Die Haftung des Arbeitgebers in der gesetzlichen Unfallversicherung unter Berücksichtigung von SGB VII


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Die gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)
1.1 Historische Entwicklung
1.2 Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung
1.3 Wirtschaftliche Bedeutung
1.4 Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 114 SGB VII)
1.5 Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 152 ff. SGB VII)
1.6 Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 27 ff. SGB VII)
1.6.1 Sachleistungen
1.6.2 Geldleistungen
1.7 Der Kreis der Versicherten (§ 2 ff. SGB VII)
1.7.1 Versicherte kraft Gesetz
1.7.2 Versicherte kraft Satzung
1.7.3 Freiwillige versicherte Mitglieder
1.8 Das System der sozialen Sicherung

2 Arbeitgeberhaftung im BGB vs. SGB VII
2.1 Zivilrechtliche Schadenshaftung im BGB
2.2 Arbeitgeberhaftung nach SGB VII
2.2.1 Haftung bei Sachschäden
2.2.1.1 Sachschäden-Haftung bei Verschulden
2.2.1.2 Sachschäden-Haftung ohne Verschulden
2.2.2 Haftungsausschluss des ArbGeb bei Personenschäden
2.2.3 Weitere Haftungsausschlüsse des ArbGeb
2.2.4 Haftungsabgrenzung zwischen versicherten Weg und Betriebsweg
2.2.5 Haftungsabgrenzung zum privatem Bereich
2.2.6 Immaterieller Schadensersatz

3 Exkurs: Fahrlässigkeit vs. Vorsatz im Arbeitsrecht
3.1 Leichte Fahrlässigkeit
3.2 Mittlere Fahrlässigkeit
3.3 Grobe Fahrlässigkeit
3.4 Vorsatz

4 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit im Rahmen der Ausbildung zur Pflege­dienst­leitung an der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA) in Hannover soll erstens einen Überblick über die gesetzli­che Unfallversicherung geben. Zweitens soll das darin enthaltene Haftungsprivileg des Arbeitgebers[1] der Delikthaftung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch[2] gegenübergestellt werden. Die Haftung des Arbeit­gebers gegenüber dem Arbeitnehmer[3] unter­scheidet sich in mehrfa­cher Hin­sicht von der zivilrechtlichen Delikthaftung des Bürgerlichen Gesetz­buches.[4] Die Ver­pflich­tung zum Scha­denser­satz nach dem § 249 Abs. 1 BGB besagt, dass der Schädiger unabhän­gig vom Grad des Verschuldens auf Ersatz des ge­samten Sach- und Perso­nenscha­dens haftet, die so ge­nannte Totalrepa­ration. Der Schädiger ist grundsätzlich verpflichtet, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schä­digende Ereignis nicht eingetreten wäre. Vom Grundsatz her soll der Geschädigte durch den Scha­densersatz nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Der Schädiger muss vorrangig Ausgleich in Natur[5] leisten. Dies gilt grundsätzlich für die Behe­bung aller materiellen und immateriellen Schäden. Einen Geldbetrag als Entschädigung kann der Geschädigte nur unter den Voraussetzungen der §§ 249 Abs. 2, 250, 251 Abs. 1 BGB verlangen. Eine Einschränkung der Haftung kommt nach § 276 BGB nur in Betracht, wenn den Ge­schädigten eine Mitschuld trifft.

Würde dieser Grundsatz auf das Arbeitsverhältnis übertragen, so wäre der ArbGeb einem unüberschaubaren, und damit nicht mehr planbarem Ri­siko ausge­setzt. Um den ArbGeb zu entlasten, wurde daher die gesetzliche Unfallversicherung geschaf­fen. Diese ist wie die Kranken- und Rentenversi­cherung ein Zweig der gesetzli­chen Sozialversiche­rung.

Die gesetzliche Unfallversicherung schützt den ArbN vor be­rufsspezifi­schen Risiken am Arbeitsplatz und den ArbGeb im Schadensfall vor der direkten Inanspruchnahme durch den ArbN. Darüber hinaus trifft der ArbN im Versicherungsfall immer auf einen solventen Leistungserbringer, die gesetz­liche Unfallversicherung. Die Beiträge zu gesetzli­chen Unfallversiche­rung werden allein durch die ArbGeb aufgebracht. Durch die Beitragszahlung der ArbGeb wird so ein finanzielles Polster erwirtschaftet, mit welchem die sozi­alen Leistungen zugunsten der ArbN erbracht werden.

Die Reichsversicherungsordnung (RVO) war der Vorläufer des heutigen SGB VII, wobei die RVO zunächst nur „redaktionell neu bearbeitet“ wurde. Die Neuerungen im SGB VII waren oft auch nur Weiterent­wicklungen der bisherigen Rechtsprechung.[6]

Das erste Kapitel der Hausarbeit beginnt mit der historischen Entwicklung der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Aufgaben, wirtschaftliche Bedeu­tung, Erläuterungen zu den Trägern und zu der Finanzierung schließen sich an. Danach werden die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung aufgeführt. Das erste Kapitel wird mit einem Über­blick über das gesamte Sozialgesetzbuch beendet.

Eine differenzierte Betrachtung der ArbGeb-Haftung unter Berücksichti­gung des Zivilrechts einerseits und der Haftung aus dem SGB VII bei Perso­nenschäden im betrieblichen Arbeitsverhältnis andererseits schließt sich im zweiten Kapitel an. Dieses komplexe Thema wird mit der Erläuterung über die immaterielle Haftung beendet.

Im dritten Kapitel folgt ein kurzer Exkurs über Fahrlässigkeit und Vorsatz im Arbeitsverhältnis. Beispiele und Abbildungen erläutern stellenweise die einzelnen Kapitel.

1 Die gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)

1.1 Historische Entwicklung

Die industrielle Revolution am Ende des 19. Jahrhunderts verschärfte die soziale Situation der ArbN massiv und steigerte die soziale Benachteiligung. Durch den vermehrten Einsatz von Maschinen stieg die Unfallgefahr am Arbeits­platz deutlich. Gründe hierfür waren einerseits die mangelnde techni­sche Reife der Ma­schinen und andererseits die nicht ausreichende Ausbil­dung der ArbN für die Bedienung der Maschinen. Im Zuge der Diskussion, über eine Verbesserung der sozia­len Situation der ArbN, wurde eine gesetz­liche Absicherung bei Unfällen durch betriebliche Tätigkeiten im Rahmen der staatlichen Sozial­gesetzgebung durch Bismarck[7] im Jahre 1884 einge­führt. Die dadurch begründete „Gesetz­liche Unfallversicherung“ wurde vom Prinzip her als eine Art Haftpflichtversi­cherung für den Unternehmer gestal­tet. Die Versicherung hat die Aufgabe, den Unternehmer im Schadensfall vor der In­anspruchnahme durch den ArbN zu schützen. Auf der anderen Seite wird der ArbN vor den spezifischen Gefahren seiner Tätigkeit im Arbeitsleben ge­schützt. Dadurch, dass die Beiträge für die gesetzliche Unfallversicherung alleine vom ArbGeb aufge­bracht werden, ist diese gesetzliche Konstruktion im Sozialversicherungs­recht bis heute einmalig. In den anderen Zweigen der Sozialversicherung kommt es mehr oder weniger zu einer Teilung der Bei­tragszahlungen zwischen ArbGeb und ArbN.

Seit seiner Gründung ist dieser Versicherungs­zweig mehrfachen Refor­men und damit sukzessive auch einer Erweite­rung des versicherten Perso­nenkreises unter­worfen gewesen. Beispielsweise wurde 1988 eine eigene See-Berufsgenos­senschaft gegründet; der Versicherungsschutz wurde auf Kinder in Kinder­gärten, Schüler, Studenten und sogar auf Gefangene in Haftanstalten und Entwicklungshelfer ausgeweitet. Im Jahre 1996 wurde die gesetzliche Unfall­versicherung als „Siebtes Buch“ in das Sozialgesetzbuch (SGB VII) integriert. Der Vorläufer des SGB VII war die Reichsversiche­rungsordnung (RVO).

1.2 Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung

Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein Versicherungszweig der deut­schen Sozial­versicherung. Der Zweck dieser Versicherung[8] besteht darin, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle[9] und Berufserkrankungen, sowie ar­beits­be­dingte Gesundheitsgefahren, zu verhüten. Nach Eintritt des Versiche­rungsfalles, infolge von Ar­beits­unfall, Wegeunfall[10] oder Berufskrankhei­t, soll die Gesundheit und die Leistungs­fähigkeit des Versicherten mit allen geeig­neten Mitteln wiederher­gestellt werden. Bzw. sollen die Hinterbliebenen des Versicherten versorgt werden. Grund­lage dafür ist das Sozial­gesetzbuch VII (SGB VII). Soweit eine Prüfung ergibt, dass ein Arbeitsunfall vorliegt, werden entsprechende Leis­tun­gen, wie beispielsweise Behandlungskosten, erbracht. Bei schwerwie­genden Unfallfolgen kann sogar eine Rente vom zuständigen Unfallversiche­rungsträger gezahlt werden. Die Erbringung der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt von Amts wegen, d. h., es besteht kein Antrags­prin­zip.

Es gibt je­doch noch eine Vielzahl weiterer gesetzlicher Regelungen, das Arbeits­schutzgesetz, das Arbeitssicherheitsgesetz, die Arbeitsstätten-Ver­ordnung, die Baustellenverordnung usw. Diese tragen auch dazu bei, den Gesund­heitsschutz am Arbeitsplatz zu sichern. Diese Regelungen führen je­doch im Gegensatz zum SGB VII nicht zu einer versicherungsrechtlichen Ab­siche­rung des ArbN.

Auf den Gebieten der Arbeitssi­cherheit, der Unfallver­hütung und des Ge­sundheitsschut­zes beraten und beaufsichtigen die Trä­ger der gesetzlichen Unfallversiche­rung ihre Mitgliedsbetriebe. Mit den staatlichen Gewerbeauf­sichtsämtern be­steht zu diesem Zweck eine enge Ko­operation. Die Beiträge richten sich nach der Unfallgefahr (Risikoklassen) der Mit­gliedsbetriebe. Das sozialpolitische Prinzip der gesetzlichen Unfallversicherung ist fol­gendes: Sozial Bedürftigen soll geholfen werden und der Bürger soll durch eine ei­gene, mangelhafte Absicherung nicht der Allgemeinheit zu Last fallen.[11]

1.3 Wirtschaftliche Bedeutung

Die gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland hat im System der so­zia­len Sicherung eine große Bedeutung. 2009 waren ca. 61 Millionen Men­schen versichert. Die Einnahmen und Ausgaben waren mit jeweils ca. 14 Millionen Euro im Jahr 2009 laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes ausgeglichen.[12] Es wird zwischen Arbeits-, Wegeunfällen und Berufserkran­kung unter­schieden. Der erfreuliche Rückgang der „Meldepflichtigen Unfälle“[13] (siehe Tabelle) beruht auf einer erfolgreichen Prävention[14] in den Betrieben. Ein wichtiger Faktor für den Rückgang der „Meldepflichtigen Unfälle“ und Be­rufserkrankungen sind daher die Unternehmer (Beitrags­zahler) selbst. Durch aktive Unterstützung der Präventionsbemühungen vermeiden sie so Versi­cherungsfälle und können damit letztendlich die Höhe der Beiträge in diesem Versicherungszweig steuern.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[15]

Abbildung 1: Tabelle Unfallversicherung 2011

1.4 Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 114 SGB VII)

Dies sind 35 gewerbliche Berufsgenossenschaften. Um ihren Aufgaben gerecht zu werden, wurden die Träger der gesetz­li­chen Unfallversicherung mit eigenen Rechtsetzungsbefugnissen[16] ausgestat­tet. Sie können Vorschriften erlassen, an die sich alle Beteiligten (ArbGeb und ArbN) zur Vermeidung von Gefährdungen am Arbeitsplatz zu halten ha­ben. Die Berufsgenossen haben von dieser Rechtsetzungsbefugnis vielfältig Gebrauch gemacht: Das Ergebnis sind die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften (BGV), früher auch als „Unfallverhütungsvorschriften“ bekannt. Diese Regeln beschreiben für den jewei­ligen Gewerbezweig sehr detailliert, was am Arbeitsplatz und im Betrieb zu tun ist, um Gefährdungen zu vermeiden.[17]

1.5 Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 152 ff. SGB VII)

Diese erfolgt durch Bei­träge der Mitgliedsunternehmen mittels eines nach­schüs­si­gen Jahresbeitra­ges. Die Höhe des Jahresbeitrages richtet sich in der Re­gel nach der Summe der an die ArbN ausgezahlten Jahresentgelte (Lohn­summe)[18] und der Risiko­klasse, zu der der Unternehmer veranlagt ist. Die Ar­bGeb versuchen, demzufolge die Anzahl der (meldepflichtigen) Versiche­rungsfälle niedrig zu halten. Dadurch bedingt sinkt adäquat auch die jeweilige Risiko­klasse, und somit auch der Betrag zur gesetzlichen Unfallversicherung. Diese Beiträge sind ein Teil der Lohnnebenkosten. Leistungsnehmer von entspre­chenden Leistungen der gesetzlichen Un­fallversicherung sind dagegen i. d. R die ArbN, die wäh­rend ihrer betrieblichen Tä­tigkeit zu Schaden ge­kommen sind.

1.6 Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 27 ff. SGB VII)

Um Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu beziehen, bedarf es drei Voraussetzungen:

1. Es muss ein Versicherungsverhältnis vorliegen.
2. Die beantragte Leistung muss eine Leistung der sozialen Sicherung sein.
3. Es muss ein Versicherungsfall vorliegen.

Nach § 26 Abs. 3 SGB VII haben die Leistungen zur Heilbehandlung und zur Rehabilitation Vorrang vor den Rentenleistungen. Die gesetzliche Unfall­versicherung er­bringt, neben der Prävention, bei folgenden Versicherungs­fällen Leistungen:

1. Arbeitsunfall,
2. Wegeun­fall
3. Berufserkrankung.

Im Folgenden wird Auf­grund der vielfälti­gen Leis­tungen nur ein kurzer Überblick aufgezeigt. Die Leistungen bestehen aus Sach- und Geldleis­tun­gen (materielle Leistungen). Immaterielle Leistungen sind gesetzlich nicht vorgesehen.

1.6.1 Sachleistungen

Sachleistungen bestehen aus ambulanter und stationärer Behandlung, häus­licher Krankenpflege, Haushaltshilfe, der Ausstattung mit Heil- und Hilfsmitteln. Der Anspruch auf diese Leistun­gen dient dazu, die Erwerbsfä­higkeit des geschädigten Ver­si­cherten wieder herzustellen. Es erfolgt hier keine Leistungseinschränkung der eingesetzten Mittel, wie dies in der gesetzlichen Krankenversicherung infolge eines begrenzten Budgets geschieht. Die jeweilige Be­rufsgenossenschaft als Träger der gesetzli­chen Unfallversicherung kann also alle erforderlichen Maßnah­men ausschöpfen. Zu diesem Zweck unterhalten die Unfall­versicherungsträ­ger auch spezielle Kliniken für die Versorgung von Ar­beitsunfäl­len und Berufs­krankhei­ten vor. Die freie Arztwahl des Versicherten bei Heilbehand­lungen der BG ist dagegen anders als in der kassenärztlichen (ambulan­ten) Versor­gung dras­tisch eingeschränkt, die Erstbehandlung hat durch einen zu­gelas­senen Durch­gangsarzt zu erfolgen. Leistungen zur be­ruflichen Wie­der­ein­gliederung runden die Sachleistungen ab.

1.6.2 Geldleistungen

Geldleistungen sind folgende:

- Verletztengeld: Ist die Entgeltfortzahlung durch den ArbGeb ausge­laufen, zahlt die Berufsgenossenschaft Verletztengeld. Dies beträgt 80 % des durchschnittlichen Bruttoentgelts, es darf jedoch nicht höher sein als das regelmäßige Nettoentgelt. Vom Nettoentgelt werden noch Beitragsanteile zur Ren­ten- und Arbeitslosenversicherung abgezogen.
- Unfallrente: Diese wird gezahlt, wenn es durch einen Unfall zu einer Min­derung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 % kommt.
- Pflegegeld: Je nach Versicherungsfall werden zwischen 260 bis 1.199 Euro monatlich gezahlt. Einzelheiten werden im § 5 Abs. 1 u. 2 SGB VII geregelt.
- Über­gangs­geld: Wird gezahlt, wenn der Versicherte infolge eines Versi­cherungsfalls berufsfördernde Leistungen erhält und er wegen dieser Leistungen nicht einer ganztägigen Erwerbstätigkeit nachgehen kann (§ 49 SGB VII).
- Hinterbliebenenrente: Wird gezahlt bei Tod durch Arbeitsunfall, dies wird in § 65ff SGB VII geregelt.
- Sterbegeld: Wird gezahlt, wenn der Tod wegen eines Versicherungs­fal­les (Arbeits-, Wegeunfall, Berufskrankheit) eingetreten ist.
- Leistungen für ehrenamt­lich Tä­tige und diverse Beihilfen, usw.

Der Umfang des Versicherungsschutzes erstreckt sich auf alle während der betrieblichen Arbeit entstandenen Schadensfälle, unabhängig von der Schuldfrage. Dazu zählen beispielsweise auch Unfälle auf dem direkten Weg von und zur Arbeit, der Besuch beim Betriebsarzt und sogar die Schwarz­ar­beit usw. Die Wegeunfälle werden in einem separaten Kapitel (2.2.4) ausführlich abge­handelt.

Einschränkungen des Unfallversicherungsschutzes sind bei Vorsatz (z. B. Selbstverletzung, Missachtung von Vorschriften) oder bei grober Fahr­lässig­keit (z. B. Drogen- oder Alkoholmissbrauch) gegeben (siehe Exkurs Fahrlässigkeit/Vorsatz im dritten Kapitel). Auch ist nicht jede Erkrankung, die im Zusammenhang mit der Arbeit entsteht, automatisch eine Berufskrank­heit. Per Gesetz wurde eine nach Einwirkungen sortierte Auflis­tung bestimmter Erkrankungen[19] erlassen, welche als Berufser­kran­kung gel­ten. Werden also bestimmte Kriterien dieser Auflistung erfüllt, so wird dies wie eine Berufser­krankung entschädigt.

Schadensersatzleistungen wie Schmerzensgeld bei Personenschäden (im­materi­elle Leistungen) zugunsten des Versicherten/Geschädigten wie im BGB sind nach den gelten­den gesetzlichen Regelun­gen nicht vorgesehen. Die darin bestehende Benachteili­gung geschädigter Arbeitneh­mer gegenüber einem sonstigen Geschädig­ten, welche einen zivilrechtli­chen Anspruch auf Schmerzensgeld haben, ist durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1995 als Verfassungs­konform erachtet worden.[20]

1.7 Der Kreis der Versicherten (§ 2 ff. SGB VII)

Die gesetzliche Unfallversicherung versichert nicht Personen, sondern stellt Tätigkeiten von Personen unter Versicherungsschutz.

1.7.1 Versicherte kraft Gesetz

Wer Versicherter ist und deshalb Ansprüche geltend machen kann, ist für jeden Zweig der Sozialversicherung gesondert geregelt. In der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies in den § 2 SGB VII geregelt, hier werden die Personengruppen und die gesetzlichen Umstände genannt, welche unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen. Dadurch werden auch die versicherten Tätigkeiten definiert.

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werden die „Beschäftigen“[21] als wich­tigs­ter ver­sicherter Personenkreis zuerst genannt. Einem Beschäftigungsver­hältnis muss immer ein (in heutiger Zeit üblicherweise schriftlicher) Arbeits­vertrag zugrunde liegen. Seit 1995 ist im Arbeitsrecht das Nachweisgesetz gültig. Dieses besagt unter anderen, dass einem ArbN die wesentlichen Ver­trags­bedingungen innerhalb von vier Wochen nach Beginn seiner Tätig­keit aus­gehändigt werden müssen. Dieser Nachweis kann als Indiz für ein sozial­ver­sicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis gelten.

Weiter zählen in der Regel kraft Gesetzes folgende Personen zu dem Kreis der Pflichtversicherten: Kinder einer Kinderta­gesstätte, Schüler, Stu­denten, Aus­zubildende, Praktikanten, Beschäftigte, Pflege­personen, Land­wirte, ehren­amtlich Tätige, ArbN, die für ihren ArbGeb im Ausland tätig sind, Leiharbeit­nehmer, Tätigkeiten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Personen, welche aufgrund von Unfallverhütungsvorschriften unter­sucht werden, land­wirtschaftliche Unternehmer, Küstenschiffer und -fischer, usw.

1.7.2 Versicherte kraft Satzung

Eine Mitgliedschaft kann auch kraft Satzung[22] bestehen. Die gewerbli­chen Berufsgenossenschaften haben nach § 34 SGB IV[23] als Kör­perschaften des öffentlichen Rechts[24] die Pflicht, eine Satzung zu erlassen. Hierin werden beispielsweise Gefahrklassentarife festgelegt oder Vorschrif­ten zur Handha­bung der Unfallverhütungsvorschriften erlassen. Auch kann die Aufnahme von Unternehmern[25] in den Schutzbereich der Berufsgenossen­schaft gere­gelt werden.

Nach § 3 Abs. 1 SGB VII müssen Unternehmer und deren mitarbeitende Ehepartner oder Lebenspartner in der zuständigen Berufsgenossenschaft versichert sein. § 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII erweitert diesen Schutz auch auf Personen, welche sich auf der Unternehmensstätte aufhalten. Als Unterneh­mensstätte gilt der Sitz des Unternehmens und aller dazugehörigen Gebäude und Betriebsteile. Bei Bauunternehmen zählen beispielsweise auch auswär­tige Baustellen dazu.

Auch der folgende Personenkreis erfüllt die Voraussetzungen:

- Beschäftigte einer staatlichen deutschen Einrichtung im Ausland,
- Beschäftige einer staatlichen deutschen Einrichtung, welche im Ausland anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden (z. B. Entwicklungshelfer),
- Ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
- Mitglieder von Prüfungsausschüssen,
- Teil­neh­mer von Unternehmensbesichtigungen,
- Rechtsanwälte,
- Steuerberater,
- Ärzte,
- Mitglieder des Aufsichtsrates oder des Vorstandes,
- Familienangehörige, die sich im Interesse des Versicherten im Unter­nehmen aufhalten.

Ein Versicherungsschutz im Ausland nach § 3 Abs. 1 Satz 3 SGB VII besteht nur, soweit die oben genannten Personen nach dem Recht des Beschäfti­gungsstaates nicht unfallversichert sind.

1.7.3 Freiwillige versicherte Mitglieder

Gemäß § 6 SGB VII können sich Unternehmer, die nicht kraft Gesetz oder Satzung bei der Berufsgenossenschaft versichert sind, sich dieser freiwillig anschließen. Diese Möglich­keit gewinnt an Bedeutung, wenn das Unter­nehmen rein pri­vaten Belangen dient und mit Risiken verbunden ist, deren Folgen, zu nicht abschätzbaren Schäden führen können. Die Beitragsfestset­zung wird in diesen Fällen durch die Satzung der jeweiligen Berufsgenos­senschaft geregelt.[26]

[...]


[1] Nachfolgend mit ArbGeb abgekürzt.

[2] Nachfolgend mit BGB abgekürzt.

[3] Nachfolgend mit ArbN abgekürzt.

[4] Nachfolgend mit BGB abgekürzt.

[5] Die sogenannte „Naturalrestitution“.

[6] Vgl. Schwede, J. 2010, S. 12

[7] Otto von Bismarck * 1815, † 1898; war von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.

[8] Siehe auch § 1 SGB VII Abs. 1 und 2

[9] Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Beschäftigter bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Arbeitsstätte, z. B. auch im Straßenverkehr, erleidet.

[10] Ein Wegeunfall ist ein Unfall, den ein Beschäftigter auf dem Weg zwischen Wohnung und dem Ort seiner beruflichen Tätigkeit erleidet. Der Wegeunfall ist dem Arbeitsunfall gleichgestellt.

[11] Vgl. Schwede, J. 2010, S. 11

[12] Aktuelle Zahlen dazu befinden sich auch auf der Homepage des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de) oder im Statistisches Jahrbuch 2011 des Statistischen Bundesamtes, S. 208 f.

[13] Ein meldepflichtiger Unfall gemäß § 193 SGB VII ist ein Arbeits- oder Wegeunfall, der zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder zum Tod führt. Die gilt auch für Wegeunfälle; das sind Unfälle auf dem Weg zum oder vom Ort einer versicherten Tätigkeit, die nach § 8 Abs. 2 Abs. 1 bis 4 SGB VII den Arbeitsunfällen gleichgestellt sind.

[14] Prävention bedeutet vorbeugende Maßnahmen, um den Eintritt des Schadens zu verhindern.

[15] Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2011

[16] Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung können Rechtsnormen erlassen, wenn sie durch Verträge, das sogenannte Primärrecht, dazu explizit ermächtigt sind. Die Träger können also nicht eigenmächtig Kompetenzen an sich ziehen.

[17] Vgl. Schwede, J. 2010, S. 15

[18] Siehe § 153 SGB VII

[19] Siehe Anlage Katalog der Berufserkrankungen

[20] Az. 1 BvR 753/94

[21] Als Beschäftigter zählt derjenige, welcher einer nicht selbstständigen Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, nachgeht. Siehe auch § 7 SGB IV.

[22] § 3 SGB VII

[23] Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung

[24] Ist ein Verband des öffentlichen Rechts, der außerhalb der durch die Behörden dargestellten unmittel­baren Staatsverwaltung öffentliche Aufgaben unter staatlicher Aufsicht und ggf. unter Einsatz hoheitlicher Mittel wahrnimmt. Im Unterschied zur Anstalt des öffentlichen Rechts ist sie mitglied­schaftlich organi­siert. Die Errichtung einer bundesunmittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechts im Bundesge­biet bedarf eines Bundesgesetzes nach Art. 87 GG. Rechtsstellung: Körperschaften des öffentlichen Rechts sind juristische Personen, können daher Träger von Rechten und Pflichten sein, im eigenen Namen klagen und verklagt werden. Sie genießen verschiedene Vorrechte, ihre Bediensteten sind Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes. Beispiel: Gemeinden, Kreise, Ortskranken­kassen, Landesversicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften, Rechtsanwaltkam­mern, Ärzte­kammern, Hochschulen. Eine Sonderstellung nehmen die Kirchengemeinden ein.

[25] Unternehmer ist nach § 121 ABS. 1 SGB VII derjenige, welcher von dem Betrieb, der Einrichtung oder der Tätigkeit profitieren will.

[26] Vgl. Schwede J., 2010, S. 42

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Die Haftung des Arbeitgebers in der gesetzlichen Unfallversicherung unter Berücksichtigung von SGB VII
Hochschule
DAA Deutsche Angestellten-Akademie GmbH
Veranstaltung
Rechtskunde
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
33
Katalognummer
V197421
ISBN (eBook)
9783668462410
ISBN (Buch)
9783668462427
Dateigröße
788 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesetzliche Unfallversicherung, SGB XII, Arbeitsrecht, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Arbeitgeberhaftung, Immaterieller Schadensersatz, versicherter Weg, Betriebsweg
Arbeit zitieren
Reiner Göbel (Autor:in), 2012, Die Haftung des Arbeitgebers in der gesetzlichen Unfallversicherung unter Berücksichtigung von SGB VII, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197421

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