Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Die gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)
1.1 Historische Entwicklung
1.2 Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung
1.3 Wirtschaftliche Bedeutung
1.4 Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 114 SGB VII)
1.5 Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 152 ff. SGB VII)
1.6 Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 27 ff. SGB VII)
1.6.1 Sachleistungen
1.6.2 Geldleistungen
1.7 Der Kreis der Versicherten (§ 2 ff. SGB VII)
1.7.1 Versicherte kraft Gesetz
1.7.2 Versicherte kraft Satzung
1.7.3 Freiwillige versicherte Mitglieder
1.8 Das System der sozialen Sicherung
2 Arbeitgeberhaftung im BGB vs. SGB VII
2.1 Zivilrechtliche Schadenshaftung im BGB
2.2 Arbeitgeberhaftung nach SGB VII
2.2.1 Haftung bei Sachschäden
2.2.1.1 Sachschäden-Haftung bei Verschulden
2.2.1.2 Sachschäden-Haftung ohne Verschulden
2.2.2 Haftungsausschluss des ArbGeb bei Personenschäden
2.2.3 Weitere Haftungsausschlüsse des ArbGeb
2.2.4 Haftungsabgrenzung zwischen versicherten Weg und Betriebsweg
2.2.5 Haftungsabgrenzung zum privatem Bereich
2.2.6 Immaterieller Schadensersatz
3 Exkurs: Fahrlässigkeit vs. Vorsatz im Arbeitsrecht
3.1 Leichte Fahrlässigkeit
3.2 Mittlere Fahrlässigkeit
3.3 Grobe Fahrlässigkeit
3.4 Vorsatz
4 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit im Rahmen der Ausbildung zur Pflegedienstleitung an der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA) in Hannover soll erstens einen Überblick über die gesetzliche Unfallversicherung geben. Zweitens soll das darin enthaltene Haftungsprivileg des Arbeitgebers[1] der Delikthaftung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch[2] gegenübergestellt werden. Die Haftung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer[3] unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von der zivilrechtlichen Delikthaftung des Bürgerlichen Gesetzbuches.[4] Die Verpflichtung zum Schadensersatz nach dem § 249 Abs. 1 BGB besagt, dass der Schädiger unabhängig vom Grad des Verschuldens auf Ersatz des gesamten Sach- und Personenschadens haftet, die so genannte Totalreparation. Der Schädiger ist grundsätzlich verpflichtet, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Vom Grundsatz her soll der Geschädigte durch den Schadensersatz nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Der Schädiger muss vorrangig Ausgleich in Natur[5] leisten. Dies gilt grundsätzlich für die Behebung aller materiellen und immateriellen Schäden. Einen Geldbetrag als Entschädigung kann der Geschädigte nur unter den Voraussetzungen der §§ 249 Abs. 2, 250, 251 Abs. 1 BGB verlangen. Eine Einschränkung der Haftung kommt nach § 276 BGB nur in Betracht, wenn den Geschädigten eine Mitschuld trifft.
Würde dieser Grundsatz auf das Arbeitsverhältnis übertragen, so wäre der ArbGeb einem unüberschaubaren, und damit nicht mehr planbarem Risiko ausgesetzt. Um den ArbGeb zu entlasten, wurde daher die gesetzliche Unfallversicherung geschaffen. Diese ist wie die Kranken- und Rentenversicherung ein Zweig der gesetzlichen Sozialversicherung.
Die gesetzliche Unfallversicherung schützt den ArbN vor berufsspezifischen Risiken am Arbeitsplatz und den ArbGeb im Schadensfall vor der direkten Inanspruchnahme durch den ArbN. Darüber hinaus trifft der ArbN im Versicherungsfall immer auf einen solventen Leistungserbringer, die gesetzliche Unfallversicherung. Die Beiträge zu gesetzlichen Unfallversicherung werden allein durch die ArbGeb aufgebracht. Durch die Beitragszahlung der ArbGeb wird so ein finanzielles Polster erwirtschaftet, mit welchem die sozialen Leistungen zugunsten der ArbN erbracht werden.
Die Reichsversicherungsordnung (RVO) war der Vorläufer des heutigen SGB VII, wobei die RVO zunächst nur „redaktionell neu bearbeitet“ wurde. Die Neuerungen im SGB VII waren oft auch nur Weiterentwicklungen der bisherigen Rechtsprechung.[6]
Das erste Kapitel der Hausarbeit beginnt mit der historischen Entwicklung der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Aufgaben, wirtschaftliche Bedeutung, Erläuterungen zu den Trägern und zu der Finanzierung schließen sich an. Danach werden die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung aufgeführt. Das erste Kapitel wird mit einem Überblick über das gesamte Sozialgesetzbuch beendet.
Eine differenzierte Betrachtung der ArbGeb-Haftung unter Berücksichtigung des Zivilrechts einerseits und der Haftung aus dem SGB VII bei Personenschäden im betrieblichen Arbeitsverhältnis andererseits schließt sich im zweiten Kapitel an. Dieses komplexe Thema wird mit der Erläuterung über die immaterielle Haftung beendet.
Im dritten Kapitel folgt ein kurzer Exkurs über Fahrlässigkeit und Vorsatz im Arbeitsverhältnis. Beispiele und Abbildungen erläutern stellenweise die einzelnen Kapitel.
1 Die gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)
1.1 Historische Entwicklung
Die industrielle Revolution am Ende des 19. Jahrhunderts verschärfte die soziale Situation der ArbN massiv und steigerte die soziale Benachteiligung. Durch den vermehrten Einsatz von Maschinen stieg die Unfallgefahr am Arbeitsplatz deutlich. Gründe hierfür waren einerseits die mangelnde technische Reife der Maschinen und andererseits die nicht ausreichende Ausbildung der ArbN für die Bedienung der Maschinen. Im Zuge der Diskussion, über eine Verbesserung der sozialen Situation der ArbN, wurde eine gesetzliche Absicherung bei Unfällen durch betriebliche Tätigkeiten im Rahmen der staatlichen Sozialgesetzgebung durch Bismarck[7] im Jahre 1884 eingeführt. Die dadurch begründete „Gesetzliche Unfallversicherung“ wurde vom Prinzip her als eine Art Haftpflichtversicherung für den Unternehmer gestaltet. Die Versicherung hat die Aufgabe, den Unternehmer im Schadensfall vor der Inanspruchnahme durch den ArbN zu schützen. Auf der anderen Seite wird der ArbN vor den spezifischen Gefahren seiner Tätigkeit im Arbeitsleben geschützt. Dadurch, dass die Beiträge für die gesetzliche Unfallversicherung alleine vom ArbGeb aufgebracht werden, ist diese gesetzliche Konstruktion im Sozialversicherungsrecht bis heute einmalig. In den anderen Zweigen der Sozialversicherung kommt es mehr oder weniger zu einer Teilung der Beitragszahlungen zwischen ArbGeb und ArbN.
Seit seiner Gründung ist dieser Versicherungszweig mehrfachen Reformen und damit sukzessive auch einer Erweiterung des versicherten Personenkreises unterworfen gewesen. Beispielsweise wurde 1988 eine eigene See-Berufsgenossenschaft gegründet; der Versicherungsschutz wurde auf Kinder in Kindergärten, Schüler, Studenten und sogar auf Gefangene in Haftanstalten und Entwicklungshelfer ausgeweitet. Im Jahre 1996 wurde die gesetzliche Unfallversicherung als „Siebtes Buch“ in das Sozialgesetzbuch (SGB VII) integriert. Der Vorläufer des SGB VII war die Reichsversicherungsordnung (RVO).
1.2 Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung
Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein Versicherungszweig der deutschen Sozialversicherung. Der Zweck dieser Versicherung[8] besteht darin, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle[9] und Berufserkrankungen, sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren, zu verhüten. Nach Eintritt des Versicherungsfalles, infolge von Arbeitsunfall, Wegeunfall[10] oder Berufskrankheit, soll die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit des Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederhergestellt werden. Bzw. sollen die Hinterbliebenen des Versicherten versorgt werden. Grundlage dafür ist das Sozialgesetzbuch VII (SGB VII). Soweit eine Prüfung ergibt, dass ein Arbeitsunfall vorliegt, werden entsprechende Leistungen, wie beispielsweise Behandlungskosten, erbracht. Bei schwerwiegenden Unfallfolgen kann sogar eine Rente vom zuständigen Unfallversicherungsträger gezahlt werden. Die Erbringung der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt von Amts wegen, d. h., es besteht kein Antragsprinzip.
Es gibt jedoch noch eine Vielzahl weiterer gesetzlicher Regelungen, das Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitssicherheitsgesetz, die Arbeitsstätten-Verordnung, die Baustellenverordnung usw. Diese tragen auch dazu bei, den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu sichern. Diese Regelungen führen jedoch im Gegensatz zum SGB VII nicht zu einer versicherungsrechtlichen Absicherung des ArbN.
Auf den Gebieten der Arbeitssicherheit, der Unfallverhütung und des Gesundheitsschutzes beraten und beaufsichtigen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ihre Mitgliedsbetriebe. Mit den staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern besteht zu diesem Zweck eine enge Kooperation. Die Beiträge richten sich nach der Unfallgefahr (Risikoklassen) der Mitgliedsbetriebe. Das sozialpolitische Prinzip der gesetzlichen Unfallversicherung ist folgendes: Sozial Bedürftigen soll geholfen werden und der Bürger soll durch eine eigene, mangelhafte Absicherung nicht der Allgemeinheit zu Last fallen.[11]
1.3 Wirtschaftliche Bedeutung
Die gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland hat im System der sozialen Sicherung eine große Bedeutung. 2009 waren ca. 61 Millionen Menschen versichert. Die Einnahmen und Ausgaben waren mit jeweils ca. 14 Millionen Euro im Jahr 2009 laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes ausgeglichen.[12] Es wird zwischen Arbeits-, Wegeunfällen und Berufserkrankung unterschieden. Der erfreuliche Rückgang der „Meldepflichtigen Unfälle“[13] (siehe Tabelle) beruht auf einer erfolgreichen Prävention[14] in den Betrieben. Ein wichtiger Faktor für den Rückgang der „Meldepflichtigen Unfälle“ und Berufserkrankungen sind daher die Unternehmer (Beitragszahler) selbst. Durch aktive Unterstützung der Präventionsbemühungen vermeiden sie so Versicherungsfälle und können damit letztendlich die Höhe der Beiträge in diesem Versicherungszweig steuern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[15]
Abbildung 1: Tabelle Unfallversicherung 2011
1.4 Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 114 SGB VII)
Dies sind 35 gewerbliche Berufsgenossenschaften. Um ihren Aufgaben gerecht zu werden, wurden die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung mit eigenen Rechtsetzungsbefugnissen[16] ausgestattet. Sie können Vorschriften erlassen, an die sich alle Beteiligten (ArbGeb und ArbN) zur Vermeidung von Gefährdungen am Arbeitsplatz zu halten haben. Die Berufsgenossen haben von dieser Rechtsetzungsbefugnis vielfältig Gebrauch gemacht: Das Ergebnis sind die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften (BGV), früher auch als „Unfallverhütungsvorschriften“ bekannt. Diese Regeln beschreiben für den jeweiligen Gewerbezweig sehr detailliert, was am Arbeitsplatz und im Betrieb zu tun ist, um Gefährdungen zu vermeiden.[17]
1.5 Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 152 ff. SGB VII)
Diese erfolgt durch Beiträge der Mitgliedsunternehmen mittels eines nachschüssigen Jahresbeitrages. Die Höhe des Jahresbeitrages richtet sich in der Regel nach der Summe der an die ArbN ausgezahlten Jahresentgelte (Lohnsumme)[18] und der Risikoklasse, zu der der Unternehmer veranlagt ist. Die ArbGeb versuchen, demzufolge die Anzahl der (meldepflichtigen) Versicherungsfälle niedrig zu halten. Dadurch bedingt sinkt adäquat auch die jeweilige Risikoklasse, und somit auch der Betrag zur gesetzlichen Unfallversicherung. Diese Beiträge sind ein Teil der Lohnnebenkosten. Leistungsnehmer von entsprechenden Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung sind dagegen i. d. R die ArbN, die während ihrer betrieblichen Tätigkeit zu Schaden gekommen sind.
1.6 Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 27 ff. SGB VII)
Um Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu beziehen, bedarf es drei Voraussetzungen:
1. Es muss ein Versicherungsverhältnis vorliegen.
2. Die beantragte Leistung muss eine Leistung der sozialen Sicherung sein.
3. Es muss ein Versicherungsfall vorliegen.
Nach § 26 Abs. 3 SGB VII haben die Leistungen zur Heilbehandlung und zur Rehabilitation Vorrang vor den Rentenleistungen. Die gesetzliche Unfallversicherung erbringt, neben der Prävention, bei folgenden Versicherungsfällen Leistungen:
1. Arbeitsunfall,
2. Wegeunfall
3. Berufserkrankung.
Im Folgenden wird Aufgrund der vielfältigen Leistungen nur ein kurzer Überblick aufgezeigt. Die Leistungen bestehen aus Sach- und Geldleistungen (materielle Leistungen). Immaterielle Leistungen sind gesetzlich nicht vorgesehen.
1.6.1 Sachleistungen
Sachleistungen bestehen aus ambulanter und stationärer Behandlung, häuslicher Krankenpflege, Haushaltshilfe, der Ausstattung mit Heil- und Hilfsmitteln. Der Anspruch auf diese Leistungen dient dazu, die Erwerbsfähigkeit des geschädigten Versicherten wieder herzustellen. Es erfolgt hier keine Leistungseinschränkung der eingesetzten Mittel, wie dies in der gesetzlichen Krankenversicherung infolge eines begrenzten Budgets geschieht. Die jeweilige Berufsgenossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung kann also alle erforderlichen Maßnahmen ausschöpfen. Zu diesem Zweck unterhalten die Unfallversicherungsträger auch spezielle Kliniken für die Versorgung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vor. Die freie Arztwahl des Versicherten bei Heilbehandlungen der BG ist dagegen anders als in der kassenärztlichen (ambulanten) Versorgung drastisch eingeschränkt, die Erstbehandlung hat durch einen zugelassenen Durchgangsarzt zu erfolgen. Leistungen zur beruflichen Wiedereingliederung runden die Sachleistungen ab.
1.6.2 Geldleistungen
Geldleistungen sind folgende:
- Verletztengeld: Ist die Entgeltfortzahlung durch den ArbGeb ausgelaufen, zahlt die Berufsgenossenschaft Verletztengeld. Dies beträgt 80 % des durchschnittlichen Bruttoentgelts, es darf jedoch nicht höher sein als das regelmäßige Nettoentgelt. Vom Nettoentgelt werden noch Beitragsanteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung abgezogen.
- Unfallrente: Diese wird gezahlt, wenn es durch einen Unfall zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 % kommt.
- Pflegegeld: Je nach Versicherungsfall werden zwischen 260 bis 1.199 Euro monatlich gezahlt. Einzelheiten werden im § 5 Abs. 1 u. 2 SGB VII geregelt.
- Übergangsgeld: Wird gezahlt, wenn der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls berufsfördernde Leistungen erhält und er wegen dieser Leistungen nicht einer ganztägigen Erwerbstätigkeit nachgehen kann (§ 49 SGB VII).
- Hinterbliebenenrente: Wird gezahlt bei Tod durch Arbeitsunfall, dies wird in § 65ff SGB VII geregelt.
- Sterbegeld: Wird gezahlt, wenn der Tod wegen eines Versicherungsfalles (Arbeits-, Wegeunfall, Berufskrankheit) eingetreten ist.
- Leistungen für ehrenamtlich Tätige und diverse Beihilfen, usw.
Der Umfang des Versicherungsschutzes erstreckt sich auf alle während der betrieblichen Arbeit entstandenen Schadensfälle, unabhängig von der Schuldfrage. Dazu zählen beispielsweise auch Unfälle auf dem direkten Weg von und zur Arbeit, der Besuch beim Betriebsarzt und sogar die Schwarzarbeit usw. Die Wegeunfälle werden in einem separaten Kapitel (2.2.4) ausführlich abgehandelt.
Einschränkungen des Unfallversicherungsschutzes sind bei Vorsatz (z. B. Selbstverletzung, Missachtung von Vorschriften) oder bei grober Fahrlässigkeit (z. B. Drogen- oder Alkoholmissbrauch) gegeben (siehe Exkurs Fahrlässigkeit/Vorsatz im dritten Kapitel). Auch ist nicht jede Erkrankung, die im Zusammenhang mit der Arbeit entsteht, automatisch eine Berufskrankheit. Per Gesetz wurde eine nach Einwirkungen sortierte Auflistung bestimmter Erkrankungen[19] erlassen, welche als Berufserkrankung gelten. Werden also bestimmte Kriterien dieser Auflistung erfüllt, so wird dies wie eine Berufserkrankung entschädigt.
Schadensersatzleistungen wie Schmerzensgeld bei Personenschäden (immaterielle Leistungen) zugunsten des Versicherten/Geschädigten wie im BGB sind nach den geltenden gesetzlichen Regelungen nicht vorgesehen. Die darin bestehende Benachteiligung geschädigter Arbeitnehmer gegenüber einem sonstigen Geschädigten, welche einen zivilrechtlichen Anspruch auf Schmerzensgeld haben, ist durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1995 als Verfassungskonform erachtet worden.[20]
1.7 Der Kreis der Versicherten (§ 2 ff. SGB VII)
Die gesetzliche Unfallversicherung versichert nicht Personen, sondern stellt Tätigkeiten von Personen unter Versicherungsschutz.
1.7.1 Versicherte kraft Gesetz
Wer Versicherter ist und deshalb Ansprüche geltend machen kann, ist für jeden Zweig der Sozialversicherung gesondert geregelt. In der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies in den § 2 SGB VII geregelt, hier werden die Personengruppen und die gesetzlichen Umstände genannt, welche unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen. Dadurch werden auch die versicherten Tätigkeiten definiert.
Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werden die „Beschäftigen“[21] als wichtigster versicherter Personenkreis zuerst genannt. Einem Beschäftigungsverhältnis muss immer ein (in heutiger Zeit üblicherweise schriftlicher) Arbeitsvertrag zugrunde liegen. Seit 1995 ist im Arbeitsrecht das Nachweisgesetz gültig. Dieses besagt unter anderen, dass einem ArbN die wesentlichen Vertragsbedingungen innerhalb von vier Wochen nach Beginn seiner Tätigkeit ausgehändigt werden müssen. Dieser Nachweis kann als Indiz für ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis gelten.
Weiter zählen in der Regel kraft Gesetzes folgende Personen zu dem Kreis der Pflichtversicherten: Kinder einer Kindertagesstätte, Schüler, Studenten, Auszubildende, Praktikanten, Beschäftigte, Pflegepersonen, Landwirte, ehrenamtlich Tätige, ArbN, die für ihren ArbGeb im Ausland tätig sind, Leiharbeitnehmer, Tätigkeiten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Personen, welche aufgrund von Unfallverhütungsvorschriften untersucht werden, landwirtschaftliche Unternehmer, Küstenschiffer und -fischer, usw.
1.7.2 Versicherte kraft Satzung
Eine Mitgliedschaft kann auch kraft Satzung[22] bestehen. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften haben nach § 34 SGB IV[23] als Körperschaften des öffentlichen Rechts[24] die Pflicht, eine Satzung zu erlassen. Hierin werden beispielsweise Gefahrklassentarife festgelegt oder Vorschriften zur Handhabung der Unfallverhütungsvorschriften erlassen. Auch kann die Aufnahme von Unternehmern[25] in den Schutzbereich der Berufsgenossenschaft geregelt werden.
Nach § 3 Abs. 1 SGB VII müssen Unternehmer und deren mitarbeitende Ehepartner oder Lebenspartner in der zuständigen Berufsgenossenschaft versichert sein. § 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII erweitert diesen Schutz auch auf Personen, welche sich auf der Unternehmensstätte aufhalten. Als Unternehmensstätte gilt der Sitz des Unternehmens und aller dazugehörigen Gebäude und Betriebsteile. Bei Bauunternehmen zählen beispielsweise auch auswärtige Baustellen dazu.
Auch der folgende Personenkreis erfüllt die Voraussetzungen:
- Beschäftigte einer staatlichen deutschen Einrichtung im Ausland,
- Beschäftige einer staatlichen deutschen Einrichtung, welche im Ausland anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden (z. B. Entwicklungshelfer),
- Ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
- Mitglieder von Prüfungsausschüssen,
- Teilnehmer von Unternehmensbesichtigungen,
- Rechtsanwälte,
- Steuerberater,
- Ärzte,
- Mitglieder des Aufsichtsrates oder des Vorstandes,
- Familienangehörige, die sich im Interesse des Versicherten im Unternehmen aufhalten.
Ein Versicherungsschutz im Ausland nach § 3 Abs. 1 Satz 3 SGB VII besteht nur, soweit die oben genannten Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind.
1.7.3 Freiwillige versicherte Mitglieder
Gemäß § 6 SGB VII können sich Unternehmer, die nicht kraft Gesetz oder Satzung bei der Berufsgenossenschaft versichert sind, sich dieser freiwillig anschließen. Diese Möglichkeit gewinnt an Bedeutung, wenn das Unternehmen rein privaten Belangen dient und mit Risiken verbunden ist, deren Folgen, zu nicht abschätzbaren Schäden führen können. Die Beitragsfestsetzung wird in diesen Fällen durch die Satzung der jeweiligen Berufsgenossenschaft geregelt.[26]
[...]
[1] Nachfolgend mit ArbGeb abgekürzt.
[2] Nachfolgend mit BGB abgekürzt.
[3] Nachfolgend mit ArbN abgekürzt.
[4] Nachfolgend mit BGB abgekürzt.
[5] Die sogenannte „Naturalrestitution“.
[6] Vgl. Schwede, J. 2010, S. 12
[7] Otto von Bismarck * 1815, † 1898; war von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.
[8] Siehe auch § 1 SGB VII Abs. 1 und 2
[9] Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Beschäftigter bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Arbeitsstätte, z. B. auch im Straßenverkehr, erleidet.
[10] Ein Wegeunfall ist ein Unfall, den ein Beschäftigter auf dem Weg zwischen Wohnung und dem Ort seiner beruflichen Tätigkeit erleidet. Der Wegeunfall ist dem Arbeitsunfall gleichgestellt.
[11] Vgl. Schwede, J. 2010, S. 11
[12] Aktuelle Zahlen dazu befinden sich auch auf der Homepage des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de) oder im Statistisches Jahrbuch 2011 des Statistischen Bundesamtes, S. 208 f.
[13] Ein meldepflichtiger Unfall gemäß § 193 SGB VII ist ein Arbeits- oder Wegeunfall, der zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder zum Tod führt. Die gilt auch für Wegeunfälle; das sind Unfälle auf dem Weg zum oder vom Ort einer versicherten Tätigkeit, die nach § 8 Abs. 2 Abs. 1 bis 4 SGB VII den Arbeitsunfällen gleichgestellt sind.
[14] Prävention bedeutet vorbeugende Maßnahmen, um den Eintritt des Schadens zu verhindern.
[15] Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2011
[16] Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung können Rechtsnormen erlassen, wenn sie durch Verträge, das sogenannte Primärrecht, dazu explizit ermächtigt sind. Die Träger können also nicht eigenmächtig Kompetenzen an sich ziehen.
[17] Vgl. Schwede, J. 2010, S. 15
[18] Siehe § 153 SGB VII
[19] Siehe Anlage Katalog der Berufserkrankungen
[20] Az. 1 BvR 753/94
[21] Als Beschäftigter zählt derjenige, welcher einer nicht selbstständigen Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, nachgeht. Siehe auch § 7 SGB IV.
[22] § 3 SGB VII
[23] Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung
[24] Ist ein Verband des öffentlichen Rechts, der außerhalb der durch die Behörden dargestellten unmittelbaren Staatsverwaltung öffentliche Aufgaben unter staatlicher Aufsicht und ggf. unter Einsatz hoheitlicher Mittel wahrnimmt. Im Unterschied zur Anstalt des öffentlichen Rechts ist sie mitgliedschaftlich organisiert. Die Errichtung einer bundesunmittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechts im Bundesgebiet bedarf eines Bundesgesetzes nach Art. 87 GG. Rechtsstellung: Körperschaften des öffentlichen Rechts sind juristische Personen, können daher Träger von Rechten und Pflichten sein, im eigenen Namen klagen und verklagt werden. Sie genießen verschiedene Vorrechte, ihre Bediensteten sind Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes. Beispiel: Gemeinden, Kreise, Ortskrankenkassen, Landesversicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften, Rechtsanwaltkammern, Ärztekammern, Hochschulen. Eine Sonderstellung nehmen die Kirchengemeinden ein.
[25] Unternehmer ist nach § 121 ABS. 1 SGB VII derjenige, welcher von dem Betrieb, der Einrichtung oder der Tätigkeit profitieren will.
[26] Vgl. Schwede J., 2010, S. 42
- Arbeit zitieren
- Reiner Göbel (Autor:in), 2012, Die Haftung des Arbeitgebers in der gesetzlichen Unfallversicherung unter Berücksichtigung von SGB VII, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197421
Kostenlos Autor werden
Kommentare