Schostakowitsch-Violinkonzert op.77/99


Facharbeit (Schule), 2011

16 Seiten, Note: 15


Leseprobe


1 Vorwort

Dmitri Schostakowitsch war Zeit seines Lebens ein interessanter und umstrittener Komponist. Ihn zeichneten Gegensätze aus wie keinen anderen. So war er zum Beispiel „im allgemeinem verschlossen, auf einmal jedoch unverhofft offen“ oder „meist anscheinend zerstreut und dann plötzlich überraschend konzentriert“1. Die Widersprüche zogen sich durch sein gesamtes Leben. Er selbst äußerte oftmals Dinge, von denen er später das komplette Gegenteil behauptete, doch auch besonders in seiner Beziehung zu Stalin blieb er vielen ein Rätsel. Wer glaubte, er sei ein Verfechter dieses Regimes gewesen, musste seine Meinung spätestens mit der Veröffentlichung der „Zeugenaussagen“ durch Solomon Wolkow korrigieren, in welcher sich etliche Belege für das genaue Gegenteil finden lassen. Aus diesem Grund fürchtete der Komponist Zeit seines Lebens die Repressalien Stalins, stand Todesängste aus und war hin und her gerissen zwischen dem publik-Machen seiner Eindrücke und der Unterordnung aus Existenzgründen. Stalin verurteilte und mochte seine Musik zugleich. So verließ er die Aufführung der Oper Lady Macbeth in der Pause und initiierte danach einen niederschmetternden Artikel: „Chaos statt Musik“. Doch wurden auch mehreren Werken Schostakowitschs der Stalinpreis verliehen, unter anderem seinem Klavierquintett.

Der Diktator konnte tun und lassen was er wollte. Schostakowitsch war ein Werkzeug, das ihm helfen, ihn jedoch auch verletzen konnte. Freund wie Feind. Aus diesem Grund beschränkte sich der Komponist vorerst angeblich auf die Vertonung der russischen Geschichte in der Mitte des 20. Jahrhunderts unter ausgesprochen detaillierter Darstellung der Gefühle des russischen Volkes. „Um die Geschichte unseres Landes zwischen 1930 und 1970 nachzuleben, reicht es aus, die Sinfonien von Schostakowitsch zu hören. […] Gottfried Blumenstein bezeichnet sein Werk als „apokalyptischen Soundtrack zum 20. Jahrhundert.“2

Später jedoch weisen seine Kompositionen, zu welchen auch das erste Violinkonzert gehört, eindeutig autobiografische Bezüge auf. Er selbst weigerte sich Memoiren zu schreiben und antwortete auf Anfragen: „Hören Sie doch meine Musik, da ist alles gesagt.“3, jedoch äußerte er sich nie zu seinen Werken.

In der folgenden Arbeit wird der Versuch unternommen anhand des ersten Violinkonzertes a-Moll op.77 seiner Aufforderung zu folgen.

2 Schostakowitsch - Biografie

Am 25. September 1906 wird Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch als Sohn von Dmitri Boleslawowitsch Schostakowitsch und Sofja Wassiljewna Kokoulin in Leningrad geboren. Der Vater ist eines von sieben Kindern eines polnischen Patrioten und zog aus dem sibirischen Exil nach St. Petersburg um dort ein Mathematik- und Physikstudium zu beginnen. Auch die Mutter, welche am St. Petersburger Konservatorium eine Ausbildung zur Pianistin erhielt, stammt ebenfalls aus Sibirien, da sich ihre Vorfahren 1525 „allzu stark im Kampf gegen die Korruption und Demoralisierung innerhalb der orthodoxen Kirchen engagierten“4 und kurzerhand verbannt wurden. Nicht nur Sofja, die ihren Sohn ab seinem 9. Lebensjahr in die Anfänge des Klavierspielens einweist, ist musikalisch veranlagt. Auch Dmitri Boleslawowitsch „liebte“ nach seinem Sohn „die Musik leidenschaftlich und sang gut“5, jedoch interessiert sich der kleine Mitja nicht, wie andere große Komponisten, schon von klein auf brennend für Musik. Mit dem Erlernen des Klavierspiels versucht sich der junge Schostakowitsch in ersten Kompositionen, in welchen er schon erste Kriegsszenen verarbeitet, z.B. im Klavierpoem „Der Soldat“.

Schon ab 1919 studiert Dmitri Dmitrijewitsch am Leningrader Konservatorium bei Alexandra Rosanowa und Leonid Nikolajew Klavier und bei Maximiliam Steinberg, Schüler von Rimski Korsakow, Komposition. Mit dem Tod des Vaters 1922 beginnt Schostakowitsch als Stummfilmpianist die Familie mit zu ernähren. 1925 absolviert er sein Kompositionsstudium mit seiner 1. Sinfonie, welche am 12. März 1926 uraufgeführt wird und ihm sogleich internationale Anerkennung einbringt. Trotzdem beherrschen Schostakowitsch unmittelbar nach dem Abschluss des Konservatoriums Selbstzweifel und schließlich vernichtet er „in einem Anfall von 'Niedergeschlagenheit' […] fast alle [s]eine Manuskripte...“6. In der nächsten Zeit widmet er sich, nach dem erfolgreichen Ablegen des Examens als Pianist, dem Klavier, gibt noch bis 1930 Klavierabende und spielt als Solist in diversen Sinfoniekonzerten, entscheidet sich aber 1927 doch für die Laufbahn als Komponist und schließt viele internationale Bekanntschaften, z.B. mit Milhaud und Hindemith. 1932 wird er Vorstand der Leningrader Abteilung des Sowjetischen Komponisten Verbands, heiratet im Nina Warsar und stellt seine Oper „Lady Macbeth“ fertig, welche weltweit große Erfolge feiert, doch Stalin derart abstößt, dass dieser 1936 in der „Prawda“ den Artikel „Chaos statt Musik“ initiiert, „der Schostakowitsch in Todesängste stürzt.“7 Dmitri Dmitrijewitsch erlangt sein Ansehen durch die 5. Sinfonie und sein Klavierquintett zurück, wobei er für Letzteres 1941 den Stalin Preis erhält. Ab 1939 ist er als Professor am Leningrader Konservatorium tätig und wird 1947 zum Vorsitzenden des Leningrader Komponisten Verbands gewählt, verliert jedoch ein Jahr darauf, am 10. Februar, alle Ämter, da die Kritik von 1936 wieder aufgegriffen und er wegen Formalismus verurteilt wird und gerät so in eine finanzielle Notlage. Am 24. März des gleichen Jahres stellt er sein erstes Violinkonzert mit der Opusnummer 77 fertig, welches er jedoch erst in der „Tauwetter“-Periode, welche mit dem Tod Stalins 1953 beginnt und Schostakowitsch sowie anderen Komponisten die Gelegenheit bietet bisher verpönte Werke zu veröffentlichen, unter der Opusnummer 99 1955 mit David Oistrach an der Solovioline in Leningrad zur Uraufführung bringt. Doch bevor Stalin stirbt, wird Dmitri Dmitrijewitsch 1949 wieder rehabilitiert und erlangt 1950 erneut einen Stalinpreis für seine Filmmusik „Der Fall von Berlin“ und das „Lied von den Wäldern“. 1954 stirbt seine Frau an Krebs, das Jahr darauf seine Mutter. Er heiratet 1956 Margarita Kainova, eine Komsomol Aktivistin. Im Mai 1958 zeigen sich mit Lähmungen der rechten Hand erste Symptome einer neurologischen Erkrankung, welche dann 1959 als eine unheilbare chronische Entzündung des Rückenmarks diagnostiziert wird. Für seine 9. Sinfonie erhält er 1958 den Leninpreis. Nach der Scheidung von Margarita Kainova 1959, heiratet er 1962 Irina Supinskaya, eine Literatur Verlegerin. Ab 1965 häufen sich die Krankenhausaufenthalte Schostakowitschs. Er erleidet 1966 einen ersten, 1971 einen zweiten Herzinfarkt. 1972 erkrankt er an Lungenkrebs, den er mit einer Radiotherapie bekämpft. Nach der Fertigstellung der Violasonate C-Dur, op. 147 im Juli, stirbt er am 9. August an Herzversagen im Krankenhaus in Moskau.

Dmitri Dmitrijewitsch wird nach seinem Tod als „parteitreuer Staatskomponist“ gefeiert. Doch als Solomon Wolkow Ende der siebziger Jahre Gespräche Schostakowitschs unter dem Titel „Zeugenaussagen“ veröffentlicht, wird deutlich, dass der Komponist sehr viel mehr Seiten an sich hatte. So schreibt Jewgeni Alexandrowitsch Mrawinsky: „Schostakowitsch blieb bis zu seinem Tode eine rätselhafte Figur. Die meisten Menschen […], die ihn fast täglich sahen, wussten von ihm in gewissem Sinne weniger als über Goethe oder Michelangelo. Allen war klar, dass man seinen offiziellen Sprüchen zu 99 Prozent nicht glauben konnte.“8

[...]


1 Meyer, Krzysztof (1983): Dmitri Schostakowitsch. Erfahrungen. Aufsätze, Erinnerungen, Reden, Diskussionsbeiträge, Interviews, Briefe. Leipzig: Verlag Philipp Reclam, S. 6

2 2. Sinfoniekonzert, Saison 2008/2009. Theater Plauen-Zwickau, Programmheft

3 Ebenda

4 Meyer, Krzysztof (1995): Dmitri Schostakowitsch. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit. Taschenbuchausgabe 1998. Mainz: Schott Musik International, S. 21

5 Streller, Friedbert (1982): Dmitri Schostakowitsch. Für Sie porträtiert. Originalausgabe. Leipzig: VEB Deutscher Verlag für Musik, S. 6

6 Ebenda, S. 10

7 „Dimitri Schostakowitsch - Biografische Notizen“. URL: http://www.schostakowitsch.de/Seiten/Schostakowitsch.htm [Stand: 03.10.2011]

8 2. Sinfoniekonzert, Saison 2008/2009. Theater Plauen-Zwickau, Programmheft

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Details

Titel
Schostakowitsch-Violinkonzert op.77/99
Note
15
Autor
Jahr
2011
Seiten
16
Katalognummer
V200417
ISBN (eBook)
9783656364597
ISBN (Buch)
9783656364672
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
schostakowitsch-violinkonzert
Arbeit zitieren
Lisa Beutner (Autor:in), 2011, Schostakowitsch-Violinkonzert op.77/99, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200417

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