Die vorliegende Arbeit analysiert die Wirkmechansimen der F.M. Alexandertechnik und neuere systemische Ansätze der Psychologie miteinander. Die F.M. Alexandertechnik ist eine Methode, die durch Inhibition und Direction - prinzipiell durch das Loslassen übermäßiger Muskelspannung - dazu fürht, die natürlichen aufrichtungsreflexe wieder arbeiten zu lassen. Interessant ist diese zunächst körperorientierte Methode in Bezug auf den Zusammenhang zwischen körperlicher (muskulärer), psychischer und geistiger Ebene, die stets zusammenwirken.
Inhaltsverzeichnis
1. F.M. Alexandertechnik & Psychologische Beratung
2. Zum Konsens psychologischer Ansätze
2.1. Selbstbestimmung, Bewusstheit und Verantwortung
2.1.1. Selbstkonzepte und psychische Konflikte
2.1.2. Kognitive Therapie: Glaubenssätze und Glaubenssysteme
2.1.3. Humanistische Ansätze: Selbstkonzept und Skript
2.1.4. Neuro-Linguistisches Programmieren: Mentale Modelle
2.1.5. Das Modell des Inneren Teams: Innere Vielfalt
2.2. Zur Entstehung und Wirkungsweise von Überzeugungen
2.3. Ziele Psychologischer Beratung - Self-Support
2.4. F.M. Alexandertechnik - Wir haben die Wahl, wie wir mit uns umgehen
3. F.M. Alexander-Technik: Der Gebrauch des Selbst (Use)
3.1. Die psychisch-physische Einheit von Körper und Geist
3.2. Organismus und Primärkontrolle
3.3. Zu den Bedingungen des Fehlgebrauchs
3.3.1. Die Macht der Gewohnheit
3.3.2. Die Unzuverlässigkeit des kinästhetischen Sinns
3.3.3. Die natürliche Aufrichtung des Organismus
3.4. Die Methode: Inhibition und Nicht-Tun
3.4.1. Inhibition und Excitation
3.4.2. Die Ausrichtung durch Direktiven
3.4.3. Die Beobachtung der ’Mittel-wodurch’
3.5. Bewusstheit und Veränderung: Das Lernen lernen
3.5.1. Der angeeignete Wille
3.5.2. Die Rolle des Lehrers
3.5.3. Die Rolle des Schülers
4. Das Innere Team: Integration, Koordination, Kooperation
4.1. Alexander-Technik und die Arbeit mit dem Inneren Team
4.2. Fallbeispiel: Selbstklärung im beruflichen Kontext
4.3. Diagnose - Klärung des Anliegens
4.4. Die Methode: Identifizierung, Visualisierung, Inszenierung
4.4.1. Aufstellung des Inneren Teams: Identifizierung
4.4.2. Visualisierung: Das innere Gruppengeschehen
4.4.3. Inhibition - Disidentifikation und Wahlvermögen
4.4.4. Direktiven und die 'Mittel-wodurch': Inszenierung und Kooperation
4.5. F.M. Alexander-Technik - Psychologische Beratung - Stimmigkeit
5. Ausblick - Mittel der Veränderung
6. Literatur
1. F.M. Alexandertechnik & Psychologische Beratung
Wir leben in einer Gesellschaft, die uns mit komplexen und pluralistischen Anforderungen konfrontiert. Unsere Umwelt verändert sich schnell. Wir brauchen eine große Anpassungsfähigkeit, um die vielfältigen und sich verändernden Anforderungen an uns erfüllen zu können. Diese Situation erfordert ein hohes Maß an Bewusstheit und ein sicheres Entscheidungsvermögen darüber, wozu wir 'Ja' und wozu wir 'Nein' sagen wollen. Hat ein Mensch das Gefühl, dass die Anforderungen übermächtig geworden sind und er nur wenige oder keine geeigneten Bewältigungsstrategien zur Realisierung seiner Wünsche zur Verfügung hat, so führt dies zu Konflikten, psychischen oder psychosomatischen Störungen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Beratung hat die Aufgabe, die Klienten in der Realisierung ihrer Ziele im persönlichen und beruflichen Bereich zu unterstützen. Die Klienten[1] bekommen Einsicht in ihre Problematik und erlernen Strategien, um ihre Probleme selbständig lösen zu können. Der Beratungsprozess zielt darauf ab, den Klientinnen zu mehr Lebensqualität zu verhelfen.[2]
Die Analogien zwischen den Modellen Psychologischer Beratung bzw. der modernen Psychologie und dem, was ich während meiner Einzelstunden in Alexandertechnik und später in meiner Ausbildung zur Lehrerin für F.M. Alexandertechnik selbst erfuhr, faszinierten mich so, dass ich mich intensiv damit beschäftigen wollte. Diese Modelle Psychologischer Beratung basieren auf dem Konzept der Ganzheitlichkeit und stellen Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Entscheidungsvermögen des Menschen in den Mittelpunkt. Mein Interesse gilt den Gemeinsamkeiten von Alexandertechnik und den Werkzeugen der Psychologischen Beratung. Alexander hatte wesentliche Erkenntnisse, die ich an den genannten Modellen so schätz(t)e, formuliert, an sich selbst erprobt und in der F.M. Alexandertechnik[3] methodisch umgesetzt.
Meine Erfahrungen mit der F.M. Alexander-Technik haben mich auf die Analogien zwischen Lehre, Zielen und Methode der Alexander-Technik und den Axiomen, Zielen und Methoden psychologisch-therapeutischer Ansätze aufmerksam werden lassen, die gegenwärtig für die Beratungspraxis von Bedeutung sind.
In meinem Buch erläutere ich die Alexandertechnik als ganzheitliche Methode, deren nachhaltige Wirksamkeit gerade darin besteht, dass ihre Vermittlung und Anwendung den Zusammenhang zwischen Muskelspannung, Haltung sowie Emotionen, Denk- und Fühlmustern stets mit einbezieht und bewusst macht. Das Erkennen unbewusster Muster auf all diesen Ebenen - mit denen wir uns behindern - ist die Voraussetzung für wirkliche Veränderungsprozesse, die das gesamte Potenzial des individuellen Menschen entfalten helfen. Meine Darstellung beziehe ich dabei stets auf die Wirkfaktoren der ausgewählten Ansätze Psychologischer Beratung, um das spezifische Potenzial der Alexandertechnik aufzuzeigen.
In Kapitel 2 skizziere ich anhand ausgewählter psychologischer Ansätze den Konsens zeitgenössischer Beratungsmodelle hinsichtlich ihrer Grundannahmen und ihrer Zielstellungen. Die hier formulierte Kongruenz von Grundannahmen und Zielstellung bildet den Bezug zu Lehre und Methodik der F.M. Alexander-Technik.
In Kapitel 3 stelle ich die Lehre, Zielstellung, Methodik und Wirkungsweise der F.M. Alexander-Technik vor und zeige die Analogien zu den zuvor dargestellten Modellen. In Kapitel 4 erläutere ich die Methode und die Wirkfaktoren der ’Arbeit mit dem Inneren Team’ im Rahmen der Beratungspraxis.
Die Erläuterung der einzelnen Phasen der Beratungsarbeit bildet den Rahmen, um die Äquivalenz zu den wesentlichen methodischen Elementen der F.M. AlexanderTechnik und ihrer Wirkungsweise aufzuzeigen.
2. Zum Konsens psychologischer Ansätze
2.1. Selbstbestimmung, Bewusstheit und Verantwortung
Wie entstehen die tiefsitzenden Gefühle, die uns als Gewohnheiten und Automatismen 'krank' machen, und die unsere Lebensqualität beeinträchtigen und Leiden verursachen?
In der Haltung zu dieser zentralen Fragestellung der Psychologie hat sich in den letzten Jahren ein Konsens gebildet, der psychologische Ansätze unterschiedlicher Herkunft vereint. Sie basieren auf dem Konzept der Ganzheitlichkeit und rücken Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Entscheidungsvermögen des Individuums in den Mittelpunkt beraterischer Tätigkeit[4]. Sie lenken den Fokus auf das Individuum mit seinen unbewussten Überzeugungen, die es bei seiner Entwicklung hindern.
Die hier vorgestellten psychologischen Ansätze befinden sich an der Schnittstelle humanistischen, kognitiv-konstruktivistischen und systemischen Denkens.
Sie teilen die Anerkennung unbewusster Prozesse, die Methoden und Interventionstechniken stammen z. T. aus der Verhaltenstherapie. Ich skizziere humanistische Richtungen, die kognitive (Verhaltens-)Therapie am Beispiel der rational-emotiven Therapie, den Ansatz des NLP und das 'Modells des Inneren Teams![5] Diese Ansätze basieren auf dem humanistischen Menschenbild und sehen das Ziel beraterischer Arbeit darin, die Klienten dabei zu unterstützen, sich ihrer Wahlfähigkeit bewusst zu werden und von ihr Gebrauch zu machen: Der Mensch hat die Fähigkeit selbst zu entscheiden, wie er mit sich selbst, anderen Menschen und seinem Leben umgehen möchte.
Eine zentrale Kategorie in den Axiomen aller dargestellten Modelle ist das Selbstkon- zept[6], unsere meist unbewussten Überzeugungen. Wesentlicher Eckpfeiler der Beratungspraxis und Methodik ist die Wirkungsweise dieser Überzeugungen auf unser Fühlen, Denken und Handeln.
Unsere Selbstkonzepte im Sinne mehr oder weniger bewusster Überzeugungen, filtern das, was wir wahrnehmen und sind fest verbunden mit unseren Empfindungen. Die Welt ist nicht objektiv erlebbar, sondern Produkt unserer (Sinnes-) Erfahrung, mit der wir kognitive Repräsentationen der Wirklichkeit (er-) schaffen. Diese Überzeugungen brauchen wir, um die Welt zu begreifen. Sie geben uns einen Bezugsrahmen, in dem wir handlungsfähig sind. Ohne unsere Haltungen, Werte und Überzeugungen über uns, andere und unsere Umwelt können wir nicht leben. Solange diese Annahmen unsere Entwicklung konfliktfrei begleiten, sind sie nützlich für uns.
Sie wirken aber destruktiv, wenn wir sie nicht als subjektive Realität, sondern als Tatsachenwahrheiten verstehen: Unsere Überzeugungen werden starr und wir sind unfähig, sie an sich verändernde Anforderungen der Umwelt anzupassen. Wenn wir nicht fähig sind, flexibel mit ihnen umzugehen, sie zu revidieren oder zu erweitern, blockieren sie unsere Entwicklung. Sie hindern uns an der Umsetzung unserer Wünsche und Ziele und lösen so innere, äußere Konflikte und Leidensdruck aus.
Das Tückische an diesem Wirkungszusammenhang besteht darin,
- dass die erworbenen Überzeugungen zu Denk- und Fühlgewohnheiten werden
- und dass unsere Gewohnheiten untrennbar mit ihnen verwoben sind,
- so dass sie sich in unserem Fühlen, Denken und Handeln und unseren (Körper-) Haltungen ausdrücken.
Das Vertraute fühlt sich richtig, das Unvertraute fühlt sich falsch an. Das Fühlen ist nicht verlässlich, wenn es um richtiges - für eine Person angemessenes - Verhalten geht, ist aber starker Handlungsimpuls.
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’Jeder will es richtig machen; aber niemand hält inne, um zu überlegen, ob seine Vorstellung von „richtig“ die richtige ist. ’[7]
An diesem Punkt setzt Psychologische Beratung an, um die hemmenden oder destruktiven Überzeugungen aufzudecken. Der Beratungsprozesses zielt darauf ab, sie durch konstruktive und für die Wünsche und Lebensziele der Klienten angemessene Überzeugungen zu ersetzen. Die Arbeit an den unbewussten blockierenden Überzeugungen und Grundannahmen, die unsere Realität bestimmen, steht im Mittelpunkt der Beratung.
Unsere Chance für eine Veränderung liegt in der Bewusstwerdung unserer Selbstkonzepte, die wir verfestigt haben. Ihre Qualität können wir daran messen, inwiefern sie uns zu einem für uns befriedigenden Lebensstil verhelfen oder aber die Entwicklung unserer Potenziale beeinträchtigen.
Kapitel 2.2 konzentriert sich lediglich auf die verbindenden Axiome der ausgewählten Ansätze in ihrer unterschiedlichen Ausformulierung und der davon abhängigen Ziele. Die daraus abgeleiteten Methoden und Interventionstechniken werde ich an dieser Stelle nicht besprechen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit und ihrer Zielstellung geht es mir darum, die vorgestellten Ansätze im Hinblick auf die Entstehung, Relevanz und Wirkungsweise der unbewussten Überzeugungen zu skizzieren. Die vereinfachte Darstellung ist im Kontext dieser Untersuchung notwendig und sie dient dazu, die Bedeutung der Alexander-Technik für die Bewusstwerdung psychischer Prozesse und den gemeinsamen Ansatzpunkt von Alexander-Technik und Psychologischer Beratung herauszuarbeiten.
2.2. Selbstkonzepte und psychische Konflikte
2.2.1. Kognitive Therapie: Glaubenssätze und Glaubenssysteme
Kontext
In Auseinandersetzung mit der Verhaltenstherapie und mit psychoanalytischen und psychoanalysekritischen Richtungen entwickelten sich die Ansätze kognitiver (Verhaltens-) Therapien. Exemplarisch stelle ich die Grundannahmen der ’rational-emotiven Therapie (RET) Albert Ellis’ dar. Die rational-emotive Therapie ist ein psychologisches Verfahren der kognitiven Umstrukturierung, das sowohl gesprächs- wie verhaltensorientiert ausgerichtet ist.[8] Die RET basiert auf einer eigenständigen psychologischen Theorie, die vor dem Hintergrund eines lernpsychologisch-erfahrungswis- senschaftlichen Modells etabliert wurde. Sie sieht den Menschen als ein zielorientiertes und soziales Wesen, der daran leidet, dass seine Einstellungen und Gefühle ihn daran hindern, seine Ziele zu erreichen.
Glaubenssätze und Glaubenssysteme
Der kognitive Ansatz basiert auf der Annahme, dass nicht (nur) die äußeren Ereignisse oder Dinge an sich eine bestimmte Qualität haben und schön, bedrohlich, problematisch, gut oder schlecht sind, sondern dass die individuelle Beurteilung ihnen diese Qualitäten verleiht. Basis und Maßstab für diese Bewertungen sind unsere gelernten Glaubenssätze. Das sind kognitive Grundannahmen im Sinne irrationaler Bewertungen und Folgerungen, die wir zu Glaubenssystemen ausbauen und kultivieren. Kennzeichen für die Feststellung solch irrationalen Gedankenguts sind: Überbewertung und Dramatisierung, Generalisierung, große Vereinfachung, fehlerhafte Schlussfolgerung und unbeweisbare Annahmen.
Beispiele
- Schwarz-Weiß-Denken - "Jeder denkt nur an sich."
- Nie-/Immer-Annahmen - "Immer passiert mir so etwas."
Undifferenzierte 'Wenn-Dann-Beziehungen' - "Wenn ich nicht nett bin, dann hat mich niemand gern."
Übermäßige Selbstzuschreibungen von Verhaltensweisen Anderer: “Ich merke doch, dass der mich nicht mag, so wie der mich anguckt.“
Glaubenssätze und -systeme sind anerzogene Überzeugungen. Die Irrationalismen entstehen, weil wir von Natur aus dazu neigen, anerzogene oder angeborene starke Präferenzen zu unrealistischen Forderungen umzuformen. Wir stellen logische Zusammenhänge her, wo an sich keine solchen bestehen. Unsere Ideen und Denkgewohnheiten reproduzieren wir permanent in Form 'innerer Selbstgespräche' und stabilisieren damit unsere Konflikte oder Störungen.[9] Irrationale Überzeugungen lassen sich - ihrem Bezug nach - in drei wesentliche Kategorien einteilen:
- Ich selbst: Ich muss immer alles richtig machen.
- Die Anderen: Die Anderen müssen immer freundlich zu mir sein.
- Die Umwelt/Realität: Die Umwelt muss mich mit allem versorgen, was ich mir wünsche und auf die Weise, wie ich es mir wünsche.
Glaubenssätze filtern unsere Wahrnehmung, beeinflussen unsere Reaktionen, dienen wiederum als Maßstab zur Bewertung ihrer Konsequenzen und setzen sich so fort. Die Wechselbeziehung zwischen kognitiven, emotionalen und Verhaltensprozessen führt zur Wiederholung und Kultivierung der Glaubenssysteme. Solange der Mensch synchron mit seinen Glaubenssätzen läuft, ist er mit sich im Einklang. Blockieren die Glaubenssysteme ihn aber, gerät er aus der Balance. Daran wird deutlich, dass Irrationalismen zu Selbstblockierungen führen können. Das A-B-C der Gefühle[10]
Belastende Gefühle lassen sich auf eine verzerrte Wahrnehmung, falsche Interpretation und irrationale Überzeugungen zu Ereignissen oder Zusammenhängen zurückführen. Denken und Fühlen sind zwei Seiten einer Medaille. Ändert sich das Denken, so ändert sich auch das Fühlen. Diese Annahme fasst die A-B-C-Theorie zusammen, die integraler Bestandteil der RET ist. Es ist in folgendem Schema darstellbar:
A = Activating Event
Es beschreibt ein äußeres Ereignis, die Situation, in der ein Klient sich befindet. Der Klient glaubt, dass diese Situation es ist, die ihm Probleme bereitet. Tatsächlich sind es aber sowohl 'A' und vor allem 'B', die eine Situation problematisch erscheinen lassen:
B = Belief System
Es beschreibt das Glaubenssystem, das die irrationalen Meinungen (Kognitionen) zum Ereignis enthält. Dies sind Sätze, die wir uns immer wieder einsuggerieren. Diese (irrationalen) Meinungen können zu psychischen Problemen führen.
C = Consequences
Dies sind die Schlussfolgerungen, die im Sinne von Bewertungen aus dem Glaubenssystem gezogen werden.
Beispiel
A: Er ist arbeitslos.
B: Er ist ein Versager.
C: Er fühlt sich wertlos, überflüssig.
D: Er trinkt... .
Zielstellung
Die Therapie setzt am Glaubenssystem - an den kognitiven Aspekten von Verhaltensauffälligkeiten (B) an - um die irrationalen Beliefs durch rationale und konstruktive zu ersetzen. Das Ziel ist die Erreichung eines konstruktiven Persönlichkeitswan- dels durch die Resynchronisierung der Glaubenssätze. Ein konstruktiver Persönlichkeitswandel tritt dann ein, wenn "[...] ein Mensch einen bedeutsamen Teil jener unnützen, auf unrealistischen Annahmen gegründeten selbstbehindernden Reaktionen beseitigt (insbesondere starke, anhaltende [...] Ängste und Aggressionen), die er entweder bewusst erlebt oder deren Existenz unter der Oberfläche ihn dazu bringt, sich auf untaugliche oder unangemessene Weise zu verhalten."[11]
Die Klienten sollen lernen, sich selbst zu akzeptieren und die Verantwortung für ihre Ziele zu übernehmen. Dies wird durch eine differenziertere Selbst- und Fremdwahrnehmung und durch eine kritische, rationale Überprüfung der eigenen Überzeugungen im Sinne einer Selbstklärung erreicht. Ellis setzt an der Verantwortung des Einzelnen an: "Hilf dir selbst! Bring die Kraft deiner Vernunft ... ins Spiel!"[12] Die RET arbeitet mit Methoden kognitiver Umstrukturierung und bevorzugt ein direk- tives Vorgehen. Irrationale Überzeugungen im inneren Selbstgespräch werden bewusst gemacht und infragegestellt und korrigiert. Die aus den Einstellungen resultierenden Gefühle sollen intensiv erlebt und verändert werden. Auf der Verhaltensebene wird das angestrebte Verhalten eingeübt und gefestigt.[13]
Die Klientin soll die Fähigkeit der selbständigen Auseinandersetzung mit sich selbst gewinnen. Die Selbstklärung ist die Voraussetzung für einen konstruktiven Umgang mit Anderen und für die Interpretation der Realität. Der Klient erlernt eine Methode: Er wird fähig, seine Glaubenssätze zu kontrollieren und verhindert, dass diese ihn selbst steuern. Er trifft selbständig eine Wahl für seine Glaubenssätze und die Richtung seiner Veränderung.
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2.2.2. Humanistische Ansätze: Selbstkonzept und Skript
Gesprächspsychotherapie und Selbstkonzept Kontext
Zwischen den analytischen Schulen und den Lerntheorien entstanden als weiterer Ansatz die humanistischen Richtungen. Carl Rogers entwickelte die Gesprächspsychotherapie auf der Basis des humanistischen Menschenbildes und der humanistisch-psychologischen Zielstellung. Die Gesprächspsychotherapie[14], basiert auf einer eigenständigen Persönlichkeitstheorie und non-direktiven Verfahren für die Therapie bzw. Beratung. Eine deutliche Parallele zum psychodynamischen Ansatz C. G. Jungs zeigt die Haltung zum Wesen des Menschen. Es wird eine dem Menschen innewohnende Selbstaktualisierungstendenz angenommen, die in der Bereitschaft besteht, sich zu erhalten und die eigene Entwicklung zu fördern.[15] Der Mensch trägt alle Ressourcen für seine Heilung selbst in sich. Er ist Experte seiner selbst und daher am besten in der Lage, seine persönliche Situation zu analysieren und selbständig Lösungen zu entwickeln.
Das Selbstkonzept - Aneignung von Wirklichkeit und Identität
Die zentrale Kategorie der klientenzentrierten Psychotherapie Rogers ist das Selbstkonzept. Das Selbstkonzept beschreibt die Art und Weise, wie eine Person sich selber sieht und wahrnimmt. Zum Selbstkonzept gehören auch die Vorstellungen einer Person davon, wie die Mitmenschen sie wahrnehmen und welche Meinung sie von ihr haben. Der Begriff Konzept verdeutlicht, dass es sich nicht nur um flüchtige, veränderliche Eindrücke handelt, sondern um ein Gefüge ordentlich strukturierter Bilder, Vorstellungen und Charakterisierungen zur eigenen Person, den Beziehungen zur Umwelt und anderen Menschen. Das Selbstkonzept hat somit identitätsstiftende Funktion. Als Schema einer Person von sich selbst bestimmt es ihren eigenen Ort in der (sozialen) Umwelt, prägt ihre Gedanken, Wertungen, Haltungen, ihre Ziele und ihr Verhalten.
Das Selbstkonzept fungiert daher auch als Filter für die Inhalte der Wahrnehmung und Erfahrung: Welche Wahrnehmungen werden registriert, für wichtig befunden und verarbeitet? Welche werden ignoriert und als unwichtig oder gefährlich verworfen? Das Selbstkonzept hat selektive Funktion, die der Orientierung und der Wahrheitsbildung des Menschen dient. Die Bildung eines Selbstkonzepts ist notwendig für unser Bedürfnis nach Kontinuität und Orientierung. Das Selbstkonzept als Konstrukt unseres Selbst kann aber zu einem eindimensionalen Denk- und Verhaltensmuster werden, wenn wir nicht in der Lage sind, es zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Das Selbstkonzept umfasst drei Ebenen:
Emotionale Komponente
Rogers definiert sie als die wichtigste der drei Komponenten. Sie umfasst sämtliche Regungen und Gefühlsreaktionen, die mit dem Denken, Wahrnehmen und Handeln verbunden sind. Hierzu gehören Selbsthass, Freude, Selbstmitleid, Aggression, ... .
Kognitive Komponente
Sie betrifft alle inneren Vorgänge, die relevant sind für die Selbstwahrnehmung. Hierzu gehören die Denk- und Lernprozesse und die (Denk-) Muster über sich und Andere: Ich bin gut, ich bin schwierig... .
Verhaltenskomponente
Sie umfasst die Verhaltensweisen, die wir im Umgang mit uns selbst und Anderen zeigen. Wir sind freundlich, distanziert, kontaktfreudig, abweisend, ... .
Selbstkonzept und Symbolisierung
Rogers unterscheidet das gesunde vom gestörten Selbstkonzept. Begreift eine Person neue Erfahrungen als passend für ihr Selbstkonzept, kann es diese vollständig integrieren. Dies bezeichnet er als unverzerrte Symbolisierung. Vermag das Individuum keine Beziehung zwischen Selbst und Erfahrung herzustellen, ignoriert es die Erfahrungsinhalte automatisch. Sie werden erst gar nicht bewusst wahrgenommen. Wir sind normalerweise nicht in der Lage, Erfahrungsinhalte stets unverzerrt zu symbolisieren. Viele Erfahrungen sind für uns unvereinbar mit unserem Selbstkonzept, so dass wir sie ignorieren (müssen) oder verzerrt - also nur teilweise - symbolisieren.
Ein nicht gestörtes Selbstkonzept ist offen und realistisch, sodass es Gefühle, Empfindungen und die vielfältigsten Eindrücke aufnehmen kann. Das gestörte Selbstkonzept ist starr und eng. Es filtert Erfahrungen einseitig aus, so dass es zur Störung der drei Komponenten des Selbstkonzeptes kommt. Die Nicht-Kongruenz von Wahrnehmung und Denken durch abgelehnte Erfahrungen führt zu Konflikten, die sich in Unsicherheit, Angst, Schuldgefühlen oder auch psychosomatischen Symptomen äußern können. Die Wahrnehmung ist verzerrt, wichtige Lernprozesse, die persönlichkeitsfördernd sein könnten, werden verhindert.
Eine Erfahrung, die ich als Dozentin in meinen computerbasierten Kursen machte, verdeutlicht dies anschaulich: Frauen, die von sich glaubten keine Begabung für Technik zu haben, waren meist verkrampft und kaum in der Lage, den Lernstoff aufzunehmen. Dies bezog sich schnell auch auf Lerninhalte, die zunächst mit Technik nichts zu tun hatten. Die Anderen waren neugierig, experimentierten, nahmen ’Fehler’ gelassen hin und nutzten sie, um daraus zu lernen. Dieses banale Beispiel lässt sich auf jede Art der Alltagserfahrung übertragen.
Flexibilität des Selbstkonzepts durch Bewusstwerdung
Die unverzerrte Symbolisierung von Erfahrungsinhalten ist nach Rogers Ausdruck der Kongruenz von Selbst und Erfahrung. Vielfältige Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungsinhalte werden zugelassen und angemessen verarbeitet. Der 'Zensor' Selbstkonzept ist offen, kann Neues angstfrei aufnehmen, es prüfen und für die eigene Person angemessen verarbeiten. Die Voraussetzung dafür ist ein elastisches Selbstkonzept. Die Kongruenz von Selbst und Erfahrung meint also nicht, wahllos sämtliche Erfahrungsinhalte zu integrieren. Vielmehr ist Kongruenz im Sinne von Offenheit und Bewusstheit zu verstehen. Elastizität bedeutet, das Selbstkonzept bewusst zu erweitern und zu verändern, anstatt - umgekehrt - die als inkongruent empfunden Erfahrungsinhalte abzuwehren, zu rationalisieren, oder umzudeuten.
Zielstellung
Das Ziel der Therapie oder Beratung ist die Heilung psychischer und psychosomatischer Störungen durch die Förderung der Selbstaktualisierungstendenz. Dies führt zu Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung und Autonomie. Die Klienten sollen offen für ihre eigenen Erfahrungen werden und lernen, in ihrer Umwelt flexibel und in Übereinstimmung mit sich selbst zu handeln. Beratung oder Therapie unterstützt den Klienten darin, Abwehrmechanismen, die einem starren Selbstkonzept entspringen, durch Selbstexploration als solche zu durchschauen und einen Zusammenhang zwischen Empfindung und Gedanken herzustellen.
Notwendige Voraussetzungen des Therapeuten sind für Rogers Empathie, Wertschätzung und Echtheit (Selbstkongruenz). Die Therapeutin spiegelt die Aussagen und Gefühle des Klienten lediglich und erreicht so, dass der Klient selbst(ständig) zu Einsichten gelangt. Dieses non-direktive Vorgehen überträgt dem Klienten die Verantwortung für den Verlauf und das Ergebnis der Therapie. Rogers sah in dieser Haltung die mit der Zielstellung der klientenzentrierten Psychotherapie korrespondierende kongruente Methode.
Transaktionsanalyse und Skript Kontext
Die Transaktionsanalyse wurde von Eric Berne entwickelt und ist eine integrative Theorie, die kognitive, verhaltenstherapeutische Ansätze und tiefenpsychologische Denkweisen kombiniert. Sie ist eine Theorie der menschlichen Persönlichkeit, Kommunikationstheorie und eine Form der Psychotherapie. Ihre Methodik enthält Techniken, die persönlichkeitsfördernd wirken. Die Transaktionsanalyse bietet ein Ent- wicklungs- und Beratungskonzept zur Förderung des individuellen, sozialen und kollektiven Wachstums.[16] Sie orientiert sich am Menschenbild der Humanistischen Psychologie und sieht das Individuum als selbstbestimmtes Wesen, das an Selbstentfaltung interessiert ist.
Die Axiome der Transaktionsanalyse sind: Der Mensch an sich ist gut. Jeder Mensch hat die Fähigkeit zu denken, über sein Schicksal zu entscheiden und seine Entscheidungen zu ändern.
Die Ich-Zustände
Zentrales Element der Transaktionsanalyse ist das Modell der Ich-Zustände. Berne unterscheidet drei 'psychische Organe', aus denen heraus wir agieren, mit Anderen interagieren und reagieren: das Eltern-Ich, das Erwachsenen-Ich und das Kind-Ich. Dies sind Einheiten mit eigenen Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen. Wir entwickeln sie von frühester Kindheit an. In den Transaktionen dieser drei Zustände vollzieht sich die menschliche Kommunikation.[17] Die in der klientenzentrierten Psychotherapie angenommenen Ebenen 'Kognition', 'Emotion', 'Verhalten', werden durch das Modell von agierenden Ich-Zuständen weiter ausdifferenziert. Die Transaktionsanalyse beobachtet, aus welchen Ich-Zuständen heraus und auf welche Art und Weise Menschen miteinander kommunizieren. Dies ist der Ansatz zur Aufdeckung von Kommunikationsstörungen. Im Mittelpunkt der Transaktionsanalyse steht die einzelne Person (intrapersonale Prozesse) mit ihren komplexen Vorstellungen, Empfindungen und Haltungen und die einzelne Person in ihrer Interaktion mit einer oder mehreren Anderen und ihren komplexen Vorstellungen, Empfindungen und Haltungen (interpersonale Prozesse).
Das Lebensskript - unser heimliches Drehbuch
Das Konzept des Lebensskriptes gehört neben dem Konzept der Teilsysteme der Persönlichkeit zu den wesentlichen Säulen der Transaktionsanalyse. Eric Berne definiert das Lebensskript als den Lebensplan, zu dem sich ein Individuum als Reaktion auf Erlebnisse und Erziehung schon in jungen Jahren entscheidet. Dieses Skript bestimmt den Lebensweg einer Person, da es die Basis für seine Perspektive auf die Welt, seine Wertungen, Haltungen, Gefühle und Handlungen ist. Eltern oder Bezugspersonen verstärken das Skript, so dass es verfestigt und kultiviert wird. Dem Kind dient es zur Orientierung, es gibt ihm Halt und Struktur. Obwohl die frühesten Skript-Entscheidungen emotionalen Motiven folgen, wertet die Transaktionsanalyse sie als bewusste[18] Entscheidungen angesichts der Erfahrungen mit der nächsten Umwelt. Wenn das Individuum es unhinterfragt übernimmt, wirkt das Skript wie eine teleologische Kraft. Das Individuum realisiert die Ziele des Drehbuchs. Das Skript ist einem Drama mit Anfang, Klimax und Ende vergleichbar. Erfahrungsinhalte, die in dieses Skript hineinpassen, sind für das Individuum unproblematisch. Erfahrungsinhalte, die das Skript in Frage stellen und seine Gültigkeit bedrohen, werden vom Individuum uminterpretiert.
Beispiel
Hat Person A ein Verlierer-Skript, das mit einer mangelnden Wertschätzung der eigenen Person und den eigenen Talenten verknüpft ist, so wird es sie misstrauisch machen, wenn Person B ein Talent bei ihr entdeckt, es unterstützt und fördert. Das Skript sieht so etwas nicht vor. Person A muss daher Interpretationen bemühen, um sich dieses mysteriöse Verhalten zu erklären: "Vermutlich sind diese Angebote Resultat einer Fehleinschätzung und verzerrten Wahrnehmung oder sie sind boshafte Versuche Person A bloßzustellen... ."
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Selbst wenn es Person A gelingt, das Verlierer-Skript so zu verändern, dass sie die Unterstützung akzeptieren kann, wird es ihr an den nötigen Verhaltensweisen und Strategien fehlen, etwas daraus zu machen. Immerhin war so eine Entwicklung nicht vorgesehen, so dass Person A keine adäquaten Denk-, Gefühls- und Handlungsressourcen zur Verfügung stehen. Das Individuum wehrt sich mit spezifischen Mechanismen seine gewohnten Muster aufzugeben, da zunächst keine geeigneten Strategien für neue Muster vorhanden sind. Veränderung wird daher zur Bedrohung.
Die Skriptbotschaften
Die Transaktionsanalyse unterscheidet verschiedene Skriptbotschaften, die 'Merksätze' beim aufnehmenden Individuum bilden. Sie üben einen großen Einfluss auf die Inhalte des Lebensplans einer Person aus, da sie non-verbal untermauert und gefestigt werden. Unter den Merksätzen gibt es die Antreiber: "Streng dich im Leben an, versuch immer der Beste zu sein." Es gibt die Erlauber: "Sei geduldig mit dir, du kannst auch mal einen Fehler machen".
Daneben gibt es die Bannbotschaften, die vor allem für die Skriptinhalte verantwortlich sind, die sich im Leben negativ oder destruktiv auswirken. Den Bannbotschaften ist gemein, dass sie reglementieren und dem Individuum eine Wertschätzung und die Möglichkeiten zur Entfaltung versperren. Sie führen oft zur Verkümmerung wichtiger Lebensäußerungen und -funktionen.
Beispiele
"Fall nicht auf". Die Eltern gemahnen zur steten Anpassung, besondere Leistungen werden nicht honoriert, Auffälligkeiten - in positiver oder negativer Form - werden sanktioniert. Der Erwachsene wird ein eher tristes unauffälliges Leben führen, sich nicht besonders wertschätzen und keine außergewöhnlichen Ziele haben.
"Stell dich nicht so an". Kindliche Gefühlsreaktionen werden unterdrückt. Der Erwachsene wird vermutlich einen Panzer entwickeln und unerwünschte Gefühle, die an ihn gestellte Anforderungen in Frage stellen könnten, kaum zulassen können.
Perpetuum mobile - automatisiertes Verhaltensrepertoire
Ein zentraler Begriff, der die hartnäckige Wirkungsweise und Dynamik des Skripts erklärt, ist Gefühlsmasche. Die 'Gefühlsmasche' ist der Oberbegriff für das Bündel der an ein Skript geknüpften Verhaltensweisen. Dieses Repertoire setzt das Individuum ein, um seine Umgebung in der Weise zu manipulieren, dass es seine Bedürfnisse möglichst konfliktfrei befriedigen kann. Gefühlsmaschen sind einerseits skriptabhängige automatische Empfindungen und Reaktionsweisen, ihr Ausagieren fördert andererseits die Entwicklung des Skripts und trägt zu seiner Stabilisierung bei. Auf diese Weise wird ein Perpetuum mobile in Gang gesetzt und permanent aktualisiert. Das Ergebnis des Ausagierens der gelernten Gefühle ist das Erleben sogenannter Maschengefühle. Berne stellt die Authentizität dieser Gefühle in Frage, da sie Reflexe des beschränkten eingeübten Repertoires des Individuums sind.
Die Spiele der Erwachsenen - destruktive Verhaltensstereotypen
'Die Spiele der Erwachsenen'[19] sind für Berne komplexe Transaktionen in Form von Verhaltensstereotypen, in deren ’Maschen’ sich Menschen immer wieder verstricken. Sie selbst halten diese 'Spiele' für reale Situationen und berechtigte Reaktionen auf bestimmte Umstände. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Spiele, die den Spielern in der Regel schaden oder sie belasten. Welches Spiel ein Individuum bevorzugt, hängt von seinem Lebensskript ab. Das Spiel hat vor allem die Funktion, negative Gefühle (Maschengefühle) wie Rabattmarken anzuhäufen. Jeder Mensch entscheidet sich unbewusst für die Art von Spiel, das genau die Maschengefühle liefert, deren Ansammlung die Realisierung seines persönlichen Lebensskripts verspricht. Skriptinhalte, die Ausdrucksmöglichkeiten und Flexibilität der Ich-Zustände und ihre Konstellation stehen miteinander in Wechselwirkung.
Der 'Verlierer' sammelt Niederlagen, er spielt sowohl in informellen als auch in formellen Situationen bevorzugt die Spiele, die ihm das Gefühl einbringen, ein Versager zu sein. Hat er genug Rabattmarken angesammelt, kann er sich getrost in seinen Gefühlen einrichten, alle Chancen vorüberziehen lassen und die schlechte und feindselige Welt beklagen.
Zielstellung
Ziel der transaktionsanalytischen Arbeit ist es, Akzeptanz gegenüber der eigenen Person und der Person Anderer zu gewinnen sowie die Veränderung der gewohnten eigenen Verhaltensweisen. Die Anerkennung der eigenen Person ist die Voraussetzung dafür. Dies basiert auf der Grundannahme, dass jeder Mensch mit Unterstützung in der Lage ist herauszufinden, was für ihn richtig ist und bei der Realisierung seiner Wünsche die Interessen Anderer beachtet. In der Beratung wird das Wissen zur Verfügung gestellt, um den Klienten bei diesem Klärungsprozess zu helfen. Die Transaktionsanalyse wendet dabei aktiv direktive Techniken an. Die im intrapersonalen Dialog gewonnene Klarheit gegenüber eigenen Gefühlen und Wertungen hilft dem Klienten Handlungsspielraum gegenüber Anderen zu gewinnen. Er gewinnt Klarheit über die tatsächlichen Erwartungen seines Gegenübers. Die Wirkung der Methode liegt in der Dynamik der erlebnisaktivierenden Interaktion der unterschiedlichen Ich-Zustände, die durch unerwartete Reaktionen beantwortet werden.
Die Klienten werden dabei unterstützt, ihre eingeschränkte - skriptgebundene - Sicht der Wirklichkeit, ihre optionslose Deutung und die damit verbundenen begrenzten Handlungsspielräume zu erweitern. Transaktionsanalytische Beratung ist (Selbst-) Klärungs-, Entscheidungshilfe und Unterstützung bei persönlichem Wachstum und Identitätsfindung.[20]
Übergeordnetes Ziel transaktionsanalytischer Beratung ist die Förderung von Autonomie durch die Entwicklung zu mehr Bewusstheit, Spontaneität und Intimität. So können wir bewusste Entscheidungen für konstruktive Verhaltensweisen uns selbst und Anderen gegenüber treffen und fähig werden, auf Menschen und Situationen angemessen zu reagieren.[21]
2.2.3. Neuro-Linguistisches Programmieren: Mentale Modelle
Kontext
Robert Dilts, einer der Konstrukteure des NLP, beschreibt NLP als "[...] Verhaltensmodell und ein System klar definierter Fähigkeiten und Techniken, das von John Grinder und Richard Bandler begründet wurde."[22] Das Inventar von Fähigkeiten, Einstellungen und Techniken des NLP wurde aus der Beobachtung menschlicher Höchstleistungen aus verschiedenen Bereichen professioneller Kommunikation wie der Psychotherapie, der Wirtschaft, der Hypnose, des Rechtswesens und der Pädagogik entwickelt. Das NLP teilt das humanistische Menschenbild und sieht das Individuum als selbstbestimmtes Wesen, das an seiner Entwicklung interessiert ist. Die Axiome des NLP basieren auf der Anerkennung des Unbewussten, dem Einfluss der Transaktionsanalyse und kommunikationstheoretischen sowie verhaltenstherapeutischen Ansätzen. Dem NLP liegt ein kognitivistisch-konstruktivistisches Weltbild zugrunde, das sich mit systemischem Denken verbindet.
Mentale Modelle
Im Mittelpunkt des NLP steht die Untersuchung menschlicher Programmierung, die durch die Wechselbeziehung zwischen Gehirn, Sprache und Körper gebildet und manifestiert wird:
- Das neurologische System: die Art und Weise wie unsere Sinnes-Eindrücke in Vorstellungen und Gedanken, bewusst und unbewusst, umgesetzt werden.
- Die Sprache: die Art und Weise wie wir Sprache gebrauchen und mit uns (innerlich) und mit Anderen (äußerlich) kommunizieren.
- Programmieren: die Muster, Prozesse und Strukturen und die inneren und äußeren Prozesse, die wir anwenden, wie wir sie erkennen und gezielt verändern können.[23]
Die Vielfalt der Wirklichkeit ist für uns nur durch Selektion erfahrbar. Wir vereinfachen, um uns zurechtzufinden. Wir bilden mentale Modelle, die unser Gehirn in Form kognitiver Landkarten speichert und die unsere Perspektive auf die (Um-)Welt bestimmen. Wir selektieren unsere Erfahrungen, Informationen und Eindrücke mithilfe von Generalisierungen und speichern sie in Kategorien ab. Wir blenden Erfahrungen aus, die nicht kongruent zu unseren mentalen Modellen sind (Tilgung). Wir passen die Realität an unsere Modelle an (Verzerrung). Unsere Konstruktion von Realität ist abhängig von der Filterung der Erlebnisinhalte, die wiederum auf der Basis unserer Werte, Haltungen und Einstellungen vorgenommen wird.
Wahrnehmung: Repräsentationssysteme und Metaprogramme
Die Repräsentationssysteme Schmecken, Sehen, Riechen, Hören, Fühlen bestimmen mit den differenzierenden Submodalitäten die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, diese Informationen speichern, in unserem Gedächtnis codieren und so als Erfahrung ablegen.
Beispiel
Visuelles Repräsentationssystem:
Submodalitäten: nah-entfernt, transparent-intransparent, scharf-unscharf etc.
Zwischen internen Submodalitäten und externer analoger Wirkung behauptet das NLP einen Zusammenhang. Synästhesiemuster bestimmen die Qualität und Bewertung einer Vorstellung und ihre körperliche und emotionale Reaktion darauf.
Beispiel
Eine angenehme Erinnerung weckt noch schönere Gefühle, wenn die Submodalität 'Helligkeit' (visuell) im Vorstellungsbild intensiviert wird oder die Lautstärke (auditiv) eines Tones intensiviert wird. Neben diesen analogen (nonverbalen) Repräsentationssystemen und den Ausdrucksformen der Mimik und Gestik gibt es die digitalen (verbalen) Repräsentationssysteme, die Sprache. Jeder Mensch tendiert zu einem oder mehreren Repräsentationssystemen, die er bevorzugt nutzt.
Die Konstruktion unserer Realität erfolgt durch unsere Repräsentationssysteme auf der Basis von Metaprogrammen. Das NLP unterscheidet drei wesentliche Wahrnehmungspositionen, die Welt zu betrachten:
- Assoziiert: Die Betrachtung der Welt ausschließlich aus dem eigenen Blickwinkel.
- Emphatisch: Die Betrachtung der Welt ausschließlich aus dem Blickwinkel einer anderen Person.
- Dissoziiert: Die Betrachtung der Welt von einem externen Standpunkt außerhalb: der unabhängige Beobachter.
Maßstab für die Beurteilung unserer mentalen Modelle, die sich als Denk-, Fühl,- und Handlungsmuster äußern, ist das Kriterium 'Nützlichkeit'. Die zentrale Frage für die Beurteilung der mentalen Modelle ist: Bedingen die Muster ein für das Individuum nützliches oder nicht nützliches Verhalten?
Jede Verhaltensweise ist in einem spezifischen Kontext nützlich und erhält ihre Bedeutung nur durch die Rückmeldung, die sie auslöst. Die Handlungsabsicht eines Individuums ist nicht von Interesse. Werden die kognitiven Repräsentationen durch die Prozessmechanismen und Filter(-'strategien') für das Individuum ungünstig konstituiert, empfindet das Individuum im Modell der eigenen Welt die Umweltvariablen wie Sachzwänge. Es sieht andere Menschen und die gelernten Haltungen als übermächtig an. Unter dieser Voraussetzung kann es die Beeinflussung einer Situation durch eigenes Handeln nicht mehr in Betracht ziehen. Es steht sich permanent selbst im Wege und eine progressive Entwicklung ist meistens unmöglich.
Der Mensch entwickelt sich vor dem Hintergrund seiner jeweils vorhandenen Familie und Kultur, die ihn in persönlicher, genetischer und mikrosoziologischer Weise prägt. Er ist nur im Umfeld der Personen und Erfahrungen, denen er sich verpflichtet fühlt, zu verstehen. Das Individuum wird als komplexes System gesehen, das sich in Interaktion mit anderen komplexen Systemen (Ökologie)[24] befindet. Folgende 'logische Ebenen der Veränderung' werden in ihren Wechselbeziehungen untersucht: 1. Umwelt, 2. Verhalten, 3. Fähigkeiten, 4. Glaubenssysteme, 5. Identität und 6. Spiritualität.
Zielstellung
Das Modell und das Inventar des NLP bilden die Struktur subjektiver Erfahrung ab. Wir reagieren nicht auf die Umwelt, sondern auf unsere subjektive Abbildung der Realität. Zu den Glaubenssätzen des NLP gehört die Überzeugung, dass der Mensch fähig ist, die beste Wahl für sein Verhalten und die Gestaltung seiner (Le- bens-)Welt zu treffen, wenn er genügend Informationen hat. Jeder Mensch verfügt prinzipiell über alle Ressourcen, die er braucht, um eine von ihm gewünschte Veränderung zu erreichen. Ausgehend von der Annahme, dass allen Menschen prinzipiell alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen, ist der Ansatz für die Beratung das Potenzial und nicht der Mangel.
Die Methoden des NLP versuchen den Klienten zu helfen, die Wirkungsweise ihrer eigenen und der Überzeugungen und Wahrnehmungs-Filter anderer Menschen zu durchschauen. Durch das Erkennen der Art und Weise, wie sie ihre Realität modellieren, werden sie fähig, möglichst viele als Umweltvariablen interpretierte Bedingungen in Entscheidungsvariablen umzuwandeln. Sie erfahren, dass sie einen Einfluss auf Situationen und die Reaktionen von Personen haben.
Das Ziel des NLP besteht darin, den Klienten dabei zu helfen, Selbstblockaden wahrzunehmen und die vorhandenen nützlichen Handlungsressourcen zu mobilisieren. Die realitätsnahe Korrektur der eigenen unflexiblen 'Verhaltensmuster' eröffnet den Klienten mehr Freiheit im Sinne von Wahlmöglichkeiten.
Wenn die Klienten ihr Verhalten und ihre Strategien als Muster erkennen, können sie auch fähig werden, schwierigen Situationen vorzubeugen und Krisensituationen selbständig zu bewältigen. Als nützlich erlebte Verhaltensweisen und -strategien werden in signifikante Sequenzen aufgeteilt, so dass sie in Form von Methoden fruchtbar gemacht werden können. Die Klienten erlernen damit eine Methode zur Erreichung der eigenen Veränderungsziele.
2.2.4. Das Modell des Inneren Teams: Innere Vielfalt
Kontext
Das Modell des Inneren Teams von Friedemann Schulz von Thun ist ein Persönlichkeitsmodell[25] und enthält ein Inventar von Techniken zur Klärungshilfe in der Beratung und Therapie.
Wegweiser für die Entwicklung dieses eklektischen Ansatzes sind Elemente der Gestalttherapie (Perls), Aspekte der klientenzentrierten Psychotherapie (Rogers), die Psychosynthese (Assagioli, Ferrucci), die Theorie und Methodik des Voice Dialogue (Hal und Sidra Stone), Elemente der Themenzentrierten Interaktion (Cohn), transaktionsanalytische Axiome (Goulding) und die systemische (Familien-)Therapie (Satir, Schwartz).[26]
Schultz von Thun verbindet ausgewählte theoretische und methodische Aspekte humanistischer, psychodynamischer, kognitiv-konstruktivistischer und systemischer Ansätze auf der Basis seiner Kommunikationspsychologie.
Das Innere Team - Innere Vielstimmigkeit
Das Modell des Inneren Teams ist als gruppendynamische Interpretation der Psyche einer Person zu verstehen. Es etabliert keine Persönlichkeitstheorie. Die innere Pluralität der einen Seele in Form zahlreicher Regungen spiegelt die pluralistischen Anforderungen moderner Lebensformen wider: Vielfältige Veränderungsprozesse, Entscheidungsanforderungen, Rollenerwartungen und Informationsflut nennen einige Gründe dafür, dass Identitätsbildung schwieriger geworden ist. Diese Situation macht neue pädagogisch-therapeutische Lern- und Entwicklungsziele erforderlich.
Das Modell des Inneren Teams verbindet zwei Perspektiven:
a) Es veranschaulicht die Vielfalt der menschlichen Psyche und ihre (Gruppen-) Dynamik in Analogie zu einem Arbeitsteam. Es ist phänomenologisch, indem es die inneren Regungen so beschreibt, wie sie sich zeigen.
[...]
[1] In meinen Ausführungen werde ich männliche und weibliche Bezeichnungen abwechselnd verwenden. Es sind aber stets Frauen und Männer gemeint.
[2] Zur Abgrenzung von Beratung zur Therapie: Beratung unterstützt und optimiert die Problemlösestrategien der Klienten, wobei die Probleme des Klienten nicht auf psychische Krankheiten zurückzuführen sind. Den Beginn des Grenzbereichs zur Therapie sehe ich dort, wo im Rahmen des Klärungsprozesses regressive Arbeit notwendig wird.
[3] Im Laufe meiner Darstellung verwende ich den Begriff F.M. Alexandertechnik und Alexandertechnik synonym. Es geht dabei immer um die F.M. Alexandertechnik und ausdrücklich nicht um die von Gerda Alexander entwickelte Methode.
[4] In meinen weiteren Ausführungen werde ich nur von Beratung sprechen, wenn es nicht explizit auch um die therapeutische Arbeit geht, da dies der Bereich ist, auf den sich die Arbeit bezieht.
[5] In den letzten Jahren hat sich eine Vielfalt an -vor allem- integrativen und eklektischen Ansätzen entwickelt, die im Rahmen dieser Arbeit keine Berücksichtigung finden können.
[6] Den Begriff des Selbstkonzeptes verwende ich im Sinne Rogers. Im Kapitel 2.2 werde ich zudem auf 'Glaubenssätze und - 'systeme', 'Skript', 'Mentale Modelle' sowie die 'Botschaften der Teilpersönlichkeiten' eingehen, um den gemeinsamen Stand und Ansatzpunkt der verschiedenen Richtungen herauszuarbeiten. Es wird deutlich, inwiefern die Kategorie des Selbstkonzeptes in den unterschiedlichen Ansätzen interpretiert und erweitert wird.
[7] F.M. Alexander, zit. nach Gelb, M. (1999) Körperdynamik. Eine Einführung in die Alexander-Technik. Frankf./M., Berlin, S. 89. Künft. Zit.: Gelb 1999.
[8] <http://www.psychotherapie-netzwerk.de/infobuero/therapie/verhaltenstherapie/rational-emotive/rational-emotive.htrn> Rev. 050708.
[9] Ellis, A. (1993): Die rational-emotive Therapie. Das innere Selbstgespräch bei seelischen Problemen und seine Veränderung. München. 5. Aufl. S. 8. Künft. Zit.: Ellis 1993.
[10] Eine andere Bezeichnung ist A-B-C-Theorie der Persönlichkeit. Ellis 1993 : 107.
[11] Ellis 1993 : 95.
[12] Ellis 1993 : 7.
[13] <http://www.psychotherapie-netzwerk.de/infobuero/therapie/verhaltenstherapie/rational-emotive/rational-emotive.htm> Rev. 050708.
[14] Andere Bezeichnungen für die Gesprächspsychotherapie sind klientenzentrierte, personenzentrierte oder nicht-direktive, (non-direktive) Psychotherapie.
Zimbardo 1992 : 410-412.
[16] <http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/Kommunikation/Transaktionsanalyse.shtml> Rev. 050706.
[17] <http://www.itaa-net.org/ta/keyideas.htrn> Rev. 050710.
Kinder ziehen andere 'logische' Schlüsse als Erwachsene. Insofern handelt es sich um bewusste Entscheidungen des Kindes, abhängig von der kindlichen Art zu denken.
[19] Berne, Eric 2004.
[20] <http://www.dgta.de/forberat/taberatung.shtml> Rev. 0507010.
[21] <http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/Kommunikation/Transaktionsanalyse.shtml> Rev. 050705.
[22] <http://www.nlp.de/info/nlp_methode.shtml> Rev.050706.
[23] <http://www.nlp.at> Rev. 050707.
[24] 'Ökologie' ist die systemische Gesamtheit eines in seine Umwelt eingebundenen Individuums. Es verzichtet dabei aber auf jede Kategorisierung im Sinne der Etablierung einer Persönlichkeitstheorie.
[26] Schulz v. Thun, F. 2004): Miteinander Reden 3. Das 'Innere Team' und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek b. Hamburg. 12. Aufl. S. 49. Künft. Zit.: Schulz v. Thun 3) 2004.
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- Angelika Wichert (Author), 2005, Alexander-Technik für individuelle Lebensqualität: Den Alltag entschleunigen und Stress effektiv bewältigen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195468