akteur, der Konventionen kennen und anwenden könne. Damit werden die Fähigkeiten, die traditionell dem Geist zugeschrieben werden, auf das Gehirn übertragen, dem Phänomen des Bewusstseins ist dadurch allerdings keineswegs nähergekommen.
Die Anwendung psychologischer Ausdrücke wie das Gehirn denkt, entscheidet, interpretiert erachten Bennett und Hacker zwar nicht als falsch, aber schlichtweg als sinnlos, da sich darunter nichts vorstellen lässt. Nur dem ganzen Menschen können sinnvollerweise solche Fähigkeiten unterstellt werden, denn [d]er Mensch ist nicht ein in den Schädel eingebettetes Gehirn, sondern eine psychophysische Einheit, ein Lebewesen, das wahrnehmen, absichtlich handeln, Überlegungen anstellen und Emotionen empfinden kann, ein die Sprache gebrauchendes Lebewesen, das nicht nur Bewusstsein, sondern auch Selbstbewusstsein hat.29
Psychologische Prädikate dürfen nach Bennett und Hacker also nur auf eine "psychophysische Einheit" angewendet werden. Wann kann ein Gegenüber als psychophysische Einheit identifiziert werden? Wenn er das entsprechende Verhalten an den Tag legt.
Ob eine Person etwas Bestimmtes sieht, können wir durch Beobachtung feststellen; dazu betrachten wir ihr Verhalten und stellen ihr Fragen.30
Verhalten ist also das entscheidende Stichwort, welches für Bennett und Hacker kriterial für die Zuschreibung psychologischer Prädikate ist. Das Gehirn liefert zwar die notwendigen Voraussetzungen, um sich als psychophysische Einheit verhalten zu können, ist aber selber nicht in der Lage, sich so zu verhalten, dass psychologisches Vokabular gerechtfertigt wäre.
Das Gehirn und seine Tätigkeiten ermöglichen es uns - nicht ihm -, wahrzunehmen und zu denken, Emotionen zu empfinden sowie Projekte zu ersinnen und in die Tat umzusetzen.31
[...]
1 vgl. Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 7ff
2 v. Kutschera, S.217
3 Bühler, S. 109
4 Wittgenstein, S. 158
5 Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 29
6 ebd., S. 29
7 vgl. Bennett,Hacker, S. 111
8 Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 33
9 ebd., S. 36
10 ebd., S. 38
11 ebd., S. 41
12 vgl. Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 35ff
13 Wikipedia, ^ Homonym, <URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Homonym>
14 vgl. Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 45
15 ebd., S. 47
16 vgl. Marr, S. 3
17 vgl. Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 49
18 Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 51
19 Coenen, S. 31
20 Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S.51
21 Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 52
22 vgl. ebd., S. 52
23 z.B. Roger Sperry und Michael Gazzaniga, siehe Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 52
24 vgl. Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 52
25 ebd., S. 53
26 ebd, S. 56
27 Bennett, Dennett, Hacker, Searle, S. 57
28 ebd, S. 57ff
29 Bennet, Dennett, Hacker, Searle, S. 20
30 ebd., S. 36
31 ebd., S. 21