Fritz Langs 'Siegfried'

Deutscher Mythos, deutscher Held?


Hausarbeit, 2012

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

1 Inhalt

1. Reaktionen auf Fritz Langs „Siegfried“

2 Siegfried - deutscher Mythos, deutscher Held?
2.1 Mythos Nibelungen/Siegfried vor den 1920er Jahren
2.1.1 Der Mythos und das mittelalterliche Nibelungenlied
2.1.2 Nationale Aneignung des Nibelungen-Mythos
2.2 Fritz Langs „Siegfried“
2.2.1 Der Nibelungenfilm
2.2.2 Die Figur Siegfried - Filmszenenanalyse
2.2.2.1 Siegfrieds Herkunft
2.2.2.2 Drachenkampf
2.2.2.3 Alberich
2.2.2.4 Ankunft in Worms
2.2.2.5 Intrigen
2.2.2.6 Siegfrieds Tod

3 Fritz Langs ambivalenter Held

4 Quellen und Literatur

5 Anhang - Sequenzenprotokoll

1. Reaktionen auf Fritz Langs „Siegfried“

Nach monatelanger Arbeit kam der erste Teil der „Nibelungen“ von Fritz Lang am

14.02.1924 in das deutsche Kino1. Ein Film, der bereits kurz nach seinem Erscheinen kontrovers diskutiert wurde. In der Zeitschrift „Lichtbild-Bühne“ äußerte sich Heinz Udo Bachvogel folgendermaßen:

„Ein Epos, das aus den fernsten Kindheitstagen der Völker stammt, aus Tagen, da wir kaum politische künstliche Grenzen kannten, ein Werk, das das naivste, einfachste und deshalb größte Empfinden der Völker verherrlicht . . . es wird in strahlenden Bildern vor allen Völkern erscheinen. Das ist der große Sinn dieses Filmes.“2

Doch nicht alle Stimmen standen dem Film so positiv gegenüber. Zu den zeitgenössischen Kritikern gehörte Herbert Ihering. Er zollte den technischen Überraschungen Respekt, bemängelte aber Langs Unwissen darüber, „Daß aber technische Tricks erst durch den Darsteller bestätigt werden müssen“3. Vor allem mit dem Siegfried-Darsteller Paul Richter war er nicht zufrieden. Trotz dieser Kritik scheinen die Zeitgenossen Langs Werk eher zugetan gewesen zu sein. Die Zeitschrift „Die Filmwoche“ brachte ein Sonderheft zu den „Nibelungen“ heraus. In den Beiträgen überwiegt die Begeisterung, ebenso wie in der „LichtbildBühne“, was folgendes Zitat exemplarische belegen soll:

Lang „lässt das deutsche Heldenlied auferstehen (…). Ein geschlagenes Volk dichtet seinen kriegerischen Helden einen Epos in Bildern, wie ihn die Welt bis heute noch kaum gesehen hat - das ist eine Tat! Fritz Lang schuf sie und ein ganzes Volk steht ihm zur Seite. Ein ganzes Volk, weil eben dieses er bei seinem innersten Herzen fasst… Wir brauchen Helden!"

„Dieses grosse einzigartige Filmwerk möge (…) sein eine Strahlende Waffe deutschen Glaubens, die unverzagt und unbesiegt die Welt durchschwingt...“4

Die Kritik der Nachkriegszeit beschäftigte sich dann hauptsächlich mit der Architektur des Films und, dabei vor allem durch Kracauer geprägt, mit der Frage nach der Verbindung zwischen Langs Ästhetik des Monumentalen und der faschistischen Ästhetik des NS-Regimes5.

Dieses Thema und die Fragen, ob Lang den Nationalsozialisten mit seinem Film künstlerische Vorlagen, Heldenbilder und Identifikationsmuster lieferte, stehen in dieser Arbeit nicht im Mittelpunkt. Vielmehr möchte ich noch eine Ebene tiefer ansetzen und untersuchen, inwiefern es sich bei dem Nibelungen-Mythos schon vor Langs Bearbeitung um ein „deutsches Heldenlied“ handelte. Dann werde ich in einer Filmszenenanalyse vor allem auf Figur des Siegfried eingehen. Letztendlich soll die Frage geklärt werden ob Fritz Lang mit ihm einen deutschen Helden neu erschaffen hat, oder vielmehr ein schon vorhandenes Heldenkonzept bearbeitete und womöglich ironisierte, wie Brennicke und Hembus es behaupten6.

2 Siegfried - deutscher Mythos, deutscher Held?

2.1 Mythos Nibelungen/Siegfried vor den 1920er Jahren

2.1.1 Der Mythos und das mittelalterliche Nibelungenlied

Nach Blumberg lässt sich der Nibelungenstoff als Mythos bezeichnen, da er einen beständigen narrativen Kern hat, aber auch von seiner Variationsfähigkeit geprägt ist7. Es gibt verschiedene Ansätze, den historischen Ursprung des Stoffes zu erklären, vermutlich geht die Figur des Siegfried auf den Merowingisch-fränkischen König Siegbert zurück8. Ehrismann geht davon aus, dass der Siegfried-Mythos aus einer kollektiven Erinnerung entstand, und zum Zusammenhalt einer „wilden“ Gesellschaft, die sich aus verschiedenen Stämmen zusammensetzte, beitrug9. Diese typisch mythische, identitätsstiftende Funktion hat sich, wie sich zeigen wird, über die Jahrhunderte hinweg gehalten.

Die Geschichte von den Nibelungen ist nicht einheitlich überliefert. Sie ist aus verschiedenen Stoffkreisen zusammengesetzt, die hauptsächlich den Edda-Liedern entnommen sind10, der Verfasser des mittelalterlichen Nibelungenliedes ist anonym. Die Überlieferung erfolgte vermutlich über lange Zeit hinweg mündlich. Der Text, den wir heute als „Nibelungenlied“ kennen, wurde bei seiner Verschriftlichung aus mehreren Liedern zusammengesetzt11. Das erklärt logische Brüche, sowie die unterschiedlichen Variationen in verschiedenen Handschriften.

Schon im Mittelalter, vor ihrer Verschriftlichung, wurden folglich alten Sagen modifiziert, zusammengeschnitten und verändert, um sie „geänderten gesellschaftlichen, religiösen und politischen Rahmenbedingungen“12 anzupassen. Ein Vorgang, der nur wegen der Variationsfähigkeit der Mythen möglich ist und als „Arbeit am Mythos“ bezeichnet werden kann.

2.1.2 Nationale Aneignung des Nibelungen-Mythos

Die Arbeit am Mythos war nach dem Mittelalter nicht beendet. 1755 wurde das Nibelungenlied „wiederentdeckt“ und zeitweise als historisches Dokument eingestuft13. Den Deutschen fehlte Ende des 18. Jahrhundert ein „positiver Gründungsmythos“, ein nationales Identifikationsmuster. Wie in der Völkerwanderungszeit verschiedene Stämme einen gemeinsamen Mythos brauchten, brauchten ihn nun die vielen Territorialstaaten, welche Jahrzehnte brauchten, um ein Reich zu werden. Man begann nach einem Gründungsmythos in der Vergangenheit zu suchen, das mittelalterliche Kaiserreich zu idealisieren (das zeigt sich auch deutlich in der Romantik) und die Geschichte Siegfrieds und der Nibelungen zu remythisieren14. Dazu musste der Mythos wieder an die sozialen und politischen Bedürfnisse der Zeit angepasst werden. Einzelne Aspekte wurden dabei ideologisiert, während andere verdrängt wurden15. Die bekannteste Umsetzung dieser Zeit ist Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“, durch den der Nibelungenstoff zum „festen Bildungsgut des deutschen Bürgertums“ wurde16. Seit der Reichsgründung war das Nibelungenlied ein Kernstück der deutschen Nationalliteratur17, die nationale Aneignung Mythos kann seitdem als abgeschlossen betrachtet werden. An der „Ideologie von Dienst, Treue und Verrat“, die man schon im frühen 20. Jahrhundert mit dem Nibelungenstoff verband, hielt man auch nach dem ersten Weltkrieg noch fest18. In den 20er Jahren begann eine neue Phase der „Hochschätzung des Mittelalters“, welches als Zeit von Stabilität, Ordnung, Gemeinschaft und Ganzheit gesehen wurde19. Ab 1940 wurde der Mythos dann weniger bearbeitet, angesichts der Realität war kein Mythos mehr nötig, um das Selbstbewusstsein des Deutschen Volkes zu stärken20. Zu Langs Film hatten die Nationalsozialisten ein ambivalentes Verhältnis, teilweise war man der Meinung, dass hier ein nationaler Schatz trivialisiert worden war21.

2.2 Fritz Langs „Siegfried“

2.2.1 Der Nibelungenfilm

Mit seinem Film wollte Fritz Lang „die Welt des Mythos für das 20. Jahrhundert wieder lebendig“ werden lassen22. Mit Hilfe des jungen Mediums Film wollte der den Deutschen helfen die Traumata der jüngsten Vergangenheit zu überwältigen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken23. Er teilte sein Werk in Gesänge ein und griff auf mehrere Quellen zurück, um die „kollektive Rezeption des Stoffes“ deutlich zu machen24. Hauptsächlich wird an das mittelhochdeutsche Nibelungenlied angeknüpft, Bearbeitungen nach der nationalen Aneignung, also aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, wurden folglich kaum aufgenommen, Lang und Harbou wollten den Stoff in seiner „Ursprünglichkeit“ bearbeiten25. Den Nibelungen-Mythos betrachteten sie als "das geistige Heiligtum einer Nation", der Film sollte dieses zwar allen Menschen zugänglich machen, es dabei aber nicht banalisieren26. Durch die Kleidung und die Architektur, die man bestimmten Zeit zuordnen kann, sollte die Handlung „aus dem Geschichtsprozess herausgenommen“ werden27. Dies sollte, ebenso wie die Fokussierung auf Leitbegriffe wie Liebe, Treue, Schicksal, die Kontinuität des Mythos hervorrufen28 und seine zeitlose Allgegenwärtigkeit betonen. Da der Nibelungenstoff im ersten Weltkrieg zur „moralischen Aufrüstung“29 der Deutschen genutzt wurde, konnte Lang außerdem davon ausgehen, dass er den Zuschauern bekannt war und sie Interesse daran hatte. Kommerzielle Überlegungen spielten also durchaus auch eine Rolle bei der Genese des Films, der von Anfang an als Massenprodukt gedacht war30. Teilweise wird der Film auch als eine ironische Auseinandersetzung mit dem Mythos gesehen, dies würde seiner Kennzeichnung als „deutschnationale Heldenlied“ widersprechen31.

[...]


1 Vgl.: BRENNICKE, Ilona u. HEMBUS, Joe: Klassiker des Deutschen Stummfilms 1910-1930.

München: Goldmann Verlag 1983, S. 105 - 113, S. 105, im Folgenden: BRENNICKE/HEMBUS (1983).

2 BRACHVOGEL, Heinz Udo, In: Lichtbild-Bühne, Nr. 16/1924, zit. nach:

http://www.filmportal.de/node/26835/material/733052, eigesehen am 29.02.2012.

3 IHRING, Herbert, In: Berliner Börsen-Courier, 1924, zit. nach:

http://www.filmportal.de/node/26835/material/733050, eingesehen am 29.02.2012.

4 Die Filmwoche", Nr. 7/1924, Sonderheft: "Die Nibelungen", zit. nach: BRENNICKE/HEMBUS (1983), S. 112.

5 Vgl.: LEVIN, David J.: Richard Wagner, Fritz Lang and the Nibelungen. The Dramaturgy of Disavowal. New Jersy: Princeton University Press 1960, S. 99, im Folgenden: LEVIN (1960).

6 Vgl.: BRENNICKE/HEMBUS (1983), S. 112/113

7 Vgl.:BLUMBERG, Hans: Arbeit am Mythos. In: Wilfried Barner, Anke Detken u. Jörg Wesche (Hg.): Texte zur modernen Mythentheorie. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2000, S. 194 - 218, S. 194, im Folgenden: BLUMBERG (2000).

8 Vgl.: EHRISMANN, Otfrid: Siegfried. Ein deutscher Mythos? In: Ulrich Müller u. Werner Wunderlich (Hg.): Herrscher, Helden, Heilige. St. Gallen: UVK, Fachverlag für Wissenschaft und Studium 1996 (= Mittelalter Mythen, Band 1), S. 367-387, S. 368/369, im Folgenden: EHRISMANN (1996).

9 EHRISMANN (1996), S. 370.

10 Vgl.: MARTIN, Bernhard R.: Nibelungen-Metamorphosen. Die Geschichte eines Mythos. München: Iudicum Verlag 1992, S. 68, im Folgenden: MARTIN (1992).

11 Vgl.: MARTIN (1992), S. 74.

12 Vgl.: Ebd. S. 68.

13 Vgl.: MARTIN (1992), S. 215.

14 Ebd. S. 134.

15 Vgl.: Ebd. S. 3.

16 Vgl.: SEE, Klaus von: Dem deutschen Volk zu Eigen. Fritz Langs Nibelungenfilm von 1924, In: Mittelweg 36 1995, 4/6, S. 34-35, S. 35, im Folgenden: SEE (1995).

17 Vgl.: MARTIN (1992), S. 26.

18 KIENING, Christian u. HERBERICHS, Cornelia: Fritz Lang: Die Nibelungen (1924). In: Christian Kienung u. Heinrich Adolf (Hg.): Mittelalter im Film. Berlin: Walter de Gruyter 2006 (= Trends in Medieval Philologie, Volume 6), S. 189-225, S. 196, im Folgenden: KIENING/HERBERICHS (2006)

19 SEE, Klaus von: Dem deutschen Volk zu Eigen. Fritz Langs Nibelungenfilm von 1924, In: Mittelweg 36 1995, 4/6, S. 34-35. , S. 37, im Folgenden: SEE (1995).

20 Vgl.: MARTIN, S. 149/150.

21 Vgl.: GUNINNG, S. 38.

22 LANG, Fritz: Worauf es beim Nibelungen-Film ankam. In: Fred Gehler u. Ullrich Kasten (Hg.): Fritz Lang. Die Stimme von Metropolis. Berlin: Henschel Verlag 1990, S. 170-174, S. 171, im Folgenden: LANG (1990).

23 Vgl.: KIENING/HERBERICHS (2006), S. 192.

24 Ebd. S. 202.

25 Ebd. S. 194.

26 LANG (1990), S. 170.

27 SEE (1995), S. 43.

28 Vgl.: KIENING/HERBERICHS (2006), S. 200.

29 BREITMOSER-BOCK, Angelika: Bild, Filmbild, Schlüsselbild. Zu einer kunstwissenschaftlichen Methodik der Filmanalyse am Beispiel von Fritz Langs Siegfried . München: Verlegergemeinschaft Schaudig/Bauer/Ledig 1992, S. 51, im Folgenden: BREITMOSER-BOCK (1992).

30 Vgl.: FREMBS, Susanne: Nibelungenlied und Nationalgedanke nach Neunzehnhundert. Über den Umgang der Deutschen mit ihrem `Nationalepos`. Stuttgart: ibidem-Verlag 2001, S. 90, im Folgenden: FREMBS (2001).

31 BRENNICKE/HEMBUS (1983), S. 112/113.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Fritz Langs 'Siegfried'
Untertitel
Deutscher Mythos, deutscher Held?
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Seminar/Übung: Mythen in Literatur und Film
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
21
Katalognummer
V196528
ISBN (eBook)
9783656225362
ISBN (Buch)
9783656227243
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mythos, Nibelungen, Siegfried, Film, Fritz Lang, Held, Deutsch, Sage
Arbeit zitieren
Julia Arnold (Autor:in), 2012, Fritz Langs 'Siegfried', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196528

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