Magere Zeiten - Hunger nach mehr?

Fasten theologisch und liturgisch beleuchtet


Bachelorarbeit, 2012

53 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Kurze Hinführung
2.1 Philosophisch
2.2 Pädagogisch
2.3 Lexikalisch

3. Historische Hintergründe
3.1 Drei historische Beispiele
3.1.1 Blick in die Benediktusregeln
3.1.2 Gedanken Hildegard von Bingens
3.1.3 Otto Buchinger und das Heilfasten

4. Abgrenzung durch Vergleich
4.1 Evangelische Kirche - ‚7 Wochen ohne‘
4.2 Fastenpraxis in der römisch-katholischen Kirche
4.3 Die Fastenfrage im Judentum
4.3.1 Parallelen und Unterschiede zum Christentum
4.4 Islamische Fastenzeit - der Ramadan
4.4.1 Parallelen und Unterschiede zum Christentum
4.5 Fasten in den Orthodoxen Kirchen
4.5.1 Parallelen und Unterschiede zwischen ‚Ost und West‘

5. Römisch-katholische Fastenliturgie
5.1 Aschermittwoch
5.2 Erster Fastensonntag
5.3 Zweiter Fastensonntag
5.4 Dritter Fastensonntag
5.5 Vierter Fastensonntag
5.6 Fünfter Fastensonntag
5.7 Allgemeines und Zusammenfassung

6. Schlaglicht - Theologische Gegenwart

7. Von St. Martin bis Karneval - Ein Ausflug ins (christliche) Brauchtum

8. Fazit

Abkürzungen

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

"Fasten muß nicht nur bedeuten, auf etwas zu verzichten, sondern es kann auch bedeuten, seinem Leben etwas hinzuzufügen"1

Fasten - ein Thema, welches uns heute im Alltag immer wieder begegnet, mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Wollen wir Gewicht reduzieren oder uns besinnen? Beachten wir die Fastenzeiten aus religiöser Überzeugung oder stellen sie eine lästige ‚Pflichtübung‘ dar? Und wenn wir fasten, tun wir dies dann bewusst? Kann ein freiwilliger Verzicht tatsächlich eine Bereicherung bedeuten, wie dies Pastor Hinrich Westphal ausführt (s.o.). Kann eine Fastenzeit mich und meine Lebenseinstellung tatsächlich verändern?

Was bedeutet Fasten? Hiermit werde ich mich in der vorliegenden Arbeit beschäftigen. Beginnend mit drei einleitenden Abschnitten werde ich danach auf die historische Entwicklung des Phänomens eingehen. Es folgt ein Abgrenzungs- und Eingrenzungsversuch mit Hilfe verschiedener Religionen. Anschließend werde ich die heutige Situation sowohl was Liturgie als auch den nichtkirchlichen Alltag angeht, betrachten; der Schwerpunkt des nichtkirchlichen Teils liegt dabei auf der Frage nach Sehnsucht. Ein kurzer Blick auf verschiedene Bräuche und deren Entwicklung bietet ebenfalls eine Alltagsperspektive, bevor im abschließenden Fazit nochmals die eingangs aufgeworfenen Fragen bedacht werden.

Diese Arbeit kann lediglich ein Schlaglicht auf die Thematik werfen, viele Punkte sind exemplarisch zu verstehen und erheben keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit. Besonders wichtig erscheint mir die Bedeutsamkeit für den heutigen Alltag eines gläubigen Menschen, hierauf wird immer wieder der Fokus liegen. Der Gedanke einer grundsätzlichen Sehnsucht im Leben jedes Menschen ist dabei zu betrachten, vielleicht findet dieses Bedürfnis im Phänomen des Fastens eine Antwort?

Sollte ich maskuline Bezeichnungen verwenden, schließen diese Frauen in der Regel mit ein.

2. Kurze Hinführung

Wie beschäftige ich mich mit einem Thema? Wie mache ich mir etwas vertraut? Verschiedenste Zugänge bieten sich in den meisten Fällen an. Es folgenden drei kurze Hinführungen, die auf verschiedene Weise dasselbe Thema betrachten und schon hier die Komplexität des Fastens ausdrücken.

2.1 Philosophisch

„Wer verstehen will, muss fragend hinter das Gesagte zurückgehen.“2

Hans-Georg Gadamer, ein deutscher Philosoph des 20. Jahrhunderts, vertrat die Auffassung, dass man, um eine Frage zu verstehen, den Fragehorizont kennen solle. Indem man hinter das Gesagte zurückgehe, habe man aber notwendiger Weise schon über das Gesagte hinaus gefragt. Daraus zieht er den Schluss, dass der Sinn eines Satzes über das in ihm gesagte hinausgeht, auch wenn er auf die gestellte Frage eine Antwort zu geben vermag3.

Doch wie steht diese These in Bezug zum Thema Fasten, bzw. zu einer theologischen Arbeit? Die Idee ist es, ein auf den ersten Blick unspektakuläres Phänomen, nämlich das des Fastens, zu hinterfragen; eine Frage auf die scheinbare Antwort, das Phänomen Fasten zu finden.

Ich möchte versuchen, das Thema Fasten aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, um schlussendlich einen weiteren Fragehorizont zu erhalten. Möglicherweise gibt es, wie schon Gadamer sagt, in diesem Fragenhorizont auch andere Antworten. Dabei stehen keineswegs nur wissenschaftliche Interessen im Vordergrund, sondern durchaus auch der Bezug zur eigenen Lebenswelt. Gadamer ist Schüler Jürgen Habermas´, welcher den Begriff des erkenntnisgeleiteten Interesses benutzt.

„In dem Habermas in Anlehnung an Horkheimers Begriff der kritischen Theorie ein erkenntnisleitendes Interesse geltend macht, will er bestreiten, dass wissenschaftliche Theorien aus reiner ‚Liebe‘ zur Erkenntnis entstehen und wertneutral sind. Sie basieren vielmehr auf einem bestimmten vorwissenschaftlichen, lebenspraktischen Zusammenhang, der ihre Entstehung, ihre Entwicklung, ihre Methodologie und ihre praktische Anwendung bestimmt.“4

Laut Habermas steht eine wissenschaftliche Arbeit nie nur in ebendiesem Kontext. Immer spielen persönliche Interessen eine Rolle bei Auswahl, Fragestellung etc. Somit kann nochmals darauf hingewiesen werden, dass in dieser Arbeit keinesfalls ein umfassendes Werk dargestellt werden soll, sondern eine kurze Beleuchtung der Fragestellung, mit dem Ziel, diese für den heutigen Fragenkontext begreifbarer zu machen.

2.2 Pädagogisch

Wesentlicher Bestandteil meines Studiums war neben dem Begreifen des vermittelten Inhalts stets die Frage nach der Praxistauglichkeit. Es besteht ein persönliches Interesse an wissenschaftlichen Fragen, welches sich aus dem Lebenskontext heraus begründet (vgl. Habermas, Kapitel 2.1). Ist das Gelernte wichtig für meine späteren Schüler? Wenn ja, wie kommen sie damit in ihrem Leben in Berührung, gibt es Anknüpfungspunkte? Wie kann ich die Inhalte vermitteln?

An dieser Stelle möchte ich einen kurzen Blick in das schulische Leben werfen. Das Fasten als ein zentrales Element unserer Religion müsste den Schülerinnen und Schülern wohl schon im Grundschulalter nahegebracht werden, spätestens bei der Vorbereitung auf die Erstkommunion. Wie sieht die Realität aus? Ein Blick in den Lehrplan der Grundschulen in NRW im Fach Katholische Religionslehre bringt Aufschluss. Seit ein paar Jahren gibt es sogenannte Bildungsstandards, die von den Kultusministerien für die einzelnen Fächer festgelegt werden, im Fach Katholische Religionslehre in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bischofskonferenz. So ergeben sich dann die Lehrpläne, in denen man die verschiedenen zu vermittelnden Bereiche und Schwerpunkte nachlesen kann. Für die Grundschulen in NRW gibt es fünf verschiedene Schwerpunkte. In zweien davon bietet sich das Thema Fasten besonders an: zum einen der Bereich ÄDas Wort Gottes und das Heilshandeln Jesu Christi in den biblischen hberlieferungen“5 Es wird im Kontext des Neuen Testamentes die Passion und Auferstehung Jesu Christi behandelt. Der andere Schwerpunkt, dem man das Thema Fasten angliedern könnte, ist ÄLeben und Glauben in Gemeinde und Kirche“6. Der Jahreskreis der Kirche soll erlebt und gedeutet werden, eine Zielsetzung, die eine große Chance für das Thema beinhaltet.

In Hubertus Halbfas Lehrerhandbuch zum Religionsunterricht in der Grundschule findet sich ein Kapitel über die Fastenzeit. Neben einer kurzen Erklärung der Entstehung und dem Hinweis darauf, dass die Fastenzeit eine Vorbereitungszeit für das Hauptfest des Jahres ist, geht er auch auf die theologische Bedeutung ein. Das Fasten Ä[…] soll dem Menschen helfen und ihn nicht hindern, lauter und gut zu sein. Darum hat das Fasten nur unter entsprechenden Bedingungen religiösen Wert.“7 Des Weiteren wird aufgeführt, dass heute das klassische Fasten an Stellenwert verloren habe, die Fastenzeit aber dennoch eine Zeit des bewussten Verzichts auf bestimmte Dinge sein könne mit dem Ziel einer größeren inneren Freiheit.8 Schlussendlich folgt die Bemerkung, dass die Fastenzeit ein primär für das Elternhaus interessantes und relevantes Thema sein kann, die Schule dies jedoch unterstützen sollte.9 Hieraus erklärt sich vielleicht, warum sich relativ wenig Material finden lässt.

Ein sehr interessanter und hoch aktueller Gedanke zum Aspekt findet sich jedoch im Religionsbuch ‚fragen - suchen - entdecken‘ für das vierte Schuljahr10. Hier wird im Kontext der Interreligiosität auf das Fasten eingegangen. Im Kapitel ‚Offen für einander werden‘ wird die Freundschaft eines christlichen Mädchens mit einer Muslima geschildert. Bei einem Besuch der muslimischen Familie erlebt die Christin nun den Ramadan. Hieraus sollen die Schüler im Folgenden Vergleiche zwischen den Religionen ziehen.

Dem Schüler wird deutlich, dass es heute keinesfalls mehr genügt, die eigene Religion zu begreifen. Vielmehr sollte zumindest ein Grundverständnis für andere Religionen gelegt werden, sinnvoller Weise kann dies durch Vergleiche mit wichtigen Aspekten der eigenen Religion geschehen.

Zurück zum Fasten. Dies scheint ein zwar immer wieder präsenter Aspekt zu sein, welcher aber im Kontext anderer Themen vermittelt wird. Wie oben zitiert, drückt sich hierin scheinbar aus, was ein zentraler Bestandteil des Fastens, der Fastenzeit zu sein scheint. Nämlich eben, dass nicht der Verzicht an sich im Vordergrund steht, sondern ein wie auch immer geartetes, daraus hervorgehendes Ziel. Das Handeln an sich scheint nicht mehr so sehr im Vordergrund zu stehen, sondern viel mehr kann man dies wohl als Mittel zum Zweck betrachten. Genau dieser Sachverhalt begegnet uns auch in der jährlichen Tradition der Spendenaktion Misereor. Fast jeder kann sich wohl an die kleinen Sammelkästchen zum Zusammenbasteln erinnern, passend zum Thema liebevoll gestaltet. Deren Sinn, nämlich der Ausdruck des caritativen Gedankens und dessen besondere Hervorhebung in der Fastenzeit dürfte wohl so manchem verborgen geblieben sein, geht es doch sogar in den Begleitmaterialien um die jeweils gewählte Thematik. Fasten und damit primär verbundene theologische Themen bleiben scheinbar nebensächlich.11

2.3 Lexikalisch

Fasten, was bedeutet das nun genau? Fast jeder hat wohl eine mehr oder weniger verschwommene eigene Vorstellung des Begriffes, wohl meistens hat sie etwas mit Verzicht zu tun. Doch schon bei kurzem Überlegen wird klar, dass die eine, universelle Definition wohl schwer zu finden ist. Wie anfangs erwähnt, hängt sie wohl vom Kontext ab, in dem gefragt wird. Suche ich eine theologische Erklärung? Oder eine unter medizinischer Perspektive? Wie bin ich sozialisiert? Und in welcher Kultur lebe ich?

Vielleicht hilft für eine allgemeine ‚Definition‘ ein Blick ins Lexikon weiter.

Was sagt der Duden? Äfasten - sich für eine bestimmte Zeit ganz oder teilweise der Nahrung enthalten oder auf den Genuss bestimmter Speisen verzichten“12 Es handelt sich um etwas in einem fest umrissenen Zeitraum Stattfindendes, und es geht um Verzicht, hier um Verzicht von Speisen. Die Absicht, die möglicherweise damit verfolgt wird, spielt in dieser Definition keine Rolle.

Im Brockhaus finden sich zwei Unterpunkte des Begriffes Fasten:

1. Die Medizin, hier wird auf die Fastenkur verwiesen.

„Fastenkuren, Heilfasten, radikale Einschränkung der Nahrungszufuhr zur Schonung der Verdauungs- und Ausscheidungsorgane (v.a. der Nieren), zur Entlastung und Umstimmung des Stoffwechsels sowie zur Gewichtsabnahme, speziell bei Fettleibigkeit.“13

Hier geht es um medizinisch-physiologische Aspekte des Verzichtes von Nahrung mit dem Zweck, den eigenen Stoffwechsel (positiv) zu beeinflussen. Die besonders relevanten Stichworte scheinen hier ebenfalls Verzicht und Veränderung zu sein. Die Ärztegesellschaft Heilfasten definiert in ihren Leitlinien Heilfasten wie folgt:

„Das Fasten ist der freiwillige Verzicht auf feste Nahrung und Genussmittel für begrenzte Zeit. Bei richtig durchgeführtem Fasten besteht gute Leistungsfähigkeit ohne Hungergefühl. Fasten betrifft den Menschen in seiner Körper-Seele-Geist- Einheit. Unverzichtbar dabei sind:

- eine ausreichende (mind. 2.5 l/Tag) kalorienfreie Flüssigkeitszufuhr

(Mineralwasser, Tee) sowie natürliche Anteile in flüssiger Form wie Gemüsebrühe, Obst- und Gemüsesäfte und Honig, max. 2.100 KJ (ca. 500 kcal)/Tag

- die Förderung der Ausscheidungsvorgänge über Darm, Leber, Nieren, Lungen, Haut
- das Einstellen eines Gleichgewichtes zwischen Bewegung und Ruhe
- sorgfältiger Kostaufbau und Hinführung zu einem gesünderen Lebensstil.

Der menschliche Organismus verfügt physiologischerweise über die Möglichkeit der «Ernährung von innen» aus eigenen Nahrungsreserven. Dabei treten Veränderungen im Stoffwechsel und in der Psyche auf, die in der methodisch korrekten Durchführung des Fastens unbedingt beachtet werden müssen (Wilhelmi de Toledo, 1998).“14

Freiwilliger Verzicht bewirkt also Veränderung sowohl im Stoffwechsel als auch in der Psyche.

2. Wie ist der religionsgeschichtliche Zugang?

„Religionsgeschichte: ein alter, vorzugsweise religiöser Brauch, eine Form der Askese, wobei zwischen dem eigentlichen Fasten als einer zeitweiligen, völlig oder teilweise durchgeführten Enthaltung von Nahrung und dem vorübergehenden oder ständigen Verzicht auf bestimmte Speisen, v.a. Fleisch, Fisch, Wein, aufgrund von Speiseverboten unterschieden werden muss.“15

Im Folgenden wird auf die Motive verwiesen, die sehr vielfältig sein können. Es werden Aspekte aufgeführt wie Herbeiführung von Schutzfunktionen, Reinigung, Opfer oder Sühne, von Extasezuständen, als Abwehr von Naturkatastrophen oder zum Mitleiderregen Gottes. Ebenfalls wird deutlich gemacht, dass das Phänomen Fasten in vielen Religionen zu finden ist, jedoch mit unterschiedlicher Bedeutung.16 Auch hier kann man wieder von einem Verzicht sprechen, der im Vordergrund steht. Dieser ist, wie bereits in der Medizin mit einer Sinnhaftigkeit belegt, die aber diesmal eher geistiger Natur zu sein scheint.

Was sagt die Theologische Realenzyklopädie (im Folgenden TRE) dazu?

„Im Unterschied zu einer nur auf bestimmte Speisetabus beschränkten, also partiellen hat man unter Fasten die völlige Enthaltung von Speisen und (in der Regel) Trank aus kultischen Gründen zu verstehen.“17

Etymologisch erklärt sich der Begriff Fasten als Zustand der Leere und Nüchternheit, im hebräischen und arabischen kommt ein Stillstand der körperlichen Funktionen, was sowohl Nahrungsaufnahme als auch Sexualität angeht, dazu.18 ÄAsketisches Ideal ist ein Zustand, in dem der Fromme überhaupt keine physischen Bedürfnisse mehr hat.“19 Wiederum wird von Verzicht gesprochen, die Motivation wird hier allgemein mit kultischen Gründen belegt. Neben vielen Aspekten, auf die ich später näher eingehen werde, fällt der Schlusssatz des Absatzes über die Begründung der Fasttage besonders auf.

„Somit wird deutlich, dass Fasten und Buße, Fasten und Gebet, Fasten und Offenbarung, Fasten und Taufe, Fasten und Ordination und schließlich Fasten und Frömmigkeit unauflöslich zusammengehören und die apotropäisch-kathartische Funktion dieses religionsgeschichtlichen Phänomens, aber auch dessen ekstatische Inhalte sichtbar werden lassen.“20

Welche Schlussfolgerungen können aus den unterschiedlichen Definitionen gezogen werden? Es gibt, auf die scheinbar einfache Frage nach der Bedeutung des uns allen irgendwie vertrauten Begriffes Fasten viele verschiedene Antworten. Bedeutsam scheint vor allem die dahinter stehende Motivation. Habe ich gesundheitliche Probleme und versuche diese durch eine Ernährungsänderung zu beheben? Oder suche ich nach einem Sinn, nach Veränderung? Möchte ich meine Religion aktiv ausüben und setze mich eine Zeit lang besonders damit auseinander? Viele Fragen, deren Antworten ich mich auf den folgenden Seiten annähern möchte.

3. Historische Hintergründe

„Folgendes soll euch als feste Regel gelten: Im siebten Monat, am zehnten Tag des Monats, sollt ihr euch Enthaltung auferlegen und keinerlei Arbeit tun, der Einheimische und ebenso der Fremde, der in eurer Mitte lebt. Denn an diesem Tag entsühnt man euch, um euch zu reinigen. Vor dem Herrn werdet ihr von allen euren Sünden wieder rein. Dieser Tag ist für euch ein vollständiger Ruhetag, und ihr sollt euch Enthaltung auferlegen. Das gelte als feste Regel.“ (Lev 16,29ff)

Diese Weisung aus dem Buch Levitikus ist eine der wenigen Anweisungen zum Fasten im Alten Testament, sie bezieht sich auf den Versöhnungstag und soll jährlich wiederholt werden. Fasten dient hier vor allem als Mittel der Reinigung und Selbstkasteiung, der Gläubige erfährt Sühne. Der Versöhnungstag ist der wichtigste jüdische Feiertag und wird Jom Kippur (hebr. für Versöhnungstag) genannt. Er bildet den Abschluss einer Zeit der Reue und Buße.

Des Weiteren wird im Buch Sacharja (8,19) auf ein regelmäßiges Fasten im 4., 5., 7., und 10. Monat hingewiesen, dieses soll dem Heil des Volkes Israel zuträglich sein. Insgesamt scheint im Alten Testament das streng reglementierte und an bestimmte Termine gebundene Fasten keine so große Rolle zu spielen, eher sollte es an verschiedene Vorkommnisse im Leben der Gläubigen oder aktuelle Ereignisse gebunden sein.21

In der Theologischen Realenzyklopädie werden dem Fasten unterschiedliche Bedeutungen zugemessen. Fasten konnte ein Ausdruck öffentlicher Trauer sein, sowohl was Herrscher betraf, als auch im privateren Rahmen. Auch im Christentum gibt es ein sogenanntes Trauerfasten, nämlich die Trauer um den Tod Jesu Christi. In Matthäus 9,15 heißt es:

„Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; dann werden sie fasten.“

Das unter Christen verbreitete (Kar-) Freitagsfasten deutet auf diese Tradition hin. Auch Sühne spielt eine Rolle in der Begründung von Fastenriten. Verschiedene Bibelstellen machen den Gedanken deutlich, dass Fasten dem Zweck dienen kann, Gottes Gnade (wieder) zu gewinnen oder seinen Zorn abzuwenden. Es liegt nahe, dass Fasten als eine angemessene Form des Sündenbekenntnisses angesehen wurde. Die Form des Trauerfastens hat sich erst nach dem Tod Jesu entwickelt, stehen doch Tod und Auferstehung im Mittelpunkt.

Ein anderer Aspekt des Fastens ist die Vorbereitung. Es kann um eine Vorbereitungszeit gehen, für eine Begegnung mit Gott, oder für religiöse Erfahrungen anderer Art. Auch hierzu gibt es einige Bibelstellen, wie beispielsweise die 40-tägige Fastenzeit Moses vor Erhalt des Dekalogs (Ex 34,28). Ebenso fasten Daniel und Elia (Dan 9,3; I Kön 19,8) bevor sie einschneidende religiöse Erfahrungen machen. Diese ‚Tradition‘ der Vorbereitung auf etwas Besonderes findet sich auch schon früh im Taufritus. In der Didache, einer frühchristlichen, apokryphen Schrift steht zur Vorbereitung auf die Taufe: ÄVor der Taufe sollen fasten der Täufer, der Täufling und andere, die können. Gebiete aber, dass der Täufling vorher ein oder zwei Tage fastet.“22 Zwei interessante Aspekte bieten sich hier. Zum einen soll der Täufling fasten, dies steht sowohl in Verbindung mit der aktiven Vorbereitung auf die Taufe und einer damit verbundenen Änderung der Lebensweise.23 Auch gibt es einen Hinweis auf eine Parallele zum Tod Jesu Christi. Zum anderen findet sich hier ein Hinweis auf die Verhaltensweise des Taufenden. So ist es bis heute üblich, dass Geistliche sich durch eine Fastenzeit auf manche wichtige Aufgaben ihrer Tätigkeit vorbereiten, wie zum Beispiel die eigene Amtseinführung und ähnliches24. Eine Taufe im Namen Jesu Christi, wie sie bis heute üblich ist, gab es bereits im Urchristentum. Im Römerbrief heißt es:

„wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein.“ (Röm 6,3ff)

Somit gewinnt die Passionszeit als Vorbereitung auf Ostern, deren wesentlicher Bestandteil das Fasten ist, eine zusätzliche Bedeutung. Es geht nämlich nicht nur um Erinnerung, sondern ganz aktiv um das eigene Leben. Ein wesentlicher Gedanke unserer Religion, nämlich das Handeln Jesu Christi für uns, rückt hier in den Vordergrund. Die Passionszeit als Fastenzeit könnte sowohl als Trauerzeit, als auch als Vorbereitungszeit wie auch glaubensvertiefend aufgefasst werden. Gerade in der alten Kirche, d.h. in den ersten Jahrhunderten nach Christus war es üblich, sich in der Osternacht taufen zu lassen. Die bereits oben zitierte Auflage der Täuflinge in der Didache wird sich vermutlich im Laufe der Zeit zu der allgemeinen Tradition entwickelt haben, an den Tagen vor Ostersonntag zu fasten. Der genaue Zeitraum scheint hier an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Kreisen voneinander abzuweichen, was Quellen wie etwa Schriften von Eusebius andeuten. Es gibt sogar Hinweise auf ein besonders strenges Fasten an den sechs Tagen vor Ostern, welches dann eindeutig auf den Tod Jesu hinweist und nicht mehr auf seine 40-tägige Fastenzeit oder ähnliche, ein besonderes Ereignis vorbereitende Zeiten.25 Die längere 40-tägige vorösterliche Fastenzeit ist ein Phänomen, welches sich wahrscheinlich erst im 4. Jh durchsetzte. Sowohl Eusebius von Caesarea als auch Athanasius von Alexandrien verwiesen auf diese 40-tägige Zeit, die sie wohl mit den bereits oben genannten Bibelstellen begründen.26 Auch zu diesem Zeitpunkt schien sich noch keine einheitliche Tradition zu manifestieren, in verschiedenen Ländern oder Gemeinden gab es noch Unterschiede, was als Phänomen an sich einige Zeit bezeichnend für die christliche Kirche war. Entwickelte sich das Urchristentum doch recht ‚willkürlich‘, so blieben diese Strukturen noch lange erhalten, allmähliche Strukturierung bedurfte Zeit.

Neben zeitlichen Differenzen gibt es diese auch in der Intensität des Fastens. Es gibt unterschiedliche Begrifflichkeiten, die die Stärke beschreiben. Die wichtigsten sind ieiunium - vollständiges Fasten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und statio bzw. xerophagia (gr. trockenes Essen) - eine weniger strenge Abstufung des obigen. Johannes von Damaskus versteht ieiunium als besonders striktes Fasten, und sieht dies vor allem in Verbindung mit dem Passafasten, statio hingegen bezieht sich eher auf die Versammlung von Christen und auf das Mittwochs - und Freitagsfasten, welches aber jeweils nur bis 15.00 Uhr andauerte.27 Interessant ist hier die Abweichung zum heutigen Verständnis, nach dem die gesamte Fastenzeit möglichst enthaltsam gelebt werden soll. Besonders das ieiunium erinnert an die muslimische Fastenpraxis.

Neben der großen österlichen Fastenzeit, der sogenannten Quadragesima findet sich auch schon früh die Tradition des Mittwochs - und Freitagsfastens, die man heute immer noch im Gedanken des fleischlosen Freitags bzw. ‚Fischfreitags‘ findet. Eine Begründung für diese Tradition findet sich wiederum in der Didache:

„Euer Fasten aber soll nicht gemeinsam mit den Frevlern stattfinden. Denn sie fasten am zweiten und fünften Tag der Woche; ihr aber sollt am vierten Tag und am Rüsttag fasten.“ (Did 8,1)

Dies ist wohl der älteste Beleg für die wöchentliche Fastentradition der Christen, in dem zugleich eine klare Abgrenzung zur älteren jüdischen Tradition, dem Fasten am Montag und Donnerstag, vorgenommen wird. Dies deutet auf einen Ablöseprozess der frühen Christen zum noch vorherrschenden Judentum hin.28 Die später aufkommende Begründung der Tage Mittwoch und Freitag, die Bezug nimmt auf die Passion Christi (Mittwoch als Tag des Verrats, Freitag als Tag der Kreuzigung) hält Niederwimmer für ein nachträgliches Konstrukt, welches zwar plausibel erscheint, aber keinesfalls belegbar ist. Für ihn ist lediglich die bewusste Abgrenzung von den Fastentagen der Juden, nämlich Montag und Donnerstag Fakt.29

Auch heute scheint die vorweihnachtliche Fastenzeit einen geringeren Stellenwert zu haben als die vorösterliche. Erst im 4.Jahrhundert wurde Weihnachten zum kirchlichen Hochfest, gewann also an Bedeutung, genauso wie die darauf vorbereitende Fastenzeit. Diese gestaltet sich im Laufe der Zeit in Ost- und Westkirche unterschiedlich. Laut Brockhaus ist die Adventszeit Ädie seit dem 5.Jahrhundert bezeugte Zeit des Fastens und der Vorbereitung auf das Fest der Geburt Christi und auf seine endzeitliche Wiederkunft.“30 Die Adventszeit wird zwar immer noch als Zeit der Vorbereitung angesehen, durch verschiedenste Volksbräuche ist jedoch der asketische Aspekt der Vorbereitung zumeist stark in den Hintergrund getreten. So gibt es regional unterschiedliche Traditionen in der Adventszeit wie etwa Advents-Blasen, Advents-Singen, Lärmumzüge und Anklöckeln (oft im Alpenraum), nicht zuletzt der inzwischen weit verbreitete Adventskranz und Adventskalender oder der Besuch von Weihnachtsmärkten.31 32

Doch zurück zu theologischen Überlegungen. In den orthodoxen Kirchen wird das vorweihnachtliche sogenannte Christi-Geburts-Fasten (beginnend am 15. November bis Weihnachten) laut Döpmann ernster genommen als in den westlichen Kirchen, dazu mehr in Kapitel 4.5.33 Schon hier fällt auf, dass die Fastenzeiten im Judentum und in den christlichen Religionen zumeist an bestimmte Festzeiten gebunden sind, der Ramadan als Fastenzeit der Muslime jedoch kalendarisch fest gelegt ist, wobei es sich hier um die direkte Anweisung des Propheten handelt.

[...]


1 Die Welt Online (Stand 22.12.2011).

2 Gadamer S.352.

3 Vgl. Gadamer S.352.

4 Pinzani S.57.

5 Vgl. Schulministerium NRW (Stand 27.12.2011).

6 Ebd.

7 Halbfas S.178.

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. ebd. S.179.

10 Vgl. Ort, Rendle, S.39 - 54.

11 Vgl. Misereor, (Stand 8.1.2012)

12 Duden online, Art. Fasten, (Stand 21.12.2010).

13 Brockhaus, Bd.7, S.134.

14 Ärztegesellschaft Heilfasten (Stand 6.1.2012)

15 Ebd.

16 Vgl. ebd.

17 TRE XI, Art. Fasten, S.42.

18 Vgl. ebd.

19 Ebd.

20 Ebd. S.44.

21 Vgl TRE XI S. 48.

22 Did VII, Schölling, S.118f.

23 Vgl. Reinhard Meßner Einführung in die Liturgiewissenschaft, S. 94ff.

24 Vgl. Adler, S.12, der auf die bereits in der Didache festgehaltenen Vorschriften für Geistliche hinweist.

25 Vgl. TRE XI S. 50f.

26 Ebd. S. 51.

27 Ebd. S.50.

28 Vgl. Niederwimmer, Die Didache, S.165.

29 Vgl. Niederwimmer S. 165f.

30 Brockhaus Bd 1. Art. Advent S. 156.

31 Vgl. ebd.

32 Eingehender beschäftige ich mich mit dem Brauchtum in Kapitel 7.

33 Döpmann, S.184.

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Magere Zeiten - Hunger nach mehr?
Untertitel
Fasten theologisch und liturgisch beleuchtet
Hochschule
Universität Münster  (Seminar für Liturgiewissenschaft, Kath. - Theologische Fakultät)
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
53
Katalognummer
V196511
ISBN (eBook)
9783656224815
Dateigröße
734 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fasten, Fastenzeit, Liturgie, Islam, Ramadan, Judentum, Heilfasten, Hildegard von Bingen, Otto Buchinger, Brauchtum, Sinnsuche
Arbeit zitieren
Laura Alofs (Autor:in), 2012, Magere Zeiten - Hunger nach mehr?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196511

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