Unter Demokratie wird gewöhnlich eine Form der Staatsordnung verstanden,
die auf Prinzipien der Volksmacht, der Gleichheit und der Freiheit beruht. Alle
diese Prinzipien wurden auch von der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution
1917 verkündet, doch haben unter den Bedingungen des sozialistischen
Entwicklung der Gesellschaft eine andere Bedeutung bekommen.
Die sozialistische Demokratie musste nach der sozialistischen Verfassung eine
Demokratie grundsätzlich neuen Typus werden, die sich als „die Macht der
überwiegenden Mehrheit, der Bevölkerung und später auch des ganzen
Volkes“ versteht.2 In allen Verfassungen der UdSSR wurde der demokratische
Charakter der sowjetischen Staatskonzeption betont. Das Demokratische in der
Sowjetunion bedeutete auch so was wie das Proletarische und wurde zum
westlichen bürgerlichen Modell der Demokratie gegenübergestellt.
Die sowjetische Staatskonzeption wurde vom Westen sehr stark kritisiert und
überwiegend als undemokratisch bezeichnet. Zur Beschreibung des
sowjetischen Demokratiemodells, bedienten sich viele westliche
Politikwissenschaftler in ihren Arbeiten solcher Bezeichnungen wie
„Parteidemokratie“ und „Unrechtsregime“.3
Wie war eigentlich das Demokratieverständnis in der Sowjetunion? War die
sowjetische Politik eine Demokratie im Sinne von Westen? Oder war sie nun
wirklich die Demokratie „neuen Typus“? Auf diese Fragen will ich in der
vorliegenden Arbeit eingehen. Ausgehend davon soll zunächst die marxistischleninistische
Lehre von der Entwicklung des sozialen Staates und der
sozialistischen Demokratisierung dargestellt werden. In Anschluß daran wird
das Wesen der sozialistischen Demokratie, die mehr als 75 Jahre in der
Sowjetunion herrschte, in Betracht gezogen.
2 Podgorny, Nikolai: Sozialismus und Demokratie. In: Kommunist, 17 (1976) S.27
3 Meyer, Thomas: Demokratischer Sozialismus : eine Einführung. Bonn : Verlag Neue
Gesellschaft, 1982, S.23
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Proletarische Demokratie nach der marxistisch-leninistischen Staatslehre
- Die Diktatur des Proletariats
- Das objektive Interesse der Arbeiterklasse
- Das Absterben des Staates und die klassenlose Gesellschaft
- Staats- und Gesellschaftsordnung in der Sowjetunion
- Die führende Rolle der Partei
- Das Problem der Gewaltenteilung
- Das Organisationsprinzip „Demokratisches Zentralismus“
- Vergesellschaftlichung der Produktionsmittel
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem Verständnis von Demokratie in der Sowjetunion und analysiert die Beziehung zwischen Sozialismus und Demokratie. Ziel ist es, die marxistisch-leninistische Staatslehre, insbesondere die Doktrin der proletarischen Demokratie, darzustellen und die tatsächliche politische Praxis der Sowjetunion im Kontext dieser Theorie zu betrachten.
- Die marxistisch-leninistische Staatslehre und ihre Konzeption der proletarischen Demokratie
- Die Rolle der Diktatur des Proletariats im sowjetischen System
- Die Frage der Interessenhomogenität und der antipluralistischen Ausrichtung der sowjetischen Demokratie
- Die Umsetzung der sozialistischen Demokratie in der Sowjetunion
- Die Kritik der sowjetischen Staatskonzeption aus westlicher Sicht
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung beleuchtet den Zusammenhang zwischen Sozialismus und Demokratie und stellt die These auf, dass eine wahre Demokratie ohne Sozialismus ebenso unmöglich ist wie Sozialismus ohne ständige Entwicklung der Demokratie. Sie führt in die sowjetische Staatskonzeption und deren Abgrenzung zum westlichen Demokratiemodell ein.
Proletarische Demokratie nach der marxistisch-leninistischen Staatslehre
Dieses Kapitel erläutert die marxistisch-leninistische Staatslehre und ihre Grundprinzipien, insbesondere den historischen Materialismus. Im Kontext dieser Lehre wird das Konzept der „Klassencharakter“ der Demokratie diskutiert, wobei der Schwerpunkt auf der Diktatur des Proletariats als Mittel zur Übergabe der Macht an die arbeitende Klasse liegt.
Die Diktatur des Proletariats
Dieser Abschnitt fokussiert auf Lenins Entwicklung der Lehre von der Diktatur des Proletariats und deren Umsetzung während der Oktoberrevolution 1917. Er analysiert den Widerspruch zwischen den Begriffen „Demokratie“ und „Diktatur“ im Kontext der sowjetischen Staatsordnung.
Das objektive Interesse der Arbeiterklasse
Dieses Kapitel untersucht die Vorstellung der „objektiven Interessen“ der Arbeiterklasse und die damit verbundene Idee der Interessenhomogenität in der sowjetischen Demokratie. Es beleuchtet die antipluralistische Ausrichtung der sowjetischen Demokratie, die sich von der westlichen Vorstellung von individueller Freiheit und Pluralität abhebt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit zentralen Begriffen wie Sozialismus, Demokratie, proletarische Demokratie, Diktatur des Proletariats, Interessenhomogenität, antipluralistische Demokratie, marxistisch-leninistische Staatslehre, Sowjetunion und westliches Demokratiemodell. Sie analysiert die spezifischen Charakteristika der sowjetischen Staatsordnung und ihre Abgrenzung von westlichen Demokratien.
- Quote paper
- Elvira Nafikova (Author), 2002, Sozialismus und Demokratie in Anspruch und Wirklichkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19794