Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Inhaltlicher Abriss
III Die Darstellung des Bürgerkrieges
III.I Herbal und Daniel da Barca – Sieger und Besiegter? Täter und Opfer?
III.II Das Gefängnis als menschenfeindlicher Ort
III.III Die Rolle der Kirche
IV El lápiz del carpintero im Spiegel des spanischen Vergangenheitsbewältigungsprozesses
V Fazit
VI Bibliografie
I Einleitung
Der spanische Bürgerkrieg gehört zu den Dreh- und Angelpunkten der spanischen Geschichte. Er hat nicht nur unauslöschliche Spuren in der Struktur des Landes und in der Beziehung seiner Bewohner zueinander hinterlassen, sondern inspiriert auch die Fachwelt schon seit mehreren Jahrzehnten. Kaum ein anderer Abschnitt der spanischen Geschichte ist von Historikern mit ähnlicher Intensität erforscht worden. Allein im Jahr 2007 erschienen über 150 Werke, die den Bürgerkrieg und seine Folgen auf verschiedenste Art und Weise thematisieren (Vgl. Bibliotéca Nacional de España 2008). Auch der literarischen Welt bieten die Geschehnisse von 1936 bis 1939 ein unerschöpfliches Arsenal von Geschichten für neue Erzählungen.
Trotz dieser Flut an Literatur hat sich ein fruchtbarer Prozess der Vergangenheitsbewältigung in Spanien bis heute nicht entwickeln können. Gründe dafür sind sowohl die einseitige Erinnerungspolitik unter Franco, wie auch der Pacto del Olvido und die damit einhergehende Verdrängungspolitik während der Transición. Es ist daher leicht nachzuvollziehen, dass, gerade auf Seite der republikanischen Opfer, das Bedürfnis dem eigenen Schmerz Ausdruck zu verleihen gleichbleibend hoch ist. Heute fehlt es der Politik meist schlicht am nötigen Willen sich neben den Heldentaten des Krieges auch eingehend mit den unangenehmen Seiten der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Erst in den letzten Jahren lassen sich, mit Gesetzentwürfen wie dem Ley de la Memoria, erste zögerliche Schritte hin zu einer umfassenden Aufarbeitung des Geschehenen erkennen.
Bleibt ein langfristiges Umdenken in Politik und Bevölkerung jedoch aus, so wird die Erinnerung an den Bürgerkrieg sukzessive mit der Zeitzeugengeneration aussterben und damit für immer verloren gehen. Da das gemeinsame Erinnern nicht zuletzt seit Pierre Nora und seiner Theorie der Lieux de Mémoires einen essenziellen Bestandteil der kollektiven Identität darstellt, würde sich dieser Verlust gravierend auf die gemeinsame Zukunft aller Spanier auswirken, denn:
„Sin la guerra y sin una memoria actualizada de ésta parece imposible [...] concebir una identidad colectiva e individual solvente y ambiciosa. Sin la guerra y su recuerdo, cualquier proyecto cultural parece escamotear el centro neurálgico de un pasado recurrente que premia a quien que lo afronta y castiga a quien pretende dejarlo atrás de una vez y para siempre(Gómez López-Quiñones 2006: 101).”
Genau an diesem Punkt setzt Manuel Rivas mit seinem Roman El lápiz del carpintero an. Er stellt in ihm die verschiedenen Möglichkeiten dar, die persönlichen Erinnerungen der Zeitzeugen an folgende Generationen weiterzugeben. Gleichzeitig sucht er jedoch auch einen neuen Zugang zur Bürgerkriegsthematik an sich. Mit dem ehemaligen Gefängniswärter und franquistischen Mitläufer Herbal schafft er ganz bewusst Raum für die persönlichen Erinnerungen der einfachen Leute, um so die vorherrschende historische Meinung zu komplettieren. Die vorliegende Arbeit untersucht, welches Bild Rivas dabei vom Bürgerkrieg zeichnet und welchen Beitrag der Roman dadurch zum Prozess der Vergangenheits-bewältigung in Spanien leisten kann.
II Inhaltlicher Abriss
Manuel Rivas thematisiert in El lápiz del carpintero die Erinnerungsarbeit von Zeitzeugen im Bezug auf den spanischen Bürgerkrieg, sowie die Möglichkeiten, diese Erinnerungen an folgende Generationen weiterzugeben und damit dauerhaft vor dem Vergessen zu bewahren.
Er beginnt dabei zunächst mit einer Einführung in den zeitgengeschichtlichen Kontext. Im Galizien der 90er Jahre besucht der junge Journalist Carlos Sousa den sterbenden Republikaner und ehemaligen Arzt Daniel da Barca[1], um eine Reportage über dessen Leben zu schreiben. Erscheint Sousa zunächst völlig desinteressiert, so wächst seine Faszination für die Persönlichkeit Da Barca im Laufe des Treffens. Dieser versteht es, das Gespräch in seinem Sinne zu leiten, gibt dabei jedoch nur wenig von sich selbst Preis und beschränkt sich auf Anspielungen auf die Zeit des Bürgerkrieges. So bleiben Sousas Bemühungen um eine Aufarbeitung der Vergangenheit erfolglos. Der Dialog zwischen den Beiden bricht an dieser Stelle ab und wird im Laufe des Romans nicht fortgeführt.
Es folgt nun eine zweite Rahmenhandlung, welche die Erzählebene des folgenden Berichts bilden wird. Wie schon im ersten Kapitel handelt es sich hierbei um den Versuch eines Generationendialogs in den 90er Jahren. In einem Bordell nahe der galizischen Stadt Fronteira berichtet der ehemalige franquistische Gefängniswärter Herbal der Prostituierten Maria da Visitação von seinen persönlichen Erinnerungen an den Bürgerkrieg und seiner Beziehung zum Republikaner Daniel da Barca. Herbal, der sein Lebensende dort als „Mädchen für alles verbringt“, bildet die zentrale Erinnerungsinstanz des Romans. Durch sie erfährt der Leser den Bürgerkrieg erstmals aus der Sicht eines franquistischen Mitläufers.
Herbal schildert den Alltag der republikanischen Insassen im Gefängnis von Santiago de Compostela. Er berichtet in vielen kleinen Episoden von nächtlichen Folterungen und Massenerschießungen, aber auch von der Solidarität unter den Gefangenen und ihren Versuchen, der Hoffnungslosigkeit des Gefangenseins mit Fantasie und Intellekt zu entfliehen.
Herbal selbst ist ein gewissenloser Mitläufer. Dies ändert sich erst, als er selbst damit konfrontiert wird, einen pro-republikanischen Maler erschießen zu müssen. Dieses Ereignis hinterlässt tiefe Spuren in Herbals Leben. Immer wieder aufwallende Schuldgefühle, die er durch verschiedenartigste Rechtfertigungsversuche[2] abzumildern versucht, begleiten ihn von diesem Tag an genauso, wie der Geist des toten Malers selbst, welcher ihn als innere Stimme des Gewissens zu menschlichem Handeln animiert. Er wird im Laufe der Zeit zu einem festen Bestandteil seines Lebens und befreit Herbal zumindest zeitweise aus seiner Einsamkeit. Auch nimmt Herbal den roten Zimmermannsstift des Erschossenen an sich und trägt ihn von nun an stets hinter seinem Ohr. Dieser steht sinnbildlich für Herbals Erinnerungen und zieht sich als Leitmotiv durch den gesamten Roman. Die Ermordung des Malers ist für den Gefängniswärter von so zentraler Bedeutung, dass er seine Erzählung in medias res mit ihrer Schilderung beginnt.
Im Fokus seiner Erinnerung steht neben dem Maler vor allem sein gespaltenes Verhältnis zu Daniel da Barca und die unerfüllte Liebe zu dessen Verlobter Marisa Mallo[3]. Einerseits bespitzelt Herbal den Arzt schon vor Beginn des Bürgerkrieges. Er ist später aktiv an dessen Verhaftung beteiligt und denunziert ihn im Gefängnis bei jeder Gelegenheit. Andererseits schützt er ihn auf Drängen des Malers jedoch auch mehrmals vor Folter oder Erschießung und begleitet ihn auf seiner Odyssee durch mehrere Gefängnisse, von Santiago de Compostela, über A Coruña, bis in ein Tuberkulose-Spital bei Valencia. Ihr Weg trennt sich erst, als Da Barca aufgrund mehrfacher Konspirationsversuche ins Militärgefängnis San Simón verlegt wird. Während der Überführung dorthin erweist ihm Herbal noch einen letzten heimlichen Freundschaftsdienst, indem er ihm eine Hochzeitsnacht mit Marisa, die dieser kurz zuvor per Fernehe geheiratet hatte, ermöglicht.
Die zahlreichen Verknüpfungspunkte im Leben der beiden Männer scheinen jedoch nur von Herbal als solche wahrgenommen zu werden. H So wird Herbals Bericht von der Person Daniel da Barca bestimmt, während Schilderungen über sein eigenes Leben selten bleiben und stets karg ausfallen. Er bewundert den angesehenen Arzt und pro-republikanischen Intellektuellen, der all das besitzt, was Herbal sich sehnlichst wünscht: Liebe, Mut und Anerkennung. Gleichzeitig missgönnt er ihm jedoch auch sein Glück, besonders im Bezug auf die Liebesbeziehung mit Marisa Mallo.
Im Laufe des letzten Kapitels werden schließlich alle Handlungsstränge in der Gegenwart zusammengeführt. Der deprimierte Journalist Sousa taucht als Kunde im Bordell auf. Herbal beendet seinen Bericht und gibt den roten Zimmermannsstift des Malers an Maria weiter, sodass seine Erinnerungen durch sie weiterleben können. Als er vom Tod da Barcas erfährt drückt Herbal erstmals explizit aus, welche tiefe emotionale Bedeutung der Verstorbene und dessen Frau für ihn hatten. Auch er selbst sieht nun, nach Abschluss seines Berichtes, dem nahenden Tod entgegen.
[...]
[1] Die fiktive Figur des Daniel da Barca wurde inspiriert vom galizischen Arzt Francisco Comesaña. Manuel Rivas hatte diesen 1989 in Tuy kennengelernt und beschloss nach dessen Tod 1997 sein Andenken in einem Roman festzuhalten. Comesaña war überzeugter Republikaner und floh nach Jahren in franquistischen Gefängnissen ins mexikanische Exil (Álamo Felices 2002: 78).
[2] So stellt er die Erschießung des Malers als Akt des Mitleids dar und schiebt die Verantwortung dafür auf den Direktor des Gefängnisses ab, der ihn darum gebeten habe den Toten vor schlimmen Folterungen zu bewahren und ihn nicht leiden zu lassen (Rivas 2007: 23). Er selbst versucht das Ausmaß seines Verbrechens zu minimieren, indem er es mit der Tötung eines verletzten Fuchses durch seinen Onkel den Fallensteller vergleicht (Rivas 2007: 21).
[3] Auch für die Figur der Marisa Mallo griff Rivas auf eine real existierende Person zurück. Sie entspricht Conchina Concheiro, der Ehefrau Francisco Comesañas (Álamo Felices 2002: 78).