Ein Regime der Brüder

Das postödipale Triebwesen und die Gang im Hollywood-Kino der 80er und 90er Jahre


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2011

22 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einleitung: Die scheinbare Krise der klassischen Erzählweise

3. Die post-ödipale Erzählung

4. Biff – Das grimmige Über-Ich

5. Das Regime der Brüder

6. to live and die in l.a. – Ersetzungskreisläufe und ein Anarcho

7. blue velvet – Der Tyrann mit präödipalen Zügen

8. reservoir dogs – Ein labiles Regime der Gang

9. fight club – Der imaginäre Bruder und die ganz reale Bruderschaft

10. Conclusio

1. Vorwort

Die vorliegende Arbeit versucht ausgehend von Überlegungen Thomas Elsaessers zum postklassischen Kino ausgewählte Filme der 1980er Jahre hinsichtlich ihrer psychologischen Subjektivierungs-Konfigurationen und deren Stellung und Funktion in einem postmodernen Gesellschaftssystem zu analysieren. Zentral werden dabei die filmischen Figurenkonstellationen und die zu beobachtenden Verschiebungen einer klassisch ödipalen Struktur hin zu einem Regime der Brüder. Der Zugang erfolgt dabei nicht vordergründig thematisch, es geht also nicht um typische ‚Gangster-Ghetto-Filme‘, sondern um Werke, die auf subtilere Weise im Rahmen der Möglichkeit ihrer Erzählung als sozial-symbolischer Akt über repräsentierte Subjektivierungsprozesse Verbindungen zur und Rückschlüsse auf die sie hervorbringende Gesellschaft zulassen.

Im Umfeld der Überlegungen von Lacan, Jameson und Zizek geht es also einerseits um eine individuell psychologische Figuren-Analyse, gleichzeitig aber auch immer um die daraus resultierenden gesellschaftlichen Rückschlüsse. Ausgehend von den männlichen Protagonisten der 1985 erschienenen Zeitreisekomödie back to the future soll das Konzept des Regimes der Brüder veranschaulicht werden, um es dann auf zwei kurz darauffolgende Produktionen (to live and die in l.a., blue velvet) anwenden zu können. In einem dritten Schritt soll der entwickelte Theorierahmen dann auf zwei Filme der 1990er Jahre, die das Thema ebenfalls auf mehr oder weniger offensichtliche und prägnante Weise bearbeiten, projiziert werden (reservoir dogs, fight club).

2. Einleitung: Die scheinbare Krise der klassischen Erzählweise

In der klassischen Filmgeschichte kommt das Mainstream-Kino der 80er und 90er Jahre nicht sonderlich gut weg. Die Zeit nach dem großen New Hollywood mit seiner amerikanischen Version des auteur -Filmemachers und method-acting -Stars wie Jack Nicholson oder Robert De Niro wird oft als Verfall und Stillstand der Kinohistorie beschrieben: „Entscheidend ist, dass in den achtziger und neunziger Jahren keine neue Generation angetreten ist, dem Kino der Siebziger etwas entgegenzusetzen. Trotz der gewaltigen Veränderungen im Filmgeschäft (und in der Welt) hat sich bei den Filmen seit Anfang der Achtziger nicht viel getan.“[1] Neben einer kommerziellen Fortsetzungsmanie wird diesem Kino vor allem eine Entnarrativierung vorgeworfen – auf Kosten einer stringent konstruierten und motivierten Erzählung werde hier nur noch mit einer Aneinanderreihung von spektakulären Gewalt- und Actionszenen gearbeitet. Das Hollywood-Kino kehre somit zu einem frühen Kino der Attraktionen zurück und funktioniere als stupide Unterhaltungsmaschine. Die so forcierte unvereinbare Gegensätzlichkeit von integrativer Erzählung und dem reinen Spektakel versucht Thomas Elsaesser in seinem Essay-Band Hollywood heute[2] zu entkräften und paradigmatisch umzuwandeln. Für ihn tilgt das spektakuläre Kino mit seinem Hang zu Action und Gewalttätigkeit nicht die Erzählung, vielmehr wird diese umgeformt und kann symptomatisch im Hinblick auf postmoderne Verhältnisse gelesen werden. Er macht klar, „dass der Niedergang der Erzählung im amerikanischen Kino eher ein scheinbarer als ein realer ist und dass das, was die Kritiker konstatieren, eher auf eine Umformung der Erzählung als wirksamer sozial-symbolischer Form hinweist.“[3] Das scheinbare Wegfallen der integrativen Erzählweise des post-modernen/post-klassischen[4] Kinos wird hier folglich nicht als Rückkehr zum prä-klassischen Kino der Attraktionen abgetan, sondern funktioniert eben gerade wegen seiner scheinbar tilgenden Modifikationen als zeitgemäßes Spiegelbild seiner spätkapitalistischen Epoche. Einer Epoche, die sich nach Frederic Jameson durch „eine[r] allgemeine[n] Krise der Symbolisierung persönlicher Erfahrung im Gefolge eines Kapitalismus, der die gesamte Substanz der bürgerlichen Ideologie – und damit auch des Individualitätsbegriffs – verzehrt, um dann zum unhintergehbaren Horizont zu werden […]“[5] auszeichnet. In einem detaillierteren Schritt seiner Sezierung der Postmoderne spricht Jameson mit Bezug auf Lacans linguistischen Begriff der Schizophrenie von einem „Zerreißen der Signifikantenkette“[6] – die Abfolge und das Zusammenspiel der Bedeutenden und damit die Entstehung von Sinn geht so verloren. Das führt zum einen über eine linguistische Collage-Situation, die eine klassische Verkettung nicht mehr zulässt, zu einer Krise des Satzes und damit der Erzählung. Dies, und das betont auch Jameson, aber immer in direktem Zusammenspiel mit der psychologischen Identität des Individuums und der Gesellschaft, aus der es entspringt. „Wenn wir nicht in der Lage sind, die Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft eines Satzes zusammenzuschließen, dann können wir ebensowenig die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer eigenen Lebenserfahrung und unserer Psyche als Einheit fassen.“[7] Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Elsaesser, wenn er den Begriff eines post-traumatischen Kinos[8] einführt, nur dass er den umgekehrten Weg (von einer zeitgeschichtlich-gesellschaftlichen Situation zur Erzählung und damit zum Film) beschreibt. Für eine Gesellschaft, die sich in einem Feld von modernen Kriegen und deren medialer Auf-/Bearbeitung, den Ereignissen und Folgen von 09/11 und einem undurchschaubaren, nicht fassbaren kapitalistischen System positioniert, ändert sich entsprechend auch das (filmische) Erleben. Dies wiederum lässt ein entnarrativiertes narratives Kino [sic!] in einem neuen Licht erscheinen:

Im Gegensatz zur therapeutischen Rolle des klassischen Kinos nach aristotelischem Muster hätten wir ein Kino des gewaltsamen Schocks, der Diskontinuität und Umkehrbarkeit, das nicht dem Schema des ‚Durcharbeitens‘ folgt, sondern eher in der hysterischen, performativen Weise des ‚Ausagierens‘ funktioniert.[9]

Vor diesem Hintergrund erhalten bisher auf den ersten Blick entwertete Umformungen hinsichtlich Narration und Figurenentwicklung im Post-New-Hollywood-Kino neue Bedeutung. Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle vor allem die veränderte Rolle und Entfaltung der männlichen Protagonisten, welche im untersuchten Filmkorpus nun eben keine Initiationsgeschichte klassischen Musters mehr durchlaufen.

3. Die postödipale Erzählung

„Geht denn nicht jede Erzählung auf Ödipus zurück?”[10] Ein Großteil des klassischen Settings der ödipalen Grundproblematik ist auch in Robert Zemeckis back to the future (USA 1985) gegeben, durch die Thematisierung des Zeitreise-Paradox und dem damit einhergehenden Konzept der Nachträglichkeit lebt die filmische Story jedoch vor allem von einer intelligenten Variation dieses Grundgerüsts, welche sich durch folgenreiches Verdrehen und Vertauschen der Figurenkonstellation auszeichnet. Der junge Held Marty McFly, ein amerikanischer Vorstadt-Teenager, der sich mehr für Mädchen und Skateboards als für die Schule interessiert, ist nicht gerade mit einem Elternhaus ausgestattet, das einen Sohn stolz machen würde: sein Vater ein ungeschickter, kindischer und von seinem Chef Biff Tannen immerzu drangsalierter Looser, seine Mutter eine in die Jahre gekommene Ehefrau, die ihre Verbitterung und Scheinheiligkeit in Alkohol ertränkt. Da auch seine Geschwister mehr dem Ruf einer verkorksten Familie nachkommen, verbringt Marty die meisten Stunden seiner Freizeit mit dem durchgeknallten Erfinder Doc Brown. Als dieser von Terroristen erschossen wird und das von ihm zur Zeitmaschine umgebaute Auto Marty versehentlich um 30 Jahre in der Zeit zurück versetzt, nimmt der twist der klassischen Ödipus-Struktur seinen Lauf: beim unbedachten Versuch, seinen damals schon schusseligen Verlierer-Vater vor einem Sturz vom Baum (der eigentlich dazu führte, dass seine Eltern sich kennenlernten) zu retten, stürzt Marty selbst direkt vor das Auto seiner zukünftigen Großeltern und tritt ungewollt an die Stelle seines Vaters. Die Folgen sind so fatal wie existentiell: Martys eigene (zukünftige) Mutter verliebt sich in ihn an seines Vaters statt und um sein eigenes (Über-)Leben zu sichern, muss er diese Abweichung in der Geschichte wieder korrigieren und Mutter und Vater dazu bringen, sich auf andere Art und Weise kennen und lieben zu lernen. Die variierten Positionen des klassischen Ödipus-Konflikts sind offensichtlich: Ausgelöst durch die Schwachheit des Vaters besteht die verdrehte ödipale Herausforderung des Sohnes darin, den Vater nicht (symbolisch) zu töten, sondern ihn zu stärken und als von seiner Mutter Begehrten wieder einzusetzen.[11] Gleichzeitig muss das Begehren der Mutter, das (irrtümlicherweise) auf den eigenen Sohn abzielt – hier haben wir es mit einer Richtungsänderung des Beziehungsvektors zu tun, denn im klassischen Muster begehrt der Sohn die Mutter – quasi auf den Vater umgelenkt werden. Im Modus der Umkehrung und Nachträglichkeit wird

die „normale“ ödipale Herausforderung, den Vater symbolisch zu töten und die Mutter zu heiraten, hier scheinbar als Gag ins Gegenteil verkehrt, wenn man bedenkt, dass hier der Sohn aus seinem Vater einen Mann macht und nicht umgekehrt und dass er seine Mutter daran hindern muss, mit ihm zu schlafen, wenn auch da die psychoanalytische Logik das Gegenteil nahelegt.[12]

Die Zeitreise in back to the future dient Protagonist Marty dabei nicht nur als Chance, eine zunächst schwache Vaterfigur in das klassisch ödipale Paradigma hinein zu refigurieren, sondern auch als Fluchtmöglichkeit aus einer persönlichen Gegenwartssituation, die von schwachen Vaterfiguren im Allgemeinen geprägt ist. Denn auch die möglichen Alternativen neben seinem biologischen Vater sind eigentlich keine: weder der verrückte, sozial inkompetente Wissenschaftler Doc Brown noch Martys im Gefängnis sitzender Onkel oder der auf übertriebene Disziplin setzende Direktor der Schule taugen für ein klassisch ödipales Rollenmodell. Daneben wird bei Berücksichtigung des gesamten Filmverlaufs – und natürlich auch mit vergleichendem Blick auf die weiteren in dieser Arbeit untersuchten Filmproduktionen – deutlich, dass dieser trotz aller Umkehrungen und einer verdrehten Hinderniskette dem klassisch ödipalen Rahmen verbunden bleibt: Ziel und Ergebnis ist letzten Endes (doch wieder) die Wiederherstellung einer für die psychologische Filmtheorie eher mustergültigen Konstellation. Zusätzlich kann an dieser Stelle ideologiekritisch angemerkt werden, dass damit auch die (scheinbare) Alternativlosigkeit des patriarchalischen Systems ausgestellt wird.

Es erscheint daher durchaus angebracht, den Blick auf eine der weiteren Nebenfiguren des Films zu schärfen und diese für eine in eine etwas andere Richtung zielende Analyse fruchtbar zu machen: die Figur des Biff.

[...]


[1] James Monaco: Film verstehen. 9. Auflage. Hamburg: Rowohlt, 2000. S.380.

[2] Thomas Elsaesser: Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino . Berlin: Bertz+Fischer, 2009. Und hier vor allem die zwei Aufsätze „(Post-)Klassisches Hollywoodkino: DIE HARD“ und „Das Regime der Brüder: BACK TO THE FUTURE“.

[3] Ebd. S.164.

[4] Zur Begrifflichkeit vgl. ebenfalls in Elsaessers Buch Kapitel II: Klassisch, postklassisch, postmodern.

[5] Elsaesser 2009: Hollywood heute. S.164. Vergleiche hierzu auch Fredric Jameson: Das politische Unbewußte. Literatur als Symbol sozialen Handelns. Reinbek: Rowohlt 1988.

[6] Fredric Jameson: Postmoderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus. In: Huyssen, Andreas/Scherpe, Klaus R. (Hgrs.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Hamburg: Rowohlt, 1986. S.45-102, hier: S.70f.

[7] Ebd. S.71.

[8] Vgl. Elsaesser 2009: Hollywood heute. S.164 f.

[9] Ebd. S.165.

[10] Roland Barthes: Die Lust am Text. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974. S. 70.

[11] Vgl. Elsaesser 2009: Hollywood heute. S.168 und auch Marsha Kinder: Back to the Future in the 80s with Fathers & Sons, Supermen & PeeWees, Gorillas & Toons. In : Film Quarterly, Vol. 42, No. 4 (Summer, 1989), S. 2-11, hier S.5.

[12] Elsaesser 2009: Hollywood heute. S.168.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Ein Regime der Brüder
Sous-titre
Das postödipale Triebwesen und die Gang im Hollywood-Kino der 80er und 90er Jahre
Université
Free University of Berlin  (Theaterwissenschaften - Seminar Filmwissenschaft)
Cours
Seminar „Post New Hollywood“
Note
1,0
Auteur
Année
2011
Pages
22
N° de catalogue
V198095
ISBN (ebook)
9783656241331
ISBN (Livre)
9783656242543
Taille d'un fichier
660 KB
Langue
allemand
Mots clés
Lacan, Elsaesser, Zizek, Freud, MacCannell, Jameson, Zurück in die Zukunft, Back to the Future, To Live and Die in L.A., Leben und Sterben in L.A., Blue Velvet, Lynch, Friedkin, Fight Club, Fincher, Reservoir Dogs, Tarantino, Psychoanalyse, Ödipus, Komplex, Über-Ich, psychoanalytische Filmtheorie, Post New Hollywood
Citation du texte
B.A. Danny Gronmaier (Auteur), 2011, Ein Regime der Brüder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198095

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