"Indeed, the daring action of Aristogiton and Harmodius was undertaken in consequence of a love affair, which I shall relate at some length, to show that the Athenians are not more accurate than the rest of the world in their accounts of their own tyrants and of the facts of their own history." Thukydides, 6.54.1
Mit diesen Worten leitet Thukydides seinen Exkurs über die Ermordung einer der beiden athenischen Tyrannen im Jahre 514 ein.
Hierbei handelt es sich um ein adliges Freundespaar, das im Jahre 514 vor Christus einen Anschlag auf die herrschenden Tyrannen ausübte und dabei ums Leben kam. Eine Tat, die anscheinend so bedeutend war, dass sie schon bald zu der Aufstellung einer Statuengruppe führte, die auf der Agora mitten ins politische Zentrum gesetzt wurde. Zusätzlich zu dieser Statuengruppe entstand im 5. Jh vor Christus, den Attentätern zu Ehren, ein Trinklied, welches in einem Aufsatz aus dem Jahre 1916 sogar als "Marseillaise of Athens" betitelt wird.
Es ergäbe sich nun also ein rundes Bild von zwei Helden, die für die Freiheit der Athener starben, existierten nicht Aufzeichnungen von Herodot und eben Thukydides, die eindeutig überliefern, dass nicht 514, sondern 511 vor Christus die Tyrannei gestürzt wurde und dass der Sturz mehr das Werk der Alkmeoniden und Spartaner als der sogenannten Tyrannentöter war.
Die Diskrepanz zwischen diesen zwei Versionen hat nicht nur mich, sondern vor mir schon viele beschäftigt. Wer brachte denn nun die Demokratie? Die Geschichtswissenschaft bietet viele Antwortmöglichkeiten: Solon sei es gewesen, Kleisthenes oder Ephialtes. Keiner davon heißt Aristogeiton und Harmodios. Eine Geschichtsfälschung habe also im Athen des 5. Jahrhunderts stattgefunden, darüber sind sich moderne und alte Historiker einig. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Die Konstruktion einer gemeinsamen Vergangenheit
- Erinnern und Vergessen: Zur Basis einer Identität
- Die Zirkulation von Geschichtsfiguren: Kommunikatives und Kulturelles Gedächtnis
- Die Konstruktion des Tyrannentötermythos
- Die Erinnerungsbildung
- Mündliche Tradition im Griechenland des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr.
- Die Entstehung der Schriftliche Tradition
- Die Überlieferungen
- Schriftliche Quellen
- Das Trinklied
- Die Statuengruppe
- Die Komödie "Lystrate"
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser Arbeit ist es, die Konstruktion des Tyrannentötermythos in Athen zu untersuchen und zu analysieren, wie sich dieser Mythos im kulturellen Gedächtnis der Athener manifestiert hat. Die Arbeit beleuchtet insbesondere die Rolle von Erinnern und Vergessen im Prozess der Identitätsbildung und den Einfluss der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschichte auf die Wahrnehmung historischer Ereignisse.
- Die Rolle des Tyrannentötermythos für die attische Identität
- Die Entstehung und Entwicklung des Mythos in mündlicher und schriftlicher Tradition
- Die Frage nach der historischen Wahrheit und der Einfluss der gesellschaftlichen Erinnerung auf die Geschichtsinterpretation
- Der Zusammenhang zwischen Erinnerungskultur und politischer Identität
- Die Bedeutung von Geschichtsfiguren für die Konstruktion einer gemeinsamen Vergangenheit
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Erinnerung und Identität. Der Autor greift auf Jan Assmanns Theorie des kulturellen Gedächtnisses zurück, um zu zeigen, wie die individuelle und gesellschaftliche Erinnerung zusammenwirken, um Geschichte zu konstruieren und Identität zu prägen. Dabei wird deutlich, dass die Erinnerung an historische Ereignisse nicht als neutrale Wiedergabe der Vergangenheit zu verstehen ist, sondern als ein komplexer Prozess, der durch gesellschaftliche Normen, Werte und Bedürfnisse geformt wird.
Das zweite Kapitel untersucht die Entstehung des Tyrannentötermythos in Athen. Der Autor analysiert verschiedene Quellen, darunter schriftliche Überlieferungen, mündliche Traditionen und Kunstwerke, um die Entwicklung des Mythos von der frühen mündlichen Tradition bis zur späten klassischen Periode zu rekonstruieren. Dabei werden die unterschiedlichen Perspektiven auf die historische Ereignisse beleuchtet und die Frage nach der historischen Wahrheit im Kontext des Tyrannentötermythos diskutiert.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Tyrannentötermythos, kulturelles Gedächtnis, Erinnerung, Vergessen, Identität, Geschichtskonstruktion, Athen, antikes Griechenland, politische Geschichte, Kulturgeschichte.
- Citation du texte
- Charlotte Schneider (Auteur), 2010, Die Konstruktion des Tyrannentötermythos, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195829