Die lokale Selbstverortung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Kontext eines doppelten Marginalisierungsprozesses


Hausarbeit, 2011

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zugehörigkeit und Zugehörigkeit im Kontext von Migration

3. Die lokale Selbstverortung – ein widersprüchlicher Prozess

4. Strategien der Selbstbehauptung

5. Exkurs: „Unterschichtung“ als Merkmal derEinwanderungs geschichte der Bundesrepublik Deutschland

6. Fazit

7. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Heterogenität als Problem oder Reichtum? Der wissenschaftlich fundierte Begriff der „Parallelgesellschaft“ zeigt deutlich, dass die öffentliche Wahrnehmung, allen voran der alltagstheoretische Diskurs, in der Diskussion um Jugendliche mit Migrationshintergrund in städtischen Quartieren eine eindimensionale Position einnimmt. Wenn von „Integrationsschwierigkeiten der dritten und vierten Generation“ gesprochen wird, wird eine vornehmlich problemzentrierte Wahrnehmung deutlich, die eine ressourcenorientierte Wahrnehmung von pluriformen Lebenslagen und die Heterogenität von Lebensentwürfen und Positionierungen in den sogenannten „Brennpunkten“ außer Acht lässt (Vgl. Riegel/Geisen, 2007, S.15). Neben dem dramatisierenden „Kulturkampf“ gehört hierzu auch die Metapher des ‚zwischen zwei Stühlen sitzens’ und der entsprechenden pädagogischen Literatur, die sich des „Problems“ der betreffenden migrantischen Jugendlichen annehmen möchte (Vgl. Schulze in Riegel/Geisen, 2007, S. 97f). Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll der Blick einerseits auf die Quartiere als Ort augenscheinlich gelebter Realität von Heterogenität und individueller Lebensgestaltung gebündelt werden, andererseits der Blick in Hinsicht auf die Selbstbehauptung vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund gegenüber einem sehr statischen Kulturbegriff, mehrheitsgesellschaftlicher Mythen und ihrer medialen Repräsentation geweitet werden.

Diese Arbeit soll auf Grundlage der qualitativen Studie von Schulze „’Und ich fühl mich als Kölner, speziell als Nippeser’ Lokale Verortung als widersprüchlicher Prozess“ einen tieferen Einblick in die Positionierung und Identitätsfindung von Jugendlichen mit Migrationshintergrundermöglichen und ihren Umgang mit Ausgrenzungs- und Zuschreibungsprozessen kennzeichnen. Als Basisliteratur dient die Einführung von Christine Riegel und Thomas Geisen aus dem Sammelwerk „Jugend, Zugehörigkeit und Migration - Subjektpositionierung im Kontext von Jugendkultur, Ethnizitäts- und Geschlechterkonstruktionen“, deren Thematik von Schulze als Beitrag des Sammelbands aufgegriffen wird. Weitere begleitende Literatur soll schließlich die Situation vieler betroffener Jugendlicher als Positionierung und Kampf um Anerkennung außerhalb einer mehrheitsgesellschaftlichen Mitgliedschaft darstellen und zudem schließlich in Ansätzen den Beitrag der Bundesrepublik Deutschlandzum status quo aus politischer, ökonomischer und sozialstruktureller Hinsicht vor Augen halten.

2. Zugehörigkeit und Zugehörigkeit im Kontext von Migration

Im Rahmen der adoleszenten Identitätsentwicklung von Jugendlichen, ihrer Selbstfindung und Positionierung in sozialen Gruppen und Umgebungen steht das ‚Hineinentwickeln’ und die Integration in die Gesellschaft an vorderster Stelle. Hierbei kommen verschiedene Zugehörigkeitskontexte zum Tragen. Neben den nationalstaatlich gefassten Gesellschaften, internationalen und globalen Orientierungen sowie lokalen und regionalen Bezugspunkten sind es auch die familiären, sozialen und kulturellen Bezüge, die umgebenden Institutionen wie Schule oder Betrieb oder der Einfluss von Peer Groups, der jugendkulturellen Szene sowie religiöse oder politische Einrichtungen und Vereinigungen, die eine subjektive Positionierung auf der Grundlage vieler Identifikationsmöglichkeiten realisieren. Entscheidend hervorzuheben ist allerdings das Potenzial dieser Zugehörigkeitskontexte, soziale Ressourcen bereit zu stellen und damit, so die Autoren, für „Wirkungsmacht und Handlungsfähigkeit“ der Individuen in der Gesellschaft zu sorgen (Riegel/Geisen, 2007, S.7). Dabei sind Zugehörigkeiten als Aushandlungsprozesse zu betrachten, bei denen zum einen die Voraussetzungen und Kriterien einer (symbolischen) Mitgliedschaft und Teilhabe ausgehandelt werden, zum anderen aber auch über die Konsequenzen von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit, über das „Wir“ und „Ihr“ entschieden wird. So kann man bei der Zugehörigkeit eines Individuums zwischen einer subjektiven Ebene, die sich in erster Linie auf emotionale Aspekte wie Affinität und Verbundenheit im sozialen und räumlichen Kontext bezieht und einer objektiven Ebene, die auf die „sozial- strukturelle Positionierung“ des Individuums in der Gesellschaft verweist, unterscheiden. Die Autoren schließen hieraus unterschiedliche Spielräume, Möglichkeiten und Perspektiven innerhalb der Lebensgestaltung des Einzelnen (ebd.).

Ein Problem ergibt sich allerdings durch die unterschiedliche Anerkennung von Zugehörigkeiten. Die Rolle der Zugehörigkeit für das Individuum verändert sich vor allem im Kontext von Kategorisierungen als „selbstverständlich zugehörig“ oder als „Andere“ und damit als „nicht zugehörig“ oder „umstritten“. Besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund kann dies problematisch werden. Denn wo sie zum einen zwar vielfältige Zugehörigkeitskontexte durch den ‚natio-ethno-kulturellen Kontext’ ihrer Migrationsgeschichte aufweisen, sind es zum anderen auch Ausgrenzungs- und Zuschreibungserfahrungen, mit denen Jugendliche mit Migrationshintergrund im Rahmen nationalstaatlich oder ethnisch festgelegter Gemeinschaften konfrontiert werden.Die Folge ist eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdzuordnungen. Das „Andere“ ist auf alltäglicher, gesellschaftlicher Ebene ein Dauerthema, das zur Positionierung zwingt. So werden von außen Kategorisierungen vorgenommen, die mit den subjektiven Selbstverortungen, individuellen Interessen und unterschiedlichen Lebensweisen der Jugendlichen unzureichendübereinstimmen und somit nicht honoriert werden. Da jedoch die Selbstverortung sowohl als ein passiver, durch die Gesellschaft empfangender, als auch als aktiv positionierender Prozess betrachtet werden muss, ergeben sich ambivalente Relationen: Die positive Identifikation mit einer sozialen oder kulturellen Gruppe erweist sich für den Einzelnen zwar als wertvoll für die persönliche Orientierung und das Selbstkonzept, gleichzeitig bedeutet das so entstehende Wir-Gefühl jedoch zumeist auch Abgrenzung und die Verweigerung der Zugehörigkeit von Anderen (Vgl. Riegel/Geisen, 2007, S.8).

Schulze beobachtet dieses Phänomen von Abgrenzung und Ausgrenzung am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland nicht nur auf gesellschaftlicher sondern vor allem auch auf politischer Ebene. Deutschland habe sehr spät begonnen, sich als Einwanderungsgesellschaft zu sehen, nachdem die Gesellschaftsstruktur schon mehr als 40 Jahre zuvor begonnen hatte, sich durch die Anwerbung sogenannter Gastarbeiter und später durch ihre in Deutschland aufwachsenden Nachkommen grundlegend zu verändern.Erst im Jahr 2000 sei zumindest durch eine Erneuerung des Staatsangehörigkeitsrechts, das nun dem Geburtsortsprinzip folgte, der „heterogen gewordenen Gesellschaft (...) halbherzig Rechnung getragen“ worden (Schulze in Riegel/Geisen, 2007, S.97). Dies allerdings, so Schulze, habe bislang nicht zu einer Veränderung des Selbstverständnisses Deutschlands geführt. Der Begriff der Zugehörigkeit sei auch heute noch vornehmlich an die Herkunft geknüpft und definiert. Selbst die Herkunft der Großeltern bleibe hierbei von Relevanz. Schulze schließt daraus einen geringen Spielraum für die Vorstellung darüber, „was eine Deutsche/ein Deutscher ist“. Neben dieser „hegemonialen Selbstdefinition“ sei es vor allem ein sehr engräumiger, homogenisierender und unflexibler Kulturbegriff, der die Vorstellung aufrecht erhalte, dass Kultur als ein „Bestandteil gegebener Elemente“ zu betrachten sei.

Die Realität zeigt sich in immer wieder aufkommenden Diskussionen um eine ‚deutsche Leitkultur’ oder beispielsweise in der Verwendung und Gestaltungsweise von Einbürgerungsfragebögen. Wird hierbei zum Beispiel von einer deutschen in Abgrenzung zu einer muslimischen Kultur ausgegangen, zeigen Metaphern wie die des migrantischen Jugendlichen, der ‚zwischen zwei Stühlen sitzt’, auch die problematisierende gesellschaftliche Reaktion auf Zuordnungsschwierigkeiten.Dass ein Migrationshintergrund allerdings nicht zwanghaft als Problem dargestellt werden muss, sondern vielseitige Qualitäten und Chancen birgt, soll im Folgenden durch einen konzentrierteren Blick in die Quartiere ebenso thematisiert werden, wie die Begegnung mit mehrheitsgesellschaftlichen Zuschreibungsprozessen, die die Identitätsfindung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in einem schweren und oftmals widersprüchlichen Prozess begleiten. Dadurch, dass die Mehrheitsgesellschaft Jugendliche mit Migrationshintergrund mit der Erwartung einer „ ‚nationalen’ Verortung im Herkunftskontext der Eltern“ konfrontiert, gewinnt der lokale Raum an Relevanz und das Zugehörigkeitsgefühl zur bundesrepublikanischen Gesellschaft bleibt äußerst gespannt oder die Mitgliedschaft von außen verweigert (Schulze in Riegel/Geisen, 2007, S.98).

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Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die lokale Selbstverortung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Kontext eines doppelten Marginalisierungsprozesses
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften )
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
15
Katalognummer
V197552
ISBN (eBook)
9783656236375
ISBN (Buch)
9783656237068
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
selbstverortung, jugendlichen, migrationshintergrund, kontext, marginalisierungsprozesses
Arbeit zitieren
Moritz Sturmberg (Autor:in), 2011, Die lokale Selbstverortung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Kontext eines doppelten Marginalisierungsprozesses, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197552

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