Gedenkstätten und Schule

Orte des historischen Lernens oder der kollektiven Erinnerung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Geschichtsdidaktik als Wissenschaft

3. Geschichtsbewusstsein vs. Geschichtskultur?

4. Memoria - Gedächtnis und Erinnerung

5. Gedenkstätten heute

6. Gedenkstätten als außerschulische Lernorte im Geschichtsunterricht

7. Entwicklungstendenzen und Möglichkeiten von Gedenkstätten

8. Bibliografie zum Seminarthema

1. Vorwort

In den letzten 22 Jahren hat sich die Gedenkstättenlandschaft in der wieder­vereinigten Bundesrepublik erheblich geändert. Heute stehen Gedenkstätten vor der wichtigen Aufgabe, die Menschen, besonders die jungen Menschen, in Deutschland für ihr Leben in der Demokratie zu erziehen und sie auch für die Gefährdungen der Demokratie zu sensibilisieren. Angesichts der historischen Erfahrung mit Diktaturen im 20. Jahrhundert muss der nachwachsenden Generation nachdrücklich vermittelt werden, dass die demo­kratische Gesellschaftsform nichts Selbstverständliches ist und das sie wichtig ist, um die Grundrechte des Einzelnen zu schützen und staatliches Unrecht zu verhindern. Dies ver­sucht im schulischen Bereich vor allem der Unterricht zur politischen Bildung, aber auch in vielen anderen Fächern mit politischen Aspekten zu erreichen. Das vorliegende Portfolio ist eine Sammlung von Essays zum geschichtsdidaktischen Hauptseminar „Gedenk­stätten und Schule - Orte des historischen Lernens oder der kollektiven Erinnerung“ dar und besteht aus sechs Essays sowie einer Bibliografie mit themenrelevanter Literatur.

2. Geschichtsdidaktik als Wissenschaft

Seit den 1970er Jahren versteht sich die Didaktik der Geschichte als eine Teilgröße der Geschichtswissenschaft und somit das über lange Zeit hinweg unan­gefochtene Selbstverständnis aufgegeben, die Geschichtsdidaktik sei die Lehre vom Geschichtsunterricht und als eine „spezielle Didaktik“ der allgemeinen Didaktik untergeordnet. Mit der engeren Anbindung an die Geschichtswissenschaft entstand neben der Abnabelung von der allgemeinen Didaktik auch eine weitgehend eigen­ständige Wissenschaftsdisziplin. Im Rahmen der Geschichtswissenschaft stellte sich verschärft die Frage nach den ihr adäquaten bzw. den ihr eigenen Forschungs­methoden: Welches sind die Verfahrensweisen, deren sich die geschichtsdidaktische Forschung bedient? So fundamental diese Problematik für eine in Ausbildung be­griffene Wissenschaftsdisziplin auch sein mochte, in der geschichtsdidaktischen Grundlagendiskussion der 1970er Jahre blieb sie merkwürdig unberührt. Von grund­legender Bedeutung erweist die Problematik einer geschichtsdidaktischen Methodo­logie sich insbesondere für die wissenschaftsorientierte Geschichtsdidaktik, die - eng an die Geschichtswissenschaft angebunden - im Geschichtsbewusstsein ihre zentrale Kategorie gefunden hat.[1]

Aktuell widmet sich die Geschichtsdidaktik der Vermittlung und Aneignung historischen Wissens und zwar sowohl in der Schule als auch in der Öffentlichkeit. Sie versteht sich damit explizit als eine angewandte Wissenschaft. Ihre Aufgabe ist es Ziele, Inhalte und Wege der Vermittlung historischen Wissens zu finden und zu begründen. Die Geschichtsdidaktik muss dabei neben der Geschichtswissenschaft auch Ergebnisse und Vorschläge der Schulpädagogik, der Pädagogischen Psychologie und anderer Fachdidaktiken berücksichtigen. In diesem Sinne ist sie zwangsläufig in ein interdisziplinäres Netz eingebunden.[2] Inzwischen haben sich die drei Arbeitsfelder Empirie, Theorie und Pragmatik in ein aus­gewogenes Verhältnis begeben und es ist, ohne Zweifel festzustellen, dass jede für sich unentbehrlich und alle drei wechselseitig aufeinander angewiesen sind.[3] Dabei erforscht das empirische Arbeitsfeld der Geschichtsdidaktik das Zustandekommen, die Bedingungen und Entwicklungen von Geschichtsbewusstsein ohne praktisch­konkrete Vermittlungsintentionen. Dies wird an der Tatsache deutlich, dass man sich nicht nur gegenwärtigem Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft widmet, sondern auch das Geschichtsbewusstsein vergangener Gesellschaften erforscht, die gar nicht mehr beeinflusst werden können.[4] Der Selbstvergewisserung und der Standortbestimmung der Geschichtsdidaktik dient das theoretische Feld. Damit be­inhaltet dieses Arbeitsfeld die Diskussionen über Struktur und Inhalte der Geschichtsdidaktik. Gleichzeitig die Theorie auch eine Art Reflexionsinstanz für die empirischen und pragmatischen Forschungen und Diskussionen dar, um „ein höheres Maß an Verständnis und Sensibilität für das aufzubauen, was sie tun, wenn sie es tun”.[5] Die Pragmatik, als Letztes der genannten Arbeitsfelder der Geschichts­didaktik, tritt als konkrete Handlungswissenschaft auf, deren konkrete Leitfrage es ist, wie Geschichtsbewusstsein nicht nur im unterrichtlichen, sondern im gesamt­gesellschaftlichen Rahmen gebildet, gefördert und vermittelt werden kann. Dadurch können schließlich Materialien, Themen, Konzepte und Ideen entwickelt werden. Auch wenn sich die Pragmatik dabei nicht nur auf den Geschichtsunterricht be­schränkt, bleibt nach Schönemann die Unterrichtsfachdidaktik das Standbein der geschichtsdidaktischen Pragmatik, weil nämlich dort eine Einwirkung auf das Geschichtsbewusstsein eines großen Teils der Gesellschaft - die Schülerinnen und Schüler - im staatlich kontrollierten Rahmen der Schulbildung erfolgen kann. Darüber hinaus beschäftigt sich die pragmatische Geschichtsdidaktik aber auch mit der Vermittlung und Bildung von Geschichtsbewusstsein in außerschulischer Jugend- und Erwachsenenbildung, in Museen, Archiven, Bibliotheken sowie den Medien.[6]

Durch diese Ausweitung des Bezugsrahmens auf die Gesamtgesellschaft hat die Geschichtsdidaktik schließlich ihren Platz unter den Wissenschaften gefunden und versteht sich somit als Teildisziplin der Geschichtswissenschaften. Dabei betont sie trotzdem die Bedeutung der Bezugswissenschaften und deren Forschungsergeb­nisse, um die historischen Lernprozesse alters- und adressatengerecht zu gestalten und gleichzeitig die politisch-sozialen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, unter denen diese stattfinden.[7]

Literatur:

Hasberg, Wolfgang: Methoden geschichtsdidaktischer Forschung. Problemanzeige zur Methodologie einer Wissenschaftsdisziplin. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik. Jahresband 2002, Schwalbach/Ts. 2002.

Rohlfes, Joachim: Theoretiker, Praktiker, Empiriker. Mißverständnisse, Vorwürfe, Dissonanzen unter Geschichtsdidaktikern. In: Geschichte in Wissenschaft und Unter­richt 47,2, 1996.

Schönemann, Bernd: Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft. In: Günther-Arndt, Hilke (Hrsg.): Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2005.

Ders.: Geschichtsdidaktik. In: Ulrich Mayer u.a. (Hrsg.): Wörterbuch Geschichts­didaktik, Schwalbach /Ts. 2006.

3. Geschichtsbewusstsein vs. Geschichtskultur?

Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur sind tragende Begriffe der heutigen Geschichtsdidaktik, die sich in allen Arbeitsfeldern mit deren Erforschung beschäftigt. Bei beiden Begriffen handelt es sich um anspruchsvolle, theoretische Konstrukte, die für eine geschichtsdidaktische Ausbildung und das Verständnis dieser Teildisziplin der Geschichtswissenschaft jedoch unumgänglich sind, da die zukünftigen Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer die Aufgabe haben, die Ausbildung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins zu fördern und Schülern den Umgang mit Geschichtskultur nahezubringen. Was sind nun also Geschichts­bewusstsein und Geschichtskultur?

Zunächst sei erwähnt, dass Geschichtsbewusstsein nicht als ein universelles Konstrukt gesehen werden kann. Eher ist es als individuelles Konstrukt, das durch Internalisierung entsteht, anzusehen. Daraus folgt, dass es verschiedene Formen des Geschichtsbewusstseins gibt - bspw. regionales, nationales, progressives, konservatives aber auch sozialistisches Geschichtsbewusstsein. Es entsteht also im sozialen Umfeld eines jeden einzelnen Menschen - wie z. B. im Elternhaus, Freundeskreis oder Sportverein - und kann sich im Laufe des Lebens stark ändern. Nach Jeismann und Rüsen wird unter Geschichtsbewusstsein ein komplexes Phänomen aus Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zu- kunftserwartungen verstanden.0 Auch die Kategorien des Geschichtsbewusstseins - wie Temporal-, Wirklichkeits-, Identitätsbewusstsein, usw. - entstehen durch Sozialisation. Zum Aufbau eines Geschichtsbewusstseins sind daher nicht nur Fakten wichtig. Das Imaginäre und Fiktive spielt bei diesem Prozess eine große Rolle. Historiker sehen dabei oftmals das wissenschaftliche Arbeiten infrage gestellt, jedoch ist der Aufbau von Bildern in unserem Geist von größter Bedeutung, da wir uns allein dadurch ein Abbild vom vergangenen Geschehen in der Geschichte ver­schaffen können. Wenn Menschen sich mit einem bestimmten Themenfeld aus­einandersetzen, entwickeln sie eine gewisse Neugier, welche durch den so­genannten Imaginationsimpuls hervorgerufen wird. Je interessanter die Handlung[8] desto mehr fühlt sich der Leser mit hineingezogen.[9] Da der Mensch eine hoch ent­wickelte Gefühlswelt hat, kann er mit dessen Hilfe sich leichter in beteiligte Personen hineinversetzten, Problematiken verstehen und nachvollziehen. Da der kritische Um­gang mit Geschichte oftmals einen Perspektivenwechsel verlangt, ist Geschichts­bewusstsein das zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Lebensgeschichte des Individuums, das, im Sozialisationsprozess durch vollzogene und sich vollziehende Internalisierung, präsente Resultat der Rezeption und Aneignung von Geschichte. Dabei umfasst Geschichtsbewusstsein, über das Wissen hinaus, auch die Vor­stellungen und Deutungen von der Vergangenheit sowie die daraus resultierende Einstellung.[10] Nach Pandel gibt es sieben Dimensionen von Geschichtsbewusstsein. Das Zeitbewusstsein (zur Unterscheidung von Vergangenheit, Gegenwart und Zu­kunft), das Wirklichkeitsbewusstsein (zur Unterscheidung von Imaginär und Real), das Historizitätsbewusstsein (die Verhältnisse verändern sich mit der Zeit - der historische Wandel ist erst aus der zeitlichen Entfernung zu beobachten), das Identi­tätsbewusstsein (die Fähigkeit, historisch begründete Zugehörigkeitsgefühle wahrzu­nehmen und zu reflektieren), das Politisches Bewusstsein (die menschliche Gesell­schaft ist durch Herrschaftsverhältnisse bestimmt, die Einsicht dieser Feststellung und die Fähigkeit, diese Strukturen zu erkennen und zu analysieren), das öko­nomisch-soziale Bewusstsein (die Erkenntnis von sozialer Ungleichheit) sowie das moralische Bewusstsein (die angemessene Wertung historischer Handlungen und Ereignisse).[11] Hier zeigt sich, dass Geschichtsbewusstsein nicht einfach nur mit Jahreszahlen oder nüchternen Fakten zu tun hat, sondern eher versucht Vergangen­heit, Gegenwart und Zukunft unter dem Begriff der Geschichte zusammenzufassen.

Während sich das Geschichtsbewusstsein als mentaler Prozess selbst nicht materialisieren lässt, integriert der Begriff Geschichtskultur sämtliche Formen, Er­scheinungsbilder, Ereignisse, Orte und Produkte, die im Umgang mit Geschichte entstehen. Jede Beschäftigung mit Geschichte, sei sie wissenschaftlicher, er­zieherischer, archivarischer, staatlich-politischer oder privater Natur, ist demnach ein Teil von Geschichtskultur einer Gesellschaft.

[...]


[1] Vgl. Hasberg, Wolfgang: Methoden geschichtsdidaktischer Forschung. Problemanzeige zur Methodologie einer Wissenschaftsdisziplin. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik. Jahresband 2002, Schwalbach/Ts. 2002, S. 59ff.

[2] Vgl. Schönemann, Bernd: Geschichtsdidaktik. In: Ulrich Mayer u.a. (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach /Ts. 2006, S. 72f.

[3] Rohlfes, Joachim: Theoretiker, Praktiker, Empiriker. Mißverständnisse, Vorwürfe, Dissonanzen unter Geschichtsdidaktikern. In: GWU 47,2 (1996), S. 110.

[4] Schönemann, Bernd: Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft. In: Günther-Arndt, Hilke (Hrsg.): Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2005, S. 13.

[5] Ebd.

[6] Vgl. ebd., S. 14., Vgl. auch: Ders., 2006, S. 72.

[7] Vgl. Schönemann, 2006, S. 73.

[8] Vgl. Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewußtsein -Theorie. In: Bergmann, Klaus, et al.: Handbuch der Geschichtsdidaktik. 5. überarb. Aufl., Seelze-Velber 1997, 42f.

[9] Siehe hierzu: Schörken, Rolf: Historische Imagination und Geschichtsdidaktik. Paderborn 1994.

[10] Ebd.

[11] Vgl. Pandel, Hans-Jürgen: Dimensionen des Geschichtsbewusstseins - Ein Versuch, seine Struktur für Empirie und Pragmatik diskutierbar zu machen. In: Geschichtsdidaktik 12,2 (1987), S. 130-142.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Gedenkstätten und Schule
Untertitel
Orte des historischen Lernens oder der kollektiven Erinnerung
Hochschule
Universität Rostock  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Gedenkstätten und Schule - Orte des historischen Lernens oder der kollektiven Erinnerung
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
25
Katalognummer
V199898
ISBN (eBook)
9783656262213
ISBN (Buch)
9783656262626
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bei dieser Hauptseminararbeit handelt es sich um eine Essaysammlung zum Seminarthema.
Schlagworte
Didaktik, Geschichte, Geschichtsdidaktik, Geschichtsbewusstsein, Bewusstsein, Geschichtskultur, Kultur, Memoria, Gedächtnis, Erinnerung, Gedenkstätte, Geschichtsunterricht, Unterricht, Lernorte, Lernort, außerschulisch, Entwicklungstendenzen, Möglichkeiten, Gedenkstätten
Arbeit zitieren
Raik Dowedeit (Autor:in), 2012, Gedenkstätten und Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199898

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