Vor vierzig Jahren veröffentlichte die polnischstämmige Sprachwissenschaftlerin Anna
Wierzbicka ihre Theorie der „Semantic Primitives“. Sie ging davon aus, dass ein Set einfacher,
undefinierbarer Bedeutungen existiere, das in jeder natürlichen Sprache der Welt eine
konkrete Entsprechung besitze und zur Umschreibung aller komplexeren Konzepte ausreichend
sei. Das prime-Inventar wurde in den folgenden 25 Jahren sporadisch erweitert und
die theoretischen Grundlagen einer Natural Semantic Metalanguage (im Folgenden: NSM)
gelegt.
Die NSM-Forschung ist und wurde in großen Teilen von den Publikationen Anna Wierzbickas
und ihres Schülers Cliff Goddard geprägt. Einen Überblick über die Entwicklung der
Theorie bietet Goddard 1998a: 271f. Nachdem 1986 im Rahmen des „Semantic Workshops“
erstmals eine eingehende Untersuchung zahlreicher Sprachen stattfand, hat sich der Fokus in
den vergangenen zehn Jahren auf die Grammatik, im Speziellen die Syntax der NSM, verschoben.
Zur gleichen Zeit setzte eine breitere Rezeption des Ansatzes, auch in benachbarten
Wissenschaften, ein.
In der vorliegenden Arbeit soll die Theorie der NSM auf Grundlage zentraler Publikationen
Wierzbickas und Goddards einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Der Blick richtet
sich dabei zunächst auf die beiden grundlegenden Prinzipien der NSM, die Angeborenheit
und die Universalität semantischer Konzepte, die jeweils spezifische Probleme und Fragestellungen
aufwerfen. In einem weiteren Kapitel soll auf die praktische Anwendbarkeit und
den Erklärungswert der Theorie eingegangen werden. Das besondere Augenmerk des zweiten
Teils wird auf den „new primes“ liegen, deren Status von Wierzbicka selbst als unsicher
identifiziert wurde (Vgl. Wierzbicka 1996: 35). Aus diesem Grund sollen einige von ihnen
auf ihre „Undefinierbarkeit“ hin untersucht werden.
Die vorliegende Analyse kann keine abschließenden Antworten liefern. Sie ist vielmehr der
Versuch, auf vereinzelte Probleme und offene Fragestellungen hinzuweisen sowie mögliche
Lösungsansätze aufzuzeigen. Auf die Syntax der NSM sowie vereinzelte methodische
Aspekte kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Natural Semantic Metalanguage
- Semantic Primes
- Das Merkmal der Angeborenheit
- Das Merkmal der Universalität
- Zum Nutzen und Erklärungswert der explications
- „Exhaustive explications“? Zur Ambiguität und Lückenhaftigkeit der NSM-Definitionen
- „Exit from Babel“. Die NSM als Medium des interkulturellen Austauschs
- Betrachtung ausgewählter primes
- SOME (Quantifier)
- MOVE (Movement)
- NOW/HERE (Time/Space)
- SEE/HEAR (Mental predicates)
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit unterzieht die Natural Semantic Metalanguage (NSM) nach Wierzbicka und Goddard einer kritischen Würdigung. Die Hauptziele sind die Untersuchung der grundlegenden Prinzipien der NSM (Angeborenheit und Universalität semantischer Konzepte) und die Bewertung ihrer praktischen Anwendbarkeit und ihres Erklärungswerts. Besonderes Augenmerk liegt auf den "neuen Primes" und deren Undefinierbarkeit.
- Die Prinzipien der Angeborenheit und Universalität semantischer Konzepte in der NSM.
- Der Nutzen und der Erklärungswert der NSM-Explikationen.
- Eine kritische Analyse ausgewählter "neuer Primes".
- Die Möglichkeiten und Grenzen der NSM als interkulturelles Kommunikationsmedium.
- Die Entwicklung und der aktuelle Stand der NSM-Forschung.
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Theorie der Semantic Primitives von Anna Wierzbicka ein und beschreibt die Entwicklung der Natural Semantic Metalanguage (NSM) bis hin zum Fokus auf die Syntax und einer breiteren Rezeption. Sie umreißt die Ziele der vorliegenden Arbeit: die kritische Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Angeborenheit und Universalität, die praktische Anwendbarkeit und der Erklärungswert der Theorie, sowie eine detaillierte Untersuchung ausgewählter neuer Primes. Die Arbeit betont den explorativen Charakter der Analyse und ihren Fokus auf Problemfelder und Lösungsansätze.
1 Natural Semantic Metalanguage: Dieses Kapitel erläutert die Grundannahme der NSM, dass jede Sprache als eigene semantische Metasprache dienen kann, und das langfristige Ziel, eine universell gültige Metasprache zu etablieren. Es beschreibt den Prozess der Dekomposition komplexer Begriffe in basale Konzepte ("reductive paraphrase") und die Rolle der "semantic primes" als Bausteine für eine umfassende semantische Analyse. Der Anspruch, den gesamten Bedeutungsumfang eines Begriffs zu erfassen, wird hervorgehoben.
1.1 Semantic Primes: Dieses Kapitel befasst sich mit den semantic primes als Kernstück der NSM. Es beschreibt die Anforderungen an diese Minimalwortschatz und die Methode ("trial and error") ihrer Identifizierung. Die Entwicklung des prime-Inventars von 14 auf beinahe 60 Einheiten wird dargestellt, sowie die Diskussion um die Undefinierbarkeit der Primes und die kontinuierliche Suche nach weiteren Kandidaten. Die Schwierigkeit, die Anzahl der Primes endgültig festzulegen, wird betont.
2 Betrachtung ausgewählter primes: Dieses Kapitel befasst sich mit der detaillierten Analyse ausgewählter Primes wie "SOME", "MOVE", "NOW/HERE" und "SEE/HEAR". Es untersucht ihre Undefinierbarkeit, ihre Bedeutung innerhalb des NSM-Systems und mögliche Problemfelder in ihrer Anwendung. Die jeweiligen Ausführungen vertiefen sich in die spezifischen semantischen Eigenschaften der einzelnen Primes und deren Beitrag zum Verständnis des gesamten NSM-Systems.
Schlüsselwörter
Natural Semantic Metalanguage (NSM), Semantic Primes, Anna Wierzbicka, Cliff Goddard, Angeborenheit, Universalität, Explikation, Dekomposition, reduktive Paraphrase, interkulturelle Kommunikation, neue Primes, Undefinierbarkeit, semantische Analyse.
Häufig gestellte Fragen zur Natural Semantic Metalanguage (NSM)
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert kritisch die Natural Semantic Metalanguage (NSM) von Wierzbicka und Goddard. Sie untersucht die Prinzipien der NSM, insbesondere die Angeborenheit und Universalität semantischer Konzepte, und bewertet deren praktische Anwendbarkeit und Erklärungswert. Ein besonderer Fokus liegt auf den „neuen Primes“ und ihrer Undefinierbarkeit.
Welche Ziele verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit hat zum Ziel, die grundlegenden Prinzipien der NSM (Angeborenheit und Universalität) zu untersuchen und deren praktische Anwendbarkeit und Erklärungswert zu bewerten. Sie analysiert kritisch ausgewählte „neue Primes“, untersucht die NSM als interkulturelles Kommunikationsmedium und beleuchtet die Entwicklung und den aktuellen Stand der NSM-Forschung.
Was sind die Hauptthemen der Arbeit?
Die Arbeit behandelt die Prinzipien der Angeborenheit und Universalität semantischer Konzepte in der NSM, den Nutzen und Erklärungswert der NSM-Explikationen, eine kritische Analyse ausgewählter „neuer Primes“, die Möglichkeiten und Grenzen der NSM als interkulturelles Kommunikationsmedium und die Entwicklung und den aktuellen Stand der NSM-Forschung.
Was sind Semantic Primes?
Semantic Primes sind in der NSM die grundlegenden, undefinierbaren semantischen Bausteine, aus denen komplexere Begriffe aufgebaut werden. Das Inventar dieser Primes hat sich im Laufe der Forschung von anfänglich 14 auf beinahe 60 Einheiten erweitert. Die Arbeit diskutiert die Schwierigkeiten, die Anzahl der Primes endgültig festzulegen und deren Undefinierbarkeit.
Wie werden Semantic Primes in der NSM verwendet?
Komplexe Begriffe werden in der NSM durch „reduktive Paraphrase“ in diese basalen Konzepte zerlegt. Die Arbeit untersucht ausgewählte Primes wie "SOME", "MOVE", "NOW/HERE" und "SEE/HEAR" und deren spezifische semantischen Eigenschaften und ihren Beitrag zum Verständnis des gesamten NSM-Systems.
Was ist der Ansatz der NSM bezüglich der interkulturellen Kommunikation?
Die NSM zielt darauf ab, eine universell gültige Metasprache zu etablieren, die den interkulturellen Austausch erleichtern soll. Die Arbeit untersucht die Möglichkeiten und Grenzen dieses Ansatzes und diskutiert die NSM als Medium des interkulturellen Austauschs.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es darin?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel zur Natural Semantic Metalanguage (einschließlich der Semantic Primes), ein Kapitel zur Betrachtung ausgewählter Primes und ein Fazit. Die Einleitung führt in die Theorie ein und beschreibt die Ziele der Arbeit. Das Kapitel zur NSM erläutert die Grundannahmen und den Prozess der Dekomposition. Das Kapitel zu den ausgewählten Primes analysiert deren Undefinierbarkeit, Bedeutung und Anwendung.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt der Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Natural Semantic Metalanguage (NSM), Semantic Primes, Anna Wierzbicka, Cliff Goddard, Angeborenheit, Universalität, Explikation, Dekomposition, reduktive Paraphrase, interkulturelle Kommunikation, neue Primes, Undefinierbarkeit, semantische Analyse.
- Quote paper
- Andreas Thum (Author), 2012, Möglichkeiten und Grenzen der Natural Semantic Metalanguage (NSM) nach Wierzbicka und Goddard unter besonderer Berücksichtigung neuerer primes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198005