Berufliche Weiterbildung im Alter: Gleiche Chance für alle?


Diplomarbeit, 2011

124 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

I. Einleitung
1.1 Problembeschreibung
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit

II. Der demographische Wandel
II.1 Definition „demographischer Wandel“
11.2 Die Komponenten des demographischen Wandels
11.2.1 Der Geburtenruckgang
11.2.2 Gestiegene Lebenserwartung
11.2.3 Wanderungsbewegung
11.3 Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf das Sozialsystem und den
Arbeitsmarkt
11.4 Zusammenfassung

III. Die Weiterbildungslandschaft in Deutschland
111.1 Geschichte und aktuelle Situation der Weiterbildung
111.2 Die rechtliche Regelung der Weiterbildung
111.3 MaBnahmen der Lander zur Forderung der Weiterbildungsbeteiligung Alterer
111.4 Zusammenfassung

IV. Altere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
IV.1 Definitionen der „Alteren“
IV.2 Altersmodelle
IV.2.1 Das Defizit-Modell des Alters
IV. 2.2 Kompetenzmodell des Alterns
IV.3 Zusammenfassung

V. Beteiligung alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an beruflicher Weiterbildung
V. 1 Weiterbildungspartizipation
V.2 Typen alterer Weiterbildungsteilnehmer und Teilnehmerinnen nach Tippelt
V.2.1 Der sozial emotionale Typ
V.2.2 Der gemeinwohlorientierte-solidarische Typ
V.2.3 Der utilitaristische Typ
V.2.4 Der selbstabsorbierend-kontemplative Typ
V.3 Favorisierte Lernformen Alterer
V.4 Vor- und Nachteile spezieller Lernangebote fur Altere
V.5 Zusammenfassung

VI.Weiterbildungsbarrieren
VI.1 Differenzierung moglicher Weiterbildungsbarrieren
VI.1.1 Individuelle Faktoren
VI.1.2 Betriebliche Rahmenbedingungen
VI.1.3 Weiterbildungsanbieter
VI.2 Nichtteilnahme an beruflicher Weiterbildung nach Axmacher
VI. 3 Zusammenfassung

VII. Empirische Untersuchung
VII.1 Die qualitative Forschung
VII.2 Das Erhebungsinstrument „teilstandardisiertes Leitfadeninterview“
VII.3 Ziel der Befragung
VII.4 Interviewpartner
VII.5 Interviewablauf
VII.6 Aufbereitung und Auswertungsmethode
VII.7 Leitfragen und Kategoriensystem
VII.7.1 Leitende Fragestellungen
VII. 7.2 Kategoriensystem

VIII. Ergebnisse der Interviews
VIII. 1 Das Selbstkonzept
VIII. 1.1 Zusammenfassung
VIII. 2 Weiterbildungsmotivation
VIII. 2.1 Extrinsische Weiterbildungsmotivation
VIII. 2.2 Intrinsische Weiterbildungsmotivation
VIII. 2.3 Zusammenfassung
VIII.3 Bedeutung von Lernen
VIII.3.1 Zusammenfassung
VIII.4 Unterstutzungssysteme
VIII.4.1 Zusammenfassung
VIII.5 Barrieren in der beruflichen Weiterbildung Alterer
VIII.5.1 Zusammenfassung
VIII.6 Erwartungen an die berufliche Weiterbildung
VIII.6.1 Zusammenfassung
VIII.7 Relevanz altershomogener Weiterbildungsangebote in der beruflichen Weiterbildung
VIII.7.1 Zusammenfassung
VIII. 8 Bewertung der zukunftigen Bedeutung beruflicher Weiterbildung
VIII.8.1 Zusammenfassung

IX. Interpretation der Ergebnisse
IX. 1 Beantwortung der Fragestellungen
IX. 2 Diskussion

X. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungen

Abbildung 1: Graphische Darstellung der Bevolkerungsentwicklung und Altersstruktur in Deutschland von 1960-2060

Abbildung 2: Graphische Darstellung der Geburten in Deutschland von 1960-2006

Abbildung 3: Fertilitatsrate in Deutschland

Tabellen

Tabelle 1: Rechtliche Weiterbildungsregelung

Tabelle 2: Theoretische Grundannahmen qualitativer Forschung

Tabelle 3: Profile der Interviewpartner aus den Leitfadeninterviews

Tabelle 4: Zusammenfassung der Merkmale der Lerntypen aus der EdAge-Studie

Tabelle 5: Zusammenfassung der Merkmale der empirischen Ergebnisse uber altere Teilnehmer und Teilnehmerinnen beruflicher Weiterbildung

Abkurzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Weiterbildung unter dem Aspekt des demographischen Wandels -
Chancengleichheit oder Selektionsmechanismus?

§ 2

Aufgaben der Weiterbildung

„ Weiterbildung dient der Verwirklichung des Rechts auf Bildung. Sie soil durch bedarfsgerechte

Bildungsangebote zur Chancengerechtigkeit, insbesondere zur Gleichstellung von Frau und Mann und

von behinderten und nicht behinderten Menschen, beitragen, Bildungsdefizite abbauen, die Vertiefung,

Erganzung undErweiterung vorhandener oder den Erwerb neuer Kenntnisse, Fahigkeiten und

Qualifikationen ermoglichen und zu eigenverantwortlichem und selbstbestimmtem Handeln im privaten

und offentlichen Leben sowie zur Mitwirkung und Mitverantwortung im beruflichen und offentlichen

Leben befahigen.“

(W eiterbildungsgesetz Rheinland-Pfalz)

I. Einleitung

Diese Arbeit befasst sich mit den Moglichkeiten und Grenzen der beruflichen Weiterbildung alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Einleitend werden die Situation in Deutschland und die Tragweite des Sachverhalts erlautert.

I.1 Problembeschreibung

Weiterbildung hat sich in den letzten Jahrzehnten als ein wichtiger Bestandteil des deutschen Bildungssystems etabliert. Dabei ist Weiterbildung heute mehr als das Verfolgen privater Interessen. Vielmehr soll mit ihrer Hilfe jedem ermoglicht werden, die eigene Lebensqualitat, sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich, zu verbessern. Das Weiterbildungsgesetz des Landes Rheinland-Pfalz beispielsweise definiert in §2 die Bedeutung der Weiterbildung als Instrument zur Schaffung von Chancengleichheit. Betont wird dabei „die Gleichstellung von Frau und Mann und von behinderten und nicht behinderten Menschen“ (Ministerium der Justiz und fur Verbraucherschutz, o.J.).

In Anbetracht der demographischen Entwicklung in Deutschland und der
vorherrschenden Jugendorientierung in Gesellschaft und Wirtschaft halte ich fur die Zukunft eine Erganzung dieses und ahnlicher Gesetze fur notwendig, indem die Relevanz der Chancengleichheit fur Altere explizit betont wird.

Die Gesellschaft in Deutschland schrumpft und wird zunehmend alter, zahlreiche Artikel und Diskussionen zeichnen dustere Zukunftsbilder von verwaisten oder uberalterten Regionen und in der Wirtschaft wird bereits heute in verschiedenen Bereichen der Fachkraftemangel beklagt. Betrachtet man die Altersstruktur der arbeitenden Bevolkerung, ergeben sich aus dem demographischen Wandel weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen.

Verschiebt sich in den nachsten Jahren die Altersstruktur zunehmend nach hinten, wird vor allem die Gruppe 50+ eine tragende Rolle fur den Weiterbestand unserer Gesellschaft, des Sozialsystems und der Wirtschaftsstarke Deutschlands ubernehmen. Noch heute werden uber 50-Jahrige haufig „aussortiert“ bzw. finden sie nach einer Entlassung schwerlich eine Neuanstellung, welche ihren Qualifikationen entspricht. Jedoch wird es in Zukunft nicht mehr tragbar sein, qualifizierte Arbeitskrafte fruhzeitig in die Rente zu entlassen.

Neben der Wirtschaft hat die Politik die wachsende Bedeutung der beruflichen Weiterbildung erkannt und auf Landes- und Bundesebene Gesetze zur Forderung der Weiterbildung erlassen. So wird eine Brucke geschaffen, um die Bildungskluft zwischen Hoch- und Geringqualifizierten zu uberwinden, und jeder hat die Moglichkeit, sich weiterzubilden und auch im hoheren Lebensalter an seinem beruflichen Fortkommen zu arbeiten. Doch ist dies tatsachlich der Fall? Schafft Weiterbildung Chancengleichheit oder ist sie vielmehr ein weiteres Instrument der sozialen Selektion?

Insbesondere den Berufstatigen 50+ wird die berufliche Weiterbildung als Moglichkeit angepriesen, auf dem Arbeitsmarkt den eigenen Wert zu verbessern und konkurrenzfahig zu bleiben. Die Globalisierung, aber auch das Auflosen traditioneller Berufsbilder sowie das Entstehen neuer Berufe erfordern von den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen Flexibilitat in der Berufs- und Wohnortwahl, vor allem aber im Hinblick auf kognitive Fahigkeiten und die Lern- und Weiterbildungsbereitschaft. Viele Berufe sind korperlich nur in begrenztem Zeitrahmen ausfuhrbar, andere wiederum unterliegen rasanten technischen Entwicklungen. Kompetenzen, technisches Know-how und flexibles Reagieren auf Veranderungen innerhalb der Berufsbilder und Arbeitsablaufen erfordern eine stetige Weiterbildung. Aber auch im privaten Bereich gewinnt Weiterbildung zunehmend an Relevanz, sei es in der Gesundheitsbildung, Fremdsprachenbildung oder der Weiterentwicklung sozialer Kompetenzen. Gleichzeitig sind besagte Fahigkeiten und Kenntnisse mit der Berufswelt verwobene Kompetenzen, so dass sich die Partizipation an privater, allgemeiner Weiterbildungsbeteiligung zunehmend auf die individuellen Moglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt auswirkt.

Mit dieser Arbeit mochte ich untersuchen, ob die „freiwillige Verpflichtung“ zur beruflichen Weiterbildung Gleichberechtigung schafft oder vielmehr einen weiteren Selektionsmechanismus auf dem Arbeitsmarkt darstellt und jenen dient, die bereits einen Bildungsvorteil genieBen. Im Zentrum dieser Betrachtung stehen die Beschaftigten im 3. Lebensabschnitt. Welche Vor- und Nachteile ergeben sich fur sie aus der Teilnahme bzw. nicht-Teilnahme an MaBnahmen der beruflichen Weiterbildung und welches Bild entsteht bezuglich ihrer Weiterbildungsbeteiligung?

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Ziel der Forschungsarbeit ist die Beantwortung der Frage, wie berufliche Weiterbildung den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen 50+ eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt ermoglichen kann.

1.3 Aufbau der Arbeit

In Kapitel II werden die aktuelle demographische Situation in Deutschland sowie wichtige Komponenten des Wandels geschildert. Niedrige Geburtenzahlen stehen einer zunehmend langeren Lebenszeit gegenuber. Diese Entwicklungen fuhren dazu, dass die Arbeitskraft Alterer an Bedeutung gewinnt. Wurden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen 50+ bisher von Betrieben bevorzugt in die Altersteilzeit geschickt oder vorzeitig entlassen, so wachst heute deren Bedeutung als „Humankapital“ fur den Arbeitsmarkt wieder an. Nach der ausfuhrlichen Schilderung der Komponenten des demographischen Wandels in Kapitel II sowie der daraus resultierenden Konsequenzen wird deutlich, dass Veranderungen der Altersstruktur in Verbindung mit den Auswirkungen der Globalisierung und neuen technologischen Errungenschaften in naher Zukunft weitreichenden Einfluss auf die Entwicklungen am Arbeitsmarkt nehmen werden. Dieser Prozess geht mit Veranderungen auf dem Weiterbildungsmarkt einher und begrundet unter anderem die zunehmende Bedeutung beruflicher Weiterbildung. Welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf das Sozialsystem in Deutschland haben, wird anschlieBend in Form eines Uberblicks erlautert.

In Kapitel III erfolgen die Definition und eine historische Darstellung des Begriffs „Weiterbildung“. Im Rahmen dessen unternehme ich den als formal zu betrachtenden Versuch der Abgrenzung von allgemeiner, politischer und beruflicher Weiterbildung. In den letzten zehn Jahren hat vor allem die berufliche Weiterbildung an Teilnehmern und Teilnehmerinnen gewonnen und berufsorientierte Motive stellen den zentralen Beweggrund zur Partizipation an einer WeiterbildungsmaBnahme dar. Dabei ist es jedoch nicht immer moglich, eindeutig zwischen den Angebotsformen zu differenzieren. Weiterhin wird die rechtliche Regelung der Weiterbildung in Deutschland in Form eines Uberblicks erlautert. Neben dem Europarecht haben Bund und Lander ebenfalls gesetzliche MaBnahmen zur Forderung der Weiterbildungspartizipation erlassen. Erganzend erfolgt in Kapitel III. 3 die exemplarische Darstellung spezifische Weiterbildungsfordermoglichkeiten alterer Beschaftigter, welche von einigen Bundeslandern erlassen wurden. Dies deutet darauf hin, dass Politik und Wirtschaft die moglichen Folgen des demographischen Wandels erkannt haben und zunehmend Wert auf die berufliche Weiterqualifizierung alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen legen.

Im Anschluss werden die alteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren berufliche Weiterbildung im Zentrum dieser Arbeit steht, in Kapitel IV genauer definiert. Alter ist dabei nicht gleich Alter, viel mehr gilt es, zwischen kalendarischem, sozialem, biologischem und subjektivem Alter zu differenzieren. Hierzu werden Ergebnisse der jungsten Altersforschung vorgestellt die dazu beitragen, das bisher vorherrschende defizitare Bild des Alters zu widerlegen und stattdessen das Alter als Adaptionsaufgabe wahrzunehmen.

Nach der Beschreibung der Zielgruppe erfolgt in Kapitel V die Auseinandersetzung mit dem Weiterbildungsverhalten Alterer. Obwohl die alte Volksweisheit „Was Hanschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ heute als weithin widerlegt gilt fallt dabei auf, dass altere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der beruflichen Weiterbildung deutlich unterreprasentiert sind. In Kapitel V.2 werden anschlieBend die Ergebnisse der EdAge- Studie vorgestellt. Im Rahmen dieser Studie wurden zwischen 2006 und 2008 das Bildungsverhalten und das Bildungsinteresse der Menschen zwischen 45 und 80 Jahren erforscht und vier Typen alterer Weiterbildungsteilnehmer und Teilnehmerinnen erhoben (vgl. Nuissl 2009, S. 8). Um den Zugang alterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beruflicher Weiterbildung nachvollziehen zu konnen ist es weiterhin wichtig, sich mit deren Lernpraferenzen auseinanderzusetzen. Kapitel V.3 gibt einen allgemeinen Uberblick uber die Anforderungen alterer Weiterbildungsteilnehmer und Teilnehmerinnen. Dabei wird deutlich, dass Altere durchaus lernfahig sind, jedoch besondere Lernbedurfnisse entwickeln. Bestatigt werden diese Forderungen durch die Ergebnisse einer Untersuchung des Weiterbildungsverhaltens von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Flughafens Munchen.

Ablehnend hingegen stehen viele Altere ausgewiesenen Weiterbildungsangeboten 50+ gegenuber, wie in Kapitel V.4 deutlich wird. Zwar werden der Erfahrungs- und Interessenaustausch innerhalb der eigenen Altersgruppe positiv gewertet. Andererseits wird die Hervorhebung des Alters im Rahmen einer Weiterbildung als Betonung eines vermeintlichen Mangels, und in diesem Sinne als Benachteiligung, wahrgenommen.

Mit moglichen Weiterbildungsbarrieren setzt sich das Kapitel VI auseinander. Eine groBe Anzahl von Komponenten kann sich negativ auf die Beteiligung alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an beruflicher Weiterbildung auswirken. Neben individuellen Faktoren konnen sich betriebliche Rahmenbedingungen und angebotsbezogene Faktoren als weiterbildungshemmend erweisen. Der Einfluss externer Barrieren wird jedoch in Kapitel VI.2 durch Axmacher relativiert, indem er die Moglichkeit einer bewussten Entscheidung gegen die Weiterbildungspartizipation betont.

In Kapitel VII werden die Ergebnisse meiner empirischen Untersuchung zur Teilhabe alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an beruflicher Weiterbildung dargestellt. Hierzu verfolge ich den qualitativen Forschungsansatz und fuhre vier teilstandardisierte Leitfadeninterviews durch. Die aufgezeichneten Interviews werden transkribiert und an Hand der thematischen Codierung ausgewertet. Sowohl Forschungsansatz als auch Forschungs- und Auswertungsmethode werden vorab erlautert und die Interviewpartner sowie die Leitfragen und das Kategoriensystem dargestellt.

Die Ergebnisse der Interviews werden in Kapitel VIII an Hand ausgewahlter Aussagen analysiert und dargestellt. Ziel dieser Untersuchung ist es, Unterschiede im Zugang alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu beruflicher Weiterbildung aufzudecken und hieraus Konsequenzen fur die Zukunft der beruflichen Weiterbildung Alterer abzuleiten, indem Erkenntnisse bezuglich deren Weiterbildungsbeteiligung, Motiven und Einschatzungen des beruflichen Nutzens der beruflichen Weiterbildung gewonnen werden.

In Kapitel IX werden die Leitfragen mit Hilfe der empirisch gewonnenen Resultate beantwortet und mit den Ergebnissen der EdAge-Studie aus Kapitel V verglichen, um auf der Grundlage dieser Erkenntnisse die Frage beantwortet zu konnen, ob Weiterbildung Chancengleichheit schafft oder insbesondere bestimmte Gruppen alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen benachteiligt.

Das Fazit in Kapitel X fasst abschlieBend Empfehlungen zur Forderung eines gleichberechtigten Zugangs Alterer zu beruflicher Weiterbildung zusammen und richtet sich dabei an Politik, Unternehmen, die Weiterbildungsanbieter und die Gesellschaft.

II. Der demographische Wandel

In diesem Kapitel wird der Demographische Wandel dargestellt. Im Zentrum stehen hierbei die Komponenten des Wandels. Weiterhin werden die aus den Veranderungen resultierenden Auswirkungen beschrieben.

II.1 Definition „demographischer Wandel“

Der demographische Wandel in Deutschland ist Gegenstand zahlreicher Statistiken und steht im Zentrum arbeitsmarktpolitischer und sozialpolitischer Diskussionen. Auch innerhalb des Bildungssektors ist der demographische Wandel ursachlich fur tiefgreifende Veranderungen. Insbesondere der Bereich der beruflichen Weiterbildung hat auf Grund dessen in den letzten Jahren einen Bedeutungszuwachs erfahren. Im alltaglichen Sprachgebrauch erscheint die Definition des „demographischen Wandels“ klar. Die Deutschen leben langer und bekommen seit Jahren nicht genug Kinder, um die „Reproduktionsrate“ zu erhalten. In der Folge sind Vergreisung und eine starke Abnahme der Bevolkerung die Konsequenzen, es entsteht ein Fachkraftemangel und das Sozialsystem, besonders in den Bereichen Gesundheit und Altersversorgung, wird die negativen Auswirkungen bald zu spuren bekommen.

Politiker und Demographen beschreiben in Gesprachsrunden und Artikeln Szenarien von Altersarmut, Vergreisung, Engpassen in der Verpflegung der alternden Bevolkerung und den Zusammenbruch des Sozialsystems. Das Forum Demographischer Wandel, 2005 ins Leben gerufen und im Jahr 2009 abgeschlossen, der Sachverstandigenrat, die Kommission Familie und demographischer Wandel der Robert Bosch Stiftung, die Enquete Kommission, die OECD oder das Statistische Bundesamt sind nur ein kleiner Ausschnitt der Institutionen, die sich mit dem demographischen Wandel und seinen Folgen beschaftigen und die offentliche Diskussion mit ihren Erkenntnissen beleben.

Wandlungsprozesse sind naturliche Ablaufe in Gesellschaften. Technologische, wirtschaftliche und institutionelle Entwicklungen fuhren zu Veranderungen im sozialen Leben und somit zu einem sozialen Wandel. Der demographische Wandel kann aus zwei Perspektiven betrachtet werden. Zum einen ist es moglich, die Definition auf die Altersstruktur und somit auf die Geburten- und Sterberate einer Bevolkerung zu beschranken. Thomas Eckert bezeichnet dies als ein „enges Verstandnis“ (Eckert 2010, S. 7) des Wandels. Im Unterschied dazu bietet der Blick auf weitere Faktoren wie Bevolkerungsbewegungen und -entwicklungen ein umfassendes, „weites Verstandnis“ (ebd.) des Wandels. Im Rahmen dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt auf der Betrachtung und Analyse der Altersstruktur der Bevolkerung. Wanderungsbewegungen finden dabei, jedoch in untergeordneter Rolle, ebenfalls Berucksichtigung.

Die Aussagen uber den demographischen Wandel und seine Auswirkungen sind lediglich als Schatzungen zu betrachten und unterliegen regionalen Schwankungen. Ausschlaggebend fur regionale demographische Unterschiede sind unter anderem Wirtschaftsstarke, Wanderungsbewegungen sowie die Moglichkeit des Bildungszugangs.

In Deutschland zeigen sich seit 1970 signifikante Veranderungen im Verhaltnis von Geburten- und Sterbezahlen. Gesellschaftliche Entwicklungen und medizinische Neuentdeckungen fuhrten zu einem deutlichen Ruckgang der Geburtenzahlen einerseits, und einer signifikanten Verlangerung der Lebenszeit andererseits. Es entsteht eine zunehmende Lucke zwischen den Geburten- und Sterbezahlen, die sich langfristig auf die Gesamtbevolkerungszahl auswirken wird. Bei unveranderter Entwicklung der aktuellen Geburtenrate wird die deutsche Population im Jahr 2050 voraussichtlich auf 65 Millionen gesunken sein (Kosters 2006, S. 19).

Die folgende Graphik verdeutlicht den Wandel der Alterststruktur der deutschen Bevolkerung. Laut dieser Annahme verlauft der demographische Wandel zwar gemaBigter als von Kosters angegeben. Gleichzeitig wird jedoch auch hier deutlich, dass der Altersdurchschnitt der Deutschen in den kommenden Jahren voraussichtlich signifikant ansteigt, wahrend die Einwohnerzahl konstant abnehmen wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 (Quelle: Statistisches Bundesamt in: Bundeszentrale fur politische Bildung 2011, S. 4)

Im Folgenden werden die drei Hauptkomponenten des demographischen Wandels erlautert und es erfolgt ein Erklarungsversuch, weshalb sich die Altersstruktur Deutschlands innerhalb weniger Jahre signifikant verandert hat.

II.2 Die Komponenten des demographischen Wandels

Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass eine Erlauterung des demographischen Wandels die Basis zahlreicher wirtschaftlicher und politischer Argumentationen ist. „Demographie“ beschreibt den „Zustand und die Veranderung von Bevolkerung u. Bevolkerungsteilen mit statist. Methoden. Wichtige demograph. Kennzahlen sind Geburten- und Sterbeziffer, Wachstumsrate u. Lebenserwartung“ (Bertelsmann Lexikon 2007, S. 332). Schaffer bezeichnet den Begriff des Wandels als eine Veranderung, die von einem definierten Ausgangspunkt ausgeht, an Hand festgelegter Indikatoren und auf einen vorab determinierten Endpunkt hin gemessen wird (vgl. Schaffer 2010, S. 1f.).

Ausgangspunkt dieser Arbeit wird auf Grund der demographischen Veranderungen, die sich in Deutschland seit dieser Zeit manifestiert haben, der Anfang der 1970er Jahre sein. Trotzdem werden zur Veranschaulichung verschiedener Entwicklungen die vorherigen Jahrzehnte vereinzelt in die Analyse einbezogen werden. Den vorlaufigen Endpunkt dieser Betrachtung soll das Jahr 2050 darstellen. An dieser Stelle ist nochmals ausdrucklich zu erwahnen, dass es sich bei diesen Zahlen um Schatzungen handelt, die auf der derzeitigen Fertilitatsrate, den Sterbezahlen und Migrationsbewegungen der Gegenwart beruhen. Die Veranderung nur eines dieser Faktoren kann zur Veranderung samtlicher Statistiken fuhren.

Im Folgenden werden die drei bedeutsamsten Komponenten des demographischen Wandels vorgestellt.

II. 2.1 Der Geburtenruckgang

In der Mitte der 1960er Jahre fuhrten zahlreiche Faktoren, unter anderem die Erfindung und Verbreitung der Pille und die zunehmende Unabhangigkeit der Frau, in Deutschland und weiten Teilen Europas zu tiefgreifenden Veranderungen im Fertilitatsverhalten. Ich werde mich in meinen Ausfuhrungen jedoch auf die Situation in Deutschland beschranken.

Die folgende Graphik zeigt, dass die durchschnittliche Kinderzahl je Frau in Deutschland seit 1991 bundesweit dauerhaft unter 1,5 Kindern liegt. Um jedoch die notwendige „Reproduktionsrate“ zu erhalten ware eine Zahl von mindestens 2,1 Kindern je Frau notwendig. Die Reproduktionsrate bezeichnet die Kinderanzahl pro Frau die notig ware, um die GroBe der Bevolkerung stabil zu halten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 (Quelle: Statistisches Bindesamt in: Bundeszentrale fur politische Bildung 2011, S. 7)

In Anbetracht der 2010 auf 1,39 leicht gestiegenen Geburtenrate sprechen manche hingegen von einer sich abzeichnenden „Trendwende“ (vgl. Sueddeutsche 2011, o.S.). Auch wenn neuste Forschungen des Max-Plank-Instituts fur demographische Forschung sogar von Fehlerhebungen der letzten Jahre ausgehen und die Geburtenrate seit 2001 auf jahrlich 1,6 anheben (vgl. Mockel 2011 in: Zeit online, S. 1), ist auch diese Rate nicht hoch genug, um dem demographischen Wandel entgegenzuwirken.

Im Rahmen einer reprasentativen Umfrage des Jahres 2005 gaben 26,3% der befragten Manner zwischen 20 und 39 sowie 14,6 % der gleichaltrigen Frauen an, kinderlos bleiben zu wollen (vgl. Kosters 2006, S. 19).

Neben wirtschaftlichen Faktoren sind der Erhalt des Lebensstandards sowie der Wunsch nach Unabhangigkeit zunehmend Beweggrunde, sich fur dauerhafte Kinderlosigkeit zu entscheiden. Vor allem Frauen mochten haufig nicht mehr auf eine Karriere verzichten. Mit steigendem Bildungsgrad und zunehmender Emanzipation nimmt die Bereitschaft der Frauen ab, ihre Karriere fur ein Kind „aufs Spiel“ zu setzen. Mit dem Anstieg nichtehelicher Lebensgemeinschaften und Einpersonenhaushalten, vornehmlich im stadtischen Raum, schwindet die Verbindlichkeit der Partnerschaft. Dies wiederum fuhrt ebenfalls zu einem Ruckgang der Geburtenzahl. Des Weiteren steigt das Alter bei der Erstheirat sowohl bei Frauen, als auch bei Mannern an. Da Ehen haufig nach bereits 3-6 Jahren (vgl. ebd.) geschieden werden, enden viele dieser kurzen Ehen kinderlos. Gleichzeitig steigt das Alter der Frauen bei der Erstgeburt.

Andererseits ermoglichen die verschiedenen VerhutungsmaBnahmen eine bewusste zeitliche Planung des Nachwuchses. Die folgende Graphik verdeutlicht die Situation des Gebarverhaltens und erklart das Schrumpfen der Bevolkerung bei konstanter Fertilitatsrate. Ausschlaggebend fur die Messung der Fertilitatsrate ist dabei das „Gebarverhalten der Frauen zwischen 15 und 45 Jahren“ (Kosters 2006, S. 19). Dabei veranschaulicht das Schaubild, dass es nicht moglich ist, diesem Trend entgegenzuwirken, da die Gebarenden eine unrealistische Zahl von 3 Kindern vorweisen musste, um den bisherigen Geburtenruckgang aufzufangen (a.a.O., S. 40).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 (Quelle: Kosters 2006, S. 40)

Trotz staatlicher Zuschusse zur Familienforderung regen finanzielle Anreize, entgegen der Hoffnungen zahlreicher Politiker, nur in geringem MaBe zum Ausbau der FamiliengroBe an. Dies liegt einerseits daran, dass man die Lebensentwurfe, die vermehrt auf Unabhangigkeit und Selbstverwirklichung ausgerichtet sind, nicht mit monetaren Mitteln beeinflussen kann. Weiterhin mangelt es an Angeboten zur Kinderbetreuung. Kinder erscheinen im Allgemeinen haufig eher als Belastung denn als Bereicherung.

Betonen mochte ich an dieser Stelle nochmals, dass vor allem gut bis hoch qualifizierte Frauen kinderlos bleiben, wohingegen bildungsferne Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund hohere Geburtenraten vorweisen. Dies kann sich auf die Qualifikation und das Bildungsverhalten kunftiger Generationen negativ auswirken.

II.2.2 Gestiegene Lebenserwartung

Medizinische Errungenschaften wie Antibiotika, verbesserte hygienische Bedingungen und der Zugang zu gesunder Ernahrung fuhrten zu einem Ruckgang der Sauglingssterblichkeit sowie einem signifikanten Anstieg der Lebenserwartung. So stieg die Lebenserwartung allein in dem Zeitraum von 2005-2010 signifikant an (vgl. Statistisches Bundesamt o.J., o.S.). Die Menschen werden jedoch nicht nur zunehmend alter, sie bleiben auch langer aktiv. Andreas Kruse beschreibt Aktivitat als „die zielbewusste, gezielte, auf Erhaltung oder Herstellung eines Zustandes in der Person oder ihrer Umwelt gerichtete, in ihrer Ausfuhrung kontinuierlich kontrollierte Handlung“ (Kruse 2008, S. 24).

Auffallig ist dabei, dass Frauen schon seit Ende des 18. Jahrhunderts langer leben als Manner und sich dieser Unterschied in den letzten Jahrzehnten weltweit deutlich verstarkt hat (vgl. Hopfinger/Stuckelberger 1999, S. 36f.). Dies gilt sowohl fur alle Altersgruppen als auch fur die verschiedensten Todesursachen wie „Unfalltod und Selbstmord als auch fur Krebserkrankungen, Herz- und Kreislaufstorungen“ (ebd.). Die Ursachen fur die besseren Uberlebenschancen der Frauen sind vielfaltig und beginnen bereits in der Wiege. Auf 100 Madchen kommen 105 mannliche Geburten, doch liegt die Sauglingssterblichkeit der Jungen hoher (vgl. ebd.). In der Lebensmitte starken hormonelle Veranderungen das Immunsystem der Frau auf besondere Weise. Im Alter leiden Frauen haufiger als Manner unter chronischen Erkrankungen, diese nehmen jedoch seltener einen todlichen Verlauf als die Erkrankungen ihrer mannlichen Altersgenossen (vgl. ebd.). Generell lasst sich bei Frauen eine ausgeglichene, gesundere Lebensweise feststellen. Neben dem Ernahrungs- und Risikoverhalten wirken sich Sozialverhalten und regelmaBige Arztbesuche sowie die Beobachtung der eigenen Gesundheit und korperlicher Signale positiv auf die Lebenserwartung von Frauen aus.

Betrachtet man die Verteilung der Menschen uber 60 Jahren auf die Haushalte ergibt sich, dass in jedem 3. Haushalt mindestens eine Person 60+ lebt (vgl. Kosters 2006, S. 52). Mit Hilfe des Altenquotienten wird das Verhaltnis der uber 60-Jahrigen zu den 20-Jahrigen dargestellt. Der Altersquotient wird bis 2015 noch unter 50, danach stets uber 50 liegen. Dies bedeutet, „dass auf 100 Menschen im Alter von 20 bis 60 Jahren 50 Menschen kommen, die uber 60 Jahre alt sind“ (ebd.).

11.2.3 Wanderungsbewegung

Es gilt verschiedene Formen der Wanderungsbewegung zu differenzieren. Die innendeutsche Binnenwanderung bezeichnet Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands, meist vom Land hin zur Stadt sowie aus dem Osten Deutschlands in den Westen, was zur „Verweisung“ ganzer Landstriche fuhrt. Als Immigration hingegen bezeichnet man die Wanderungsbewegung auslandischer Menschen nach Deutschland. Sie „berucksichtigt zum einen Menschen mit einem auslandischen Pass, aber auch Menschen, die zwar uber die deutsche Staatsburgerschaft verfugen, gleichwohl einen Migrationshintergrund haben“ (a.a.O., S. 37f). Aktuell leben 15,3 Millionen (vgl. a.a.O., S. 48) Menschen mit auslandischen Wurzeln in Deutschland.

Zwar gilt Deutschland als Einwanderungsland, entgegen verbreiteter Meinung hat es aber in den letzten Jahren an Attraktivitat fur Zuwanderer verloren. Viele Menschen mit Migrationshintergrund benotigen zusatzliche Bildungs-, Forderungs- und Integrationsangebote, um sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewahren zu konnen. Im Gegensatz dazu wandern zahlreiche, meist junge und hochqualifizierte Deutsche aus und hinterlassen auf dem Arbeitsmarkt eine Lucke bei den benotigten Fachkraften (vgl. a.a.O., S. 49f.). In Anbetracht dieser Entwicklungen wird die berufliche Weiterqualifizierung des Personals, gerade der alteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, zunehmend an Bedeutung gewinnen.

11.3 Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf das Sozialsystem und den Arbeitsmarkt

Deutschlands Alterssicherung basiert auf dem Sozialversicherungssystem. Die Grundlage bildet der Generationen-Vertrag. Dieser Vertrag besagt, dass der arbeitende Teil der Bevolkerung „die noch nicht und die nicht mehr erwerbsfahigen Generationen“ (Mertins 1997, S. 22) finanziell unterhalt. In diesem Sinne spricht man auch von einem drei-Generationen-Vertrag. Durch die demographische Alterung der Bevolkerung wird dieses Modell jedoch zu einem funf-Generationenvertrag und langfristig nicht mehr finanzierbar sein. Dies fuhrt zu Losungsansatzen wie der Verlangerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre, die bis zum Jahr 2029 schrittweise eingefuhrt wird. Flexibilisierung der Arbeitszeit und die Forderung der Altenerwerbstatigkeit sollen neben anderen MaBnahmen dazu beitragen, die Lucke zwischen Zahlenden und Zahlungsempfangern zu verkleinern (vgl. ebd.). Doch weitere Ansatze sind dringend notwendig, denn folgt man Winfried Kosters, so wird die deutsche Bevolkerung bis zum Jahr 2050 jahrlich um 200.000 Einwohner schrumpfen. Weiterhin wird - unter unveranderten Bedingungen - jeder Arbeitnehmer 1,3 Rentner unterhalten (Kosters 2006, S. 7). Fruhrente und Langzeitarbeitslosigkeit der uber 50 Jahrigen kann unter diesen Umstanden und Angesicht des zunehmenden Fachkraftemangels nicht mehr gewahrleistet werden, und langfristig ist auch die Beschaftigungsquote von 38,4% (vgl. ebd.) unter den 55-64 Jahrigen nicht mehr tragbar. Aus diesen Grunden ist eine stetige berufliche Weiterqualifizierung, gerade im Alter zur Sicherung des Arbeitsplatzes, unverzichtbar.

II.4 Zusammenfassung

In diesem Kapitel ist deutlich geworden, dass in der Zukunft gesellschaftliche Veranderungen eintreten, uber deren AusmaB bisher nur gemutmaBt werden kann. Ahnliches gilt fur die daraus folgende Beschaftigungsquote alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. In den vergangenen Jahren haben rucklaufige Geburtenzahlen einerseits und die verlangerte Lebenszeit andererseits zu einer Alterung der Gesamtbevolkerung gefuhrt. Der Geburtenruckgang in Verbindung mit dem zunehmenden Wanderungssaldo fuhrt zudem zu einer signifikanten Abnahme der Gesamtbevolkerungszahl in Deutschland. Beide Tendenzen werden sich in den kommenden Jahren voraussichtlich verstarken. Die hieraus entstehenden Folgen fur Wirtschaft und Sozialsystem sind bisher in ihrem vollen Umfang nicht absehbar, doch ist davon auszugehen, dass sich aus den Veranderungen weitreichende, negative Konsequenzen ergeben. Neben „Singularisierung, Femininisierung und Vergreisung“ (Kosters 2006, S. 56) wird Altersarmut ein Thema sein, mit welchem die deutsche Gesellschaft sich in Zukunft auseinandersetzen muss. Gleichzeitig ist der „Fachkraftemangel“ ein sich in vielen Teilbereichen der deutschen Wirtschaft ausweitendes Problem.

Somit gilt es, die Potenziale der Alteren zu erkennen, zu wurdigen, zu aktivieren und zu nutzen. Auch den betroffenen Alteren muss den Sinn einer stetigen Kompetenzerweiterung und Kompetenznutzung deutlich gemacht werden. Die Teilnahme an beruflichen WeiterbildungsmaBnahmen wird unter diesen Umstanden besonders fur die Manner und Frauen 50+ eine wichtige Voraussetzung fur berufliche und private Zufriedenheit bilden, da Fruhverrentung und Altersteilzeit vermutlich bald der Vergangenheit angehoren. Gleichzeitig ist die alternde und schrumpfende Gesellschaft auf die Potenziale Alterer angewiesen. Hierdurch erhalt die Gruppe der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen 50+ eine wachsende Bedeutung in der Arbeitswelt. Wurden und werden sie bisher haufig in der Wirtschaftswelt „aussortiert“, bei WeiterbildungsmaBnahmen benachteiligt und als „unflexibel“ abgestempelt, dringt nun vermehrt die Erkenntnis durch, dass die Alteren in naher Zukunft dringend benotigtes Humankapital bereithalten, welches es durch berufliche Weiterbildung zu fordern gilt. Hierbei stellt sich jedoch schnell heraus, dass nicht jeder dieselben Voraussetzungen mitbringt und berufliche Weiterbildung nicht von allen auf die gleiche Weise genutzt wird bzw. genutzt werden kann.

Im folgenden Kapitel wird, bevor eine tiefere Auseinandersetzung mit alteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in der beruflichen Weiterbildung erfolgen kann, mit Hilfe einer stark verkurzten geschichtlichen Darstellung der Weiterbildungslandschaft sowie der zahlreichen rechtlichen Regelungen, ein Uberblick uber die Komplexitat des Feldes dargestellt.

III. Die Weiterbildungslandschaft in Deutschland

III. 1 Geschichte und aktuelle Situation der Weiterbildung

Die berufliche Weiterbildung hat im Rahmen der demographischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte einen deutlichen Bedeutungszuwachs erfahren. Die Veranderungen der Bevolkerungsstruktur und die daraus resultierende Notwendigkeit einer verlangerten Lebensarbeitszeit machen eine stetige berufliche Weiterqualifizierung unumganglich.

Erst um 1970 erhielt die Weiterbildung im deutschen Bildungssystem den Status des Quartarbereichs und somit die Anerkennung eines vollwertigen Bestandteils des Bildungssystems. Definiert wurde die Weiterbildung vom Deutschen Bildungsrat 1970 als “Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase“ (Deutscher Bildungsrat zit. nach: Dehnbostel 2008, S. 12). Heute ist die Definition der Weiterbildung auf Grund veranderter gesellschaftlicher und technischer Bedingungen weiter gefasst, bezieht kulturelle und wissenschaftliche Weiterbildung ein und raumt auch selbstgesteuertem Lernen sowie der Fernlehre Bedeutung ein. Da informelle Prozesse jedoch schwer mess- und nachvollziehbar sind, beziehe ich mich in meiner Betrachtung auf die Ausfuhrung von 1970. In der Bildungsreform 1974 differenzierte die Bund-Lander- Kommission fur Bildungsplanung die Weiterbildungsschwerpunkte allgemeine, politische und berufliche Weiterbildung, wobei allgemeine und politische Weiterbildung heute haufig als Erwachsenenbildung zusammengefasst werden (vgl. ebd.) Eine klare Abgrenzung der verschiedenen Bereiche wird zunehmend schwieriger und scheint haufig lediglich aus formalen Grunden zu erfolgen. Gegenwartig umfasst die allgemeine Weiterbildung samtliche Bildungsangebote, welche nicht in Beziehung zum ausgeubten Beruf stehen. Berufliche Weiterbildung hingegen steht im direkten Zusammenhang zu dem jeweiligen Beruf. Von letzterer ist dabei die betriebliche Weiterbildung, die in der Regel durch den jeweiligen Betrieb organisiert ist und vor Ort durchgefuhrt wird, zu differenzieren. Die zentrale Motivation zur Weiterbildungspartizipation sind heute beruflich orientierte Grunde. Aktuell gaben laut dem AES (Adult Education Survey) 82% der Befragten berufliche, und 18% der Befragten private Teilnahmemotive an (vgl. Rosenbladt/Bilger 2008, S. 71).

Der Weiterbildungsmarkt ist auf Grund der Vielzahl von Anbietern und Angeboten unubersichtlich und stark ausdifferenziert. Prozentual wurden im Jahr 2008 mit 55% die meisten WeiterbildungsmaBnahmen von Betrieben angeboten. Grund hierfur sind mit hoher Wahrscheinlichkeit die berufs- und betriebstypischen Weiterbildungs- erfordernisse, welche uber die betriebliche Weiterbildung abgedeckt werden sollen. Es folgen mit 17% Weiterbildungseinrichtungen wie z.B. VHS, andere Bildungs- bzw. offentliche Einrichtungen wie z.B. Hochschulen mit 11%, Verbande und Vereinigungen wie beispielsweise Gewerkschaften mit ebenfalls 11%, und mit 7% haben die Angebote uber Einzelpersonen den geringsten Marktanteil (vgl. Gnahs 2010, S. 18f.).

Der Weiterbildungsmarkt in Deutschland ist nicht nur unubersichtlich, auch gibt es keine einheitliche rechtliche Regelung der Weiterbildung.

III.2 Die rechtliche Regelung der Weiterbildung

Im Folgenden wird eine Ubersicht uber die Vielzahl von Richtlinien und Gesetze zur rechtlichen Regelung der Weiterbildung dargestellt. Hierbei wird jedoch kein Anspruch auf Vollstandigkeit erhoben, vielmehr soll deutlich werden, wie unuberschaubar dieses Rechtsfeld ist. Die rechtliche Regelung der Weiterbildung unterliegt europaischen Richtlinien wie dem Vertrag von Lissabon. Andererseits regelt das Bundesrecht in Form von z.B. Sozialgesetzbuch II und III, dem Berufsbildungsgesetz oder dem Bundesausbildungsforderungsgesetz die Anspruche auf Forderung. Als ein bundesweites Programm zur Forderung der beruflichen Weiterbildung Erwerbstatiger ist die Bildungspramie zu nennen, die Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen mit niedrigem Gehalt mit bis zu 500 Euro im Rahmen einer WeiterbildungsmaBnahme im Jahr unterstutzt. Dominierend ist bei Bildungsfragen jedoch, auf Grund der Kulturhoheit der Lander, das jeweilige Landerrecht. So unterliegen die Regelung der Weiterbildung sowie der Anspruch auf Bildungsurlaub landerspezifischen Regelungen (ausfuhrlich vgl. Grotluschen/Haberzeth/Krug 2010, S. 347ff.).

Die folgende Tabelle soll einen Uberblick uber die Vielzahl von Gesetzen zur Weiterbildung in Europa, und Deutschland im Speziellen, geben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 (Quelle: Grotluschen/Haberzeth/Krug 2010, S. 347)

Mit Blick auf den demographischen Wandel und die hieraus entstehenden Folgen erlasst die Politik auf Bundes- und Landerebene Gesetze und Programme zur Forderung der Weiterbildungsbeteiligung alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Im Folgenden werden Beispielmodelle verschiedener Bundeslander vorgestellt.

111.3 MaOnahmen der Lander zur Forderung der Weiterbildungsbeteiligung Alterer

Als Beispiel der Weiterbildungsforderung dient z.B. der QualiScheck in Rheinland- Pfalz. Mit Hilfe dieses Gutscheins sollen kleine und mittlere Unternehmen sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Rheinland-Pfalz dabei unterstutzt werden, ihre wirtschaftliche und berufliche Perspektive durch Weiterbildung zu verbessern und abzusichern. Die Forderung ist auf vorab definierte Gruppen ab 45 Jahren beschrankt und an vorbestimmte Bedingungen gebunden (ausfuhrlich vgl. Rheinland-Pfalz 2011, o.S.). Gefordert werden sozialversicherungspflichtig Beschaftigte entsprechenden Alters, Berufsruckkehrer und Berufsruckkehrerinnen sowie Selbststandige und Freiberufler und Freiberuflerinnen. Kleine und mittlere Unternehmen konnen fur ihre alteren Mitarbeiter ebenfalls Forderung beantragen.

Im Rahmen des QualiSchecks werden „50% der Kosten fur eine berufliche WeiterbildungsmaBnahme bis zu maximal 500 Euro pro Person und Jahr gefordert“ (ebd.). An dieser Stelle ist anzumerken, dass Hessen mit dem QualifikationsScheck, und auch Baden-Wurttemberg Forderprogramme mit ahnlichen Rahmenbedingungen anbietet.

Ebenso richtet sich der BildungsScheck in Nordrhein-Westfalen sowohl an Beschaftigte als auch Unternehmen, und es sollen besonders Benachteiligte durch die Forderung erreicht werden. Hier werden ebenfalls einmal im Jahr pro Person 50% der Kosten einer beruflichen WeiterbildungsmaBnahme, dabei hochstens 500 Euro, ubernommen. Unternehmer und Unternehmerinnen sowie Freiberufler und Freiberuflerinnen konnen, unter ahnlichen Voraussetzungen wie in Rheinland-Pfalz, ebenfalls Forderung erhalten. Zentral richtet sich das Forderangebot neben Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen 50+ dabei an Beschaftigte ohne Berufsabschluss, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die seit uber vier Jahren nicht mehr im erlernten Beruf tatig sind, Beschaftigte in befristeten Verhaltnissen sowie Zeitarbeitskrafte und Berufsruckkehrer (ausfuhrlich vgl. Ministerium fur Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, o.J., o.S.).

111.4 Zusammenfassung

Die einzelnen Bereiche der Weiterbildung in Deutschland haben in den letzten vierzig Jahren unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen. Aktuell gewinnt die berufliche Weiterbildung zunehmend an Bedeutung und ist von der privaten, allgemeinen Weiterbildung zu unterscheiden. Kritisch betrachtet ist es fraglich, wie sinnvoll eine Trennung beruflicher und allgemeiner Weiterbildung sein kann, da beide Bereiche zunehmend miteinander verwoben sind und die (formale) Trennung zu Komplikationen bezuglich der wechselseitigen Anerkennung erworbener Qualifikationen fuhrt (vgl. Dehnbostel 2008, S. 12). Gleichzeitig differenziert sich die berufsbezogene Weiterbildung in berufliche und betriebliche Weiterbildung. Die Vielzahl unterschiedlichster Weiterbildungen, Qualifikationen und Anbieter in Verbindung mit den zahlreichen rechtlichen Regelungen auf Europa-, Bundes- und Landesebene bieten insgesamt ein unubersichtliches Gesamtbild. Unwissenheit und geringe Vorerfahrung mit Weiterbildungen konnen sich gerade fur bisherige Nichtteilnehmer und Nichtteilnehmerinnen zusatzlich hemmend auswirken. Altere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die sich in der Vergangenheit nicht weitergebildet haben, sind im Besonderen die Leidtragenden. Haufig mangelt es ihnen an Informationen uber aktuelle Angebote, Anforderungen und Moglichkeiten. Spezifische Regelungen wie der Qualischeck in Rheinland-Pfalz konnen sich aber nur dann als erfolgreich und forderlich erweisen, wenn die Zielgruppe durch Medien, Vorgesetzte, Arbeitsamter und Weiterbildungsanbieter regelmaBig uber aktuelle Angebote und Rechtsgrundlagen informiert werden. Mit Betonung dieser notwendigen Unterstutzung soll jedoch keinesfalls das Bild der hilflosen Alteren bedient werden. Die Gruppe der alteren Menschen ist weder als homogen, noch als defizitar gepragt zu betrachten. Im nachsten Kapitel werden darum die Alteren differenziert dargestellt und „das Alter“ aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

IV. Altere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen

IV. 1 Definitionen der „Alteren“

Altere Menschen sind einerseits weise und erfahren, andererseits von einem stetigen korperlichen und geistigen Verfall betroffen. Dies war das gangige Altersbild, welches in den letzten Jahren in der Gesellschaft, vor allem aber in der Arbeitswelt, herrschte. Auch heute pragt diese Vorstellung nach wie vor haufig die Entscheidungen in Personalabteilungen und beeinflusst gleichzeitig die Selbsteinschatzung alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Langsam aber setzt ein Wandel ein, nicht nur in Film und Werbung werden zunehmend agile, unternehmungsfreudige und findige Altere inszeniert. In der Wirtschaft setzt ein bisher noch zaghaftes Umdenken bezuglich der Fahigkeiten Alterer ein. Doch wie wird Alter definiert und wer sind diese alteren Menschen?

Schnell wird klar, dass es nicht die homogene Gruppe „die Alten“ geben kann. So differenziert beispielsweise Kosters das Alter in vier Stadien: reife Erwachsene mit 50+, Senioren 65+, Hochbetagte 80+ und ab 100+ spricht er von den Langlebigen (Kosters 2006, S. 118). Weiterhin wird heute zwischen dem kalendarischen, dem biologischen, dem sozialen und dem subjektiven Alter unterschieden, welche nicht notwendigerweise miteinander im Einklang stehen mussen. Im Laufe der Zeit verschiebt sich das Alter auf Grund der langeren Lebenserwartung und besseren Allgemeingesundheit zunehmen nach hinten. Oswald (Oswald 2000, S. 107) stellt dies an einem Rechenbei spiel dar. Waren 1910 Menschen auf Grund der allgemein niedrigen Lebenserwartung zwischen 20 und 40 bereits alt und ab 40 sehr alt, so gelten im Jahr 2030 voraussichtlich erst 50 bis 68-Jahrige als alt und ab 68 Jahren als sehr alt. Von dem Alter muss andererseits das Altern differenziert werden. „Altern ist ein dynamischer und individuell recht unterschiedlich verlaufender Prozess, welcher nach Max Burger die irreversible Veranderung der lebenden Substanz als Funktion von Zeit und nach neuerem Verstandnis auch Umwelt umfasst“ (a.a.O., S. 108).

Das Alter beschaftigt die Forscher seit geraumer Zeit und so sind zahlreiche Theorien und Modelle des Alters und des Alterns entstanden, die einerseits durch gesellschaftliche Entwicklungen gepragt wurden, andererseits aber auch ihrerseits pragend Einfluss nahmen. Um zu verdeutlichen wie sich die Sichtweise auf das Alter in den letzten Jahren entwickelt hat, werden im Folgenden zwei gegensatzliche Modelle vorgestellt.

IV. 2 Altersmodelle

Alter wird auch heute noch haufig als negativ und defizitar wahrgenommen. Hopflinger und Stuckelberger erarbeiten wesentliche Grundvorstellungen des Alters aus ausgewahlten Diskussionen. Besonders verbinden demnach meist junge Menschen das Alter mit Isolation, Einsamkeit, Depression und Abhangigkeit. Altere Menschen nennen wesentlich haufiger als Junge „mangelnde Anpassungsfahigkeit und kognitive EinbuBen“ (Hopflinger/Stuckelberger 1999, S. 65) als negative Konsequenzen des Alters und bezeichnen ihre Altersgenossen in ihrer Einstellung als eher konservativ. Ein weiteres Klischee ist bezuglich der Gesundheit erkennbar. So wird alt meist mit krank gleichgesetzt (vgl. a.a.O., S.66). Andererseits weckt der Begriff „Alter“, besonders bei Jungeren, die Assoziation mit Weisheit. Kontrar hingegen ist das Bild der Aktivitat Alterer. Gerade altere Befragte sehen sich vermehrt als aktiv, wahrend nur knapp die Halfte der befragten Jungeren ihnen diese Eigenschaft zuschreibt. Gleichzeitig vertritt aber ein GroBteil der befragten Alteren das traditionelle Bild des geruhsamen Alters (vgl. ebd.). Altere und jungere Erwachsene begegnen dem Alter sowohl mit positiven als auch negativen Zuschreibungen. Ein besonders negatives Bild des Alter(n)s wurde durch das Defizit-Modell des Alters gepragt. Im Gegensatz hierzu bietet das Kompetenzmodell eine positive, individuelle Sicht auf das Alter und seine Prozesse.

IV. 2.1 Das Defizit-Modell des Alters

Das Alter scheint ein defizitarer Prozess und durch stetigen Abbau gepragt zu sein. Altere Menschen erscheinen nicht nur unflexibler als jungere, es mangelt ihnen auch an Lernbereitschaft und Innovationskraft. Gleichzeitig sinkt die korperliche Leistungsfahigkeit. Besonders die Ergebnisse aus der psychologischen Forschung Anfang des 20. Jahrhunderts haben dazu beigetragen, dass sich dieses Bild von alteren Menschen in der kollektiven Wahrnehmung etabliert hat und auch das Selbstbild der Betroffenen bis heute pragt. Wer sich selbst jedoch als unzureichend wahrnimmt und davon ausgeht, dass man im Alter weniger leistungs- und lernfahig ist als noch mit dreiBig Jahren, wird auf Grund dieser negativen Selbsteinschatzung eine geringe Motivation verspuren, sich weiterzubilden. Die Vorstellung uber die eigene Gedachtnisleistung bzw. Leistungsfahigkeit scheint ausschlaggebender zu sein als das kalendarische Lebensalter (vgl. Lehr 2000, S. 100).

Das Defizitmodell wird heute aus zahlreichen Grunden in der Forschung zunehmend abgelehnt. Verschiedene Mangel im Forschungsprozess werfen Fragen bezuglich der Vergleichbarkeit und Allgemeingultigkeit der Anfang des 20. Jahrhunderts gewonnenen Ergebnisse auf. Im Rahmen von Intelligenztests wurden die Leistungen von Jungeren und Alteren verglichen und in Form eines Durchschnittswerts zusammengefasst (vgl. Schopf 2007, S. 10). Jene Resultate ergaben, dass die Intelligenz zwischen 18 und 25 Jahren ihren Zenit erreicht. Ab 30 Jahren bereits setzt laut dieses Modells der Verfallsprozess ein, welcher sich mit zunehmendem Alter beschleunigt.

Kritisiert wird dieses Modell auf der Basis des Konzeptes der allgemeinen Intelligenz, da verschiedene Dimensionen der Intelligenz auBer Acht gelassen werden. Heute differenziert man die fluide und die kristalline Intelligenz. Erstere umfasst z.B. Aufmerksamkeit und die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, welche mit zunehmendem Alter tatsachlich nachlassen. Die kristalline Intelligenz hingegen steht fur das pragmatisch-handlungsorientierte Denken, welches „mit zunehmendem Erfahrungs- und Wissensschatz und somit mit dem Lebensalter wachst“ (a.a.O., S. 11). Zudem erfolgten viele dieser Studien in Form von Querschnittstudien und lieBen somit wichtige Aspekte wie z.B. die Bildungsbiographie auBer Acht.

Einen anderen Ansatz liefert das Kompetenzmodell des Alterns, welches weitaus positiver auf das Alter blickt und individuelle Moglichkeiten und Ressourcen betont.

IV. 2.2 Kompetenzmodell des Alterns

Das Kompetenzmodell weicht von dem Vergleich der Fahigkeiten zwischen Jung und Alt ab. Stattdessen wird betont, dass das Verhalten im Alter durch „die Anforderungen, die sich an die Person richten, und den vorhandenen personlichen Ressourcen zu deren Bewaltigung“ (Oswald 2000, S. 109) beeinflusst wird. Dies bedeutet, dass Verhalten das komplexe Resultat der Interaktion von Umgebungs- und Personenfaktoren darstellt, wobei die individuelle Kompetenz das „relationelle Verhaltnis“ (ebd.) definiert.

Dieser Ansatz geht somit nicht von dem stetigen Verfall und den zunehmend defizitaren Entwicklungsprozessen des Alters aus. Vielmehr richtet sich der Blick auf ein umfassendes Gesamtbild interagierender biologischer, okologischer, sozialer und psychischer Faktoren (vgl. ebd.). Zentral sind im Rahmen dessen die Verarbeitungsprozess von Reizen. Laut Kompetenzmodell ist die Entwicklung im Alter somit weniger ein Abbauprozess als vielmehr „durch Adaptionsvorgange gekennzeichnet“ (ebd.). Veranderte Umstande, Lebenssituationen und Veranderungen im Bekanntenkreis oder korperliche Veranderungen sind in diesem Sinne nicht als Defizit zu betrachten. Vielmehr stellen sie Herausforderungen dar, an welche sich der altere Mensch mit Hilfe seiner Ressourcen anpassen kann und muss.

IV.3 Zusammenfassung

Das jahrelang defizitar gepragte Bild des Alters weicht auf Grund der alter werdenden Gesellschaft und neuer Forschungsergebnisse der Gerontologie einem neuen, positiveren Bild vom Alter. Die Chancen und Moglichkeiten der letzten Lebensjahrzehnte werden in der Gesellschaft zunehmend erkannt. Das gesellschaftliche Bild alterer Menschen wirkt sich wesentlich auf deren Weiterbildungsbeteiligung aus, da das Gefuhl der Selbstwirksamkeit Einfluss auf die Weiterbildungsbereitschaft nimmt. Ein defizitares Bild des Alters wird von neuen Vorstellungen und Theorien abgelost, die in der Gesellschaft jedoch noch nicht vollkommen „angekommen“ sind. Vergleicht man das defizitare Bild des Alters mit positiveren Modellen, so wird dem Alter ein Teil seines gesellschaftliche konstruierten Schrecken genommen. Das Kompetenzmodell des Alterns verdeutlicht, dass das Alter weniger Abbauprozess als vielmehr ein Adaptionsprozess ist, der die Aktivierung von Ressourcen voraussetzt. Nicht jeder Altere hat jedoch die gleichen Ressourcen zur Verfugung, was insbesondere zu einer unterschiedlichen Auspragung in der beruflichen Weiterbildungsbeteiligung fuhren kann.

V. Beteiligung alterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an beruflicher Weiterbildung

V. 1 Weiterbildungspartizipation

Die Partizipation alterer Menschen an WeiterbildungsmaBnahmen ist im Vergleich zu den 30-44 Jahrigen gering und nimmt vor allem bei den uber 50-Jahrigen weiter deutlich ab.

In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene Systeme zur Erhebung der Weiterbildungsbeteiligung entwickelt. Das BSW (Berichtssystem Weiterbildung), die Forschungen des Bundesministeriums fur Bildung und Forschung, der Mikrozensus, der AES (Adult Education Survey) oder die Langsschnittstudien des Max-Planck-Instituts fur Bildungsforschung sind nur einige der Ansatze, die zum Teil sehr unterschiedlichen Befragungsmustern folgen. Durch verschiedene Befragungstaktiken konnen sich unterschiedliche Ergebnisse ergeben. Hierzu ein Vergleich des BSW und des AES. Das BSW war der deutsche Pionier der Weiterbildungsbezogenen Erhebungen und zielt auf die Ermittlung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen organisierter WeiterbildungsmaBnahmen (vgl. Enders/Reichart 2010, S. 127f.). Dabei wird lediglich zwischen allgemeiner und beruflicher Weiterbildung differenziert. Im AES hingegen wird zwischen formalen, non-formalen und informellen Lernformen unterschieden. Weiterhin werden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen nach dem jeweiligen Bildungsinteresse befragt. So kann auch die Partizipation an einer Veranstaltung aus dem Bereich der allgemeinen Weiterbildung einem beruflichen Ziel dienen. Weiterhin ergeben die Befragungen des AES, dass die Partizipation an berufsbezogener Weiterbildung weit hoher ist als an nicht-berufsbezogenen MaBnahmen (vgl. ebd.).

An dieser Stelle halte ich es weiterhin fur notwendig, auf eine klare Trennung verschiedener Begriffe zu verweisen. Das BSW bietet hierzu eine Differenzierung, welche Thomas Eckert (Eckert 2010, S. 12f.) genauer erlautert. Unterschieden werden die Weiterbildungsteilnahme, die Teilnahmehaufigkeit und die Teilnahmedauer. Erstere gibt Auskunft daruber, „ob jemand im vergangenen Jahr uberhaupt an einer WeiterbildungsmaBnahme teilgenommen hat“ (ebd.), die Teilnahmehaufigkeit besagt „wie oft jemand eine MaBnahme besucht hat“ (ebd.) und Letztere gibt an, wie lange die einzelne Teilnahme dauerte. Eckert merkt weiterhin an, dass sich die meisten Studien lediglich auf die Weiterbildungsteilnahme beziehen. Aus diesem Grund seien diese Modelle statistisch ungenau, da die eventuelle Mehrfachteilnahme einzelner Personen die Zahlen verfalsche.

Wer jedoch die Weiterbildungsteilnehmer und Weiterbildungsteilnehmerinnen sind, welches Lernverhalten sie zeigen und welche Ziele sie verfolgen, wird im Anschluss an Hand der EdAge-Studie dargestellt.

V. 2 Typen alterer Weiterbildungsteilnehmer und Teilnehmerinnen nach Tippelt

Altere Weiterbildungsteilnehmer und Teilnehmerinnen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Bildungsinteressen und dem grundsatzlichen Bildungsverstandnis. Bildungszweck und Bildungsmotiv der Teilnehmer und Teilnehmerinnen differieren und bilden das entscheidende Unterscheidungsmerkmal einzelner Weiterbildungstypen der EdAge- Studie.

Auf der Grundlage einer typologischen Analyse von Tiefeninterviews wurden vier Typen alterer Weiterbildungsteilnehmer gewonnen (vgl. Tippelt u.a. 2009, S. 174). Diese Analyse gibt Aufschluss uber die Bildungsbedurfnisse und Anforderungen des jeweiligen Bildungstyps und liefert infolge dessen Ansatze zur Forderung der Weiterbildungsbeteiligung Alterer. Diese Ansatze werden in Kapitel IX.2 in Bezug auf die berufliche Weiterbildung Alterer diskutiert.

V. 2.1 Der sozial emotionale Typ

Weiterbildungsteilnehmer und Weiterbildungsteilnehmerinnen dieses Typus bezeichnen den Verlauf ihrer Schulzeit meist als positiv und hatten in der Regel „von ihrer Schulzeit an eine hohe Bildungsaspiration“ (a.a.O., S. 176). Ein GroBteil der Befragten erhielt weiterhin in Kindertagen Unterstützung durch die Eltern.

[...]

Ende der Leseprobe aus 124 Seiten

Details

Titel
Berufliche Weiterbildung im Alter: Gleiche Chance für alle?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
124
Katalognummer
V198889
ISBN (eBook)
9783656296560
ISBN (Buch)
9783656296966
Dateigröße
1105 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
berufliche, weiterbildung, alter, gleiche, chance
Arbeit zitieren
Claudia Penner (Autor:in), 2011, Berufliche Weiterbildung im Alter: Gleiche Chance für alle?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198889

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