Politikverdrossenheit, Drang zur politischen Mitte und die Ergebnisse der Bundestagswahl 2009. Dürfen sich CDU/CSU und SPD weiterhin als Volksparteien bezeichnen?


Seminar Paper, 2010

17 Pages, Grade: 2,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Die alten Volksparteien – einleitende Betrachtungen

2. Volkspartei: Ein aktueller Begriff?
2.1 Politikverdrossenheit
2.2 Die Existenz zweier Lager?
2.3 Die politische Mitte: Eine perfekte Illusion?
2.4 Divergenz zur Basis
2.5 Politikverdrossenheit in Zahlen: Die Bundestagswahl
2.6 Erosion der Parteiidentifikation
2.7 Ein kurzes Fazit

3. Abschließende Gedanken: Vom Weg in die angepasste Zukunft

Verzeichnis verwendeter Literatur

Verzeichnis verwendeter Quellen

1 . Die alten Volksparteien – einleitende Betrachtungen

Sowohl die CDU/CSU, als auch die SPD blicken auf eine bundesrepublikanisch erfolgreiche Geschichte zurück, in welcher jede Partei – aufgrund eines ihr zukommenden Wählervertrauens – ihre Regierungskompetenzen zu beweisen hatte. Zunächst in einem Zweieinhalbparteiensystem[1] eingebettet, gelang es diesen, sich als Volksparteien zu etablieren. Dabei waren sie vor allem bestrebt, durch eine weite politische Themenauswahl viele Bürger anzusprechen.[2] Hierbei waren bestehende sozialmoralische Milieus entscheidend, die mit Konfliktlinien einhergehend, die Säulen der politischen Kultur prägten. Doch der Zerfall dieses Fundaments und gleichzeitige Individualisierungstendenzen der Gesellschaft warfen neue Themenfelder auf, aus welchen gleichsam neue Parteien hervorgingen und erstarkten.

Das heutige Fünf-Parteiensystem stellt ein Ergebnis dieser Entwicklung dar. Ebenso eröffnet sich dem Bürger aber auch eine neue Wahrnehmung der alten Volksparteien. Angesichts der Ergebnisse der Bundestagswahl 2009, wobei dies freilich eine langzeitlich zu beobachtende Tendenz darstellt, sind CDU/CSU sowie SPD um Wahlergebnisse bemüht, die nicht mit alten Erfolgen – so konnte die CDU/CSU 1957 50,2%, und sie SPD im Jahre 1972 45,8% der Stimmen verbuchen[3] – vergleichbar sind. Heute ergeben sich aufgrund der veränderten Stimmenverteilung neue Koalitionsmöglichkeiten, die in ihrer Fülle an Kontinuität und Stabilität vermissen lassen. Ein Resultat dessen stellt die spürbare Politikverdrossenheit der Bürger dar. Darauf fußend ergibt sich schließlich die Frage nach der anhaltenden Berechtigung von CDU/CSU und SPD, sich weiterhin als Volksparteien zu bezeichnen.

Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik birgt die Verpflichtung des aktuellen Bezugs und erfordert somit die Verwendung jüngster Literatur. Eine Recherche führt hierbei zu einer gegenwärtigen fachlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema. Gleichsam stellen Aspekte der Verschiebung zur Mitte – wobei sich Literatur hierzu als kaum vorhanden herausstellte – und eine damit einhergehende Politikverdrossenheit Tendenzen der letzten zehn Jahre dar, die ebenfalls zum Heranziehen von Literatur aus besagter Zeit raten. So stellen vor allem Aufsätze eine Grundlage des Verständnisses dar, wobei hier die der Literaturliste zu entnehmenden Veröffentlichungen von Peter Lösche und Kurt Lenk hervorgehoben werden sollen.

Diese Arbeit soll zunächst den Begriff der Volkspartei erläutern und anschließend die Politikverdrossenheit thematisieren. Anschließend wird der Drang zur Mitte dargestellt, welcher die aktuelle politische Positionierung prägt. Folgend wird der Bezug zur Parteibasis und der damit einhergehende Aspekt der Parteiidentifikation betrachtet – dies auch anhand der aktuellen Ergebnisse der Bundestagswahl 2009.

2. Volkspartei: Ein aktueller Begriff?

Seit ihrer Geburt ist die Bundesrepublik Deutschland durch zur Mitte tendierende Parteien gekennzeichnet. Stellt die Begründung aus der Historie nur einen schwachen Aspekt dieser Anziehungskraft dar, war diese Formierung vielmehr einem Mehrheitsstreben geschuldet, wobei sich diese Parteien gleichermaßen als Volksparteien verstanden. So bezeichnen sich die Christdemokraten seit ihrer Gründung als eine solche Volkspartei, die SPD bekannte sich 1959 mit dem Godesberger Programm zu dieser Charakteristik, zumal sie gleichzeitig den bewussten Typus einer „Klassen- und Weltanschauungspartei“ ablegte.[4]

Die Volkspartei als politische Organisation von Bürgern fundiert auf einer breiten Mitgliederbasis, wobei hier viele soziale Schichten aufeinandertreffen. Daher ist sie sozial heterogen, weshalb es ihr aber nicht an sozialem Profil fehlt. Das Ansprechen vieler Wählergruppen führt die Volksparteien ebenso zu Merkmalen von Massen-, Mitglieder und Funktionärspartei. Durch die Einbettung als organisierter Rollenträger in ein politisches System ist sie ferner dazu verpflichtet, ihr Pflichtbewusstsein in Bezug auf eine Regierungsverantwortung zu verdeutlichen.[5]

2.1 Politikverdrossenheit

Jedoch bilden vor allem sozialmoralische Milieus einen elementaren Nährboden für Volksparteien. Hier integriert, finden sie die nötige Bindungskraft, um langfristige politische Erfolge erzielen zu können. Doch gerade bei diesen wichtigen Stützen sind Verluste zu beobachten. So weicht eine Säkularisation das katholisch-protestantische Fundament der Christdemokraten auf. Gründe hierfür stellen die sich stark ausprägenden Individualisierungstendenzen und der Wertewandel dar, die ebenso zu einer Verwischung der alten facharbeiterlich-gewerkschaftlichen Solidarität des sozialdemokratischen Milieus der SPD beitragen.[6]

Die Volksparteien sind aufgrund der Entwurzelung nicht mehr in der Lage, die Erwartungen, Interessen und Werte der Gesellschaft zu erfüllen. Attribute wie Familie, Beruf und Freizeit gewinnen zunehmend an Bedeutung, wobei das Interesse der Bürger für die Politik merkbar abnimmt. Die Hinwendung zu postmaterialistischen Gütern verdeutlicht einerseits die Zufriedenheit mit den Leistungen der Politik, wobei hier besonders der Verdienst um demokratische Werte zu erwähnen ist, spiegelt jedoch auch den Aspekt der Politikverdrossenheit wieder.[7]

Die aktuell stark diskutierte Politikverdrossenheit der deutschen Bürger stellt die Parteien vor neue Herausforderungen. Der zu beobachtende anhaltende Mitgliederverlust durch die Abnahme der Bindungskraft stellt einen wichtigen Aspekt dar,[8] auf den sich die etablierten deutschen Parteien einzustellen haben. Die neue Generation charakterisiert sich durch eine grundlegende Ablehnung von Großorganisationen,[9] da diese nicht den Mitwirkungsabsichten der Jugendlichen entsprechen und somit keine Anreize zur Mitarbeit geben. Ferner stehen hier gesellschaftliche Individualisierungsbestrebungen einer parteilichen Bindung entgegen.[10] Der Mangel an politischem Nachwuchs und der gleichzeitige Mitgliederrückgang führen in eine Überalterung der Parteimitglieder, die die Schwächen der innerparteilichen Teilhabe offenlegt.[11]

Die politische Beteiligung unterliegt einer tendenziellen Zersetzung der Rahmenbedingungen, was auch einen Grund für den Mitgliederschwund darstellt. Die aktive Anteilnahme, eine steigende Wahlbeteiligung und somit auch des politischen Interesses sind aktuell nur als historische Bilanzen zu erfassen – eine bundesrepublikanische Ära von steigenden Parteimitgliedschaften.[12]

Das momentan ausdifferenzierte Parteiensystem zeichnet sich durch eine zunehmende Fragmentierung aus, die nicht zuletzt in undurchsichtigen und ebenso unsicheren Regierungskoalitionen mündet. Die zunehmende Segmentierung ist weiterhin mit einer Unsicherheit für den Bürger gepaart, welche aus einer fehlende Beständigkeit und Festigkeit der Politik resultieren. Zudem ist eine steigende Volatilität nicht von der Hand zu weisen, nimmt diese doch stetig mit abnehmender Bindung an die Milieus zu. Dieser Wählerwechsel prägt sich jedoch nicht einzig zwischen den Wählern, sondern auch in Bezug zu den Nichtwählern, oder Protestwählern, aus.[13] So haben 2009 72,2% der Wahlberechtigten zur Bundestagswahl ihre Stimmen abgegeben – der tiefste Wert seit Bestehen des Staates.

Dieser Fakt ist ein Ausdruck eines Problems der Glaubwürdigkeit, welches für die Parteien entstanden ist. Das sinkende Vertrauen in politische Eliten geht ferner mit der zunehmenden Besorgnis um Eigennutzen einher.[14] Die Politik hat sich von der bürgerlichen Realität entfernt, wobei nur, wenn überhaupt, ein schwaches Verhältnis zwischen Bürger und Politiker zu erkennen ist. Somit reflektiert der Bürger erneut fehlende Beteiligungsmöglichkeiten, was zu einem Desinteresse und folgender politischer Unwissenheit führt.[15] Der soziale Wandel vom gesellschaftlichen in den privaten Raum legitimiert einen Ordnungsverfall der politischen Klassen.[16]

[...]


[1] Vgl. Beyme, Klaus von: Parteien im Wandel. Von den Volksparteien zu den professionalisierten Wählerparteien, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000, S. 47.

[2] Vgl. Schubert, Klaus/Klein, Martina: Partei, In: Dies. (Hg.): Politiklexikon, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2007, S. 225.

[3] Vgl. Schmidt, Manfred G.: Das politische System Deutschlands. Institutionen, Willensbildung und Politikfelder, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2007, S.65.

[4] Vgl. Lenk, Kurt: Vom Mythos der politischen Mitte, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ vom 14.September (38/2009), S. 18.

[5] Vgl. Lösche, Peter: Ende der Volksparteien, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ vom 14.Dezember 2009 (51/2009), S. 6-7.

[6] Vgl. Lösche: [FN5], S. 8-9.

[7] Vgl. Wildenmann, Rudolf: Volksparteien. Ratlose Riesen?, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1989, S.43-47.

[8] Vgl. Gluchowski, Peter/Plasser, Fritz: Zerfall affektiver Parteibindungen in Deutschland und Österreich: Vergleichende Trend-Analysen, In: Plasser, Fritz u.a. (Hg.): Wahlen und politische Einstellungen in Deutschland und Österreich, = Empirische und methodische Beiträge zur Sozialwissenschaft. Band 17, Peter Lang – Europäischer Verlag der Wissenschaft, Frankfurt am Main 1999, S. 3-4.

[9] Vgl. Lösche: [FN5], S. 8-9.

[10] Vgl. Wiesendahl, Elmar: Keine Lust mehr auf Parteien. Zur Abwendung Jugendlicher von den Parteien, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ vom 02.März 2001 (10/2001), S. 11.

[11] Vgl. Kießling, Andreas: Politische Kultur und Parteien in Deutschland. Sind die Parteien reformierbar?, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ vom 02.März 2001 (10/2001), S. 29.

[12] Vgl. Ebd.: S. 30.

[13] Vgl. Lösche: [FN5], S. 6.

[14] Vgl. Wiesendahl: [FN10], S. 14-15.

[15] Vgl. Wildenmann: [FN7], S. 48-49.

[16] Vgl. Wiesendahl: [FN10], S. 15.

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Details

Title
Politikverdrossenheit, Drang zur politischen Mitte und die Ergebnisse der Bundestagswahl 2009. Dürfen sich CDU/CSU und SPD weiterhin als Volksparteien bezeichnen?
College
University of the Federal Armed Forces München  (Institut für Politikwissenschaft)
Course
Entwicklung des Parteiensystems und der Volksparteien in der Bundesrepublik Deutschland
Grade
2,3
Author
Year
2010
Pages
17
Catalog Number
V198231
ISBN (eBook)
9783656242864
ISBN (Book)
9783656244110
File size
485 KB
Language
German
Keywords
Politik, Volkspartei, CDU, CSU, SPD, Politikverdrossenheit, Bundestagswahl
Quote paper
Eric Kresse (Author), 2010, Politikverdrossenheit, Drang zur politischen Mitte und die Ergebnisse der Bundestagswahl 2009. Dürfen sich CDU/CSU und SPD weiterhin als Volksparteien bezeichnen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198231

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