Prozesse, Tendenzen und Veränderungen in der russischen Mediensprache und im publizistischen Stil seit der Perestrojka


Hausarbeit, 2012

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltverzeichnis

1. Vorwort

2. Entwicklungen und Tendenzen der Mediensprache
2.1 Medien und Sprache
2.2 Veränderungen der Mediensprache mit und seit der Perestrojka
2.3 Lehnwörter als Massenphänomen der Mediensprache

3. Der publizistische Stil
3.1 Überblick über den publizistischen Stil
3.2 Der Stil von Überschriften
3.3 Intertextualität
3.4 Wortspiele
3.5 Ironie und стёб

4. Nachwort

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die Sprache – das ist immer ein Versuch, die Wirklichkeit zu beschreiben, wobei eine solche Beschreibung nicht nur eine Sache bezeichnet, sondern jene Sache zugleich in eine bestimmte Weltanschauung setzt. Mit den politischen Umwälzungen in der UdSSR, die schließlich zu deren Zerfall führten, änderten sich schlagartig die sozialen, ökonomischen, politischen u.a. Lebensbereiche. Nicht zuletzt war es schließlich die Sprache, die sich der neuen Realität anpassen musste. Und dies war in Russland nicht nur nach dem Zerfall der UdSSR so, sondern schon einige Male zuvor; man erinnere sich nur einmal an die Zeit Peters des Großen, der durch seine Europareisen zahlreiche westliche Neuerungen in die russische Kultur brachte.

In diesem Zusammenhang ist es dabei besonders die Mediensprache, die den gesellschaftlichen Veränderungen unterliegt. Denn letztendlich werden solche Neuerungen erst durch das Informieren in die einzelnen Köpfe gebracht. Dass dabei gerade dieses Informieren über etwas stark abhängig ist von den vorherrschenden Macht- und Gesellschaftsverhältnissen überhaupt, sollte einem jeden klar sein. Denn jede Information birgt in sich auch eine determinierte Interpretation.

Mit den eingeleiteten Reformen von Glastnost‘ und Perestrojka, und schließlich dem Zerfall der UdSSR, endete zugleich eine totalitäre Norm, die das gesellschaftliche Leben stark prägte. Vorne weg ist wohl an dieser Stelle die Zensur zu nennen, die einherging mit einer totalitären Ideologie, und welche bis zu den Umwälzungen der 1980er Jahre bestimmte, über was informiert wird, und vor allem auch wie.

Die Sprache der Medien bekam seitdem eine immer größer werdende Individualität, die an vielen Stellen deutlich erkennbar ist. Nicht zuletzt veränderte sich nicht nur die Sprache als solche, sondern zugleich auch ihr Stil. Neues kam hinzu, altes wurde reaktiviert. Diese Neuerungen jedoch als positiv oder negativ einzustufen, erweist sich als nicht einfach. Denn ob etwas gut oder schlecht ist, hat die Geschichte – besser die Menschen – noch nie davon abgehalten, es trotzdem zu tun. Nichts ist ewig, alles ist in Bewegung; so auch die Sprache. Zudem sind solche Betrachtungen auch in gewisser Weise eher subjektiv zu sehen.

Welche genauen Prozesse, Veränderungen und Tendenzen die russische Sprache der Medien und auch der publizistische Stil seit der Perestrojka erfahren haben, und eventuell auch weiterhin erfahren, wird im Folgenden dargelegt. Vorab jedoch auf der nächsten Seite einige Beispiele aus der aktuellen russischen Presse.

Ein Blick in die aktuelle Presse…

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

... Но одно выявилось достоверно: блогосфера была
против Путина не просто критически […] Позиция,
надо сказать, не самая достойная, открывающая
широкий простор для провокаций и воскресающая
времена стукачества 30-х годов, против которых
странство воюют нынешние анонимщики. […] Но они уже есть, что делает Интернет действительно всеобщей трибуной для выражения различных взглядов, превращает в виртуальный «гайд-парк» и очищает от анонимной грязи. […] И сегодня я ни на йоту не изменил свою точку зрения. […] Но в том-то и дело, что теперь, на основе серьёзного анализа происходящего, я считаю, что именно Путин, ставший первым по-настоящему независимым президентом России, способен, а если начистоту, обязан, Богом призвал спасти страну от нынешнего развала. ...

... Все, кто понимает, как велико значение литературы, книги и чтения для развития страны, поддерживали инициативу «фейсбучников». ...

2. Entwicklungen und Tendenzen der Mediensprache

2.1 Medien und Sprache

Jede Zeit hat aufgrund der Entwicklungen der lebendigen Sprache ihren typischen Wortschatz, weshalb auch die Sprachnorm dynamisch ist. Lexikalische Modifikationen betreffen dabei besonders die Sprachsektionen des politischen, ideologischen und kulturellen Jargons, was bedingt wird durch die stete Bereicherung unseres Wissens über natürliche und soziale Prozesse einerseits, sowie durch die Rolle der Medien, d.h. Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen und Zeitschriften andererseits.[1]

Die Massenmedien – das ist eine der wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen, die nicht nur eine ausschlaggebende Auswirkung auf die Formierung von Anschauungen, sondern ebenso auf die Norm des Verhaltens ihrer Anhänger aufweist. Es handelt sich dabei um ein mächtiges Instrument der Beeinflussung und ein Mittel der Manipulation des gesellschaftlichen Bewusstseins.[2] A.S. Mikojan schreibt in dem Zusammenhang, dass eine wichtige Eigenschaft von Medientexten die Verbindung der in ihr enthaltenen Elemente der Mitteilung und des Einflusses ist. Und obwohl die eigentliche Aufgabe der Medienkommunikation nur das Informieren ist, geschieht dies nicht vollkommen neutral, denn in den meisten Fällen wird das reine Informieren begleitet von einer mehr oder weniger direkten, teils auch verschleiernden Wertung. Mit sprachlichen Mitteln und Zitationen wird so das Publikum zu einer bestimmten Reaktion auf das Informierte gebracht.[3] Durch das Kommentieren und Sich-Arrangieren mit einem Ereignis schaffen die Massenmedien moralische Normen, ästhetische Ansichten und Wertungen; oft zwingen sie den Leser sogar zu bestimmten Mustern der Wahrheitsrezeption, ob historisch, sozial-politisch, psychologisch o.ä. Und währenddessen sie dies tun, wirken sie sich ebenfalls auf die Qualität des publizistischen Diskurses aus, auf die Organisation von gesellschaftlichen Lebensmodellen. Die Sprache der Medien zeigt dabei klare soziale Merkmale und eine Beeinflussung auf die sozialen, ökonomischen und kulturellen Lebensbereiche auf. Außerdem wirkt sie sich natürlich auch auf das Sprachbewusstsein der Menschen aus; laut einigen Forschern formen die Massenmedien sogar die sprachlichen Ansichten der Gesellschaft. Sie reagieren am schnellsten auf Veränderungen innerhalb der Sprache und spiegeln jene wieder.[4]

Hauptsächliche Veränderungen im Bereich der massenmedialen Kommunikation werden allerdings ebenso bedingt durch soziale Faktoren. In Russland vollzog und vollzieht sich noch immer ein Wandel im gesellschaftspolitischen Leben. Es ändert sich schließlich auch das kommunikative Paradigma der gegenwärtigen Gesellschaft; die Muttersprachler schaffen sich immer mehr eine eigene Stellung im gesellschaftspolitischen Leben, formieren ihre eigenen Wertungen geschehener Ereignisse, und richten sich im Kommunikationsverhalten nach ihren eigenen Zielen, Motiven und Interessen. So ist die Sprache der Medien am Ende des 20. Jahrhunderts eine Wiederspiegelung der politischen und Sprachkultur der russischen Gesellschaft, welche sich von den totalitären Bestimmungen befreit hat.[5]

Die Massenmedien sind in diesem Zusammenhang eine Sammelstelle und zugleich Verteiler im Informationsfluss, und auch in der sprachlichen Kommunikation. Sie tragen zur Formierung und Normierung des Wortschatzes bei, wobei unter Normierung zu verstehen ist, dass sie – also die Medien – einen Einfluss auf die gesellschaftlichen Vorstellungen von normgerechter richtiger Sprache haben. Parallel reflektieren die Medien aber ebenfalls den „Kampf zwischen einem etablierten System von Ideen und seiner Opposition in der Mediensprache“[6]. Nicht zuletzt ist es gerade die Jugend, die mit ihrer Motivation und Triebkraft eine tragende Rolle einnimmt, was sich im Generationskonflikt wiederspiegelt.[7]

Die Sprache der Medien – so Joern-Martin Becker von der Greifswalder Universität – ist immer auch die Sprache von wenigen einzelnen, die dem Publikum ein allgemeingültiges Sprachmodell liefern. Sie soll dabei informieren, Ideen verbreiten und werben. „Das Erreichen einer hohen Information und Beeinflussbarkeit der Bevölkerung“[8] ist schließlich das Ziel der Mediensprache.[9]

Der gesellschaftliche Wandel in der Sprache vollzieht sich dabei besonders über stets neu entstehende Lexik, neue Worteinheiten und Konnotationen. Durch gleichen und wiederholenden Gebrauch von Elementen einzelner Sprachschichten kommt es schließlich zur Normierung und Übernahme in die kodifizierte Sprache. Die Funktion der Medien sorgt in diesem Zusammenhang dafür, dass solche Neuschöpfungen in die Allgemeinsprache getragen werden.[10]

Nicht zuletzt sind es politische Umwälzungen, die neue sprachliche Erscheinungen mit sich bringen; besonders eine Belebung der Allgemeinsprache, welche durch die Medien auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene gehoben werden. Nichtkodifizierte Umgangssprache wird so Ausgangspunkt für Veränderungen der Literatursprache.[11]

2.2 Veränderungen der Mediensprache mit und seit der Perestrojka

Die Sprache der Medien weist seit den letzten Jahren vielzählige Veränderungen auf, welche sich teils durch exzessives Auftauchen auszeichnen. Dabei steht immer mehr das Reizen und Schockieren des Publikums im Vordergrund. Außerdem besticht die Sprache der Medien immer mehr durch eine Übersättigung mit Anglizismen, sowie durch eine Fülle an Lexik aus dem normalen Jargon, der Gaunersprache, der матерщина[12]. Daneben wird ebenso eine Veränderung des normalen Sprechtempos und der normativen Intonation beobachtet. Letzteres gilt dabei besonders für die Nachrichtensprecher, denen man die vorsätzliche Anglisierung ihrer Intonation vorwerfen kann. Ein Grund für die Veränderung der Intonation liegt in diesem Zusammenhang daran, dass in den letzten Jahren vermehrt in Radio und Fernsehen Leute beschäftigt werden, die keine spezielle Ausbildung auf dem Gebiet der mündlichen russischen Sprache inne haben, sondern andere Fremdsprachen studierten, meistens jedoch Englisch. Es wird in der Universität die englische Intonation so auswendig gelernt, dass ein Automatismus entsteht, der wiederum zu Problemen führt bei der Intonation der russischen Sprache. J.L. Vorotnikov beschreibt an dieser Stelle, dass statt der zu verwendenden Intoneme IK-1 und IK-2 oft die aus dem Englischen bekannten glide up und glide down benutzt werden.[13]

Vor der Perestrojka bedingte die Sprache einiger Parteiideologen, Politiker und Propagandisten der KPdSU über die Medien in großem Umfang die Sprache der Gesellschaft, denn die individuelle Sprache unterliegt oft der Mode und Anpassung durch die Medien. An dieser Stelle soll ein Gedanke Friedrich von Schillers die Bedeutung der Sprache näher erläutern. Er schrieb, dass „Sprache […] nicht nur für mich [dichtet und denkt], sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse“[14]. Dass eine Ideologie, egal wie sie ausgerichtet ist, die gesamte Sprache beeinflusst, bewies schließlich Victor Klemperer, der dies explizit an der Sprache des Dritten Reiches nachwies.[15]

Nichtsdestotrotz wirkte sich auch in der ehemaligen UdSSR die Sprache oppositioneller sozialer Gruppen auf die Sprachentwicklung aus, wodurch bestimmte sprachliche Normen verändert wurden. In die russische Sprache floss also eine neue Lexik; darunter gibt es Anglizismen, Eigenschöpfungen, Entlehnungen aus anderen Sprachen und Internationalismen. Mit dem gesellschaftlichen Umbruch in den Achtziger Jahren wurde dabei diese Tendenz immer stärker, weil die immer mehr unabhängig gewordenen Medien besonders die Sprache der Opposition schätzten.[16]

Heutzutage fällt unter den Veränderungen in der Sprache der Medien auf, d.h. mit dem Wegfall der totalitären Ideologie in der UdSSR und einer um die Reinheit der Sprache bemühten Zensur, dass die Diskrepanz zwischen Norm und Usus immer größer wird. Viele wollen bewusst ihre Unabhängigkeit zeigen, indem sie sich von der „alten Sprache“ abgrenzen, d.h. indem sie vermehrt Fremdwörter, Modernismen und Neologismen verwenden. Joern-Martin Becker meint an dieser Stelle, dass es heute zu einer Überreaktion auf die gesellschaftlichen Umbrüche in der ehemaligen UdSSR kommt. Dies geht allerdings einher mit einer mehr oder weniger kritischen Verarbeitung der Vergangenheit.[17]

Besonders fällt in der heutigen Medienlandschaft auf, dass das просторечие und die Jugendsprache immer mehr an Bedeutung gewinnen.[18] Auch A.S. Mikojan erwähnt diese Besonderheit, wenn er schreibt, dass sich die Mediensprache speziell durch die Verwendung umgangssprachlicher und nicht normativer Lexik auszeichnet. Dies geschieht dabei häufig in schriftlichen Texten, um zum Gesagten eine bestimmte Beziehung auszudrücken.[19] Gleichzeitig kommt es jedoch darüber hinaus zu einer Verwendung von Archaismen und bibelsprachlichen Elementen. Natürlich gab es auch zu Zeiten der Sowjetunion solche historische und bibelhafte Lexik, jene wurde jedoch an die Ideologie angepasst.[20]

[...]


[1] vgl. J.-M. Becker: Aktuelle Prozesse in der russischen Mediensprache. S. 4.

[2] vgl. Petrova N.E. u. Raciburskaja L.V.: Jazyk sovremennych SMI. Sredstva re čevoj agressii. S. 6.

[3] vgl. Mikojan A.S.: Problemy perevoda tekstov SMI.

[4] vgl. Petrova N.E. u. Raciburskaja L.V.: Jazyk sovremennych SMI. Sredstva re čevoj agressii. S. 6.

[5] ebd. S. 6.

[6] vgl. J.-M. Becker: Aktuelle Prozesse in der russischen Mediensprache. S. 4.

[7] vgl. ebd. S. 4.

[8] vgl. ebd. S. 4.

[9] vgl. ebd. S. 4.

[10] vgl. ebd. S. 5.

[11] vgl. ebd. S. 10.

[12] Mat, Maternyj jazyk oder Materščina bezeichnet die obszöne und vulgäre Lexik der russischen Umgangssprache, die zumeist verpönt wird.

[13] vgl. Vorotnikov J.L.: Russkij jazyk v SMI. O nekotorych osobennostjach jazyka sredstv massovoj informacii.

[14] J.-M. Becker: Aktuelle Prozesse in der russischen Mediensprache. S. 5.

[15] vgl. ebd. S. 5.

[16] vgl. ebd. S. 5-6.

[17] vgl. ebd. S. 6.

[18] vgl. ebd. S. 7.

[19] vgl. Mikojan A.S.: Problemy perevoda tekstov SMI.

[20] vgl. J.-M. Becker: Aktuelle Prozesse in der russischen Mediensprache. S. 8.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Prozesse, Tendenzen und Veränderungen in der russischen Mediensprache und im publizistischen Stil seit der Perestrojka
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Slavistik und Sprechwissenschaft)
Veranstaltung
S-Medien und Medienpolitik in Russland Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jh.
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
27
Katalognummer
V195509
ISBN (eBook)
9783656213314
ISBN (Buch)
9783656213215
Dateigröße
1969 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit russischsprachigen Beispielen.
Schlagworte
publizistischer Stil der russischen Sprache;, russische Mediensprache;, russische Sprache der Medien, besonderheiten der russischen mediensprache;, russische medienkommunikation;
Arbeit zitieren
Sebastian Wagner (Autor:in), 2012, Prozesse, Tendenzen und Veränderungen in der russischen Mediensprache und im publizistischen Stil seit der Perestrojka, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195509

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