Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Prolog
2. Präsidentieller Führungsanspruch und rhetorische Wirkungsmacht
2.1 Begriff, Aspekte und Funktionen der Politischen Führung
2.2 Systemisch begründete Führungsaffinität präsidentieller Antrittsrhetorik
3. Das Konzept der Transformativen Führung
3.1 New Leadership Approach als Paradigmenwechsel in der Führungsforschung
3.2 Transformative, transformationale, transaktionale und charismatische Führung
3.3 Vier I´s als Säulen des transformationalen Führungsstils
3.4 Führungsbegünstigende Kontextfaktoren
4. Elemente und Instrumente politischer Führung in der Amtsantrittsrede
4.1 Kriterium der Idealiced Influence
4.2 Kriterium der Inspired Motivation
4.3 Kriterium der Intellectual Stimulation
4.4 Kriterium der Individual Consideration
5. Epilog
Literaturverzeichnis
1. Prolog
Spätestens seit den großen Rednern der Antike gilt die öffentliche politische Artikulation als wichtiges, vielleicht sogar bedeutendstes Herrschafts- und Führungsinstrument. Die politische Rede ist dabei beides zugleich: eine kommunikative Brücke zwischen Rhetor und Rezipienten mit dem bloßen Ziel der Informationsweitergabe als auch persuasives Instrument politischer Steuerung. Der deutsche Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat hat die ihr innewohnende instrumentelle Ambivalenz bereits 1937 prägnant mit folgenden Worten umschrieben: „Die Rede ist das schönste und wirksamste Mittel der Volksverführung. Oft missbraucht, ebensooft mißbildet, falsch angewandt und fehlgeformt, hat sie seit jeher viel Spott ertragen müssen. [...] Und doch ist sie und bleibt sie die stärkste Kraft, Glauben zu wecken, Überzeugungen zu erhärten, Niedergehendes zu erschlagen, Aufgehendes hochzubringen und die Massen aus alten Denkpfaden herüberzureißen in die Straßen neuer Hoffnungen.“[1]
Beflügelt von der Hoffnungshysterie seiner Anhängerschaft und scheinbar getragen vom Geist der Geschichte nutze auch Barack Obama seine politische Rhetorik wiederholt um seinen Führungsanspruch zu untermauern. Gerade seine erste Amtsantrittsrede vom 20 Januar 2009 war es, die in diesem Kontext einen bedeutsamen Grundstein legte. In nur 18 Minuten gelang es dem nunmehr 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten die Herzen seiner Landsleute und der Weltbevölkerung zu öffnen und das deformierte Selbstbewusstsein der zutiefst zerrütteten Nation für eine Weile wieder neu aufzurichten. Mit seinen beiden Kernbotschaften „Hope“ und „Change“ versprach er die Krise zu meistern und die USA unter seiner Egide wieder zu neuer Stärke zu führen - Deutlicher und reichweitenstärker hätte ein amerikanischer Präsident seine Befähigung zur Führung des Landes nicht artikulieren können.
Es mag deshalb nicht verwundern, dass gerade im interdisziplinären Forschungsbereich der Politolinguistik ein besonderes Interesse auf der enormen Bedeutung eben dieser einzigartigen amerikanischen Redegattung im Zusammenhang mit dem politischen Führungsanspruch des US-Präsidentenamtes liegt. In meiner Hausarbeit möchte ich mich deshalb zunächst darum bemühen den Begriff der politischen Führung und dessen zentrale Aspekte näherungsweise zu definieren und anschließend auf die Bedeutung und Funktionen der Amtsantrittsrede in diesem Zusammenhang eingehen. Auf der theoretischen Grundlage des Konzeptes der transformativen Führung sollen im Folgenden dann, anhand der zentralen vier Säulen transformationaler Führung nach Bass und Avolio, sprachliche Elemente und rhetorische Instrumente der politischen Führung identifiziert, analysiert und schlussendlich auch exzerpiert werden. Nicht zuletzt wird sich die Argumentation dabei sowohl auf inhaltliche Belege, qualitative und quantitative Analyseaspekte des Redetextes als auch die performative und kontextuelle Evaluation des Redeereignisses stützen.
2. Präsidentieller Führungsanspruch und rhetorische Wirkungsmacht
2.1 Begriff, Aspekte und Funktionen der Politischen Führung
Wie bereits eingangs angedeutet existiert keine universelle, allgemein gültige Definition der politischen Führung. Zum besseren Verständnis sei zunächst dennoch auf einen sozialpsychologischen Definitionsversuch verwiesen. In dieser Disziplin wird Führung verstanden als „Fähigkeit, im Umgang mit Menschen deren individuelle Bedürfnisse mit den Zielen der Organisation oder Gruppe soweit in Einklang zu bringen, dass durch Kooperation eine möglichst effiziente Zielrealisierung möglich wird.“[2] Es lassen sich hieraus zwei wichtige Aspekte ableiten: Erstens findet Führung stets in einer sozialen Beziehung (zwischen zwei oder mehr Personen) statt. Zweitens erfolgt sie immer zielorientiert. Die Zielsetzung wird idealiter vom Führer (Rhetor) vorgegeben und die heterogene soziale Struktur der Gruppe (Auditorium) zu einer homogenen Einheit geformt, um eine optimale Zielerreichung zu gewährleisten. Die Führungsbeziehung ist dabei durch eine soziale Asymmetrie, also Über- (Führer) und Unterordnung (Geführte), gekennzeichnet. Nach Werner Müller werde hierbei der Führer als das „soziale Agens“ meist in den Mittelpunkt gestellt dem Geführten hingegen, eher ein passiver Status zugeschrieben.[3] Geführt werden ist allerdings kein grundsätzliches oder gar genetisch bedingtes Wesensmerkmal von Personen, sondern vielmehr „temporäre, situationsgebundene, mal fest, mal lose umrissene, jederzeit wieder aufgebbare, aber auch erweiterbare Bereitschaft, einen Beeinflussungsversuch durch eine andere Person spontan oder nach einiger Zeit, teilweise oder in Gänze, anzunehmen“[4], so der Betriebswirtschaftler Jürgen Weibler. Führung könne zwar eingefordert und erzwungen werden, wird aber im Idealfall viel eher zugeschrieben.[5] Weil Führung jedoch immer ein bestimmtes Ziel verfolgt, ist sie primär als ein Prozess zu verstehen, der konsequent auf eine zeitnahe Zielerreichung hinarbeitet. Als politisch kann Führung immer dann bezeichnet werden, wenn ihr Anspruch auf der Herstellung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidungen in und zwischen Gruppen von Menschen begründet wird.[6] Sie ist dabei idealtypisch betrachtet entweder struktureller, d.h. institutioneller oder personaler Natur.[7] Zu ihren ureigensten Aufgaben zählt es im Gemeinwesen Orientierung zu schaffen, Koordinierungs-, Regel- und Steuerleistungen zu erbringen als auch Verantwortungs- sowie Repräsentationspflichten zu übernehmen.[8]
Die Effektivität der Führung wird nach von Rosenstil prinzipiell mittels der generellen ökonomischen Effizienz, also anhand materieller (bspw. Umsatz) und immaterieller (bspw. Zufriedenheit) Kriterien beurteilt, wobei dieser organisationspsychologische Ansatz nur bedingt auf die Politik übertragbar ist.[9] Als Indikatoren werden in dieser „Branche“ tendenziell eher Zustimmungsraten aus der Demoskopie oder die zeitige Realisierung bedeutender politischer Vorhaben herangezogen.
2.2 Systemisch begründete Führungsaffinität präsidentieller Antrittsrhetorik
Grundsätzlich existiert ein starker Zusammenhang zwischen der Struktur des politischen Systems und der Intensität der öffentlichen Einforderung, respektive Legitimation[10] des politischen Führungsanspruchs eines Amtes. Die Politologen Gary Schaal und Claudia Ritzi verweisen diesbezüglich auf die Führungsaffinität präsidentieller Systeme.[11] In einem solchen Systemtypus ist der US-Präsident als oberstes Staatsoberhaupt, so der Politologe Klaus Stüwe, zugleich „Symbol der [...] Nation und der Inbegriff politischer Führung.“[12] Obgleich seine tatsächlichen Gewaltbefugnisse (Siehe Art. II, Sec. 2 der U.S. Constitution) häufig an die Grenzen der komplexen Gewaltenteilung („checks and balances“) stoßen mögen, erfährt das Amt und die öffentliche Wahrnehmung dessen Kompetenzen einen faktischen und auch fiktiven Bedeutungszuwachs. Begründet wird dies u.a. mit folgenden Entwicklungen:
1) Der wachsende internationale Einfluss der USA, der sich insbesondere in der Frage der militärischen Intervention durch die Befugnisse des US-Präsidenten als Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte („Commander-in-Chief“) artikuliert.[13]
2) Das zunehmende Engagement des Staates auf sozialem und wirtschaftlichen Gebiet, das sich in der allgemeinen Ausweitung der staatlichen Einflusssphäre widerspiegelt.[14]
3) Der Personalisierungseffekt der kommerziellen Massenmedien, der Unmittelbarkeit und Wirkungskraft der politischen Kommunikation im Alltagsleben erhöht.[15]
4) Die Zunahme des generellen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Problemdrucks, dessen individuelle Ohnmächtigkeitserfahrungen nicht zuletzt ein gesteigertes Bedürfnis nach klarer, zurechenbarer politischer Führung mit sich bringen.[16]
Der Politikwissenschaftler Ludger Helms stellt in diesem Zusammenhang außerdem fest, dass die „Legitimation politischer Macht [...] heute in viel stärkerem Maße als [noch] vor einigen Jahrzehnten an eine kommunikative Leistung gekoppelt [ist].“[17] Es ist deshalb nur plausibel, dass die Redegattung der „Inaugural Address“ als kommunikatives Mittel zur Einforderung des legalen und charismatischen Führungsanspruches des amerikanischen Präsidenten einen derartigen Bedeutungszugewinn verzeichnen konnte. Obwohl im Wortlaut der Verfassung von 1787 ursprünglich nicht vorgesehen, gilt sie spätestens seit der intensiven Nutzung moderner Massenmedien durch politische Ikonen wie Theodore Roosevelt, Ronald Reagan und John F. Kennedy als reichweitenstärkstes rhetorisches Führungsinstrument des neuen Staatsoberhauptes. Die ihr innewohnenden Funktionen lassen sich wie folgt darstellen[18] :
1) Das Meistern des Spagates zwischen legaler und charismatischer Herrschaft[19], indem einerseits die verfassungsrechtlichen Grenzen des Präsidentenamtes, andererseits das außerordentliche Charisma und die einzigartige Führungskompetenz des Bewerbers zum Ausdruck gebracht werden.[20]
2) Die situative Überwindung der natürliche Spaltung der Nation, indem alle Bürger in ein Nationalgefühl integrieren werden, um den neuen Amtsinhaber als Präsidenten aller Amerikaner zu profilieren und gleichzeitig eine deutliche programmatische Abgrenzung vom Vorgänger vorzunehmen, die zudem das eigene Wählerklientel stimuliert.[21]
3) Die Verbindung der universellen amerikanischen Werte, d.h. eine gelungene Symbiose zwischen Vergangenheit (Erbe) und Gegenwart (Vision), sodass eine glaubwürdige Perspektive für die Herausforderungen der Zukunft entstehen kann.[22]
4) Die Überzeugung des amerikanischen Volkes sowohl von der Besonderheit und dem Stellenwert des amerikanischen Sendungsbewusstseins als auch die Stimulation diverser, teils breit gefächerter internationale Erwartungshaltungen.[23]
3. Das Konzept der Transformativen Führung
3.1 New Leadership Approach als Paradigmenwechsel in der Führungsforschung
Mit dem zunehmenden Fokus auf charismatische Führungskonzepte und der damit einhergehenden ganzheitlichen Erfassung der Führungspersönlichkeit, vollzog sich innerhalb der Führungsforschung inmitten der 80er Jahre ein Paradigmenwechsel, der die bis in die Anfänge dieses Jahrzehnts dominierenden situativen, bzw. kontingenztheoretischen Ansätze abzulösen vermochte. Der Führungsforscher Gary Yukl, der die Führungstheorien grob in 5 Klassen einteilt, ordnet diesbezüglich die Konzepte der transformationalen, transaktionalen und auch charismatischen Führung den integrativen Ansätzen zu.[24] Die Besonderheit dieser Klasse liegt nicht nur in der historischen Parallelität der Genese der ihr zugehörigen Theorien, sondern vielmehr darin, dass sie sich allesamt bemühen den Zusammenhang zwischen genetischer Prädisposition, der Persönlichkeitsstruktur, den Attributen und dem Verhalten von Führungskräften sowie diverser kontextueller Einflussfaktoren und psychologischer Wirkmechanismen zu ergründen. Es liegt die Annahme zugrunde, dass Führungsverhalten sowohl genetisch begünstigt sein als auch erlernt werden kann. Weil sich insbesondere die transformationale und charismatische Führung die Frage stellen, wie Menschen durch kluge Führung zu Höchstleistungen angespornt werden können, bilden diese als Teil des new leadership approach einen eigenen Zweig in der interdisziplinären Führungsforschung
[...]
[1] Emil Dovifat: Rede und Redner. Ihr Wesen und ihre politische Macht. Leipzig 1937, S. 7.
[2] Karl-Heinz Hillmann: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 20075, S. 252.
[3] Werner R. Müller: Führung und Identität. Stuttgart/Bern 1981, S. 5.
[4] Jürgen Weibler: Obama kam, sprach und siegte – Oder wie Reden Führung begründen. In: Jürgen Weibler (Hrsg.): Barack Obama und die Macht der Worte. Wiesbaden 2010, S. 15.
[5] Vgl. Ebd., a.a.O.
[6] Vgl. Dieter Nohlen und Rainer Schultze (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft Bd2. München 20104, S. 746.
[7] Vgl. Stefan L. Dörr: Motive, Einflussstrategien und transformationale Führung als Faktoren effektiver Führung. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung mit Führungskräften. München 2006, S. 7.
[8] Vgl. Klaus Schubert und Martina Klein: Das Politiklexikon Online. URL: www.bpb.de [Stand: 27.04.2011].
[9] Vgl. Lutz Von Rosenstiel: Führung. In: Heinz Schuler (Hrsg.): Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen 2001, S. 337 f.
[10] Legitimation in diesem Sinne verstanden als die Rückkopplung der Führung an Werte und Normen.
[11] Vgl. Claudia Ritzi und Gary S. Schaal: Politische Führung in der Postdemokratie. In: APUZ 2-3/2010, S. 10.
[12] Klaus Stüwe: Die Inszenierung des Neubeginns. Wiesbaden 2004, S. 81.
[13] Vgl. Stüwe (2004), S. 83.
[14] Vgl. Ebd., a.a.O.
[15] Vgl. Ludger Helms: Leadership-Forschung als Demokratiewissenschaft. In: APUZ 2-3/2010, S. 3.
[16] Vgl. Ebd, a.a.O.
[17] Ebd., S. 6.
[18] Vgl. hierzu auch die fünf Kernfunktionen nach Karlyn K. Campbell und Kathleen Hall Jamieson: Deeds done in Words. Presidential Rhetoric and the Genres of Governance. Chicago u.a. 1990, S. 15.
[19] In Anlehnung an die von Max Weber getroffene Unterscheidung der drei legitimen Herrschaftsformen charismatische, legale und traditonale Herrschaft (Siehe Preußische Jahrbücher 187/1922, S.1-12).
[20] Vgl. Sebastian Dregger: Die Antrittsreden Barack Obams und George W. Bushs im Vergleich vor dem Hintergrund der Besonderheiten der US-amerikanischen Institution der „Inaugural Address“. URL: http://www.lpb-bw.de/uswahl/inaugural_adress.php [Stand: 10.04.2011].
[21] Vgl. Ebd., aaO.
[22] Vgl. Ebd., aaO.
[23] Vgl. Ebd., aaO.
[24] Vgl. Gary Yukl: Leadership in Organizations. London 20025, S. 208 ff.