[Der Stadtteil Kiel-]Gaarden ist als Lebensraum ein historisch gewachsener Stadtteil, der seit Jahrzehnten Wohnort für Arbeiter1 und ihre Familien war und auch heute größtenteils noch ist. Doch Städte und Quartiere wandeln sich. Zeitgemäße Arbeitsbereiche und Fachgebiete entstehen. Qualifizierte Kräfte orientieren sich um und ziehen weiter, weniger Qualifizierte und von Transferleistungen Abhängige fallen neuen Strukturen zum Opfer und bleiben am Ort, Menschen aus anderen Stadtteilen, die auf preiswerten Wohnraum ausweichen müssen, ziehen neu hinzu.
Aufgrund niedriger Mieten und einer geringen Motivation zur Sanierung durch die Hauseigentümer wurde der Stadtteil zum Abstellgleis eines sozial problematisch
gestellten Klientels.
[In der Vergangenheit] wurde im Hinblick auf solche Stadtteile der Begriff Gentrifizierung diskutiert, bei dem es um die Aufwertung durch Investitionen und letztendlich um die Verdrängung der Stamm-Bevölkerung geht, auch im Zusammenhang mit Gaarden.
[Diese Masterarbeit] befasst sich vor allem mit der Frage, ob eine von außen gesteuerte Gentrifizierung mit dem Zuzug neuer und besser situierter Bevölkerungsgruppen – ob intellektuell und/oder materiell – zu einer neuen Durchmischung der Einwohnerschaft führt oder ob der Stadtteil an sich mit Hilfe der Sozialen Arbeit eigene Kräfte bündeln und Zukunftsperspektiven erarbeiten kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Motivation
1.2 Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit
2. Soziale Arbeit
2.1 Soziale Arbeit – eine kurze historische Einordnung
2.2 Gemeinwesenarbeit
3. Gentrifizierung
3.1 Der Gentrifizierungsbegriff: Eine historische Herleitung
3.2 Das Leitbild „Erhaltende Stadterneuerung/behutsamer Stadtumbau“
3.3 Phasen der Gentrifizierung
4. Kiel Gaarden
4.1 Kiel, die Werften und Gaarden – ein historischer Überblick
4.2 Die Struktur Gaardens nach dem Zweiten Weltkrieg
5. Forschung
5.1 Forschungsethik
5.2 Das Experteninterview
5.3 Die Verwendung von Hypothesen in der qualitativen Forschung
5.4 Das Leitfadeninterview
5.5 Der Interview-Leitfaden
5.6 Ziele der Befragung
5.7 Auswertungsmethoden
5.8 Interviewsituation
5.9 Technik
5.10 Grenzen der Methode
5.11 Grenzen der Auswertung
5.12 Auswahl der Experten
5.13 Der Zeitaspekt
5.14 Das Analyseraster
5.15 Die Experten
5.16 Die Extraktion
6. Zusammenfassung
7. Interpretation
7.1 Gentrifizierung im Kieler Stadtteil Gaarden – Welchen Beitrag kann Soziale Arbeit zur Stadtteilaufwertung leisten?
8. Ausblick
8.2 Schlusswort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Motivation
1.2 Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit
2. Soziale Arbeit
2.1 Soziale Arbeit - eine kurze historische Einordnung
2.2 Gemeinwesenarbeit
3. Gentrifizierung
3.1 Der Gentrifizierungsbegriff: Eine historische Herleitung
3.2 Das Leitbild „Erhaltende Stadterneuerung/behutsamer Stadtumbau"
3.3 Phasen der Gentrifizierung
4. Kiel Gaarden
4.1 Kiel, die Werften und Gaarden - ein historischer Überblick
4.2 Die Struktur Gaardens nach dem Zweiten Weltkrieg
5. Forschung
5.1 Forschungsethik
5.2 Das Experteninterview
5.3 Die Verwendung von Hypothesen in der qualitativen Forschung
5.4 Das Leitfadeninterview
5.5 Der Interview-Leitfaden
5.6 Ziele der Befragung
5.7 Auswertungsmethoden
5.8 Interviewsituation
5.9 Technik
5.10 Grenzen der Methode
5.11 Grenzen der Auswertung
5.12 Auswahl der Experten
5.13 Der Zeitaspekt
5.14 Das Analyseraster
5.15 Die Experten
5.16 Die Extraktion
6. Zusammenfassung
7. Interpretation
7.1 Gentrifizierung im Kieler Stadtteil Gaarden - Welchen Beitrag kann Soziale Arbeit zur Stadtteilaufwertung leisten?
8. Ausblick
8.1 Thesen
8.2 Schlusswort
Literaturverzeichnis:
Internetquellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Alfons-Jonas-Platz/Elisabethstraße mit Blick auf die HDW-Kräne
1. Einleitung
Gaarden ist als Lebensraum ein historisch gewachsener Stadtteil, der seit Jahrzehnten Wohnort für Arbeiter[1] und ihre Familien war und auch heute größtenteils noch ist. Doch Städte und Quartiere wandeln sich. Zeitgemäße Arbeitsbereiche und Fachgebiete entstehen. Qualifizierte Kräfte orientieren sich um und ziehen weiter, weniger Qualifizierte und von Transferleistungen Abhängige fallen neuen Strukturen zum Opfer und bleiben am Ort, Menschen aus anderen Stadtteilen, die auf preiswerten Wohnraum ausweichen müssen, ziehen neu hinzu. Aufgrund niedriger Mieten und einer geringen Motivation zur Sanierung durch die Hauseigentümer wurde der Stadtteil zum Abstellgleis eines sozial problematisch gestellten Klientels.
In den vergangenen Jahren wurde im Hinblick auf solche Stadtteile der Begriff Gentrifizierung diskutiert, bei dem es um die Aufwertung durch Investitionen und letztendlich um die Verdrängung der Stamm-Bevölkerung geht, auch im Zusammenhang mit Gaarden. Ob ein solcher Prozess tatsächlich stattfindet, zur Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität beiträgt und sinnvolle Lösungsansätze bietet, ist Inhalt und Absicht dieser Masterarbeit.
Sie befasst sich vor allem mit der Frage, ob eine von außen gesteuerte Gentrifizierung mit dem Zuzug neuer und besser situierter Bevölkerungsgruppen - ob intellektuell und/oder materiell - zu einer neuen Durchmischung der Einwohnerschaft führt oder ob der Stadtteil an sich mit Hilfe der Sozialen Arbeit eigene Kräfte bündeln und Zukunftsperspektiven erarbeiten kann. Unter dem Titel „Gentrifizierung im Kieler Stadtteil Gaarden - Welchen Beitrag kann Soziale Arbeit zur Stadtteilaufwertung leisten?" wurde diese empirische Arbeit angefertigt.
1.1 Motivation
Die Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit und die Begleitumstände, mit denen sich Menschen im Professionsfeld auseinandersetzen, zogen sich wie ein roter Faden durch das Bachelor- und Master-Studium. Im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Devianzpädagogik wurden die Lebensbedingungen der Menschen in belasteten Lebenslagen in den Mittelpunkt gestellt. Im Masterstudiengang Pädagogik mit den Schwerpunkten Sozialarbeit und Bildungsmanagement ging es hauptsächlich um die Anwendung von Forschungsmethoden sowie Organisationsentwicklung und Management von Bildungsprozessen.
Letztendlich stellen die Erkenntnisse dieser Masterarbeit den Höhepunkt der akademischen Ausbildung des Verfassers dar. Ausgehend vom Diskurs im Stadtteil Gaarden wurde das Interesse für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung[2] geweckt mit dem Ziel, einen Ausschnitt über die Peripherie der Sozialen Arbeit und die Gentrifizierung empirisch auszuarbeiten.
1.2 Zielsetzung
Das Ziel dieser Arbeit ist am persönlichen Interesse am Kieler Stadtteil Gaarden ausgerichtet. Mit der Anfertigung dieser Arbeit soll ein Beitrag zum Diskurs um das Thema Gentrifizierung im Kieler Stadtteil Gaarden geleistet werden. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit dem Stadtteil im Hinblick auf Soziale Arbeit, Gentrifizierung und Zukunft seines Stadtteils.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen einen Einblick in die Struktur und die Rahmenbedingungen eines solchen Prozesses geben, ohne eine allgemeingültige Aussage für ganz Kiel oder Deutschland zu treffen.
1.3 Aufbau der Arbeit
Nach der Einleitung geht es im zweiten Kapitel dieser Arbeit um das Grundverständnis von Sozialer Arbeit und ihren Aufgaben im Verlauf ihrer Geschichte. Im Hinblick auf die Stadtteilarbeit soll speziell auf die Gemeinwesenarbeit eingegangen werden.
Das dritte Kapitel behandelt das Thema Gentrifizierung. Neben einer Einführung in die Herkunft des Begriffs werden die vier grundlegenden Phasen eines Gentrifizierungsprozesses dargestellt.
Im vierten Kapitel wird die Geschichte Gaardens seit der Ernennung zum Reichskriegshafen im Jahr 1871 erläutert. Neben einem historischen Überblick von der Eingemeindung in die Stadt Kiel im Jahr 1901 bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Bau- und Sozialstruktur aus der jüngeren Geschichte des Stadtteils erläutert.
Das fünfte Kapitel beinhaltet den Forschungsteil. Neben der Einführung in die theoretischen Hintergründe finden sich dort die persönliche Vorstellung der Interviewpartner, die inhaltliche Darstellung der Befragung sowie deren Ergebnisse. Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse der Befragung zusammengefasst, das siebte Kapitel befasst sich mit der Interpretation der theoretischen Hintergründe und der Erkenntnisse aus den Interviews.
Im achten Kapitel wird ein Ausblick in Form von vier Thesen formuliert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Graffiti mit Postleitzahl an einer Hauswand.
2. Soziale Arbeit
Im folgenden Kapitel wird der Werdegang der Sozialen Arbeit vorgestellt. Von dem ihr häufig zu Grunde gelegten Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird die Entwicklung der Sozialen Arbeit von ihren Anfängen über die Institutionalisierung bis zur Akademisierung und von der Hilfstätigkeit zur akademischen Ausbildung kurz dargestellt.
Im Rahmen „lokaler Richtigkeit" wird die Gemeinwesenarbeit als eine der grundlegenden Arbeitsformen von Sozialer Arbeit exemplarisch beleuchtet.
2.1 Soziale Arbeit - eine kurze historische Einordnung
Als Sinnbild für die Soziale Arbeit gilt häufig das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der sich bedingungslos um einen Verletzten kümmert, ihn in eine Herberge bringt und dem Wirt die weitere Betreuung bezahlt.[3] Über die Interpretation von Sozialer Arbeit in dieser Geschichte gibt es unterschiedliche Ansichten. C. W. Müller bezeichnet das Sinnbild als ungeeignet, da der Samariter durch Zufall in die Situation geraten sei, nur etwas weitergeben könne, weil er finanziell dazu in der Lage sei und nur einmal und nicht regelmäßig mit solchen Fällen zu tun habe.[4] Rauschenbach hingegen sieht in der Tätigkeit des Wirtes eine „Urszene" von Sozialer Arbeit, denn dieser „wird von dem Samariter beauftragt, gegen Geld und Entlohnung den Hilfebedürftigen zu beherbergen, zu versorgen und wieder gesund zu pflegen"[5].
Der Jurist und Nationalökonom Lorenz von Stein verwendete im Jahr 1880 den Begriff der „socialen Arbeit", die er unmittelbar mit der „socialen Frage" verknüpfte. Dabei hatte er verschiedene Vorstellungen, wie dieser Begriff gedeutet werden soll. Auf der einen Seite sieht er sie als Teil dessen, was ein freier Mensch im Rahmen seiner ökonomischen Leistungen zwischen den gesellschaftlichen Klassen leisten kann. Dies war aber nur möglich, weil sich das Gesellschaftssystem zu dieser Zeit maßgeblich veränderte. Auf der anderen Seite sei der Gegenstand Sozialer Arbeit, wie er in seinem Werk „Die Frau auf dem socialen Gebiete" schrieb, „nicht der Arbeiter, sondern die arbeitende Classe, nicht der Arme, sondern die Armuth, nicht die Hülfe für den Einzelnen, sondern die ganze Aufgabe, welche wir die Hebung und Veredelung der nichtbesitzenden Classe nennen"[6]. Und weiter: „Die Helfenden sollten einmal mit den Mächten ringen welche das Ganze, die Classe als solche bewältigen, und zugleich sollen sie dem Einzelnen als solchen die hilfreiche Hand bieten; die Hülfe muß eine systematische, organische für die ganze Classe, und eine freie, individuelle für die Einzelnen in derselben sein"[7].
Im Jahr 1901 definierte Alice Salomon Soziale Arbeit so: „Unter dem Begriff .soziale Hilfstätigkeit' pflegt man alle diejenigen Bestrebungen einzureihen, die gesellschaftlichen Mißständen gegenüber Hilfe schaffen wollen, die auf Förderung eines gesunden Volkslebens in körperlicher und geistiger Beziehung abzielen. Es handelt sich dabei also nicht um eine unbedeutende Hilfsarbeit bei grossen sozialen Reformen, sondern um die Mitarbeit an diesen selbst. Auf dem Gedanken des Helfens und Heilens, um Einzelnen oder der Gesamtheit bessere Daseinsmöglichkeiten zu schaffen, beruht die soziale Hilfsthätigkeit, und dieser Gedanke liegt der Bezeichnung .soziale Hilfsthätigkeit' zu Grunde."[8]
Namentlich schließt sich der Begriff der Sozialen Arbeit an die „mittelalterliche Armenpflege, die kommunale und kirchliche Armenfürsorge des 19. Jahrhunderts, die im Rahmen der Herausbildung des Sozialstaats komplementär zur Sozialpolitik für Arbeiter entstand, die ,soziale Fürsorge' der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die sich fachlicher orientierte und mit den Bestrebungen zur Erziehung der Armen (Hygiene, Säuglingsversorgung, sparsame Haushaltsführung) pädagogisiert wurde, und die Verberuflichung der Wohlfahrtspflege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere durch die Impulse der bürgerlichen Frauenbewegung".[9]
Das 1924 in Kraft getretene Reichsjugendwohlfahrtsgesetz beeinflusste nicht nur das Kindergartenwesen, sondern auch die Entwicklung der Berufsausbildung im sozialen Bereich, namentlich der Kleinkindererziehung. Der Vorschulbereich gehörte zudem nicht mehr der Schule an, sondern der Jugendwohlfahrt; die Wohlfahrtspflege erfuhr zudem eine Stärkung durch das Subsidiaritätsprinzip[10]. Eine weitere Neuerung war das im Gesetz festgeschriebene Recht und die Pflicht auf Erziehung durch die Familie. Diese Änderungen beeinflussten die Ausbildung in den sozialen Berufen, in erster Linie die Ausbildung der Mädchen und Frauen.[11]
Nachdem sich die universitäre Ausbildung in der Pädagogik bis in die 1970er Jahre auf die Fächer Pädagogik und Philosophie konzentriert hatte, vergrößerte sich der Bereich der Bildung seit dieser Zeit. Die Akademisierung und die Verwissenschaftlichung verschiedener Bereiche waren die Folge des Aufbruchs und der Reformen, die „die Expansion des gesamten Erziehungs-, Bildungs- und Wissenschaftssystems sowie des Dienstleistungssektors von Sozialpädagogik und Sozialarbeit"[12] voran trieben. Neben den neuen erziehungswissenschaftlichen Diplomstudiengängen, die als einzigen Schwerpunkt das Fach Pädagogik beinhalteten, bildeten sich an den Universitäten und Fachhochschulen neue pädagogische Tätigkeitsfelder und es entstanden neue Teildisziplinen.[13]
Im Jahr 1984 hat die Studienreformkommission Pädagogik/Sozialpädagogik/Sozialarbeit im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) eine Empfehlung veröffentlicht, in der es heißt, „daß der Praktiker überprüfbare Handlungskonzepte auf wissenschaftlicher Grundlage braucht, wobei die auf bestimmte Kommunikationsstrukturen ausgerichteten separaten Methoden überwunden werden müßten."[14] In den 1980er Jahren war die Praxis der Sozialarbeit und Sozialpädagogik auf dem Weg, sich „auf der Basis einer Sozialarbeitswissenschaft, in die Brückentheorien integriert werden"[15], zu entwickeln, welche dazu beitragen soll, das Handeln und Wirken zwischen Personen, aber auch zwischen Gesellschaft und System, verständlich zu machen.[16] Der Studiengang Sozialpädagogik wurde ausgerichtet „auf Tätigkeiten, die sich entweder aus der Tradition der Sozialarbeit (Unterstützung und Beratung in besonders belasteten Lebenslagen) oder aus der Tradition der Sozialpädagogik (Kindergarten-, Familien- und Heimerziehung) entwickelt haben"[17]. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sich die in der Tradition der Sozialarbeit und der Sozialpädagogik genannten Tätigkeitsfelder seit der Nachkriegszeit im Hinblick auf den Adressatenkreis und die problematischen Umstände erheblich erweitert haben.[18]
Im Jahr 2000 wurde die Soziale Arbeit von der International Federation of Social Workers (IFSW) so definiert: „The social work profession promotes social change, problem solving in human relationships and the empowerment and liberation of people to enhance well-being. Utilising theories of human behaviour and social systems, social work intervenes at the points where people interact with their environments. Principles of human rights and social justice are fundamental to social work."[19]
Engelke übersetzt diese Definition folgendermaßen: „Die Profession Soziale Arbeit fördert sozialen Wandel, Problemlösungen in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die Befähigung und Befreiung von Menschen zur Verbesserung ihres Wohlbefindens. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten und soziale Systeme greift Soziale Arbeit dort ein, wo Menschen und ihre Umwelt aufeinander einwirken. Grundlagen der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit."[20]
2.2 Gemeinwesenarbeit
Wie schon bei der Sozialen Arbeit gab es auch bei der Gemeinwesenarbeit eine Praxis vor der institutionalisierten Praxis. In den Vereinigten Staaten von Amerika orientierten sich Konzepte der Gemeinwesenarbeit daran, gemeinsam mit Helfern und Betroffenen Lösungen für Probleme im Stadtteil oder Sozialraum zu finden.[21] „Gemeinwesenarbeit (GWA) ist eine sozialräumliche Strategie, die sich ganzheitlich auf den Stadtteil und nicht pädagogisch auf einzelne Individuen richtet. Sie arbeitet mit den Ressourcen des Stadtteils und seiner BewohnerInnen, um seine Defizite aufzuheben. Damit verändert sie dann allerdings auch die Lebensverhältnisse seiner Bewohnerinnen."[22]
Dabei weist die Gemeinwesenarbeit verschiedene Merkmale auf. Zum einen ist sie interdisziplinär. Sie bedient sich, um die vor Ort herrschende Situation in diesem Moment zu erklären und aufzuzeigen, verschiedener Theorien, die aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen stammen. Neben der Psychologie oder Erziehungswissenschaft können dabei auch Theorien aus den Sozialwissenschaften oder der Politischen Ökonomie zum Tragen kommen. Ein weiterer Aspekt ist die „lokale Richtigkeit"[23]. Dies bedeutet, dass sich die Gemeinwesenarbeit an Theorien und Methoden bedient, die für die Situation vor Ort, im Stadtteil oder Sozialraum notwendig und brauchbar sind. Dieser Sozialraum (Stadtteil oder auch Institution) wird aus der Perspektive der Bewohner betrachtet (Lebensweltorientierung) und greift die Probleme der dort lebenden Menschen auf, vor allem jene, die diese für besonders wichtig halten.[24]
Das oberste Ziel der Gemeinwesenarbeit ist, aus den Stadtteilen handlungsfähige Quartiere zu machen, in denen die Menschen in der Lage sind, ihre Lebenswelt zu ordnen und zu verbessern. Durch die Schaffung von Zugängen zu Behörden und anderen Institutionen sollen die Menschen „zunehmend Kontrolle über ihre Lebensverhältnisse gewinnen"[25].[26]
Oelschlägel beschreibt fünf zentrale Aufgaben der Gemeinwesenarbeit. Zum einen soll sie Dienstleistungen und Ressourcen zur Verfügung stellen, die den Menschen im Quartier besonders nützen. Diese müssen dabei nicht immer neu und hochwertig sein, häufig geht es darum, Lebensmittel und Beratung kostengünstig zur Verfügung zu stellen oder auch Orte zu schaffen, an denen sich die Menschen aufhalten können, ohne Sanktionen fürchten zu müssen, wenn sie sich nicht so verhalten, wie es von ihnen erwartet wird.
Ein weiteres Handlungselement ist die Aktivierung betroffener Menschen. Die Gemeinwesenarbeit muss sich an deren Bedürfnissen ausrichten, damit die Ziele für die Menschen auch erreichbar sind. Der dritte Aspekt ist die Kulturarbeit. Im Rahmen von Gemeinwesenarbeit soll immer ein Kulturangebot zur Verfügung gestellt werden, da die GWA davon ausgeht, dass der Mensch kulturelle Bedürfnisse hat und eine kulturelle Szene in jedem Stadtteil Bestand haben sollte. Das vierte Handlungselement ist laut Oelschlägel das der Einmischung. GWA hat immer auch eine politische Seite. Immer, wenn Aufgaben von höherer Stelle bis in die Gliederungen im Stadtteil weitergegeben werden, muss die GWA reagieren können, auch „zur Verteidigung von Lebensräumen"[27]. Der letzte Aspekt ist der der Vernetzung. GWA hat die Aufgabe, im Stadtteil verschiedene Gruppierungen zu gründen und zu fördern. Diese müssen nicht zwangsläufig aus Behörden oder anderen Institutionen kommen. Es sollten auch Sportvereine, Kneipengruppen oder andere Gruppen daran teilnehmen, um bei wichtigen Anlässen agieren zu können.[28]
Galuske zeigt („ohne Anspruch auf Vollständigkeit"[29] ) vier Konzepte der GWA auf, wie sie bis zu Beginn der 1980er Jahre bestanden. Die wohlfahrtsstaatliche Gemeinwesenarbeit hat die Verbesserung der Ausstattung sowie der Dienstleistungsangebote in den Sozialräumen zum Ziel. Die unterschiedlichen Träger sollen in diesem Modell koordiniert werden. Kritisiert wird an diesem Konzept, dass der Sozialarbeiter seinerseits Angebot und Nachfrage verbessern soll, Betroffene oder Bürger jedoch nur Einfluss auf die Ausstattung haben.[30]
Die Integrative Gemeinwesenarbeit ist das bis in die 1970er Jahre am häufigsten verwendete Modell. Es setzt eine gerechte Gesellschaft voraus, in der die Bürger ihre Rechte auf Freiheit, Gestaltung und soziale Sicherung optimal nutzen sollen. Ziel dieses Konzeptes ist es, „innerhalb des avisierten Sozialraums eine Bedürfnishierarchie zu ermitteln, die es mittels Ausnutzung existierender bzw. potentiell aktivierbarer Quellen zu befriedigen gilt"[31]. Der Sozialarbeiter übernimmt die Aufgabe, den sozialen Bedarf zu formulieren und sie aufgrund gesetzlicher Grundlagen und Möglichkeiten umzusetzen.[32]
Das dritte Modell, das Galuske beschreibt, ist das der Aggressiven Gemeinwesenarbeit. In diesem Konzept sollen sich die Betroffenen zur Gegenmacht gegen die kapitalistische Gesellschaft formieren, wenn erforderlich auch durch politische Einmischung und/oder Provokation. Aufgabe des Gemeinwesenarbeiters ist, die organisierten Bürger für ihren „Kampf" zur Veränderung des gesellschaftlichen Systems zu beraten. Seine Werkzeuge sind dabei unter anderem das Wissen über die Arbeit der so genannten „Gegner".[33]
Die katalytische/aktivierende Gemeinwesenarbeit stellt Galuske als viertes Modell vor. Karas und Hinte beschreiben sie als „Antwort auf die fehlende gesellschaftskritische Perspektive der wohlfahrtsstaatlichen und integrativen Ansätze einerseits, und den von der Reichweite her zu grundlegend und damit die Aktionspotentiale der Betroffenen überschätzenden aggressiven Ansätze andererseits [..-]."[34] Zentrale Aussage des Konzeptes ist der Einsatz von kompetenten Bürgern im Stadtteil, die als erste Ansprechpartner für die Menschen fungieren, die Aufgaben des Sozialarbeiters sind die Förderung der Eigenaktivität der Betroffenen und die Solidarität mit der Gruppe.[35]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Innenhof eines Wohnhäuserblocks in Gaarden.
3. Gentrifizierung
Seit mehreren Jahren wird in verschiedenen deutschen Städten der Begriff Gentrifizierung diskutiert. Im Zuge dieser Debatte werden meist die Städte Hamburg und Berlin genannt.
Das zweite Kapitel beginnt mit der Herleitung des Begriffs „Gentrifizierung" und die Verbreitung in Europa seit den 1960er Jahren. Am Beispiel der Entwicklung des Städtebaus der Nachkriegszeit und der damit verbundenen neuen Gesetzgebung soll die Entwicklung der Städte kurz beleuchtet werden. Anhand des „Invasions- Sukzessions-Zyklus" sowie der vier Phasen eines Gentrifizierungsprozesses werden die Entstehung und der Verlauf von Aufwertung und Verdrängung exemplarisch skizziert.
3.1 Der Gentrifizierungsbegriff: Eine historische Herleitung
Der Begriff Gentrifizierung (engl.: „gentry" - niederer Adel) wurde in den 1960er Jahren in London von der Soziologin Ruth Glass geprägt und wird seitdem für die sozialräumliche Weiterentwicklung von Stadtteilen verwendet. Im sozialwissenschaftlichen Kontext handelt es sich dabei um die Erneuerung von städtischen Wohngebieten, die durch Sanierungs- oder Renovierungsmaßnahmen sowie durch Wechsel der Eigentümer hervorgerufen werden. Diese Maßnahmen und Wechsel verlaufen zumeist zum Nachteil einkommensschwacher Haushalte.[36]
Im historischen Kontext handelt es sich - entgegen dem heutigen Diskurs - nicht um eine stadtpolitische Thematik. Die Debatte um die Gentrifizierung in England hängt vielmehr mit der dort noch markanteren Trennung zwischen der Arbeiterklasse und besser verdienenden Gesellschaftsschichten zusammen, als es in anderen Ländern der Fall ist. Die hohe Attraktivität Londons im Hinblick auf den Arbeitsmarkt sorgt auf der einen Seite für eine hohe Wohnungsnachfrage, auf der anderen Seite steigen die Mieten und vertreiben einkommensschwache Bewohner aus den Stadtzentren.
In Zentraleuropa wurde der Diskurs über Gentrifizierung erstmals in den Niederlanden in den 1970er Jahren, in Deutschland in den 1980er Jahren geführt, gleichzeitig entstanden auch erste Protestbewegungen.[37]
Da die Gentrifizierung in verschiedenen Städten immer ein Einzelfall bleibt, bei dem eine allgemeine Prognose nicht möglich erscheint und es keine forschungsbasierten Erkenntnisse gibt, die den Erfolg einer öffentlichen Intervention belegen, wurde die Gentrifizierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehr kontrovers diskutiert. Die Betroffenen sahen ihre Existenz bedroht, während die Nutznießer, motiviert durch die zu erwartenden Gewinne, die Gentrifizierung verteidigten.
3.2 Das Leitbild „Erhaltende Stadterneuerung/behutsamer Stadtumbau"
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland die Städte, insbesondere die historischen Stadtkerne, häufig wieder so aufgebaut, wie sie vor dem Krieg bestanden hatten. Das hing zum einen mit der bereits vorhandenen Infrastruktur, dem unterirdischen Städtebau sowie mit den bereits vorhandenen Privateigentümern, zum anderen mit dem Traditionsbewusstsein der Bürger zusammen. Diese Qualität des Wiederaufbaus am Vorbild der früheren Stadtstruktur hat nach wie vor einen besonderen Einfluss auf die Gestaltung der Aufenthaltsräume.[38] Besonders ab den 1970er Jahren, nach der ersten Wiederaufbauphase, wuchs das Interesse am Erhalt der historischen Städtestruktur, speziell durch die Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes durch den Deutschen Bundestag im Jahr 1971.[39] So heißt es in §1 Abs. 1 des Gesetzes: „Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in Stadt und Land, deren einheitliche Vorbereitung und zügige Durchführung im öffentlichen Interesse liegt, werden nach den Vorschriften dieses Gesetzes vorbereitet, gefördert und durchgeführt. Bund, Länder und Gemeinden wirken im Rahmen ihrer Zuständigkeiten an dieser Aufgabe mit."[40] Und weiter in §1 Abs. 3: „Die Maßnahmen müssen die Strukturverbesserung in den Verdichtungsräumen, die Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten im Zuge von Entwicklungsschwerpunkten außerhalb der Verdichtungsräume, insbesondere in den hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgebliebenen Gebiete zum Gegenstand haben."[41]
Ein weiterer Aspekt zum Nutzen der Städte war das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 unter dem Motto „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit"[42], das einen Umbruch im Denkmalschutz und in der Denkmalpflege bedeutete und das öffentliche Interesse sowie die Bereitstellung von Fördermitteln zur Folge hatte.[43] Hinzu kam, dass der Denkmalschutz „ein wichtiger Baustein für die Stadtentwicklung, die Attraktivität und spezifische Eigenheit eines Standorts"[44] wurde. Der entstehende Prozess wurde dadurch verstärkt, dass „auf Bundesebene durch die Einführung steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten für Altbauten [...] und ab 1978 durch Erlass des Wohnungsmodernisierungs- und Energieeinsparungsgesetzes nunmehr einfache Modernisierungsmaßnahmen förderungsfähig waren."[45] Diese Verbesserung der Bausubstanz und Lebensqualität führte aber auch zur Beschleunigung von Gentrifizierungsprozessen, da einkommensstärkere Schichten ihren Weg in sanierte Altbauten fanden.[46]
3.3 Phasen der Gentrifizierung
In städtischen Wohngebieten kommt es immer wieder zu einem Wandel. Dabei verändern sich die Bausubstanz, die Personen im Stadtteil oder die Form der Nutzung der Gebäude. Friedrichs unterscheidet zwei Modelle des Wandels.
Im „Invasions-Sukzessions-Zyklus"-Modell wird davon ausgegangen, dass in einem Stadtteil nur eine Bevölkerungsgruppe lebt, bis eine andere Gruppe in das Quartier eindringt, allmählich die leerstehenden Wohnungen anmietet und letztendlich die größere Gruppe im Stadtteil darstellt. Der Prozess wird dadurch gefördert, dass die ursprünglich im Wohngebiet lebende Gruppierung nach und nach wegzieht, um ein Leben in der Nachbarschaft mit den „Eindringlingen" zu vermeiden. „Fast alle Studien, die sich dieses Modells bedienten, richteten sich auf die Sukzession durch eine statusniedrigere Bevölkerungsgruppe, meist auf das Eindringen einer statusniedrigen ethnischen Minorität."[47]
Der umgekehrte Fall beschreibt den Einzug einer statushöheren Bevölkerungsgruppe in einen Stadtteil oder ein Wohngebiet, das zuvor von einer statusniedrigeren Gruppe bewohnt wurde. Dabei kann die Erneuerung des Wohngebietes auf zwei Arten ablaufen. Zum einen durch die Modernisierung durch die Privateigentümer, die ihre Wohnanlagen für neue Zielgruppen attraktiv machen wollen, zum anderen durch den Einzug der statushöheren Gruppierung. Die erste Form wird als „incumbent upgrading", die zweite als „gentrification" bezeichnet.[48] Erstmals wurde der Gentrifizierungsprozess für die Beschreibung der Entwicklung nordamerikanischer und kanadischer Städte im Jahr 1986 verwendet. Seitdem wurden zahlreiche Studien über Gentrifizierung in verschiedenen Ländern durchgeführt. Friedrichs beruft sich bei der Einteilung der Gentrifizierung in vier Phasen auf die ursprüngliche Darstellung nach Clay aus dem Jahr 1979, die von ihm systematisiert wurde. Demnach findet Gentrifizierung in Wohngebieten statt, die folgende Merkmale in Kombination aufweisen: „Nahe dem Stadtzentrum gelegen, [...] schlechter Zustand der Gebäude, niedrige Bodenpreise und niedrige Mieten, statusniedrige Bewohner, in einigen Fällen ist das Wohngebiet für Sanierungsmaßnahmen vorgesehen oder bereits ein förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet."[49]
In der ersten Phase der Gentrifizierung ziehen laut Friedrichs Haushalte in das Wohngebiet ein, die einen höheren Status haben, als die bisher dort lebenden Bewohner. Die neu hinzuziehenden Haushalte weisen ein niedriges Einkommen auf, suchen Kontakt zu örtlichen Einrichtungen aus den Bereichen Gaststätten oder Kultur und die Nähe zu ihren Arbeitsplätzen im Bereich der Innenstadt. Sie bevorzugen die „bunte Mischung" ihrer Wohnsituation und sind bereit, für geringe Mieten den Zustand der Wohnungen in Kauf zu nehmen.
Die so genannten Pioniere, vornehmlich Studenten und Künstler, verändern durch ihre Anwesenheit das Bild des Wohngebietes. Es kommt zu ersten kleinen Veränderungen und Modernisierungen, die aber die Mieten und Bodenpreise noch nicht beeinflussen. Eine Verdrängung der „alten" Bewohner findet nicht statt, da die Pioniere zunächst den freien oder frei werdenden Wohnraum beziehen.
In der zweiten Phase ziehen neben weiteren Pionieren die so genannten Gentrifier in das Wohngebiet ein. Bei ihnen handelt es sich um Haushalte mit höheren Bildungsabschlüssen, daraus resultierend höheren Einkommen und einer geringeren Risikobereitschaft. Die Gentrifier warten, bis sich das Wohngebiet positiv entwickelt, bevor sie einziehen, da sie an einer qualitativ guten Wohngegend interessiert sind und demnach auch Bereitschaft zeigen, mehr in ihre Wohnung zu investieren. Für den Stadtteil bedeutet dieser Zuzug eine Verbesserung der Dienstleistungen und der Gastronomie, die sich der neuen Zielgruppe annehmen. Der Bekanntheitsgrad und die Wahrnehmung des Wohngebietes (auch in den Medien) steigen und lockt Investoren und Makler an. Die Steigerung der Attraktivität führt zudem dazu, dass Banken in der Umgebung eher bereit sind, Kredite zu vergeben, die Modernisierungen nehmen zu und die Grundstückspreise und Mieten steigen. Die verstärkte Nachfrage nach den Wohnungen und die damit einhergehende Steigerung der Mieten (besonders nach Modernisierungsmaßnahmen) führen dazu, dass die ursprünglichen Haushalte ausziehen.
Mit der dritten Phase beginnt die eigentliche Gentrifizierung. Das Wohngebiet blüht auf unter dem Zuzug von immer mehr Gentrifiern und die Veränderungen im Stadtteil werden von allen Bewohnern wahrgenommen. Die meisten sehen in der Veränderung einen vorteilhaften Effekt und sind dem Wandel gegenüber positiv eingestellt. Die Pioniere hingegen lehnen den Wandel und die immer stärkere Präsenz in den Medien ab. Sie vermissen die „bunte Mischung", die den Stadtteil vorher ausgemacht hat und verurteilen die „Zunahme gut verdienender Haushalte (in einigen Studien als Schicki-Micki bezeichnet)."[50] Im Wohngebiet können dadurch Konflikte entstehen, die auch in organisiertem Widerstand gipfeln können.
Der Aufwertungsprozess erreicht in dieser Phase besonders die Investoren. Kredite sind besonders leicht zu erhalten und Spekulanten setzen auf die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen. Der Wert von Wohnungen, Büros und Läden steigt an. Für die Bewohner anderer Stadtteile wird das Quartier ebenfalls interessant. Die Läden wechseln ihre Besitzer und werden modernisiert, „aus dem Friseur-Salon wird nun Hairways."[51] Die ursprünglichen Bewohner verlassen das Gebiet hauptsächlich aus zwei Gründen. Zum einen sind sie nicht mehr in der Lage die geforderten Mieten zu zahlen, zum anderen sind sie nicht einverstanden mit dem Wandel, den das Gebiet erlebt. Selbiges gilt für die Pioniere, die zudem auf Lebensstile treffen, mit denen sie nicht einverstanden sind.
Die vierte Phase wird bestimmt vom Zuzug der Haushalte von Gentrifiern mit höheren Einkommen als die Gentrifier der dritten Phase. Diese Gruppe ist nicht bereit ein Risiko einzugehen und will Wohnungen mieten oder kaufen. Dies führt im Wohngebiet dazu, dass die Wohnungen zu einer Kapitalanlage werden, in die es sich zu investieren lohnt. Immer mehr Wohnungen werden modernisiert und in Eigentumswohnungen umgewandelt.
Das Image des Wohngebietes hat sich demnach komplett gewandelt. Die Dienstleistungen und Geschäfte häufen sich, um die Nachfrage der Bewohner, aber auch der Gäste von außerhalb gerecht werden zu können. Das hat zur Folge, dass das Gebiet über die eigenen Stadtgrenzen hinaus bekannt wird.
Für die Pioniere und die Gentrifier der ersten Generation bedeutet dieser Wandel, dass sie mit ihrem Lebensstandard in diesem Gebiet nicht weiter leben können. Die Pioniere, die durch ihr Eindringen für eine Aufwertung des Stadtteils gesorgt hatten, fallen diesem Aufwertungsprozess letztendlich zum Opfer.
Ein weiterer Aspekt, der zur Gentrifizierung führen kann, ist der der „tertiären Nutzung", bei dem der Neubau eines Bürogebäudes in einem Stadtteil für eine Steigerung der Mieten und Bodenpreise sorgen kann. In diesem Fall ziehen „weniger Pioniere, sondern fast ausschließlich Gentrifier in das Wohnviertel ein."[52],[53]
[...]
[1] Die nachfolgend verwendete männliche Form bezieht selbstverständlich die weibliche Form mit ein. Auf die Verwendung beider Geschlechtsformen wird lediglich mit Blick auf die bessere Lesbarkeit des Textes verzichtet.
[2] „Es ist ferner eine Eigenthümlichkeit der höheren wissenschaftlichen Anstalten, daß sie die
Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem behandeln und daher immer im Forschen bleiben [...].". s. W. v. Humboldt, 1810, S. 252 in Flitner, A., Giel, K. (2002), S. 256
[3] Vgl. „Ein Mann ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die plünderten ihn aus, schlugen ihn, machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig ging ein Priester denselben Weg hinab. Er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam ein Levit an der Stelle vorbei, sah ihn und ging vorüber. Ein Samariter aber, der vorbeikam, sah ihn und wurde von Mitleid bewegt. Er trat hinzu, verband seine Wunden und goß Öl und Wein darauf; dann setzte er ihn auf sein eigenes Lasttier, brachte ihn in eine Herberge und trug Sorge für ihn." Lukas-Evangelium, 10, 3034 in E. Engelke, (2004), S. 41
[4] Vgl. Th. Rauschenbach, (1999), S. 157f
[5] s. ebd., S. 158
[6] s. L. v. Stein, 1880, in H. Maier, (1998), S. 13
[7] s. ebd., S. 13f
[8] s. ebd., S. 15
[9] Hammerschmidt, Tennstadt, 2002, in F. Hamburger, (2008), S. 19
[10] Subsidiarität ist „zu verstehen als Organisationsmuster sozialen Handelns auf der Linie Individuum - Familie - Gemeinde - Staat. [...]Als Prinzip sozialpolitischer Gestaltung wurde S. v. a. von der katholischen Soziallehre entwickelt. Dieser liegt die naturrechtlich geprägte Vorstellung vom Aufbau der Gesellschaft nach Art ineinander gebetteter, konzentrierter Kreise zugrunde, wobei dem je kleineren von dem je größeren die Primärzuständigkeit für die Reproduktion des Individuums zukommt." s. Chr. Sachße, in D. Kreft, I. Mielenz, (1996), S. 592
[11] Vgl. R. Chr. Amthor, (2003), S. 308
[12] s. W. Brinkmann, (2001), S. 6f
[13] Vgl. ebd.
[14] s. Veröffentlichungen zur Studienreform, (1984), Heft 18, S. 23
[15] s. ebd.
[16] Vgl. ebd.
[17] Vgl. ebd., S. 82
[18] Vgl. ebd.
[19] s. E. Engelke, (2004), S. 298
[20] International Federation of Social Workers (IFSW), 2000, im englischen Originaltext in Teil 4, Absch. 2.4; übersetzt von E. Engelke, (2004), S. 56
[21] Vgl. M. Galuske, (2009), S.99
[22] Vgl. D. Oelschlägel, in H. Thiersch, u. H.-U. Otto, (Hrsg.), (2005), S. 653
[23] S. ebd.
[24] Vgl. ebd.
[25] S. ebd.
[26] Vgl. ebd.
[27] S. ebd., S. 654
[28] Vgl. ebd., S. 654
[29] s. M. Galuske, (2009), S. 103
[30] Vgl. ebd.
[31] s. ebd., S. 104
[32] Vgl. ebd.
[33] Vgl. ebd., S. 104f
[34] S. ebd.
[35] Vgl. ebd.
[36] Vgl. I. Breckner, in: APuZ 17/2010, S. 27
[37] Vgl. ebd., S. 28
[38] Vgl. H. Heineberg, (2006), S. 130
[39] Vgl. ebd., S. 134
[40] S. BGBl, Jg. 1971, Teil I, S. 1127
[41] S. ebd.
[42] Vgl. H. Heineberg, (2006), S. 134
[43] Vgl. http://www.uni-bamberg.de/?id=15002
[44] S. http://www.hessen.de (Vollständiger Link in den Internetquellen.)
[45] S. H. Heineberg, (2006), S. 134
[46] Vgl. ebd.
[47] s. J. Friedrichs, in H. Häußermann, (1998), S. 58
[48] Vgl. ebd., S. 57f
[49] s. ebd., S. 59
[50] s. ebd., S. 60
[51] s. ebd.
[52] s. ebd., S. 62
[53] Vgl. ebd., S. 59ff
- Arbeit zitieren
- Paul Hirnstein (Autor:in), 2011, Gentrifizierung im Kieler Stadtteil Gaarden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197431
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