Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Projektbeschreibung
3. Kinder/Jugendliche und Medien
3.1 Bedeutung von Medien
3.2 Bedeutung des Mediums Radio
4. Medienkompetenz
4.1 Begriffsklärung Medienkompetenz
4.2 Förderung von Medienkompetenz
4.3 Begegnung des speziellen Bedarfs durch strukturelle Maßnahmen am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen
5. Theorie-Praxis-Abgleich
6. Fazit
7. Literatur
8. Anhang
1. Einleitung
Das Medienzeitalter fordert die Menschen heraus, besonders Kinder und Jugendliche, die mit einer Fülle an Möglichkeiten und Informationen konfrontiert sind, mit der sie zunächst kaum umzugehen wissen. Medien bieten die Möglichkeit des Zuganges zu Informationen und somit der Meinungsbildung und Orientierung, der Teilhabe an Gesellschaft, der vereinfachten Kommunikation und viele weitere Funktionen, wenn der Nutzer sie kompetent anzuwenden weiß. Dabei sind Kinder und Jugendliche selbst, aber auch Eltern und Erziehungspersonen mit dem eigenen Medienkonsum und der Anleitung ihrer Kinder oft überfordert. Darauf weist zum Beispiel der aktuelle Werbespot „Wo ist Klaus?“ von ‚klicksafe‘1 hin: Der provokante Werbefilm zeigt eine anscheinend naive Mutter, die als gefährlich einzuordnende Gestalten freundlich zu ihrem Sohn durchlässt und ihre Tochter einem fremden Mann überlässt, der ihr seinen Hasen zeigen möchte. So zeigt der Spot eindringlich Gefahren von Medien auf, hier des Internets, und spricht nicht nur Eltern oder Erziehungspersonen, sondern auch die Kinder und Jugendlichen direkt an. Der Film offenbart dabei auch die große Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche darin anzuleiten, solche Gefahren zu erkennen, zu vermeiden und die von ihnen genutzten Medien so einzusetzen, das diese sich als konstruktiv und profitabel erweisen.
Viele Jugendliche beherrschen die essentiellen Aspekte der Medienkompetenz nur ansatzweise und haben hier hohen Förderbedarf. Diese Erfahrung habe ich in meinem Praxissemester in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit der ‚Katholischen Jugendwerke Rhein.-Berg. e.V.‘ gemacht. In der daraus resultierenden Suche, nach einer geeigneten Möglichkeit, diese Fähigkeiten zu fördern, schien mir ein Projekt, in dem die Jugendlichen selbst Medien herstellen, am geeignetsten. Der besonderen Herausforderung, dass es sich bei der Zielgruppe um Jugendliche mit und ohne Behinderung handelt, wurde in meinen Augen ein Radio-Projekt gerecht.
Die besondere Eignung von solchen Radio-Projekten zur Medienkompetenzförderung bei Kindern und Jugendlichen soll in dieser Hausarbeit an Hand von Literaturauswertung und unter Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen aus dem oben genannten Projekt in einem TheoriePraxis-Abgleich (Kapitel 5.) untersucht werden. Ein beispielhafter Projektablauf ist zu diesem Zweck im Anhang angefügt (Tabelle 1).
Für diese Untersuchung bedarf es zunächst einer Situationsklärung bezogen auf Kinder und Jugendliche und deren Mediennutzung (Kapitel 2.), überwiegend basierend auf den Basisstudien zum Medienumgang KIM 2010 und JIM 2011 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (MPFS). Weiter folgt eine Eingrenzung, welche Medienkompetenzdefinition dieser Hausarbeit zu Grunde gelegt wird (4.1) und wie sich die Förderung von Medienkompetenz derzeit darstellt, bevor auf die Förderung durch Radio-Projekte im Speziellen eingegangen wird. Die in diesem Abschnitt erwähnten Kriterien finden in einem Theorie-Praxis-Abgleich in Kapitel 5 ihre weitere Verwendung. Da das Land Nordrhein-Westfalen dem Bedarf an Medienkompetenzförderung besonders gerecht wird, findet auch dies hier Beachtung (4.3). Im Fazit (6.) werden die genannten Punkte dann in einer abschließenden Bewertung zusammengefasst.
2. Projektbeschreibung
Das Projekt ‚Radio im Cafe Leichtsinn‘ wurde im Januar und Februar 2012 mit sechs Teilnehmern an zwei Wochenenden durchgeführt. Praktisches Ziel der Wochenenden war die Produktion eines sendefähigen Radiobeitrags mit Interviews, Umfragen, Moderation, Musikauswahl und Jingle2 -Produktion.
Die Zielgruppe des Projekts waren Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 25 Jahren mit und ohne geistige und körperliche Behinderung. Die Teilnehmer sind regelmäßige Besucher der Einrichtung.
Ein solches Projekt hatte es bis dahin in dieser offenen Einrichtung „Cafe Leichtsinn“ nicht gegeben, so dass ein Rückgriff auf Vorerfahrungen mit dieser speziellen Zielgruppe nicht möglich war. Allerdings verfügen die Kooperationspartner, das ‚Katholische Bildungswerk Rheinisch-Bergischer- Kreis‘ und der Lokalsender ‚Radio Berg‘ über langjährige Erfahrung in der Durchführung solcher Projekte mit nichtbehinderten Teilnehmern.
3. Kinder/Jugendliche und Medien
3.1 Bedeutung von Medien
Laut Leffelsend, Mauch und Hannover (2004: 54f) dienen Medien dem Aufbau und der Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten oder als deren Ergänzung und können so das Bedürfnis nach Affiliation3 befriedigen. Medieninhalte können als Gesprächsgrundlage dienen, aber auch deren gemeinsame Nutzung dient der Kontaktpflege. Durch regelmäßigen Gebrauch eines Mediums, beispielsweise das regelmäßige Hören einer Hörfunksendung kann eine Bindung an die gestaltende Person entstehen, die dann sogar als parasoziale Interaktion, also als Ersatz für soziale Interaktion dienen kann. Bei der weitergehenden Identifikation mit der Medienfigur wird das eigene Selbstbild zunehmend der Rollenfigur angepasst.
Medien sind aber auch in der Lage, Verhaltensänderungen herbeizuführen. Oft angeführt ist hier die aggressivitätsfördernde Wirkung von Gewaltszenen, die abhängig von der realistischen Darstellung und zu erwartenden Konsequenzen durchaus auf die reale Welt übertragen werden (ebd.: 62f). Aber auch prosoziales Verhalten ist durch Medien beeinflussbar, zum Beispiel durch das Vorleben von Hilfsbereitschaft in einer gerne gesehenen Fernsehsendung.
Der Gebrauch von Kommunikationsmedien zur Selbstpräsentation ist eine weitere mögliche Form der Mediennutzung. Sie unterliegt in dieser indirekten Form der Kommunikation vielmehr der Kontrolle des Einzelnen und gewährt laut Leffelsend (2004) eine größere Anonymität.
Nutzung und Wirkung von Medien stehen also in Wechselwirkung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Dieser Zusammenhang ist auch bei der Betrachtung der kindlichen Mediennutzung von großer Wichtigkeit.
Diese beginnt immer früher, wenn auch zunächst nicht selbstgesteuert. Säuglinge und Kleinkinder nehmen zunächst am Medienkonsum ihrer Umgebung teil, sei es durch Musik, Fernsehen oder Radio. Aber bereits für Kleinkinder werden Anwendungen für Tablet-PCs und Handys angeboten. Auch das Fernseh- und Kinoprogramm hat sich mit Kindersendungen auf die kleinsten Zuschauer unter drei Jahren eingestellt. Gute-Nacht-Geschichten werden als Hörbuch-CD angeboten, Bilderbücher machen auch Geräusche, ein Großteil der 10 - 13-jährigen Kinder besitzt Handys, die weit mehr können, als bloß zu telefonieren (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest4 2011a:52-53). Der Einsatz und kompetente Gebrauch von Computern ist Teil des Hausaufgaben-Alltags von Schülern, soziale Netzwerke im Internet sind längst selbstverständlicher Bestandteil von jugendlicher Lebenswelt.
Aufgeschlüsselt in die einzelnen Medien stellt sich folgendes Bild dar: Das Fernsehen dient, besonders in bildungsbenachteiligten Milieus, in den ersten Jahren Unterhaltung und Stimmungsregulation, da es sowohl kostengünstig ist, als auch ohne Unterstützung der Eltern genutzt werden kann (Isler, Philipp & Tilemann 2010:64). Besonders junge Kinder können hierauf am wenigsten verzichten, es stellt also das zentrale Medium der Kindheit dar, verbunden mit der Entwicklung von Lieblingssendungen und dem kontinuierlichen Verfolgen von Fernsehserien, bei Mädchen noch verbreiteter als bei Jungen. Die Sendungen, die auch der Wissensvermittlung dienen (Hickethier 2003: 281), zum Beispiel ‚Löwenzahn‘ oder ‚Die Sendung mit der Maus‘ belegen dabei auf der Beliebtheitsskala eher die hinteren Ränge. Bei den beliebtesten Programmen befinden sich sowohl der öffentlich-rechtliche Kinderkanal ‚KI.KA‘, als auch das an Kindern orientierte private ‚Super RTL‘ an vorderster Stelle (MPFS 2011a:19-20). Mit zunehmendem Alter und der damit einhergehenden steigenden Bedeutung von Peers verliert der Fernseher jedoch wieder etwas an Bedeutung.
Laut KIM- Studie 2010 nimmt die Rolle der Unterhaltung und des Zeitvertreibs bei Kindern mit zunehmendem Alter eher der Computer ein, während sie audiovisuelle Medien bei Langeweile und Traurigkeit einsetzen (ebd.: 15-17). Hierzu sind 90 Prozent der Haushalte mit Computern ausgestattet, nicht immer allerdings zur alleinigen Verfügung des Kindes (15 Prozent) (MPFS 2011a: 25). Bei den Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren sind es bereits 80 Prozent, die über einen eigenen Computer verfügen und ihn zum überwiegenden Teil auch täglich online nutzen. Die Nutzungsdauer ist hier mit 134 Minuten täglich bereits wesentlich dominanter in der Freizeitgestaltung als der tägliche Fernsehkonsum (MPFS 2011b:30-31). Während sich vor einigen Jahren noch zeigte, dass der eingeschränkte Zugang zu diesen Medien durchaus zu einer Ausgrenzung im Freundeskreis führen kann, was vor allem sozial schwächere Milieus betraf, ist diese ‚digitale Spaltung‘ heute mit fünf Prozent Unterschied in der Internet-Ausstattung kaum noch auszumachen, auch eine Spaltung nach Region oder Geschlecht wird zunehmen irrelevant. (Shell Deutschland Holding 2010:101-110).
Neben der Nutzung des Computers steigen mit der zunehmenden Bedeutung von Peers auch der Bedarf und die Nutzung von Kommunikationsmedien wie Mobiltelefonen oder Online-Communities. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen loggen sich einmal oder sogar mehrmals täglich in einem oder mehreren Online-Netzwerken ein. 96 Prozent der jugendlichen Nutzer geben an, ihre durchschnittlich 206 ‚Freunde‘ auch persönlich zu kennen, zwei Drittel haben ihr dortiges Profil mit einem Foto ergänzt. Der Anteil derer, die persönliche Informationen auf solchen Plattformen publik machen, ist jedoch im Vergleich zu den Jahren 2009 und 2010 in der aktuellen JIM-Studie 2011 leicht zurückgegangen und die Nutzung der Privatsphäre-Sicherheits-Einstellungen steigt an.
Trotz zunehmender Mediennutzung weist auch diese Altersgruppe Defizite besonders in der kritischen Nutzungskompetenz auf. Die Nutzung der ‚Privat- Option‘ in Online-Plattformen ist zwar sinnvoll, aber greift nur so weit, wie auch die sorgfältige Auswahl der so genannten ‚Freunde‘. Fast 60 Prozent der Jugendlichen halten ihre Daten in diesen Netzwerken für sicher aufgehoben. Auch bei der Bewertung der Richtigkeit von Informationen aus dem Internet sind deutliche Defizite auszumachen (MPFS 2011b). Die Dauer der Nutzung und die Begeisterung für technische Details nehmen stetig zu, allerdings steigt die medienpädagogische Qualifikation der Eltern nicht (Burkhardt 2001:367- 368). Eltern zeigen bestimmten Medien gegenüber oftmals diffuse Aversionen oder aber mangelnde Informationen bezüglich des Informationsgehalts. Dies zeigt sich laut KIM-Studie (2011: 59) besonders im Hinblick auf Internet und Fernsehen. Einerseits befürchten sie den Zugriff ihrer Kinder auf unpassende Inhalte oder auch die Übernahme von Gewaltdarstellungen, gleichzeitig sind sie aber der Meinung, dass Fernsehen einen realistischen Eindruck des alltäglichen Lebens vermittelt. Diese Eindrücke sind in so fern relevant, als dass das Nutzungsverhalten der Eltern und Geschwister großen Einfluss auf die Mediennutzung der Kinder hat, je mehr, je jünger die Kinder sind. Jedoch zeigt sich hier ein deutlicher Unterschied zwischen den verschiedenen Bildungshintergründen: Das Thema ‚Kinder und Medien‘ erreicht über 20 Prozentpunkte mehr im Interesse der befragten Haupterzieher mit gymnasialem Bildungshintergrund gegenüber Haupterziehern mit Hauptschulhintergrund. Weiterhin stellt die Studie fest, dass auch in der Mediennutzung deutliche Unterschiede bestehen, so zum Beispiel bei der Dauer der Fernsehnutzung (111 Minuten täglich bei Hauptschulhintergrund der Eltern gegenüber 73 Minuten bei gymnasialem Hintergrund) (MPFS 2011a:58-61).
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1 ‚klicksafe‘ ist eine Initiative zur Förderung der Medienkompetenz der EU-Kommission (Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz & Landesanstalt für Medien (LfM) Nordrhein-Westfalen 2011)
2 Einprägsame Melodie, als Wiedererkennungsfaktor einer Sendung
3 Suche nach Unterstützung in belastenden Situationen 5
4 Im Folgenden: MPFS