Zu Beginn der Masseneinwanderung von Kurdinnen und Kurden aus der Türkei nach Deutschland – als angeworbene Arbeitsmigranten – verfügten diese kaum über ein distinktives kurdisches Bewusstsein. Viele hatten das Stigma als „Bergtürken“, das ihnen in der Türkei vermittelt wurde, verinnerlicht. Bei anderen zeigten die jahrzehntelangen und bis heute andauernden Assimilationsbestrebungen des türkischen Staates Wirkung, so dass sie sich im Aufnahmeland Deutschland häufig selbst als Türken bezeichneten.
Aufgrund des mangelnden Bewusstseins und damit einhergehender geringer organisatorischer Aktivität in Europa konnte man zu diesem Zeitpunkt nicht von einer kurdischen Diaspora sprechen, da diese sich vor allem durch ein gemeinschaftliches Streben nach einer anerkannten distinktiven Identität auszeichnet. Die ethnische Selbstwahrnehmung wandelte sich jedoch mit dem verstärkten Zuzug politischer Flüchtlinge, die sich bereits in ihrer Heimat stark für die kurdische Identität eingesetzt hatten. Die Arbeit von transnationalen Akteuren macht es seither möglich, die Vorstellung von einer geteilten Identität zu verbreiten, welche die Entstehung der kurdischen Diaspora markiert und unter anderem Forderungen nach Anerkennung dieser distinktiven Identität ermöglicht.
In der vorliegenden Arbeit zum Thema „Ethnizität in der Diaspora“ widme ich mich der Fragestellung, welche Faktoren auf die ethnische Identität von Kurdinnen und Kurden in Deutschland Einfluss nehmen, die ich im weiteren Verlauf als Diaspora-Gemeinschaft bezeichne. Damit konzipiere ich Diaspora als Sammelbegriff für die in den einzelnen (überwiegend europäischen) Immigrationsländern ansässigen kurdischen Gemeinschaften.
Um mich der Beantwortung dieser Fragestellung zu nähern, führte ich Gespräche mit sieben Kurden in Deutschland, die ich im ersten Kapitel dieser Arbeit anonymisiert vorstellen werde.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I Methoden und Konzepte
- Methoden und Datengrundlage
- Vorgehensweise
- Identität und Ethnizität
- In der Identitätskrise
- Kritik am Konzept Identität
- Die Lösung?
- Ein wertvolles Konzept
- Ethnizitätskriterien
- Von objektiven Merkmalen zur Selbstzuschreibung
- Zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung
- Ethnische Identität als Grenzziehungsprozess
- Ethnizität und Diaspora
- II Einflussfaktoren auf die kurdische Ethnizität
- Heimat und Herkunftsland
- Assimilationsbestrebungen der Türkischen Republik
- Rolle des Militärs
- Demokratische Aussichten?
- Fremdwahrnehmung
- Heimat-Orientierung und Rückkehrwunsch
- Staatslosigkeit und Heimatlosigkeit
- Gemeinschaft stiftende Symbole
- Kurdischer Nationalismus
- Migration und Aufnahmeland Deutschland
- Kurdische Migration nach Deutschland
- Diaspora-Kriterium der erzwungenen Migration
- Migration vor 1960
- Arbeitsmigration
- Fluchtwanderung
- Zusammensetzung der kurdischen Bevölkerung in Europa
- Ängste und Unsicherheiten
- Das Leben in der Aufnahmegesellschaft
- Integration, Akkulturation, Assimilation
- Struktureller Zugang zur deutschen Gesellschaft
- Identifikatorischer Zugang zur deutschen Gesellschaft
- Fremdwahrnehmung
- Folgen der Fremdwahrnehmung: Diskriminierung und Konflikte
- Effekte der Fremdwahrnehmung auf die Selbstwahrnehmung
- Chancen und Vorteile des Lebens in Deutschland
- Einsatz für Rechte und Anerkennung
- Der transnationale Diaspora-Raum
- Transnationalismus und Diaspora
- Kurdische transnationale Netzwerke
- Die vorgestellte kurdische Gemeinschaft
- Die Erfindung der Gemeinschaft?
- Ethnische Selbstdefinition: Wer gehört zur kurdischen Gemeinschaft?
- Das „Kollektive Gedächtnis“
- Beschwörung einer Schicksalsgemeinschaft
- Kurdische transnationale Akteure
- Organisationen und Parteien
- Kurdische Medien
- Fallstrick: Innerkurdische Konflikte
- Zusammenfassung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Einflussfaktoren auf die ethnische Identität von Kurdinnen und Kurden in Deutschland, betrachtet als Diaspora-Gemeinschaft. Ziel ist es, zu verstehen, wie sich die Identität in der deutschen Aufnahmegesellschaft entwickelt und welche Rolle Faktoren wie Migration, Fremdwahrnehmung und transnationale Netzwerke spielen.
- Entwicklung der kurdischen Identität in der Diaspora
- Einfluss von Migration und Aufnahmegesellschaft
- Rolle transnationaler Netzwerke und Akteure
- Wirkung von Fremdwahrnehmung und Diskriminierung
- Bedeutung von Gemeinschaft und kollektivem Gedächtnis
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung beschreibt den Wandel des kurdischen Bewusstseins in Deutschland von einer anfänglichen fehlenden distinktiven Identität hin zu einer stärker ausgeprägten Diaspora-Gemeinschaft, geprägt durch politischen Flüchtlingszuzug und die Arbeit transnationaler Akteure. Sie führt die zentrale Forschungsfrage ein: Welche Faktoren beeinflussen die ethnische Identität von Kurdinnen und Kurden in Deutschland?
I Methoden und Konzepte: Dieses Kapitel beschreibt die methodische Vorgehensweise der Arbeit, einschließlich der Datengrundlage (Interviews mit sieben Kurdinnen und Kurden) und der theoretischen Konzepte, die zur Analyse der ethnischen Identität verwendet werden. Der Fokus liegt auf der Definition und Abgrenzung von Identität und Ethnizität, sowie dem Konzept der Diaspora.
II Einflussfaktoren auf die kurdische Ethnizität: Dieses Kapitel analysiert die Faktoren im Herkunftsland, die die kurdische Identität geprägt haben. Es beleuchtet die repressiven Maßnahmen der türkischen Regierung, die Rolle des Militärs, die Assimilationsbestrebungen und den Einfluss dieser Faktoren auf die Entwicklung eines kurdischen Nationalismus und die Entstehung eines starken Gemeinschaftsgefühls trotz der Unterdrückung. Weiterhin werden Themen wie Staatslosigkeit, Heimatverlust und die Bedeutung gemeinschaftsstiftender Symbole behandelt.
Migration und Aufnahmeland Deutschland: Dieses Kapitel befasst sich mit der kurdischen Migration nach Deutschland, differenziert nach verschiedenen Migrationswellen (Arbeitsmigration, Fluchtmigration). Es analysiert die Herausforderungen der Integration in die deutsche Gesellschaft, die Erfahrungen mit Fremdwahrnehmung und Diskriminierung, sowie die Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation. Der Fokus liegt auf dem Spannungsfeld zwischen Integration, Akkulturation und Assimilation und den Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung der Kurdinnen und Kurden.
Der transnationale Diaspora-Raum: Dieses Kapitel untersucht die Bedeutung transnationaler Netzwerke und Akteure für die kurdische Diaspora in Deutschland. Es analysiert, wie diese Netzwerke zur Konstruktion und Aufrechterhaltung einer kurdischen Gemeinschaft beitragen, inklusive der Rolle von Organisationen, Medien und dem "kollektiven Gedächtnis". Der Abschnitt "Fallstrick: Innerkurdische Konflikte" hebt die Herausforderungen und inneren Spannungen innerhalb der Gemeinschaft hervor.
Schlüsselwörter
Kurdische Diaspora, Ethnische Identität, Migration, Integration, Transnationalismus, Fremdwahrnehmung, Diskriminierung, Kollektives Gedächtnis, Nationalismus, Türkei, Deutschland.
Häufig gestellte Fragen zum Thema: Einflussfaktoren auf die ethnische Identität von Kurdinnen und Kurden in Deutschland
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Einflussfaktoren auf die ethnische Identität von Kurdinnen und Kurden in Deutschland, die als Diaspora-Gemeinschaft betrachtet werden. Das zentrale Ziel ist es zu verstehen, wie sich die Identität in der deutschen Aufnahmegesellschaft entwickelt und welche Rolle Faktoren wie Migration, Fremdwahrnehmung und transnationale Netzwerke dabei spielen.
Welche Methoden wurden verwendet?
Die Arbeit basiert auf einer qualitativen Forschungsmethode. Die Datengrundlage besteht aus Interviews mit sieben Kurdinnen und Kurden. Theoretische Konzepte zur Analyse der ethnischen Identität und des Diaspora-Konzepts werden angewendet.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit beleuchtet die Entwicklung der kurdischen Identität in der Diaspora, den Einfluss von Migration und Aufnahmegesellschaft, die Rolle transnationaler Netzwerke und Akteure, die Wirkung von Fremdwahrnehmung und Diskriminierung sowie die Bedeutung von Gemeinschaft und kollektivem Gedächtnis.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in mehrere Kapitel: Einleitung, Methoden und Konzepte, Einflussfaktoren auf die kurdische Ethnizität im Herkunftsland, Migration und Aufnahmeland Deutschland, der transnationale Diaspora-Raum und schließlich Zusammenfassung und Ausblick. Jedes Kapitel behandelt spezifische Aspekte der kurdischen Identität in Deutschland.
Welche Faktoren im Herkunftsland haben die kurdische Identität geprägt?
Die repressiven Maßnahmen der türkischen Regierung, die Rolle des Militärs, die Assimilationsbestrebungen und der daraus resultierende kurdische Nationalismus werden als prägende Faktoren im Herkunftsland untersucht. Staatslosigkeit, Heimatverlust und gemeinschaftsstiftende Symbole spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Wie wird die kurdische Migration nach Deutschland dargestellt?
Die Arbeit differenziert zwischen verschiedenen Migrationswellen (Arbeitsmigration, Fluchtmigration) und analysiert die Herausforderungen der Integration in die deutsche Gesellschaft. Erfahrungen mit Fremdwahrnehmung und Diskriminierung sowie die Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation werden beleuchtet.
Welche Rolle spielen transnationale Netzwerke?
Die Bedeutung transnationaler Netzwerke und Akteure für die kurdische Diaspora in Deutschland wird untersucht. Die Arbeit analysiert, wie diese Netzwerke zur Konstruktion und Aufrechterhaltung einer kurdischen Gemeinschaft beitragen, einschließlich der Rolle von Organisationen, Medien und dem "kollektiven Gedächtnis". Innerkurdische Konflikte werden als Herausforderung hervorgehoben.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Kurdische Diaspora, Ethnische Identität, Migration, Integration, Transnationalismus, Fremdwahrnehmung, Diskriminierung, Kollektives Gedächtnis, Nationalismus, Türkei, Deutschland.
Wie wird die kurdische Identität in Deutschland beschrieben?
Die Arbeit beschreibt einen Wandel des kurdischen Bewusstseins in Deutschland von einer anfänglich fehlenden distinktiven Identität hin zu einer stärker ausgeprägten Diaspora-Gemeinschaft, geprägt durch politischen Flüchtlingszuzug und die Arbeit transnationaler Akteure.
- Citation du texte
- Silke Stadler (Auteur), 2009, Ethnizität in der Diaspora, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200356