Der Nahostkonflikt - fortwährender Kampf oder Chance zum Frieden?


Epreuve d'examen, 2010

93 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Anspruch auf das Heilige Land
2.1 Der geschichtliche Hintergrund Palästinas
2.2 Der religiöse Hintergrund Palästinas

3 Einwanderung und Staatsgründung
3.1 Der Zionismus
3.2 Der Holocaust in Deutschland
3.3 Die Entstehung des Staates Israel

4 Die herausfordernde Geschichte des jungen Staates
4.1 Aus dem Staat Israel wird eine Nation
4.2 Der Sechs Tage Krieg
4.3 Israels Politik in den „besetzten Gebieten“
4.4 Der Jom Kippur Krieg
4.5 Der Libanon Krieg und der Kampf gegen die PLO

5 Eine neue Generation des Aufstands
5.1 Die erste Intifada und der Friedensprozesses
5.2 Camp David und die Al Aqsa Intifada
5.3 Die Tendenzen der letzten Jahre im Nahen Osten

6 Der Djihad als Teil des Nahostkonfliktes
6.1 Muhammad und die Juden
6.2 Der globale Djihad
6.3 Der Nährboden des Gewaltpotentials in Palästina
6.4 Belohnung für den Djihad
6.5 Die Geschichte und Ideologie der Hamas

7 Schluss

8 Literaturverzeichnis

9 Onlinequellenverzeichnis

10 Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

Es gibt weltweit kaum einen Konflikt, der aktueller, komplexer, brisanter und zugleich aussichtsloser erscheint, als der zwischen Israelis und Palästinensern, zwischen Juden und Moslems. Seit Jahrzehnten gibt es fast täglich neue Meldungen aus dieser Region in unseren Medien zu hören, die so kontrovers diskutiert werden, dass es zu ganz unterschiedlichen Meinungen kommt. Wem darf man die Schuld an dem Konflikt geben? Ist es ein religiöser oder ein politischer Konflikt oder geht es einfach nur um das Recht zu leben? Wer hat legitime Ansprüche auf dieses Land? Aufgebaut wie bei einem Dominospiel reihen sich die zahlreichen Konfliktfelder aneinander. Wird bei einem Thema eine Partei schuldig gesprochen, wird ein Dominoeffekt ausgelöst. Denn bei vielen Thematiken gibt es gravierend unterschiedliche Darstellungen, die sehr komplex miteinander verzahnt sind, so dass es wirklich wichtig ist, den Konflikt als Ganzes zu verstehen und nicht aufgrund weniger Details zu urteilen.

Besonders aus deutscher Sicht kommt dem Thema viel Brisanz zu. Wie steht man diesem Konflikt gegenüber als ein Land, das in seinem dunkelsten Kapitel an den Juden schuldig geworden ist? Noch heute versucht Deutschland, die Leidenden und Angehörigen des Holocaust, denen man unverzeihliches und unermessliches Leid zugefügt hat mit finanziellen Mitteln zu entschädigen. Wenn man sich den Konflikt genau anschaut, kann man zu keinem einseitigen Bild des Konfliktes kommen, was ihn so aussichtslos erscheinen lässt.

Wem gehört das Land denn nun eigentlich? Wer hat rechtmäßige Ansprüche auf die Heilige Stadt Jerusalem? Es gibt unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Vorgehensweisen, je nachdem, ob man israelische oder palästinensische Politiker, fundamentale Juden oder Islamisten fragt.

Wer gibt bei religiösen Überzeugungen, rechtmäßigen Ansprüchen und zugemuteten Leiden nach? Ist es überhaupt möglich, in solchen Fragen nachzugeben?

Wie kann ein Zusammenleben zwischen den Menschen dieser verschiedenen Kulturen und Religionen auf engem Raum funktionieren, bei denen schon im Kindesalter Aggressionen von unvorstellbarem Maße von Eltern weitervermittelt werden? Das erlebte Leid, welches ältere Generationen am eigenen Leib zu spüren bekamen, gepaart mit den täglich neuen Meldungen über Leid und Unrecht verhärten die Fronten und vervielfältigen die Bitterkeit gegen den Nachbarn.

Um diesen Konflikt zu verstehen, muss man natürlich in die Einzelheiten gehen, denn nur so kann man sich ein eigenes Urteil zu der Situation bilden. Dies möchte ich mit dieser Wissenschaftlichen Hausarbeit für mich persönlich erreichen und anschließend einen Vorschlag liefern, wie man dieses Thema im evangelischen Religionsunterricht behandeln kann. Besonders hervorheben möchte ich dabei den interreligiösen Dialog. Zur Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Thematiken kann ich auf Informationsbroschüren und Grafiken zurückgreifen, die ich im Vorfeld von der israelischen Botschaft in Berlin zugeschickt bekommen habe und einen täglichen Email Newsletter der Botschaft Israels. Die Schriften des israelischen Staates waren für mich ein besonderer Beweggrund, mich ebenso mit israelkritischen Informationen auseinander zusetzten, damit es zu keinem einseitigen Gesamtbild des Konflikts kommt.

Aus Gründen der Lesbarkeit habe ich in dieser wissenschaftlichen Arbeit auf die weibliche Form verzichtet, es sind aber beide gemeint.

2 Der Anspruch auf das Heilige Land

Um diese Frage nach dem Anspruch auf diese Region beantworten zu können, muss man sich zunächst die Geschichte des Gebietes ansehen. Welche Volksgruppe hat dort seine Heimat gehabt, welche Regierung besaß die Macht? Zusätzlich zu der bloßen Anwesenheit der Völker kommt die Religion ins Spiel. Viele Juden sind davon überzeugt, dass dieses Gebiet das ihnen von Gott verheißene Land Kanaan ist. Dieses von Gott an Abraham gerichtete biblische Versprechen stammt aus der Zeit um 2000 Jahre v. Chr. Aber Abraham wird auch von den Moslems als ihr Stammvater angesehen.

Für einige der ersten Zionisten war die Rückbesinnung an den vergangenen jüdischen Traditionen ein Grund, Ende des 19. Jahrhunderts wieder nach Palästina zurückzukehren und so den Grundstein zur Verwirklichung des Traumes vom eigenen Staat zu legen. Waren die Motive der Zionisten rechtmäßig? War ihr Umgang mit der einheimischen Bevölkerung akzeptabel?

Ein weiterer Punkt, der in diese Fragestellung mit hinein spielt, ist der geschichtliche Hintergrund unmittelbar vor der Gründung des Staates Israel und dem damit verbundene Anliegen, dass etwas so schlimmes wie der systematische Mord am jüdischen Volk im nationalsozialistischen Deutschaland nie wieder passieren darf. Das hintergründige Motiv war, dass es nie wieder vorkommen darf, dass Juden in einem Land unterdrückt werden, wie es so oft in Europa geschehen ist. Als Beispiele hierfür dienen immer wiederkehrende Pogrome gegen Juden im zaristischen Russland (1821-1921), Ausweisungen und Ermordungen von Juden in Frankreich, Spanien und Italien und nicht zuletzt die in Wannsee 1942 beschlossene Ausrottung der Juden durch Nazideutschland. Zum Schutz vor der Wiederholung solcher Ereignisse kam die Idee auf, nach dem Zweiten Weltkrieg den Staat Israel neben einem Palästinenserstaat auf britischem Mandatsgebiet zu errichten. Der letzte Baustein, der in die komplexe Frage nach den Ansprüchen hineinspielt, ist die Frage, wie es zur Staatsgründung Israels kam und mit welchen Mitteln die Unabhängigkeit erlangt werden konnte. Hierbei gehen die Geschichtsschreibungen so weit auseinander, dass es unmöglich ist, eine Partei zu verurteilen oder als Opfer anzusehen.

2.1 Der geschichtliche Hintergrund Palästinas

Die Region, um die es sich handelt, ist im Westen vom Mittelmeer und im Osten von der Arabischen Wüste begrenzt. Im Norden erstreckt sie sich bis zum Libanon-Gebirge und im Süden bis zur Wüste Negev (vgl. Gen 15,18f.). Dieses Land wurde anfangs Kanaan genannt und später zur Epoche des zweiten Tempels als Land Israel bezeichnet. „Der Name Palästina wurde ihm 135 n. Chr. von den römischen Besatzern gegeben“ (BÖHME 2005, 10).

Betrachtet man die Besiedelungsgeschichte des Landes, haben sich die Philister zuerst im Land Kanaan vor über 4000 Jahren niedergelassen. Diese kamen vermutlich aus Kreta und siedelten sich in der Nähe des heutigen Gazastreifens an, nachdem sie aus dem ägyptischen Gebiet von Ramses III zurückgetrieben wurden. Es ist anzunehmen, dass die Philister Vorfahren der heutigen Palästinenser sind. (vgl. www.heinrich-tischner.de)

„Die jüdische Geschichte beginnt mit dem Patriarchen- Abraham, seinem Sohn Isaak und seinem Enkel Jakob“ (BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL 2007, 4). „Der Herr aber hatte zu Abram gesprochen: Geh hinaus aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, dass ich dir zeigen werde! Und ich will dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und deinen Namen groß machen und du sollst ein Segen sein“ (vgl. Gen 12,1 f.). Dies soll der Aufruf Gottes für den Beginn des jüdischen Volkes gewesen sein. Abram, der später von Gott den neuen Namen Abraham bekommt, was so viel bedeutet wie „Vater einer Menge“, zieht aus dem fernen Ur am Euphrat, dem heutigen Irak, in das Land Kanaan, in dem er 2090 v. Chr. ankommt. Die Geschichte geht weiter; aufgrund einer Hungersnot muss die gesamte Sippe Generationen später nach Ägypten ziehen, wo sie letzten Endes zu einem großen Volk wird, welches dann als Sklaven von den Ägyptern gehalten wird. Noch heute gedenken die Juden zum Passahfest an den Exodus aus der Sklaverei, der erst, wie in der Thora nachzulesen, durch die zehn Plagen ermöglicht wird, die den Pharao veranlassen, das Volk ziehen zu lassen (vgl. Ex 7- 14). „Unter ihrem Anführer Mose empfing das Volk Israel die Zehn Gebote und das Gesetz des Mose, welches dem monotheistischen Glauben ihrer patriarchalischen Vorfahren Form und Inhalt verlieh“ (BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL 2007, 4). Erst sein Nachfolger Josua erobert schließlich das den Israeliten von Jahwe verheißene Land Kanaan von den Philistern. Nimmt man an, dass die Philister Vorfahren der Palästinenser waren, wird deutlich, wie lange dieser Konflikt, den wir aktuell im Nahen Osten erleben, schon andauert. In den folgenden Erzählungen, der sogenannten Zeit der Richter, ist das Volk Israel im ständigen Kampf mit seinen Nachbarvölkern. Erst als die Monarchie unter Saul, dem ersten König des Volkes, eintritt, beginnt die Blütezeit des Landes (vgl. 1 Sam 8-9). Doch Saul erweist sich schon bald als untreuer König. „David, ein Söldnerführer aus Bethlehem, der sich zum Einiger der zwölf jüdischen Stamme aufschwang, eroberte um 1000 v. Chr. die Stadt Jerusalem“ (GROSSBONGART 2009, 17). Als vorläufiger Höhepunkt der noch jungen Monarchie lässt Davids Sohn Salomo den ersten Tempel in Jerusalem bauen und weiht damit den bis heute bestehenden Tempelkult der Juden ein. „Es muss ein gigantisches Gelage gewesen sein. 22.000 Rinder und 120.000 Schafe hatte König Salomo zusammentreiben lassen für die Einweihung des Tempels in Jerusalem“ (YARON 2009, 28). Bei diesen Zahlen, die aus der Bibel überliefert sind, haben Kritiker Zweifel, ob die Einweihung des Tempels wirklich so pompös gewesen sein kann. Zudem gibt es auch Annahmen, nach denen das Königreich unter Salomo territorial nur mit der Größe des Saarlandes vergleichbar war und mit 10.000 Einwohnern eher dörflichen Charakter besaß. Dies widerspräche den alttestamentlichen Aussagen, nach denen sich das Gebiet von Ägypten bis zum Euphrat erstreckte und aufgrund derer Aussagen die Juden ihre historischen Ansprüche auf das Gebiet begründet sehen. Im Jahr 722 v. Chr. fielen die Assyrer in das Königreich Israel ein und im Jahr 586 v. Chr. wurden auch die beiden verbliebenen jüdischen Stämme von den Babyloniern erobert, sodass der Tempel zerstört und das Volk ins Exil verschleppt wurde (vgl. YARON 2009, 28). Erst als das babylonische Reich von den Persern erobert wurde, kehrten viele Juden zurück, um den Tempel und Jerusalem wieder aufzubauen, doch sie lebten in den folgenden 400 Jahren unter persischer und später hellenistischer Regierung im Land Israel. Im Jahr 60 v. Chr. gelangte das Land unter römische Vorherrschaft. Unter ihrer Herrschaft kam es zu mehr Aufständen aus denen zum einen die Zerstörung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 66 n. Chr. resultierte, der von Herodes dem Großen ca. 80 Jahre zuvor erbaut wurde, und zum anderen die Vertreibung vieler Juden aus diesem Gebiet. Der Bar Kochba Aufstand im Jahr 132 n. Chr., war der letzte Versuch, einen jüdischen Staat wiederherzustellen, doch dieser Aufstand gegen die Römer führte lediglich zu einer drei Jahre anhaltenden unabhängigen jüdischen Enklave mit Jerusalem als Hauptstadt. Anschließend schlugen die Römer unter Kaiser Hadrian den Aufstand nieder und zerstörten die Stadt Jerusalem. Auf den Trümmern wurde die Stadt neu aufgebaut und um jede Erinnerung an das vergangene zu verhindern, wurde Jerusalem in Aelia Copitolina umbenannt und zu einer römischen Garnisonstadt umfunktioniert. Die römische Herrschaft hielt bis 313 n. Chr. an, es folgten die Herrschaften der Byzantiner, also des oströmischen Reiches, der Araber, der türkischen Seldschuken, der Kreuzritter, der Mamelucken, der osmanischen Türken und schließlich bis 1948 der Briten. (vgl. BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL 2007,4) „Die Machthaber und Herrscher kamen zumeist nicht aus dem Land, sondern waren Ausländer. Niemals konnte die einheimische Bevölkerung selbst die politische Macht ausüben“ (RAHEB 1994, 26)

Interessanterweise erhob noch eine weitere Religion einen Anspruch auf dieses Land. Unter Herrschaft des römischen Kaisers Konstantin, wurde das Christentum in Rom zur Staatsreligion erklärt. Als die Moslems das heutige Palästina 636 n. Chr. erobert hatten, besonnen sich etliche Christen auf das Land, in dem Jesus gelebt hatte und gestorben war. Sie zogen los, um das Heilige Land für das Christentum mit Gewalt zu erobern. Auslöser des Feldzuges war der Hilferuf des griechisch-christlichen Kaisers von Konstantinopel Alexios I., der Papst Urban II. um Hilfe gegen die einfallenden Seldschuken bat. Dem Papst ging es darum, seinen Machtanspruch über die gesamte Christenheit zu untermauern und sah Konstantinopel auf diesen Feldzug nur als Zwischenstopp auf dem Weg nach Jerusalem an. Das einzige Problem war, dass der Papst selber gar keine Armee besaß; so hielt der Pontifex im November 1095 eine charismatische Rede, die den Beginn der Kreuzzüge darstellen sollte. „Unter Seufzern und Tränen beschrieb Urban, ein erstklassiger Demagoge, das angeblich üble Treiben der Muslime. Sie haben die Christen beschnitten und das Blut von der Beschneidung vergossen oder es in die Taufbecken geschüttet. Dann beschwor der Papst dieses gemeine Gezücht zum Teufel zu jagen“ (HÖGES 2009, 67). Als Belohnung für die Vertreibung der Seldschuken, die fast ganz Kleinasien erobert hatten, versprach das Oberhaupt der Kirche die Vergebung der Sünden. Rund 100.000 Christen folgten dem Aufruf zum Krieg und nähten sich als Zeichen ein Stoffkreuz an ihre Kleidung. Zum größten Teil zogen gut ausgerüstete Bauern in den Kampf. Als die Kreuzritter im Jahr 1099 in Jerusalem eintrafen, war das Heer nur noch 20.000 Mann stark, dennoch gelang die Eroberung der Heiligen Stadt. Die Folgen waren ein grauenhaftes Gemetzel, Moslems und verbliebene Juden wurden ermordet. Die Herrschaft der Kreuzritter dauerte bis 1187 an, als Saladin zum Helden wurde und den Kreuzrittern am zweiten Oktober die entscheidende Niederlage brachte. (vgl. HÖGES 2009, 67)

„Die jüdische Bevölkerung verringerte sich zwar während der Jahrhunderte fremder Besatzung, doch Juden blieben die ganze Zeit im Lande“ (BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL 2007, 5).

Die archäologischen Funde der heutigen Zeit zeugen von vielen dieser beschriebenen Könige und ihren Völkern, die das Gebiet Palästina beherrschten. So wurde im Norden Israels im Jahr 1995 eine außerbiblische Quelle für König David gefunden. Es handelt sich um drei Fragmente aus dem 9 Jh. v. Chr. mit der Inschrift „König von Israel“ und „Haus Davids“. „Das Problem der biblischen Archäologie: Viele missbrauchen die Wissenschaft zu politischen oder religiösen Zwecken und sind allein auf ein Wunschergebnis bedacht.“ (VIEWEGER 2009, 55). So ist es laut des Magazins Spiegel nicht möglich, durch die archäologischen Methoden die Bibel und somit auch die Geschichte Israels auf ihre Wahrheit zu überprüfen. Die biblischen Schilderungen von historischen Personen wie Abraham oder Mose können für sich allein betrachtet, nicht als Argumente jüdischer Wurzeln in dieser Region dienen. Außerbiblische Quellen die jedoch mit den Aussagen der Bibel übereinstimmen, sind ernst zu nehmen. Doch die Fragen wie es genau gewesen ist und was sich genau abgespielt hat bleibt offen. Es lässt sich anhand der Funde jedoch sagen, dass das jüdische Volk gewisse Wurzeln in dieser Region hat.

2.2 Der religiöse Hintergrund Palästinas

Jerusalem, die Hauptstadt der drei abrahamitischen Religionen, wird im Alten Testament 669 Mal erwähnt, das Neue Testament kommt immerhin auf 154 Nennungen, nur der Koran erwähnt die drittheiligste Stadt des Islam kein einziges Mal. Oftmals ist dies ein religiöses Hauptargument gegen den Anspruch der Moslems, wenn es um den Streit der Stadt geht, die sowohl israelische als auch palästinensische Hauptstadt werden soll. Die Heiligkeit der Stadt Jerusalem für den Islam ergibt sich vor allen Dingen aus der Himmelsreise des Propheten Mohammed. Er soll von Mekka nach Jerusalem entrückt worden und vom Felsen des Tempelbergs aus in den Himmel aufgestiegen sein, wo er das Gebot der fünf täglichen Gebete von Gott erhielt. Erst im Jahr 622 n. Chr. wird die Gebetsrichtung nach Mekka festgelegt, vorher wurde in Richtung Jerusalem gebetet. Des Weiteren wurde Jerusalem, nach Mekka und Medina in dieser Reihenfolge, einer der drei zugelassenen Orte für den Hadsch, die Pilgerreise der Moslems, welche zu den fünf Säulen ihres Glaubens zählt. Diese Tradition brach erst im Jahr 1967 ab, als Israel die Kontrolle über weite Teile Jerusalems erlangte (vgl. NEUWIRTH 2009, 45ff.).

Wie schon eingangs anhand der Verheißung Gottes an Abraham beschrieben, berufen sich viele religiöse Juden auf das Versprechen Gottes, sie seien sein auserwähltes Volk. Ihnen sei dieses Land ewig versprochen, das Land, in dem Milch und Honig fließen. Folgende Bibelstellen sprechen von diesen Verheißungen:

„Und ich will deine Grenzen festsetzen von dem Schilfmeer bis an das Philistermeer und von der Wüste bis an den Euphratstrom. Denn ich will dir in die Hand geben die Bewohner des Landes, dass du sie ausstoßen sollst vor dir her. Du sollst mit ihnen und mit ihren Göttern keinen Bund schließen. Lass sie nicht wohnen in deinem Lande, dass sie dich nicht verführen zur Sünde wider mich; denn wenn du ihren Göttern dienst wird dir das zum Fallstrick werden“ (Ex. 22, 31ff.).

„Wenn dich der HERR, dein Gott, ins Land bringt, in das du kommen wirst, es einzunehmen, und er ausrottet viele Völker vor dir her, die Hetiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter, sieben Völker, die größer und stärker sind als du, und wenn sie der HERR, dein Gott, vor dir dahingibt, dass du sie schlägst, so sollst du an ihnen den Bann vollstrecken. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben“ (Deut. 7,1-2).

Abgesehen von dem Versprechen Gottes, seinem Volk das Land zu geben, kann man in diesen Versen die Brutalität des heutigen Konfliktes determiniert sehen.

Nicht nur die Juden berufen sich auf Abraham als ihren Stammesvater, auch die beiden anderen großen monotheistischen Religionen tun dies. Moslems und Christen beanspruchen ihn als Eigentum und Ur-Bild. Abraham seiner Zeit hatte sich mit seinem Volk über die Götzenanbeterei zerstritten, er stand zwischen dem Sternenkult oder Götzenkult seiner Zeit und der ihm offenbarten Anbetung des wahren Gottes. (vgl. NAGEL 2003, 136) So kann man Abraham als den ersten Monotheisten sehen, der seiner Zeit lebte.

Der Nichtjude und ohne Thora lebende Abraham wird von den Juden als Urrabbi und Erzpriester angesehen, der sein Leben gottesfürchtig gestaltete. Sein Lebensstil dient den Juden als Beweis, dass Abraham Kronzeuge für die Richtigkeit der Thora und der Zehn Gebote ist, welche erst später durch Mose offenbart wurden. Das Neue Testament verchristlicht Abraham und bringt häufig Vergleiche aus seinem Leben. Abrahams Gehorsam als er seinen Sohn opfern sollte und seine Abkehr von einem gottlosen Leben, finden in den paulinischen Briefen lobende Worte. „Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Ehe denn Abraham wurde, bin ich“ (Joh. 8,58). Den Christen dient Abraham als Christ vor Christus.

Der Koran nimmt ebenfalls häufig Bezug auf Abraham. Es ist nicht zu übersehen, dass Muhammad in einer ähnlichen Situation wie Abraham steckte. Umgeben von Polytheisten stehen beide für den Glauben an den einen wahren Gott ein. So dient auch hier Abraham als Kronzeuge dafür, dass der Islam schon vor Muhammad existierte. (vgl. Kuschel 2006, 210f.)

Wie man sieht, geht es bei dem Besitz des Landes um die Heimat von Volksstämmen. Genauso spielt auch die Religion und die Geschichte eine nicht untergeordnete Rolle, wer Ansprüche auf diese Gebiete erhebt. Wie wir bereits erfahren haben, waren die Philister wohl die ersten, die das Gebiet besiedelten, zudem herrschten Juden seit ca. 2000 Jahren nicht mehr in dieser Region bis es zur Staatsgründung Israels kam. In den letzten 2000 Jahren besaßen Palästinenser die ethnische Mehrheit, während die Juden lediglich ein geduldetes Überbleibsel vergangener Zeiten waren. Dies sollte man bedenken, wenn man das Gesamtbild betrachtet.

3 Einwanderung und Staatsgründung

In diesem Kapitel soll auf die Entstehung des Zionismus und die ersten jüdischen Einwanderungswellen eingegangen werden. Der Zionismus kann nicht unmittelbar auf die religiösen Wünsche der Juden zurückgeführt werden, sondern entspringt eher politischem Gedankengut mit der Intention, der Judendiskriminierung in Europa ein Ende zu bereiten. Aus diesem Bestreben trat im Jahr 1948 der Staat Israel hervor.

3.1 Der Zionismus

Das Bestreben, dem jüdischen Volk in Palästina eine eigene Nation zu gründen, begann Ende des 19 Jahrhunderts. Die Zeit des Bar Kochba Aufstands im Jahr 135 n. Chr. war der letzte Zeitpunkt, zu dem Juden in Palästina regierten. Über 1700 Jahre später entwickelte sich nun der Zionismus, mit dem Ziel zurückzukehren in das Land, um einen eigenen jüdischen Staat zu gründen. „Für ein Volk ohne Land ein Land ohne Volk“ (BÖHME 2005, 13). Unter diesem Leitmotiv wurde der Zionismus vorangetrieben, ohne dabei an die palästinensische Bevölkerung zu denken, die ja durchaus das Land besiedelte, auch wenn sie es nicht eigenständig regierte. In der Tat war zu dieser Zeit noch kein nationales Bewusstsein der Palästinenser vorhanden, dennoch verband sie eine religiöse, kulturelle und sprachliche Identität (vgl. BUNZL 2008, 155).

Die Juden wurden zu dieser Zeit verachtet und lebten ein untergeordnetes Leben in vielen europäischen Ländern. Das Bild des sogenannten „Jid“, der hässlich, kränklich, kümmerlich, versklavt, entwürdigt und egoistisch war, war repräsentativ für den immer stärker aufkeimenden Antisemitismus. Genau dies war später auch Hitlers Propagandabild der Juden. Doch diese litten bereits vor dem Beginn des 20 Jh. unter diesem Vorurteil, welches zu legaler Diskriminierung, Inquisition und Pogromen führte (vgl. RUBINSTEIN 2001, 28). Die Situation der Juden in Ost- und Mitteleuropa muss man jedoch differenziert betrachten. Die jüdischen Gemeinden in Osteuropa lebten gegen Ende des 19 Jh. noch immer in Ghettos im zaristischen Russland. Beispielsweise unterschieden sie sich in kultureller, religiöser und sozialer Hinsicht sehr von der russischen Bevölkerung. Sie waren Bürger zweiter Klasse und viele konnten keine Arbeit finden, sodass sie von der Fürsorge leben mussten. Diese sozialen Konflikte entluden sich dann in den beschriebenen Verfolgungswellen, aufgrund derer eine große Anzahl Juden Osteuropa zwischen 1870 und 1920 verließen. Bis zu vier Millionen Juden wanderten aus, einige von ihnen nach „Eretz Israel“, so der biblische Name und die von den Zionisten verwendete Bezeichnung Israels. In den verschiedenen Alijas (Einwanderungswellen) emigrierten Juden aus den russischen Gebieten. Aufgrund der harten klimatischen Bedingungen Palästinas für die Landwirtschaft zog es allerdings nur eine verhältnismäßig kleine Zahl dorthin; die Mehrheit mit ca. drei Millionen Juden entschied sich in Nord- und Südamerika für einen Neuanfang.

In Mitteleuropa hingegen suchten einige Juden eine Befreiung der Diskriminierung auf Kosten der Assimilation an das christliche Umfeld. Theodor Herzl, ein österreichischer Jude, der die Idee des Zionismus in seinem Buch „Der Judenstaat“, im Jahr 1896 veröffentlichte, hatte zeitweilig sogar darüber nachgedacht, einfach die jüdische Kultur und Religion abzulegen und sich den Christen anzupassen, um sich so allen Diskriminierungen entledigen zu können. Das zeigt zum einen, dass Herzls Bindung an das Judentum eher schwach war und er zum Beispiel die Synagoge nur aus Kindheitserinnerungen in Budapest kannte. Zum anderen zeigt dies deutlich, in welcher misslichen Lage sich die Juden in Mitteleuropa befanden. Sie konnten entweder ihr jüdisches Selbstverständnis als Volks- und Religionsgemeinschaft bewahren, wurden jedoch dafür gesellschaftlich benachteiligt und unterdrückt. Oder aber als andere Möglichkeit blieb ihnen die kulturelle Anpassung, ohne allerdings vor immer wieder aufkeimenden antisemitischen Gefühlen und Aktionen sicher sein zu können. Doch Herzl kam zu der Überzeugung, dass keiner der beiden genannten Wege eine akzeptable Lösung für das jüdische Volk war, zudem schätzte er die Diskriminierung als unaufhaltsam ein. Er ging sogar von der Annahme aus, dass der Antisemitismus ein ewiger Zug der menschlichen Natur sei (vgl. BÖHME 2005, 11f.). Anlass zu dieser Annahme gab ihm die Dreyfus Affäre im Jahre 1894, als die Franzosen den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus des Dienstes verwiesen und ihn zu einer lebenslangen Einzelhaft verurteilten, obwohl man ihm keine ausreichende Schuld nachweisen konnte. (vgl. www.humboldtgesellschaft.de)

In diese Situation hinein organisierte Theodor Herzl am Samstag, den 28 August 1897 in Basel den ersten Zionistenkongress, um einen Startschuss für einen eigenen jüdischen Staat zu geben. „Überall waren Juden: begeisterte Studenten aus Russland und Berlin, Rabbiner und Geschäftsleute, Professoren von deutschen Universitäten, Ladenbesitzer, Intellektuelle und Dichter, Bauern und Mitglieder begüterte Klassen. Sie kamen aus Algier und Bukarest, Odessa und London, Paris und Kattowitz“ (RUBINSTEIN 2001, 14). Die Juden hatten viele verschiedene Ansichten und es war nicht leicht, sie alle unter einem Standpunkt zu vereinen und doch schreibt der Journalist und Autor Herzl kurz darauf am 3. September in sein Tagebuch, dass er den Judenstaat beim Zionistenkongress in Basel gegründet habe, heute glaube es noch niemand, doch in fünf oder spätestens in 50 Jahren würde man das Ergebnis sehen. Ein erster Schritt war getan, dennoch blieb der Zionismus zunächst nur eine Randerscheinung, für viele nur ein Traum, für andere gar eine Halluzination. Dies lag insbesondere daran, dass es keine politische Unterstützung der anderen Staaten gab, entgegen der Hoffnungen der Zionisten. Zudem waren auch die wohlhabenden und einflussreichen Juden und die jüdischen Religionsführer ablehnend oder zumindest ambivalent der Bewegung gegenüber eingestellt (vgl. RUBINSTEIN 2001, 16ff.). „Die jüdische Tradition und Religion gibt Juden die klare Anweisung, das Kommen des verheißenen Messias am Ende der Zeit abzuwarten, bevor sie als souveränes Volk in einer jüdischen Theokratie als Diener Gottes nach Israel zurückkehren können“ (PAPPE 2007, 30). Dies ist der Grund warum der Zionismus auf nationalistische Gedanken zurückgreift und nicht religiösem Ursprung zugeschrieben werden kann. Orthodoxe Juden waren gar entsetzt wegen der Besiedlung Palästinas, da dies die Aufgabe des erwarteten Messias sei. „War das Exil nicht eine Strafe Gottes für ein sündiges Volk und konnte nicht Gott allein das Urteil aufheben und das Volk wieder zurück ins Heilige Land führen? Nun kommen ein paar Ungläubige daher gelaufen und behaupten, sie würden an seiner Statt die Arbeit erledigen“ (BARNAVI 2008, 81). Dies zeigt deutlich, dass der Zionismus keine religiösen Ziele oder Ursprünge hatte.

Die Zionisten versuchten durch ihr Ziel der Rückkehr nach Palästina einen Imagewechsel zu vollziehen. Eine Verwandlung des Judenbildes, von dem stark negativ geprägten, dem verängstigtem Juden, auf dem man herum trampelt, zum Entgegengesetzten, also einem stolzen und unabhängigem Juden, der einen eigenen Staat regiert. Die Juden wollten ihr Trauma vergessen machen und nach einem neuen Selbstbewusstsein streben. Ihre Strategie war es, durch diplomatische Bemühungen die Unterstützung der Großmächte für die zionistische Bewegung zu erreichen und die jüdische Kolonisierung Palästinas voranzutreiben. „Die frühen zionistischen Siedler setzten ihre Energie und Ressourcen überwiegend in den Ankauf von Land ein, um sich Zugang zum örtlichen Arbeitsmarkt zu verschaffen und soziale und kommunale Netzwerke aufzubauen, die weitere Zuwanderer ernähren konnten“ (PAPPE 2007, 34).

Kaiser Wilhelm II schreibt in einem Dokument über die Zionistenbewegung: „Ich bin sehr dafür, dass die Mauschels nach Palästina gehen, je eher sie dorthin abrücken, desto besser. Ich werde ihnen keine Schwierigkeiten in den Weg legen“ (RUBINSTEIN 2001, 20). Dies zeigt deutlich die Einstellung den Juden gegenüber. Bis 1918 hatte das Osmanische Reich die Staatsgewalt über das Gebiet Palästina. Die Zionisten ihrerseits versuchten dennoch, die Türken, Deutschen, Briten und Russen auf diplomatische Weise für ihr Vorhaben zu gewinnen, indem sie sich als Ausgleich bereit erklärten, die Finanzen der Türken zu regeln, da viele Juden angesehene Bankiers und Geschäftsleute waren. Zudem boten sie den Europäern an, einen Wall gegen die asiatische Bedrohung aus dem Osten zu bilden, die sich nach dem Boxeraufstand im Jahr 1900 entwickelt hatte. Ein weiteres Argument war, dass sie die „Ehrenwache“ an den Heiligen Stätten der Christen halten würden. Doch wie nicht anders zu erwarten lehnten alle Großmächte ab und nur ein kleines Rinnsal an Juden wanderte nach Palästina aus, so dass der jüdische Anteil bis 1918 nur fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Die palästinensische Bevölkerung nahm zu Beginn begrenzt Notiz von den Zuwanderungen. Dennoch konnte man deutliche Unterschiede zwischen jüdischen Neuankömmlingen sehen und dem alten Jischuw (der alten jüdischen Gemeinde in Palästina). Die Jischuw unterschieden sich von der arabischen Bevölkerung nur in religiöser Hinsicht und hegten keine nationalpolitischen Ambitionen, ganz anders als die Zionisten.

Als diese Absichten immer deutlicher wurden und einige der dort lebenden Bevölkerung arabischer Prägung die Möglichkeit erkannte, dass sie von den Zionisten des Landes vertrieben werden sollten, versuchten sie die Osmanische Regierung in Istanbul zu bewegen, die jüdische Einwanderung und Ansiedlung zu stoppen. Andere Palästinenser hingegen freuten sich über den Ertrag aus an Juden verkauftem Land. Dabei hatten doch die Gründungsväter des Zionismus so deutlich von der Übernahme des Landes, welches in ihren Augen leer war, gesprochen. Die ägyptischen Nachbarn sahen im Zuzug der Juden einen unverantwortlichen Versuch Europas, seine ärmsten und oft staatenlosen Bevölkerungsteile abzuschieben. Sie vermuteten aber keinen „Masterplan" hinter dem Zionismus, der darauf zielte, das komplette Land zu besiedeln (vgl. RUNBINSTEIN 2001, 22ff.).

„Erst der erste Weltkrieg weckte bei den Engländern ein akutes Interesse an dieser Region, galt es doch im Krieg gegen Deutschland und das Osmanische Reich Verbündete zu finden und langfristig die Interessen Englands im Nahen Osten zu sichern“ (BÖHME 2005, 15). Aus diesen Gründen wollten sich die Briten mit der arabischen und jüdischen Bevölkerung gutstellen um sie als Verbündete zu gewinnen. Im Jahr 1917 sandten die Briten die Balfour- Deklaration an die zionistische Föderation, die eine Sympathieerklärung beinhaltete, in der die Briten das Vorhaben der Zionisten mit Wohlwollen betrachteten und die größten Anstrengungen unternehmen wollten um ihre Ziele zu unterstützen. Selbstverständlich durften die bürgerlichen, religiösen Rechte und die politischen Stellungen der nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina dadurch nicht beeinträchtigt werden. Diese Deklaration war allerdings nichts weiter, als ein Brief eines Regierungsvertreters der keine aktiven Handlungen zur Folge hatte. Ein Jahr zuvor dagegen, hatten die Briten mit dem Sykes- Picot Abkommen den Arabern gegensätzliche Versprechen gemacht, indem ihnen glaubhaft gemacht wurde, dass die Briten ihre Interessen verteidigen, sollte sich die Bevölkerung gegen das Osmanische Reich auflehnen. An diesem Arabisch – nationalistischen Bündnis nahmen auch die Palästinenser teil.

So war die Politik der Engländer widersprüchlich, um möglichst viele Verbündete um sich zu sammeln. Dieses doppelseitige Versprechen öffnete somit die Tür für den endlosen Konflikt zwischen Palästinensern und Juden um dieses Land. Die Rechte der Palästinenser sollten geachtet werden bei gleichzeitiger Ausbreitung der Juden in diesem Gebiet. Dies war zum Scheitern verurteilt. Nachdem Briten und Franzosen unter kräftiger Mithilfe der Palästinenser als Sieger aus dem ersten Weltkrieg hervorgegangen waren, wurde die Balfour- Deklaration Bestandteil des britischen Mandatsvertrags über Palästina. Der berühmte Film, „Lawrence von Arabien“ spielt in dem Kontext des Aufstandes der Araber unter dem britischen Offizier Lawrence gegen die Türken. Nur Wenige erkannten damals, dass durch diese Deklaration den Juden ein Staatsgebiet versprochen wurde, ohne dass man die dort lebenden Araber nach ihrer Meinung gefragt hatte. (vgl. BÖHME 2005, 17) Somit waren die Palästinenser die eigentlichen Verlierer, denn die türkische Kolonialherrschaft ging direkt in die englische bzw. französische über, die den Juden das Versprechen der Balfour- Deklaration hielten und die Juden unterstützten. Den Arabern wurden als Ausgleich die heutigen Gebiete Jordaniens der arabischen Halbinsel und des Iraks gegeben und die Palästinenser gingen leer aus.

„Die widrigen Umstände in diesem wüstenartigen und versumpften Land erforderten gemeinsame Anstrengungen“ (BÖHME 2005, 20). Die jüdischen Siedler waren sich bewusst, dass sie dieses Land nur gemeinsam bewirtschaften konnten. Juden waren typischer Weise keine Landwirte, noch waren sie handwerklich sonderlich geprägt. Mit der Gründung des Degania Alpha im Jahr 1910 entstand der zionistische Sozialismus, in Form der ersten genossenschaftlichen Siedlungsform ähnlich denen der Sowjets. Die beinhalteten Prinzipien der Kibbuz Bewegung waren die Aufgabe des Privateigentums zugunsten der Gemeinschaft und die kollektive Arbeits- und Lebensform. Mit dieser Form des Zusammenlebens machten die Zionisten enorme wirtschaftliche und landwirtschaftliche Fortschritte. Die Juden gründeten am 11. August 1929 anlässlich des 16. Zionistenkongresses die Jewish Agency, eine von mehreren neu gegründeten Organisationen zur Verwirklichung des zionistischen Ziels. Die Jewish Agency ist auch heute noch die offizielle Einwanderungsorganisation des Staates Israel, zur damaligen Zeit nahm sie die Stellung einer Art Regierung für die Juden in Palästina ein. (vgl. BÖHME 2005, 20)

Die arabische Bevölkerung Palästinas stand zu dieser Zeit unter dem Einfluss von Großgrundbesitzern, die zu sehr an den eigenen wirtschaftlichen Profit dachten, als dass sie den jüdischen Zionismus als Bedrohung ihrer Existenz sehen wollten. „Sie profitierten von den zionistischen Landkäufen, während die abhängigen arabischen Bauern durch den Verkauf des bisher von ihnen bearbeiteten Bodens arbeits- und heimatlos wurden“ (BÖHME 2005, 22). Sie erhofften sich sogar technische und wirtschaftliche Impulse von den Siedlern. Die palästinensischen Bauern zog es in die Stadt und sie versuchten, ebenfalls politischen Einfluss zu gewinnen und etwas Ebenbürtiges zur Jewish Agency zu bilden. Da sie allerdings lange Zeit von den Großgrundbesitzern abhängig waren, fehlte ihnen das politische, wirtschaftliche und kulturelle „Knowhow“, um ihre Lage selbstständig durch gezielte Reformen zu verbessern. Der Traum vieler Juden von einem eigenen Staat wurde zu einem Alptraum für die arabische Bevölkerung Palästinas. Mit zunehmender Präsenz der Juden wuchs der arabische Widerstand gegen die Zionisten und erstmals im April 1920 plünderten Araber jüdische Geschäfte und töteten Juden in Jerusalem. Infolgedessen kam es immer mehr zu einer Isolation der beiden ethnischen Gruppen. Arabische Arbeiter wurden nun nicht mehr von jüdischen Betrieben oder landwirtschaftlichen Siedlungen geduldet. Die Zionisten erkannten, dass sie keineswegs in ein Land ohne Volk gekommen waren. Eine friedliche Koexistenz neben den Palästinensern wurde immer mehr in Frage gestellt und daraus der abschließende Wunsch nach einem unabhängigen Staat immer größer. Die Zionisten verließen sich nicht auf die britische Armee, sondern begannen, eine eigene Armee zu formen. Was im Jahr 1920 als lockere Zusammenfassung freiwilliger Selbstschutzverbände gegründet wurde, expandierte schon im Jahr 1929 zu einer größeren paramilitärischen Einheit, der Hagana. Aus dieser sollten mit der Unabhängigkeit Israels 1948 die Israelischen Streitkräfte entstehen. Als der Konflikt in Palästina größer wurde, verstärkte sich unabhängig davon der Antisemitismus in Deutschland und hatte weitere Einwanderungswellen zur Folge. Circa 450.000 Juden zogen zwischen 1924 und 1948 aus Europa weg, wo Hitler ab 1933 seinen Plan der Judendiskriminierung in die Tat umzusetzen begann. Weitere Faktoren für die vermehrte Einwanderung der Juden nach Palästina waren eine Beschränkung der Einwanderungsquoten in die USA und dem mittlerweile relativen Wohlstand der Region trotz der weltweiten Wirtschaftskrise 1929. Der Einwandererstrom spitzte sich zu und führte zu weiteren Protesten der Araber, die im Generalstreik (1936- 1939) und der Forderung an die Kolonialmacht Großbritannien zum vollständigen Stopp der Einwanderung gipfelten. Im Jahr 1939 machten die Briten den Arabern Eingeständnisse und beschränkten die Einwanderung der „Zionisten“ auf 15.000 jährlich, trotz der immer heftiger werdenden Judendiskriminierung in Deutschland. Das sogenannte „Weißbuch“ sorgte für die Aufhebung der Balfour-Deklaration und sorgte für Spannungen mit der englischen Kolonialmacht. „Wir führen Krieg an Englands Seite, als gäbe es kein Weißbuch und wir bekämpfen das Weißbuch, als gäbe es keinen Krieg“, (BÖHME 2005, 26) dies waren die Worte Ben Gurions auf einem zionistischen Kongress in New York 1942, als der Zweite Weltkrieg bereits tobte. David Ben Gurion wird als der Gründer des Staates Israels gefeiert; er hatte sehr radikale Ansichten und war der Überzeugung, man könne die Wichtigkeit des Landes Israels für Araber und Juden nicht vergleichen. Deshalb forderte er die uneingeschränkte Einwanderung der Juden, um dem Ziel des Zionismus immer näher zu kommen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Jüdische Einwanderung nach Palästina/ Israel. Quelle: GLASNECK 1992, 286

Wenn man sich die Einwanderungszahlen der Juden nach Palästina ansieht (vgl. Abb. 1), kann man erkennen, dass unmittelbar vor und während des Holocaust (1939-1945) diese aufgrund des Weißbuches geringer ausfallen.

Bei dem Zionistenkongress in New York wurde ebenfalls das Blitmore Programm verabschiedet. Es beinhaltete die von den Zionisten gewünschten Strukturen nach dem zweiten Weltkrieg, dass eine zukünftige neue Weltordnung nicht friedlich und gerecht sein könne, wenn die Juden weiterhin heimatlos blieben. Sie forderten deshalb von der Jewish Agency, die zukünftige Einwanderung nach Palästina zu planen und drängten auf eine baldige Staatsgründung des jüdischen Staates in der Nahost Region (vgl. BÖHME 2005, 24ff.).

Die folgende Anekdote zeigt recht deutlich, wie sich viele Palästinenser fühlen mögen, wenn sie über ihre Meinung zum Zionismus gefragt werden:

„Einst ritt ein Araber mit seinem Esel durch die Wüste. Unterwegs traf er einen Mann, der durch den Sand stapfte und fragte ihn, ob er ihn mitnehmen solle. Der Mann bekundete erfreut sein Einverständnis. Nachdem sie eine Weile geritten waren, fragte der Mann: Ist das nicht eine zu schwere Last für deinen Esel? Der Besitzer des Esels versicherte ihm, dass alles in Ordnung wäre. Eine Weile später bemerkte der Mann: Unser Esel bewegt sich kaum. In diesem Moment hielt der Besitzer den Esel an und ließ den Mann absteigen. „Warum?“, fragte der Mann. Weil du beim ersten Mal „dein Esel“ gesagt hast, aber beim zweiten Mal „unser Esel“. Das dritte Mal wirst du wahrscheinlich „mein Esel“ sagen“ (BUNZL 2008, 27).

Das ist eine Geschichte, die für sich selbst spricht. Dennoch kann man abschließend zum Zionismus sagen, dass es den Juden gelungen ist, in einer Zeit der Unterdrückung und der Verfolgung in Europa heimlich eine eigene Existenz in Palästina aufzubauen, in einem Land, in dem sie 1700 Jahre keine Rolle spielten und nun langsam wieder Einfluss gewannen. Natürlich stellt sich hier die berechtigte Frage, ob es gegenüber den Arabern rechtens war, dieses Land für sich zu beanspruchen. Trotz der andauernden Diskriminierung der Juden und des Holocaust muss dies in Frage gestellt werden.

3.2 Der Holocaust in Deutschland

Nachdem ich bislang nur oberflächlich auf den Antisemitismus in Europa Anfang des 20 Jh. eingegangen bin, möchte ich nun aus zwei Gründen noch detaillierter den Antisemitismus der Nationalsozialisten im dritten Reich beleuchten. Zum ersten, weil es sich aus deutscher Sicht verbietet, dieses Thema nur am Rande zu erwähnen und zum anderen, weil das Leid der Juden unter dem Nazi Regime meiner Meinung nach einen großen Beitrag dazu lieferte, dass man auf Seiten der Alliierten ein Einsehen mit den Juden hatte und sich auf Grund der schrecklichen Verfolgung für einen Israelischen Staat vermehrt einsetzte.

Der Antisemitismus war ein sehr weit verbreitetes Phänomen in Europa. Nachdem die Zionistenväter den Antisemitismus als Grund zum Auswandern sahen, verbesserte sich die Lage in Bezug auf die Diskriminierung der Juden in Europa auch nach dem ersten Weltkrieg nicht. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen kann man in drei Phasen einteilen: „Der Antisemitismus trat in der Umbruchphase nach dem ersten Weltkrieg eruptiv und gewalttätig zu Tage (1918-1923), flaute in den zwanziger Jahren wieder ab, um sich dann in den dreißiger Jahren erneut zu verschärfen“ (BERGMANN 2002, 72). In der Nachkriegszeit wurden die Juden als Sündenbock bei den Kriegsverlierern Österreich, Ungarn und Deutschland propagiert. Dies lag zum einen daran, dass man ihnen unterstellte, sie hätten sich davor gedrückt, im Krieg für ihr eigenes Land zu kämpfen. Nachdem eine Studie darüber für Aufklärung sorgen sollte, fühlten sich die Juden durch diese „Judenzählung“ verraten und protestierten dagegen. Letzten Endes wurde die Studie nicht publiziert und öffnete so die Tür, Spekulationen in diese Richtung weiter anzufachen. Zum anderen wurde die These der jüdischen Weltverschwörung verbreitet. Diese Phase, in der bereits Gewalt und Pogrome gegen Juden auftraten, ebbte Anfang der zwanziger Jahre wieder ab, um dann Anfang der dreißiger Jahre erneut aufzublühen. Diesmal machte man die Juden für die Weltwirtschaftkriese 1929 verantwortlich. Zudem wurde die Politik immer nationalistischer und die Juden, denen die Integration in die europäischen Länder immer noch nicht ganz gelungen war, standen somit auf dem Abstellgleis. Speziell in Deutschland verschmolz der Antisemitismus mit dem Antikommunismus, der Republikfeindlichkeit und dem Nationalismus zu einem weit verbreiteten Einstellungssyndrom. Die NSDAP, welche zunehmend an Einfluss in der Weimarer Republik gewann, hetzte immer wieder gegen Juden auf, auch wenn der Erfolg bis 1933 ausblieb. Raum für den Antisemitismus gab es in fast allen Parteiprogrammen, sogar bei den christlichen Parteien. Lediglich die SPD lehnte diese Strömung ab, nahm den Judenhass aber nicht wirklich ernst und vertraute darauf, dass sich dieser im Sande verlaufen würde. (vgl. BERGMANN 2002, 74-78)

Kerngedanke der NSDAP war der Erlösungsantisemitismus. „Hitler sah einen Weltkonflikt zwischen Juden und Ariern voraus, da für ihn das Judentum als Rassentuberkulose der Völker nicht nur das deutsche Volk bedrohte, so dass das Ziel letztlich die Entfernung der Juden insgesamt sein musste“ (BERGMANN 2002, 102). In seinen Reden drohte Hitler mehrfach, dass durch einen der Juden verschuldeten Krieg nicht das Ende der europäischen Völker, sondern die Ausrottung des Judentums in Europa kommen werde. Hitler deutete damit schon die von ihm geplante Endlösung der Judenfrage an. Doch wenn man sich die Politik der Nazis in Bezug auf die Juden genauer anschaut, kann man anfangs noch nicht von der geplanten völligen Ausrottung der Juden ausgehen. Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann zunächst eine Politik der Entfremdung; durch diese Politik sollten die Juden zunächst diskriminiert und anschließend aus Deutschland und später sogar aus Europa vertrieben werden. Zudem schaltete der anstrebende Diktator schrittweise die Demokratie gleich. Schon am 1 April 1933 erklärte die Regierung einen Boykotttag gegen jüdische Geschäfte; keiner sollte mehr in jüdischen Geschäften einkaufen, um so die Juden wirtschaftlich zu schwächen. (vgl. BERGMANN 2002, 102f.) „Einige jüdische Ladenbesitzer stellten sich mit ihren Verdienstorden aus dem Ersten Weltkrieg vor die Ladentür ihrer Geschäfte, um gegen die Ausgrenzung zu protestieren und in dem Glauben diese Auszeichnung bewahre sie vor weiteren Beeinträchtigungen“ (KAUFMANN 2003, 72). Die ersten jüdischen Ladenbesitzer flohen aus diesem Anlass aus Deutschland, während die Mehrheit der Bevölkerung gleichgültig auf diese Ereignisse der Diskriminierung reagierte. Nun wurde langsam deutlich, dass die Nationalsozialisten weniger Wert auf die Vaterlandstreue legten als auf den Antisemitismus. Nur sechs Tage nach diesem Boykotttag wurden alle Beamten nicht-arischer Abstammung in den Ruhestand geschickt, ausschließlich Frontkämpfer und lang gediente Beamte blieben noch bis 1935 im Dienst. Dieses „Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums“ war nur der Vorläufer, um Juden zunächst aus einflussreichen Berufen zu entfernen und ihnen später jegliche Arbeit zu entziehen. Als nächstes wurden sie aus medizinischen, juristischen und aus journalistischen Berufen verdrängt, auch gab es eine Quotenregelung für die Zulassung an Universitäten, die besagte, dass nur noch wenige jüdische Studenten aufgenommen werden konnten. Obwohl sich die Situation für die Juden weiter zuspitzte, flohen nur wenige ins Ausland. Das lag zum einen daran, dass viele Länder keine Juden mehr aufnahmen und in Palästina die Aufnahmebegrenzung durch das „Weißbuch“ auf jährlich 15 000 Zionisten zwischen den Palästinensern und den Briten vereinbart worden war. Außerdem verweilten viele Juden in Deutschland mit der Devise: „abwarten bis der Spuk vorüber ist.“

Die Kirchen in Deutschland arrangierten sich weitgehend mit den Nationalsozialisten; bei Regierungsübernahme schloss die katholische Kirche einen Staatskirchenvertrag mit der Nationalsozialistischen Regierung ab. Dieses Konkordat zogen die Katholiken allerdings zwei Jahr später zurück. Die evangelische Landeskirche wurde gleichgeschaltet mit den deutschen Christen, ihre Propaganda für den Antisemitismus war, dass die Juden Jesus nicht als Messias anerkannt hatten und ihn umgebracht haben. Durch den Antisemitismus komme nun die Gottesstrafe. Es gab auch einige Pfarrer, die sich diesem Strom nicht anschlossen und die Bekennende Kirche gründeten. Gegen die Bekennende Kirche gingen die Nazis allerdings strikt vor.

Im Jahr 1935 sorgten die Nürnberger Rassengesetze für eine neue Stufe des Antisemitismus. In diesen Gesetzen wurde eine klare Scheidung zwischen Deutschtum und Judentum propagiert. „Juden wurden Bürger zweiter Klasse, zudem waren Eheschließungen und sexuelle Kontakte mit Nicht- Juden verboten“ (BERGMANN 2002, 104). In den Pass der Juden wurde ein großes rotes J eingetragen und es wurden Zwangsvornamen verteilt, für Männer Israel und für Frauen Sara. Dies geschah auch aufgrund der Bitten der Schweizer, die Angst vor einer Überfremdung hatten, da es immer mehr Juden in die Schweiz zog. Die nächste Stufe der Gehässigkeit der Nazis gegen die Juden fand am 9. November 1938 statt. Als die Nazis in der sogenannten Polenaktion wenige Tage zuvor ca. 15 000 Juden ohne Vorwarnung in Richtung polnische Grenze abtransportiert hatten, hielten sich die Abgeschobenen im Niemandsland zwischen beiden Grenzen auf, da auch die Polen sich nicht verpflichtet fühlten, die Juden aufzunehmen. Aus dieser Verzweiflung heraus schrieb Bertha Grünspan ihrem Bruder Herschel der sich in Paris aufhielt, in welcher Situation sie steckten und dass sie dringend Geld benötigten. Als Reaktion darauf ging Herschel Grünspan am 7. November 1938 in die deutsche Botschaft von Paris und erschoss den deutschen Botschaftssekretär Ernst vom Rath. Dieses Attentat nahmen die Nazis als Vorwand und Propaganda für ein viel schlimmeres Verbrechen. In der Nacht vom 9. auf den 10. November fand eine regelrechte Hetzjagd auf Juden satt, die vom nationalsozialistischen Regime organisiert worden war. In dieser Reichspogromnacht wurden über 1400 Synagogen, tausende Geschäfte und Wohnungen zerstört und über 30 000 Juden in Konzentrationslager inhaftiert. Nun war es das erklärte Ziel, die Juden ganz aus der Wirtschaft zu vertreiben und sie in die Emigration zu treiben. Tatsächlich flohen im Jahr 1939 noch einmal knapp 80 000 Juden aus Deutschland. Doch auch dies war wie erwähnt keine Leichtigkeit, da es nur noch wenige aufnahmewillige Zufluchtsländer gab. „Selbst die USA hatten gegenüber den jüdischen Einwanderern große Vorbehalte. Jemand musste für ihren Lebensunterhalt in den Staaten sorgen“ (KAUFMANN 2003, 75). Nachdem einige Jahre die Auswanderung der Juden das Ziel der Nazis und zwischenzeitlich die französische Kolonie Madagaskar dafür vorgesehen war, wandelte sich diese Einstellung zur Judenfrage. Ab dem Jahr 1941 wurde die Auswanderung der Juden verboten und ab dem 20. Januar 1942 wurde mit der Konferenz in Wannsee die Endlösung der Judenfrage besiegelt, die in der totalen Ausrottung des Volkes enden sollte. Es wurden zusätzlich zu den Konzentrationslagern, in denen vorwiegend Juden durch Arbeit zu Tode kommen sollten, Vernichtungslager gebaut. In diesen Vernichtungslagern ging es nur um die schnelle Vernichtung der Juden in den dafür vorgesehenen Gaskammern. Das bekannteste ist Ausschwitz- Birkenau, in dem 1,1 Mio. Menschen starben. Außerdem gab es Vernichtungslager in Majdanek (ca. 78 000 Tote), Belzec (ca. 400 000 Tote), Soribor (ca. 200 000 Tote) und Treblinka (ca. 900 000 Tote).

Bereits im Jahr 1941 parallel zu den ersten Vernichtungslagern, als die Wehrmacht ostwärts marschierte, begann die Mordaktion gegen die Juden. Spezielle Einsatztruppen zogen hinter der Wehrmacht her und vernichteten alle Juden in den eroberten Gebieten. Dies war der Startschuss zum systematischen Völkermord.

Die jüdische Bevölkerung war in Europa zu dieser Zeit in den Osteuropäischen Ländern der Sowjetunion, Polen, den baltischen Staaten, der Tschechoslowakei und in Jugoslawien besonders hoch. Insgesamt sollten laut Wannsee Plan 11 Millionen Juden umgebracht werden, den Nazis gelang es letztlich, mit 6 Millionen mehr als die Hälfte umzubringen. (vgl. KAUFMANN 2003, 72-80/ BERGMANN 2002, 102-116)

Besonders interessant gestaltet sich das Verhältnis Amin al- Husseini, dem Großmufti von Jerusalem, von 1921 bis 1937 zu Adolf Hitler. Die Briten setzten den Palästinenser in dieses Amt ein und hofften auf eine gute Kooperation mit ihm. Doch als sie im Jahr 1937 feststellten, dass Husseini nicht zu Kompromissen bereit war, musste er vor den Briten fliehen. Während seiner Amtszeit wurden Palästinenser, die nicht jede Kooperation mit Juden ablehnten, von seinen Getreuen ermordet. „Der Großmufti kämpfte an mehreren Fronten: Er wollte das Land von der Kolonialmacht befreien und zugleich verhindern, dass die Zionisten einen Teil Palästinas zum Judenstaat machten“ (SONTHEIMER 2009, 76). Im Jahr 1941 gelang ihm mit gefälschten Papieren die Flucht von Teheran über die Türkei und Italien nach Deutschland. „Der Großmufti folgte der Devise: Die Feinde meines Feindes sind meine Freunde“ (SONTHEIMER 2009, 76). So schloss er sich den deutschen an und wurde von Hitler herzlich willkommen geheißen, er war der wichtigste arabische Alliierte der Nazis. Der Mufti wurde mit allem versorgt was er brauchte und als Gegenleistung rief er in Regie von Propagandaminister Göbbels die arabischen und indischen Muslime zum Kampf gegen die Alliierten auf.

Als die Alliierten Deutschland im Mai 1945 erobert hatten, war aufgrund dieses schrecklichen Stücks deutscher und jüdischer Geschichte klar, dass so etwas wie die systematische Vernichtung des jüdischen Volkes nie wieder vorkommen dürfe. Aufgrund des geschichtlich immer wieder nachweisbaren Hasses gegen die Juden war dieses Volk, welches während des Nazi Regimes halbiert wurde, nirgendwo mehr sicher. Da die Briten die Kolonialmacht über Palästina waren und bereits 450000 Zionisten in dieses Land ausgewandert waren, begann man nun intensiv darüber nachzudenken, ob man die Juden mit einer Staatsgründung gewähren lassen konnte.

3.3 Die Entstehung des Staates Israel

Die Staatsgründung Israels stellt einen weiteren wichtigen Baustein zum Gesamtbild der Schuldfrage am heutigen Konflikt dar. Je nachdem von welcher Seite man sie betrachtet, ändert sich womöglich die Gesamtsicht auf den Nahostkonflikt. Deshalb möchte ich die wichtigen Zusammenhänge von zwei verschiedenen Seiten darstellen, so dass man die Möglichkeit hat, von beiden Versionen einen Eindruck zu gewinnen und ein ausgewogenes Bild der Hintergründe zur Staatsgründung Israels bekommt.

Aus israelischer Sicht haben die zuvor behandelten Ereignisse, der Zionismus und der Holocaust erhebliche Vorarbeit geleistet und entsprechende Möglichkeiten geschaffen, damit es nun zur Staatsgründung Israels kommen konnte. Siebzig Jahre hatten die Zionisten harte Aufbauarbeit geleistet und die jüdische Bevölkerung auf 600.000 Menschen vervielfacht. Der Holocaust hatte die Spitze des Antisemitismus in Europa dargestellt und deutlich werden lassen, wie wichtig ein Judenstaat war, um sich gegen rassistische Diskriminierung und letzten Endes Verfolgung wehren zu können. „Die Holocaust-Überlebenden hatten keinen Platz wo sie eine neue Heimat hätten finden können. Ihre alte Heimat war zerstört und die neue wollte ihre Tore nicht öffnen“ (KRUPP 2004, 11). Das beschriebene Weißbuch verhinderte nämlich seit 1939 eine uneingeschränkte Einwanderung der Juden nach Palästina. Wo sollten die traumatisierten Juden aus den befreiten Konzentrationslagern nun also hin? In Palästina spitzte sich ein Dreifrontenkonflikt zwischen den Briten, arabisch sprechenden Palästinensern und den Juden zu. Die Juden kämpften gegen die Engländer, um eine uneingeschränkte Einwanderung zu erzwingen und so die jüdische Präsenz in dieser Region zu optimieren und gleichzeitig den Flüchtlingen aus Europa eine neue Zukunft zu ermöglichen. Die Palästinenser bekämpften eine weitere Ausbreitung der jüdischen Siedler und die Briten wollten ihre Machtansprüche in dieser Region halten. Mit Dutzenden von Einwanderungsschiffen versuchten die jüdischen Neuankömmlinge die englischen Blockaden zu durchbrechen. Die Engländer wollten sich das nicht bieten lassen und inhaftierten die Einwanderer in Gefangenenlagern in Palästina, Zypern und später sogar in ehemaligen Konzentrationslagern in der britischen Besatzungszone. Im Laufe der Zeit verlor die englische Besatzungsmacht jedoch allmählich die Kontrolle über das Gebiet, obwohl mit 100.000 britischen Soldaten ungewöhnlich viele Streitkräfte in Palästina stationiert waren, welches lediglich 2 Mio. Einwohner zählte. Im Jahr 1947 schoben die Briten die Verantwortung über diese Krisenregion schließlich den Vereinten Nationen zu. Auf einer Vollversammlung am 29 November 1947 beschloss die UNO die Teilung in ein jüdisches und ein arabisches Gebiet mit der Resolution 181. Alle arabischen Staaten stimmten gegen diese UN- Resolution und waren zu keinen Kompromissen einer Koexistenz der beiden Staaten bereit.

An dieser Stelle ist es nun wichtig zu erwähnen, dass es zu der Staatsgründung Israels zwei konträre Meinungen gibt. Zum einen eine pro-israelische, welche den Palästinensern vorwirft sich freiwillig aus den gemäß UN Resolution 181 israelischen Gebieten zurückgezogen zu haben, um dann mit den arabischen Truppen zusammen wenige Tage später das ganze Land zurück zu erobern. Zudem wird den Palästinensern vorgeworfen, sich auf keine Kompromisse eingelassen zu haben, egal wie weit die israelische Seite ihnen auch entgegenkam. Die andere Seite sieht die Israelis keineswegs als unschuldig an und beschuldigt sie gar eines ganz dunklen Kapitels der Gewalt bereits in der Entstehungsgeschichte des Staates. „Das Märchen, das die israelische Geschichtsschreibung erfunden hatte, sprach von massivem freiwilligem Transfer. Hunderttausende Palästinenser, die sich entschlossen hätten vorübergehend ihre Häuser und Dörfer zu verlassen, um den vordringenden arabischen Truppen Platz zu machen, die den jungen jüdischen Staat vernichten wollten“ (PAPPE 2007, 13). Die Gegenseite geht sogar noch einen Schritt weiter und erhebt Vorwürfe, nach denen es zu einer ethnischen Säuberung Palästinas im Vorfeld sowie im Zuge des Unabhängigkeitskrieges kam. Die Araber nennen ihre Vertreibung „Nakbar“ was so viel bedeutet wie Katastrophe oder Unglück. Im Folgenden wollen wir und beide Positionen etwas genauer ansehen.

„Ich bin für Zwangsumsiedlung, darin sehe ich nichts unmoralisches“ (PAPPE 2007, 9). Dieses Zitat soll von keinem Geringen als dem ersten israelischen Ministerpräsident David Ben Gurion aus dem Jahr 1938 stammen. Tatsächlich sprechen einige Indizien dafür, dass die Israeliten diese Methode angewandt haben, um Palästina für sich zu behaupten und einen exklusiven jüdischen Staat zu gründen. Blickt man auf die Vorstellungen der ersten Zionisten zurück, kann man deutlich erkennen, dass sie die Einstellung prägten und an die folgenden Generationen weitergaben, dass Palästina ein von Fremden bewohntes oder gar leeres Land war. Während der Zeit der britischen Vorherrschaft über dieses Gebiet begannen die Juden bereits die Strukturen zu schaffen, das Land mit Gewalt einzunehmen, falls man es ihnen nicht auf diplomatischem Wege zusprechen sollte. Den zionistischen Führern wurde immer deutlicher, dass eine Armee notwendig war um die jüdischen Siedlungen vor den Aggressionen der Palästinenser zu schützen und um nötigenfalls sogar mit eigenen aggressiven Angriffen gegen die heimische Bevölkerung für gezielte Abschreckung zu sorgen. So wurde bereits im Jahr 1920 die Hagana gegründet, was auf Hebräisch wörtlich Verteidigung bedeutet. Zur Verteidigung der Kibbuze wurde gegen Heckenschützen oder Diebe vorgegangen. Hauptziel war aber anscheinend schon sehr früh die Einschüchterung der palästinensischen Bevölkerung. Diese paramilitärische Einheit soll die zionistische Machtübernahme entwickelt und umgesetzt haben. Eine weitere vorbereitende systematische Planung sollen detaillierte Register aller arabischen Dörfer gewesen sein. Jüdische Topographen wurden damit beauftragt präzise Angaben über die topographische Lage, Zufahrtsstraßen, Bodenqualität, Wasservorkommen, Haupteinkommensquellen, Religionszugehörigkeit, Namen des Ortsvorstehers (Muchtars), Alter der männlichen Bevölkerung und die Beziehungen zu den anderen Dörfern herauszufinden. Außerdem wurde jedem Dorf ein Index der Feindseligkeit zugeordnet, gemessen an der Beteiligung an dem Generalstreik und der Revolte von April 1936- 1939, um herauszufinden, welche Dörfer besonders Widerstand gegen das Zionistische Vorhaben leisten würden. Diese Informationen sollten später noch eine bedeutende Rolle spielen. So erinnert sich Moshe Pasternak, einer der Topographen: „Wir mussten die Grundstruktur des arabischen Dorfes studieren. Das heißt die Bauweise und wie es am besten anzugreifen war“ (PAPPE 2007, 42).

[...]

Fin de l'extrait de 93 pages

Résumé des informations

Titre
Der Nahostkonflikt - fortwährender Kampf oder Chance zum Frieden?
Université
University of Education Heidelberg
Cours
Theologie / Religionswissenschaft, Geschichte, Politik
Note
2,0
Auteur
Année
2010
Pages
93
N° de catalogue
V198769
ISBN (ebook)
9783656264378
ISBN (Livre)
9783656265146
Taille d'un fichier
6051 KB
Langue
allemand
Mots clés
Israel, Nahostkonflikt, Heiliger Krieg, Geschichte Israels, Palästina, Heiliges Land, Zionismus, Holocaust, Sechs Tage Krieg, besetzte Gebiete, Jom Kippur Krieg, Intifada, Djihad, Hamas, Plo, Juden, Mohammed, Islam
Citation du texte
Micha Gerken (Auteur), 2010, Der Nahostkonflikt - fortwährender Kampf oder Chance zum Frieden?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198769

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