Zwischen Politik, Vision und Literatur - Theodor Herzls Roman "Altneuland"


Examination Thesis, 2010

115 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kurzbiographie des Autors

3. Zusammenfassung des Romans
3.1 I. Buch
3.2 II. Buch
3.3 III. Buch
3.4 IV.Buch
3.5 V. Buch

4. ZuAltneulandals literarischem Werk
4.1 Formale Analyse zu Herzls Roman
4.1.1 Zur generellen Einordnung und zum Umfang des Romans
4.1.2 Zur „eingebetteten“ Geschichte
4.2 Zur Handlung des Romans
4.2.1Altneulandals literarisches Werk in der literaturwissenschaftlichen Kritik
4.2.2 Kritik der Handlung des Romans
4.2.3 Mögliche Ursachen für die Gestaltung der Handlung
4.3 Zur sprachlichen Gestaltung des Romans
4.3.1 Sprachliche Manipulation - zur Beschreibung Wiens und Altneulands
4.3.2 Die Sprache der Figuren
4.3.3 Sprachlicher Humor
4.3.4 Allgemeine Anmerkungen zur Sprache des Romans

5.Altneulandals Vision und Utopie
5.1 Zur Technik in Altneuland
5.2 Das gesellschaftliche und politische System Altneulands
5.3 Zum ökonomischen System Altneulands

6.Altneulandals politisches Werk
6.1 Das Schicksal der Wiener Juden
6.2 Die Situation Palästinas
6.3 Altneuland
6.4.AltneulandundDer Judenstaat

7.Altneulandals jüdisches Werk
7.1 Die Frage nach der jüdischen Identität
7.1.1 Zum Defintionsproblem
7.1.2 Zur ‚Mission‘ des Judentums
7.1.3 Zum Toleranzgedanken und der Offenheit des Judentums
7.2 Zur Rolle der jüdischen Religion
7.3 Jüdische Kultur inAltneuland
7.3.1 Zur Sprache Altneulands
7.4 Zum Antisemitismusproblem
7.5 Wie jüdisch istAltneuland?

8.Altneulandals autobiographisches Werk
8.1 Die Gestaltung der Figuren
8.2 Strukturen und Einstellungen

9. Fazit und Ausblick

10. Literaturverzeichnis
10.1 Primärquellen
10.2 Sekundärquellen
10.3 Internetquellen

1. Einleitung

In der Weltgeschichte und in der Geschichte unseres Volkes gab es einige wenige Fälle, in denen man einen ganz bestimmten Mann heraus heben kann, der beinahe im Alleingang sein Volk vor der Auslöschung rettete. Benjamin Zeev Herzl war einer davon. […] Josef rettete das Haus Jakobs vor dem Verhungern, Moses führte Israel von der Sklaverei in die Freiheit; Judas Makkabäus rettete sein Volk vor der erzwungenen Assimilation; Jochanan ben Sakkai erbaute einen Damm, um die Strömung von Verzweiflung und Zerfall aufzuhalten. […] Herzl ist Teil dieser erlesenen Gruppe historischer Führer und tritt in unserer modernen Zeit in die Fußstapfen vergangener Giganten.1

Dies ist der Beginn der Rede, die der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 26. April 2010 anlässlich des 150. Geburtstags von Theodor Herzl vor dem Knesset hielt. Netanjahu lässt Theodor Herzl, „de[m] Gründer des modernen politischen Zionismus“2 darin eine enorme Wertschätzung zukommen. Doch so sehr diese Worte Herzl ehren mögen - man muss gar nicht lange suchen, um solche positiven Worte über ihn zu finden. Sein Gesicht fand sich auf Schekel-Scheinen, ein jüdischer Nationalfriedhof in Jerusalem wurde nach ihm benannt und auch die zweitgrößte Stadt Israels, Tel Aviv, steht in engem Zusammenhang mit Herzl. Benannt wurde die Stadt schließlich nach dem hebräischen Titel von Herzls einzigem Roman, der im deutschsprachigen Original Altneuland heißt und Gegenstand dieser Arbeit ist.

Altneuland ist ein Werk, das viele Facetten der komplexen Persönlichkeit seines Schöpfers offenbart. Er war Journalist und Autor, Zionist und Politiker. Der Roman ist im Hinblick auf seine vielfältigen Aktivitäten - neben Herzls politischen Traktat Der Judenstaat - wohl das wichtigste und vielschichtigste Werk des Autors.

Doch trotz der herausragenden Stellung des Romans in Herzls Biographie sind Sekundärquellen zu Altneuland kaum zu finden. Die Interpretationen und Besprechungen, die in der Fachliteratur auftauchen, beschränken sich meist auf einzelne Kapitel in Biographien Theodor Herzls. Darüber hinaus existieren einige zeitgenössische Besprechungen des Romans, etwa die überaus kritische Rezension von Achad Haam. Abgesehen von einigen kurzen Essays zu speziellen Aspekten des Buches ist die Sekundärliteratur zum Roman mit den genannten Quellen aber auch schon erschöpft. Es fehlt an einem umfassenden Überblick, der alle Aspekte des Romans erfasst. Die Forschungslage ist dahingehend also eher unbefriedigend.

Dass eine solch umfassende Interpretation ein durchaus fruchtbares Vorhaben ist, kann allein an den vielen Aspekten abgelesen werden, die im Roman behandelt werden. Altneuland ist zu allererst ein literarisches Werk, das eine sprachliche und inhaltliche Besprechung wert ist. Altneuland ist zugleich eine Vision, deren Betrachtung lohnt. Es ist ein politisches Werk, dessen Hintergrund, Intention und Funktionsweise man untersuchen kann und ein jüdischer Roman, dessen kulturelle Einflüsse es zu analysieren gilt. Nicht zuletzt ist Altneuland aber auch ein Stück Autobiographie, in dem sich das Leben des Autors zumindest in einigen Teilen wiederspiegelt.

Wie in dieser kurzen Auflistung deutlich wurde, bietet das Buch ausreichend Elemente, die einer Untersuchung lohnen. Genau dies möchte ich in der vorliegenden Arbeit tun und so, soweit dies im vorgegebenen Umfang zu leisten ist, Herzls Roman aus den gerade dargelegten Perspektiven umfassend beleuchten. Ziel der Arbeit ist es, eine umfassende Interpretation zu Herzls Werk vorzulegen, in der die verschiedenen Facetten des Romans herausgearbeitet, gewürdigt, aber auch kritisch kommentiert und am Ende zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. So soll ein möglichst breiter, punktuell auch ins Detail gehender Überblick zu Altneuland geschaffen werden. Dabei kann natürlich, allein schon wegen der Komplexität der zu Grunde liegenden Themen und wegen des eingeschränkten Umfangs der Arbeit, kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Grundlegende Kenntnisse über die historischen Hintergründe, vor allem über das Wien der Jahrhundertwende, sind folglich bei der Lektüre sicherlich von Vorteil, da die geschichtlichen Hintergründe hier nicht wiedergegeben werden können. Da der Schwerpunkt nicht auf dem Autor selbst, sondern auf seinem Werk liegt, kann zudem weder Herzls Biographie noch sein sonstiges Schaffen als Politiker und Autor vollständig beleuchtet werden. Dennoch möchte ich in einem kurzen Kapitel einige für das Verständnis des Romans elementare Aspekte der Biographie beleuchten.

Ich möchte nun mein konkretes Vorgehen vorstellen. Dabei orientiere ich mich an den oben dargelegten Perspektiven, aus denen das Buch betrachtet werden kann. Beginnen werde ich mit einer kurzen Einführung in Herzls Biographie, wobei ich mich vor allem auf die Aspekte konzentriere, die auch für die Interpretation des Romans von Belang sind. An die Biographie angeschlossen wird eine kompakte Inhaltsangabe, in der die wesentlichen Elemente der Handlung zusammengefasst und einige Ansatzpunkte für eine Interpretation aufgezeigt werden. Nach diesen Abschnitten, die vor allem dazu dienen, einen grundlegenden Überblick über Autor und Werk zu gewinnen, möchte ich tiefer in die Interpretation und Analyse des Werks einsteigen. Dazu wird zunächst eine literaturwissenschaftliche Interpretation durchgeführt, in der sowohl die formale und die sprachliche Seite des Romans wie auch die Handlung kritisch untersucht werden. Anschließend soll das Buch als Utopie und Vision betrachtet werden. Hierbei möchte ich die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Strukturen, die Herzl in seinem Roman vorstellt, herausarbeiten. Auch die Technik Altneulands wird dabei von Bedeutung sein. Im folgenden Kapitel wird Altneuland dann als politisches Werk betrachtet. Hierbei geht es darum, die politische Absicht, die Herzl mit seinem Roman verfolgte, zu erfassen und zu kommentieren. Betrachtet wird natürlich auch, welche Mittel Herzl einsetzt, um seine persönliche politische Einstellung im Roman zu präsentieren und gegebenenfalls auch zu propagieren. Herzls politisches Traktat Der Judenstaat wird in diesem Kapitel ebenso eine wichtige Rolle spielen. Zwar kann dieser Text in dieser Arbeit nicht ausführlich wiedergegeben und analysiert werden, da er jedoch eng mit Herzls Roman verwandt ist, sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Altneuland und Der Judenstaat aufgezeigt werden. Ein weiteres Kapitel ist der Rolle des Judentums im Buch gewidmet. Dabei soll zum einen innerhalb des Romans untersucht werden, welche Rolle jüdische Religion und Kultur im Kontext des Buches spielen. Umgekehrt möchte ich, in der gebotenen Kürze, aber auch einige generelle Überlegungen zum Judentum anstellen, die für den Roman von Bedeutung sind. Dazu gehört etwa die Frage danach, was jüdische Identität überhaupt ausmacht. Im vorletzten Kapitel soll wieder der Bogen zum Anfang der Arbeit geschlagen werden. Auch wenn die Biographie Herzls ebenfalls in den anderen Kapiteln von Bedeutung sein wird, so soll doch in diesem Abschnitt noch einmal explizit darauf eingegangen werden, inwiefern Herzls Text autobiographische Aspekte enthält und von seinen Erlebnissen beeinflusst wurde. Die Arbeit schließt mit einem Fazit, in dem ich zum einen die wesentlichen Erkenntnisse der Interpretation noch einmal aufgreifen, zum anderen aber auch zeigen werde, bezüglich welcher Aspekte mir weitere Untersuchungen als sinnvoll erscheinen.

Bevor ich nun in den inhaltlichen Teil meiner Arbeit einsteige, möchte ich noch einige kurze formale Hinweise geben. Schwierige, umstrittene oder aus anderen Gründen nur vorsichtig zu gebrauchende Begriffe kennzeichne ich in meiner Arbeit mit einfachen Anführungszeichen, um sie gegen Zitate abzugrenzen. Wörtliche Rede innerhalb von Zitaten wird ebenfalls durch einfache Anführungszeichen gekennzeichnet. Bei der Quellenangabe werden die Quellen bei erster Nennung mit vollem Titel in kursiver Schrift und Autor genannt, anschließend mit Kurztiteln. Für Theodor Herzls Werke wird der Buchtitel als Kurztitel genutzt, da mir Name und Jahreszahl zu unkomfortabel erschienen. Bei den Herzl-Biographien, auf die ich mich berufe, habe ich jedoch wegen der zu ähnlichen Namen der Werke den Namen des Autors als Kurztitel genutzt. Diese unterschiedliche Vorgehensweise für Primär- und Sekundärquellen habe ich gewählt, um dem Leser meiner Arbeit ein komfortableres Lesen zu ermöglichen. Eine letzte Anmerkung sei mir noch gestattet: Dass Altneuland mal kursiv erscheint und mal normal, ist bewusst gewählt. ‚ Altneuland‘ meint Herzls Werk als Ganzes, ‚Altneuland‘ wird hingegen benutzt, wenn Herzls fiktiver Staat genauer beschrieben oder diskutiert wird. Die Zitate habe ich nicht an die neue Rechtschreibung angepasst, sondern exakt übernommen, wie sie in den Quellen erscheinen.

2. Kurzbiographie des Autors

Da Altneuland einen komplexen politischen und historischen Hintergrund hat, scheint es mir unverzichtbar, in eine Interpretation des Romans auch eine Kurzbiographie des Autors aufzunehmen. Diese soll der Interpretation voraus gehen, um bei der Interpretation auch auf biographische Elemente verweisen zu können. Dabei kann allerdings aufgrund der vielen Aktivitäten, denen Herzl nachging, und der vielen Facetten, die sein Leben hatte, eine Biographie im Rahmen dieser Arbeit natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Ich möchte mich dennoch bemühen, die für das Verständnis des Romans essentiellen Aspekte hier darzustellen. Dabei orientiere ich mich im Wesentlichen an den Biographien von Amos Elon,3 Ernst Pinchas Blumenthal4 und Steven Beller5. Sollten einzelne Aspekte fragwürdig oder umstritten sein, so wird darauf explizit hingewiesen. Werden wichtige Ereignisse und Wertungen von den verschiedenen Autoren weitestgehend übereinstimmend beschrieben, so wird nur eine Quelle, in der Regel Steven Beller, als Beleg angegeben.

Der jüdische Autor Wolf Theodor Herzl, mit hebräischem Namen Benjamin Seew Herzl, kam am 2. Mai 1860 als Sohn von Jacob Herzl und Jeanette Herzl, geborene Diamant, in Pest zur Welt. Herzl selbst behauptete gerne, dass seine Ahnen aus Spanien stammen. Dies wird von Blumenthal jedoch als Legende eingeordnet.6 Wie Amos Elon herausstellt, war dies nicht die einzige fragwürdige Geschichte, die sich später um die Familie ranken sollte.7 Auch zahlreiche weitere Legenden, bis hin zur angeblichen Abstammung von einem hebräischen König, wurden über Herzl verbreitet. Insgesamt ist aber eher wenig Gesichertes über die Herkunft der Familien Herzl und Diamant bekannt. Jacob Herzl war ein Bankier und erfolgreicher Geschäftsmann, der durch die Wirtschaftskrise 1873 zwar viel Geld verlor, danach aber wieder einen Teil seines Vermögens zurückgewann. Auch Jeanettes Vater, Hermann Diamant, war wohlhabend. Während Simon Loeb Herzl, Theodors Großvater, noch als religiöser Mensch galt, kann man dies von Theodors Eltern schwerlich behaupten: Sie lebten in Pest weitestgehend assimiliert und emanzipiert und gehörten der aufklärerischen Haskalah-Bewegung an. Dementsprechend spielte die Religion im Alltag der Familie Herzl keine herausragende Rolle.

Bestimmte Rituale wie etwa das Pessach-Fest wurden dennoch begangen.

Blumenthal stellt heraus, dass Theodor Herzl ein sehr herzliches Verhältnis zu seinen Eltern hatte. Insbesondere seine Mutter stellte für Theodor auch im Erwachsenenalter noch immer eine enorm wichtige Bezugsperson dar.8 Auch das Verhältnis der Eltern zueinander war gut. Es handelte sich, wie Blumenthal besonders betont, um eine Liebesheirat.9

Herzls schulische Karriere begann im Alter von fünf Jahren mit einem Hauslehrer, der Theodor gemeinsam mit seiner ein Jahr älteren Schwester Pauline unterrichtete. Mit sechs Jahren ging Herzl auf die Pester israelitische Normalhauptschule, mit zehn auf die städtische Oberrealschule. Mit fünfzehn wechselte er schließlich auf das Pester Gymnasium. Diesbezüglich kommt es allerdings zu widersprüchlichen Angaben: Während Elon und Blumenthal die Realschulzeit erwähnen10, erklärt Beller, Herzl sei bereits 1870 auf das Gymnasium gewechselt.11 Der zwischenzeitliche Besuch der Realschule wird jedoch von der Mehrzahl der Quellen bestätigt. Beller scheint hier einem Fehler aufzusitzen. Nicht umstritten ist hingegen, dass Herzl sich früh für Technik begeisterte. Insbesondere Ferdinand de Lesseps, der Erbauer des Suezkanals, war für Herzl eine Art Jugendheld. Was Herzls Muttersprache angeht, so heißt es in der Literatur meist, dass Herzl mehr oder weniger zweisprachig groß wurde. Das Deutsche war zwar im engeren Sinne seine Muttersprache, da es in der Familie hauptsächlich gesprochen wurde. Ungarisch beherrschte Theodor Herzl aber beinahe genauso gut. Beller stellt heraus, dass Herzl hier etwa bei der Immatrikulation selbst unterschiedliche Angaben machte, einmal das Deutsche und einmal das Ungarische als Muttersprache nannte.12

Eine entscheidende Wendung bekam das Leben der Familie mit dem frühen Tod von Pauline im Jahr 1878. Die Familie zog nach Wien um, wo Theodor sein Jurastudium begann. Hier geriet er in ein stark deutsch-national geprägtes Umfeld, in dem er zunächst aber gut zurecht kam. Herzl trat in dieser Zeit sogar der deutsch-nationalen Burschenschaft Albia bei. Dies, so betont Beller, sei jedoch nicht ungewöhnlich gewesen, auch andere prominente Juden wie etwa Sigmund Freud oder Gustav Mahler hätten sich von den DeutschNationalen angezogen gefühlt.13 Mit dieser Faszination ging bei Herzl auch eine starke Bewunderung für den preußischen Adel einher.

Herzls Zeit in der Burschenschaft war allerdings nur von kurzer Dauer. Der Antisemitismus hielt auch dort immer stärkeren Einzug, so dass Herzl nach nur zwei Jahren die ehrenhafte Entlassung aus der Vereinigung beantragte. Der kulturelle Antisemitismus, der schon zuvor in der Burschenschaft zu spüren war, wich nun einem rassistischen Antisemitismus, der, wie Steven Beller schreibt, für Herzl nicht mehr tragbar war.14

Noch während seines Studiums verfolgte Herzl seinen Traum, als Schriftsteller bekannt zu werden und verschickte Feuilletons an verschiedene Zeitungen. Dies geschah allerdings mit noch mäßigem Erfolg. Er promovierte und arbeitete danach zunächst als Anwalt in Wien und Salzburg. Diesen Beruf gab er jedoch recht schnell auf. Offiziell führte Herzl hierfür den immer stärker werdenden Antisemitismus und die damit einhergehenden schlechten beruflichen Aussichten an. In den Biographien herrscht jedoch ein weitgehender Konsens, dass diese Begründung nur vorgeschoben war: Tatsächlich fand Herzl wohl im Beruf des Anwalts keine Erfüllung und wollte stattdessen seine Karriere als Autor weiter verfolgen. Hierbei war für ihn der gute finanzielle Hintergrund seiner Eltern, zu denen er weiterhin ein enges Verhältnis pflegte, sicherlich hilfreich.

Herzl arbeitete fortan als Journalist und Dramatiker. Mit Der Flüchtling gelang ihm dabei 1887 auch ein Stück, das an den großen deutschen Bühnen aufgeführt wurde. Herzl lebte, so heißt es bei Beller, wie ein 'Dandy'.15 Der Erfolg blieb ihm jedoch nicht treu. Beller formuliert drastisch: „Außerdem war Herzl als Dramatiker äußerst erfolglos […] Seine Stücke waren eher geistreiche, intellektuelle Satiren auf die 'feine Gesellschaft', denen aber nach Meinung des Burgtheaterstars Ernst Hartmann die menschliche Wärme abging.“16 Auch Blumenthal hält fest, dass viele von Herzls Stücken „[...] Misserfolge - oder lauwarme Halberfolge[...]“17 waren. Möglicherweise auch aufgrund dieses ausbleibenden Erfolgs verfiel Herzl dabei immer wieder in Selbstzweifel und Depressionen. Blumenthal hält fest, dass Herzl wohl manisch-depressiv war. Die Misserfolge seien dabei nur Auslöser einer offenbar aus der Familie seiner Mutter ererbten Krankheit gewesen.18 Auch um diesen Depressionen, die möglicherweise bis hin zu Selbstmordgedanken19 führten, zu entgehen, unternahm Herzl zahlreiche Reisen. Die Reiseberichte, die er währenddessen verfasste und an verschiedene Zeitungen sandte, waren bei den Lesern beliebt und somit deutlich erfolgreicher als seine Dramen. Herzl erwarb sich nach und nach einen Ruf als hervorragender Feuilletonist. Seine Karriere als Journalist verlief deutlich besser als die als Schriftsteller. Herzl wurde schließlich bei der Neuen Freien Presse, einer der zu dieser Zeit wichtigsten Zeitungen Mitteleuropas, als Pariser Korrespondent angestellt. Mit dem auch in Paris immer stärker aufkeimenden Antisemitismus wuchs Herzls Interesse an Politik in starkem Maße. Auch bei seiner journalistischen Tätigkeit wendete er sich politischen Themen noch stärker zu. Dass er sich dabei nicht selbst politisch stärker engagierte, begründete er erneut mit seiner Herkunft: Als Jude habe er es ohnehin nicht zu viel in der Welt der Politik bringen können.20 Herzl lebte weiterhin assimiliert, entwickelte aber dennoch ein immer größeres Interesse am Schicksal der Juden. Für ihn stellte der Antisemitismus kein religiöses, sondern vor allem ein soziales Problem dar. Wie dieses gestiegene Interesse Herzls am Judentum zu erklären ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Häufig wurde in der früheren Literatur die so genannte Dreyfus-Affäre als der Punkt angenommen, an dem Herzl sich stärker für die Judenfrage zu interessieren begann. Dreyfus war ein jüdischer Artillerie-Hauptmann in der französischen Armee, der des Landesverrats bezichtigt wurde. Obwohl die Beweise gegen ihn höchst zweifelhaft und zum Teil sogar nachweislich gefälscht waren, wurde er in der Öffentlichkeit vorverurteilt und auch vom Gericht für schuldig befunden. Der erstarkte Antisemitismus in Frankreich, so scheint es, lässt sich gut an der Affäre ablesen. Dennoch wird nach derzeitiger Forschungslage bezweifelt, ob die Affäre auf Herzl tatsächlich einen starken Einfluss gehabt hat. Beller etwa vermutet viel eher, dass Herzls Wandel schlichtweg darin begründet lag, dass er mit Wien und Paris zwei der am stärksten antisemitisch geprägten Städte des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu seinem Lebensmittelpunkt erwählte.

Theodor Herzl entwickelte in der Folge immer mehr die Idee, dem Antisemitismus durch eine Art Massenkonvertierung entgegenzutreten. Seine Vision war, die Juden massenhaft in den Stephansdom zu führen, wo der Papst ihren Übertritt zum Christentum ermöglichen sollte. In dieser Idee wird erstmals Herzls Führungsambition deutlich, da er derjenige sein wollte, der die Juden dabei anleitete. Hier scheint eine Einstellung durch, die in Herzls Denken noch eine Zeit lang verankert sein sollte: Der Gedanke nämlich, dass die Juden sich nicht selbst retten könnten, sondern diese Rettung von oben her verordnet werden müsse. Diese Meinung lag wohl insbesondere im negativen Bild, das Herzl zu dieser Zeit von den Juden hatte, begründet. Er urteilte: „[...] [S]ie sind ein durch Druck verkommenes, entmanntes, vom Geld verwirrtes, in allerlei Hürden domestiziertes Volk“21 Kritik äußerte er weniger am Antisemitismus selbst, stattdessen ging eher hart mit den Juden ins Gericht, die seiner Darstellung zufolge auch selbst an der negativen Stimmung schuld seien. Diese Einstellung wurde auch im Stück Das Ghetto, das schon vor der Dreifus-Affäre entstand, deutlich. Das Stück ließ er allerdings durch die Hilfe seines engen Vertrauten Arthur Schnitzler zunächst anonym auf die Bühne bringen. Zuvor hatte Herzl noch Die Glosse geschrieben sowie einige Sammelwerke mit journalistischen Texten publiziert.

Nach und nach kam er allerdings, auch durch persönliche Erlebnisse motiviert, zur Einsicht, dass der Antisemitismus nicht sozial, sondern vor allem auch rassistisch motiviert war. Dieser Gedanke hatte natürlich fatale Konsequenzen: Soziale Umstände lassen sich ändern, die Abstammung jedoch nicht. Der rassistische Antisemitismus war somit endgültiger und hatte eine andere Qualität als eine rein sozial bedingte Ablehnung. Er wendete sich stärker den Zionisten zu und entwickelte die Idee, dass man wohl nur durch die Gründung eines eigenen Staates den Antisemiten entgehen könnte. Er erlebte dabei den Antisemitismus immer bedrohlicher, etwa durch die Wahl des offen antisemitischen Karl Lueger zum Wiener Bürgermeister.

Auch privat hatte Herzl mit einigen Sorgen zu kämpfen. Noch vor seiner Zeit in Paris (1891-1895) hatte er im Juni 1889 Juliane Naschauer, genannt Julie, geheiratet. Die Ehe war aber, wie etwa Blumenthal skizziert22, schon früh problematisch, unter anderem durch Konflikte zwischen Herzls innig geliebter Mutter und seiner Ehefrau. Dennoch wurde Theodor Herzl mehrfach durch seine Mutter von einer Scheidung abgebracht. Ein weiteres Problem zwischen Theodor und Julie Herzl lag wohl auch in Herzls späterem zionistischem Engagement, dem er deutlich mehr Zeit und Geld widmete als seiner Familie. Julie und Theodor hatten drei Kinder, Pauline (nach seiner früh verstorbenen Schwester benannt, geboren 1890), Hans (*1891) und Trude (*1893). Im Gegensatz zur schwierigen Beziehung zu seiner Frau fühlte sich Herzl seinen Kindern sehr eng verbunden. Aufgrund seiner ausufernden politischen Aktivitäten widmete er ihnen dennoch nur sehr wenig Zeit. Zu leiden hatte Herzl auch darunter, dass zwei seiner Freunde früh verstarben. Heinrich Kana, Herzls engster Vertrauter, brachte sich im Februar 1891 um. Nur wenig später starb auch Oswald Boxer an Gelbfieber, nachdem er in Südamerika ein zionistisches Projekt besucht hatte. In seinem literarischen Schaffen verfolgte Herzl eine ganze Zeit lang den Plan, Heinrich Kana ein Denkmal zu setzen. Er konzipierte den Roman Samuel Kohn, der in dieser Form jedoch nie realisiert wurde. Kohn, mit dem Herzl Heinrich Kana meinte, taucht jedoch später in Altneuland kurz als Nebencharakter auf.

Der 2. Juni des Jahres 1895 gilt, so stellt Beller fest, schließlich als endgültiger Startpunkt für den zionistischen Herzl23. An diesem Tag schrieb er an den bekannten Philanthropen Baron de Hirsch, um dessen finanzielle Unterstützung zur Verwirklichung der zionistischen Ideen zu erbitten. Mit DerJudenstaat veröffentlichte Herzl zugleich ein Traktat, in dem er seine Pläne ausführlich einer breiten Öffentlichkeit darlegte. Der Gedanke des Wandels 'von oben herab' tritt hier in den Hintergrund. Stattdessen plante Herzl nun, den Zionismus durch eine breite Akzeptanz zu einer Massenbewegung zu machen. Beller ordnet dem Buch einen hohen Stellenwert zu: „ DerJudenstaat machte Herzl zum Vater des Staates Israel.“24 Parallel zu seiner Tätigkeit als Autor engagierte sich Herzl in zahlreichen Gesprächen mit wichtigen Vertretern, von denen er sich Unterstützung für sein zionistisches Projekt erhoffte. Dieses war für ihn weiter in erster Linie eine sozial motivierte, keine religiöse Unternehmung: Herzl wusste nach wie vor wenig über die jüdische Religion. Seine Bemühungen gipfelten im ersten zionistischen Kongress in Basel. Herzl versuchte dort, die unterschiedlichen zionistischen Gruppierungen in einer gemeinsamen Bewegung zu vereinen. Dieser Kongress sollte auch nicht der einzige in Herzls Biographie bleiben - insgesamt gab es zu Herzls Lebzeiten sechs zionistische Kongresse. Dabei ist Herzl zwar einerseits sehr hoch anzurechnen, dass er es schaffte, die Zionisten in einer großen Veranstaltung zu vereinen. Gleichzeitig stellte sich jedoch heraus, dass er insbesondere den Interessen der Juden aus Osteuropa nicht gerecht werden konnte. Während die Idee eines eigenständigen jüdischen Staates innerhalb der Bewegung definitionsgemäß gemeinsames Ziel war, wurde doch deutlich, dass es bezüglich des Zielgebietes höchst unterschiedliche Ansichten gab. Herzl hatte, insbesondere bei den späteren Kongressen, eine eher pragmatische Vorstellung. Da die Ostjuden in ihrer Heimat verfolgt wurden und Repressionen befürchten mussten, waren in seinen Augen auch andere Gebiete als Palästina eine akzeptable Lösung. Insbesondere die aus Osteuropa stammenden Juden, um die es Herzl ja gerade ging, konnten diesem Plan jedoch nicht zustimmen. Für sie war Palästina das einzig denkbare Gebiet, in dem ein jüdischer Staat angesiedelt werden könnte. So sehr sich Herzl, etwa in Gesprächen mit dem Sultan Abdul Hamid II. (1901) bemühte, eine ‚Heimstätte‘ für die Juden in Palästina zu schaffen, blieben diese Bemühungen dennoch erfolglos. Wohl auch ein Stück weit aus Frustration über erlittene Misserfolge bei der Verfolgung seiner realen Ziele arbeitete Herzl weiter an seinem Roman Altneuland. Dieser, der zugleich Herzls einziger vollendeter Roman blieb, erschien schließlich im Oktober 1902 und somit zwischen dem fünften und dem sechsten zionistischen Kongress. Ein Jahr später, im August 1903, rückte die Gründung eines jüdischen Staates für Herzl noch einmal in greifbare Nähe, da ihm von der britischen Regierung Uganda zur Besiedlung angeboten wurde. Herzl schien eine rasche Lösung insbesondere vor dem Eindruck des Pogroms im russischen Kischinjew dringend nötig, er erwog ernsthaft, Uganda zum Ziel der Bewegung zu machen. Die Gründung eines Staates dort stellte dabei für Herzl keine langfristige Alternative zu Palästina dar. Stattdessen hoffte er, insbesondere die osteuropäischen Juden mit der ‚Zwischenlösung‘ Uganda vor dem ärgsten Schaden bewahren zu können, um dann von dort aus ein neues Besiedlungsgebiet zu erschließen. Auf dem sechsten Zionistenkongress fand diese Lösung zunächst auch Zustimmung. Mit 295 zu 177 Stimmen wurde die Entsendung einer Prüfungskommission beschlossen. Diesen Erfolg bezahlte Herzl jedoch mit einem hohen Preis: Erneut stellten sich die so genannten Kulturzionisten gegen Herzl, für die Palästina durch nichts zu ersetzen war. Dass hierbei ausgerechnet die russischen Juden, die Herzl ja gerade schützen wollte, opponierten, war für ihn wohl ein besonders schwerer Schlag. Die zionistische Bewegung war damit fürs Erste gespalten und auch Herzl sah nach und nach ein, dass es langfristig wohl kaum eine Alternative zu Palästina geben würde. Seine weiteren dahingehenden Bemühungen blieben jedoch erfolglos. Auch die Unterstützung des Papstes, die er sich bei einer Audienz erhoffte, konnte er nicht erlangen. Seine letzte große Leistung, so meint Beller25, war schließlich das Treffen eines großen Aktionskomitees am 11. und 12. April 1904. Herzl schaffte es dort, verständlich zu machen, dass Uganda für ihn nur eine Übergangslösung darstelle. Er erreichte eine Versöhnung zwischen seinen Anhängern und den osteuropäischen Juden, verbunden mit dem Versprechen, das Uganda-Projekt auf einem siebten Kongress vorbehaltlos zu diskutieren. Diesen erlebte Herzl selbst jedoch nicht mehr. Er starb im Juli 1904 im Alter von nur 44 Jahren, offenbar überarbeitet und herzkrank. Seine Frau und seine Kinder hinterließ er dabei annähernd mittellos: Sein Geld hatte Herzl in die Verfolgung seiner zionistischen Ziele gesteckt. Julie überlebte ihren Mann lediglich um drei Jahre und starb 1907. Auch seinen Kindern war kein langes Leben vergönnt. Pauline starb rauschgiftsüchtig 1930 in Bordeaux infolge einer Überdosis. Ihr Bruder Hans brachte sich am Tag ihrer Beerdigung um. Die jüngere Tochter Trude erlitt das vielleicht schwerste Schicksal in der Familie: Sie verbrachte einen Großteil ihres Lebens in Nervenheilanstalten und wurde schließlich nach Theresienstadt deportiert, wo sie 1943 starb. Ihr Sohn Stefan brachte sich 1946 in Washington D.C. um. Herzl hat somit keinerlei direkte Nachfahren.

3. Zusammenfassung des Romans

Im Folgenden werde ich den wesentlichen Inhalt des Romans zusammenfassen. Dabei werde ich an einigen Stellen bereits auf Aspekte hinweisen, die im Laufe meiner Arbeit eine wichtige Rolle spielen sollen. Der Fokus des Kapitels liegt jedoch noch nicht auf einer Interpretation, sondern auf der Zusammenfassung der wesentlichen inhaltlichen Aspekte des Buches, um diese bei der folgenden Analyse besser präsent zu haben.

3.1 I. Buch

Die Handlung von Herzls Roman ist im Wesentlichen um die Hauptfigur des jungen Wiener Juden Friedrich Löwenberg herum aufgebaut. Sie beginnt im Wien des Jahres 1902. Der Erzähler macht den Leser zunächst mit der Hintergrundgeschichte des Hauptakteurs vertraut. Löwenberg ist ein junger, promovierter Jurist, der mit einigen Sorgen zu kämpfen hat. Seine berufliche Zukunft scheint, wie die vieler junger jüdischer Akademiker zu dieser Zeit, unsicher. Darüber hinaus muss er den Tod seiner beiden engsten Freunde verarbeiten. Herzl nutzt in diesem Zusammenhang sehr drastische Worte, um die scheinbar aussichtslose Situation der Juden im Wien der Jahrhundertwende zu schildern. Er lässt Heinrich, Löwenbergs älteren guten Freund vor seinem Freitod in seinem Abschiedsbrief schreiben: „Es war sozusagen chronologisch begreiflich, daß sie früher verzweifeln als er.“26 Auch Oswald, der zweite der beiden Freunde, scheitert indirekt an der Wiener Gesellschaft: In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft war dieser nach Brasilien gezogen, wo er „dem gelben Fieber“27 erlag. Oswald und Heinrich sind, wie Löwenberg erkennt, aber nur zwei Beispiele von vielen, die an der Situation der Juden zu Grunde gehen:

Die einiges Vermögen besaßen, konnten es langsam aufzehren, oder sie lebten aus der väterlichen Tasche weiter. Andere lauerten auf die „gute Partie“, mit der hübschen Aussicht, Eheknecht im Solde eines Schwiegervaters zu werden. Die dritten unternahmen eine rücksichtslose und nicht immer reinliche Konkurrenz in Berufen, welche eine vornehmere Lebenshaltung erforderten. […] Manche wurden aus Not Journalisten und handelten mit öffentlicher Meinung. Noch andere tummelten sich in Volksversammlungen herum, hausierten mit wertlosen Schlagworten, um bekannt zu werden und parteiliche Beziehungen zu ergattern […].28

Löwenberg zieht diese Wege für sich selbst allerdings nicht in Betracht, in gewisser Weise verachtet er die so Handelnden sogar. Seine Lebensfreude ist ihm trotz all dem nicht völlig verleidet, denn er hofft, seine Bekannte Ernestine Löffler, „ein äußerst süßes Geschöpf“29, für sich gewinnen zu können. Diese Zuneigung hält Löwenberg allerdings geheim. Er fürchtet, von Ernestines wohlhabendem Vater nicht ernst genommen zu werden und möchte sich zunächst eine vorzeigbare Existenz aufbauen. Doch diese Hoffnung Löwenbergs zerplatzt schnell: Auf einem Gesellschaftsabend bei der Familie Löffler wird Ernestines Verlobung bekannt gegeben, was Friedrich seinen letzten Lebensmut raubt. Der Erzähler nutzt diesen Anlass mit einer sehr zugespitzten und beinahe parodierenden Schilderung der auftretenden Personen, um der Abneigung gegen die Wiener Bourgeoise Ausdruck zu verleihen. Als Beispiel sei hier aber Ernestines Verlobter, Leopold Weinberger angeführt, der als wohlhabende, jedoch äußerst abstoßende Person beschrieben wird: „Fremd war ihm aber der kahlköpfige Herr, der neben Ernestine am Klavier stand. […] Friedrich nahm bei dieser Gelegenheit wahr, daß Herr Weinberger, Milchet der Brünner Firma, beträchtlich schielte und eine sehr feuchte Handfläche hatte. […] Ernestine mit einem solchen Menschen - das war einfach unmöglich.“30

Dass Ernestine aber doch Weinberger ehelichen möchte, trifft Löwenberg hart. Er entschließt sich, auf eine Anzeige zu antworten, die er zuvor in der Zeitung gesehen hat und die den Verlauf des Romas noch entscheidend bestimmen soll:

„Gesucht wird ein gebildeter und verzweifelter junger Mann, der bereit ist, mit seinem Leben ein letztes Experiment zu machen. Anträge unter N.O. Body an die Expedition.“31 Während Löwenberg diese Anzeige am Nachmittag noch befremdlich gefunden hat, ist er nach diesem neuerlichen Rückschlag genau dieser gesuchte, verzweifelte junge Mann. Bevor er auf Kingscourt, den Inserenten trifft, lernt Löwenberg jedoch noch eine weitere Kehrseite des Lebens der Juden in Wien kennen: Er begleitet nach einem eher zufälligen Zusammentreffen den kleinen David Littwak und dessen Vater in ihre ärmliche Unterkunft, um sich dort ein Bild vom Leben der ärmsten Juden zu machen. Vom Schicksal der Familie Littwak, die aus Krakau nach Wien gekommen ist und nun hart um das Überleben kämpfen muss, scheint Löwenberg sichtlich ergriffen.

Am folgenden Tag trifft Löwenberg auf den Inserenten Kingscourt und wird zu dessen Begleiter. Auch in Kingscourts Vorgeschichte wird der Leser, wenn auch nur vage, eingeführt: Kingscourt trägt eigentlich den Namen Königshoff und ist ein preußischer Offizier, der die Armee verlassen und es in Amerika zu Reichtum gebracht hat. Von seiner Frau und seinem Neffen betrogen, hat er beschlossen, ein Leben in Abgeschiedenheit auf einer einsamen Insel zu führen. Löwenberg soll dabei die Rolle eines Gesellschafters für ihn spielen. Dieser willigt ein, bittet jedoch noch um etwas Geld, das er der Familie Littwak zukommen lassen möchte. Die beiden stechen schließlich gemeinsam in See, machen jedoch auf ihrem Weg Halt in Palästina. Hier macht Herzl Löwenbergs Identitätskonflikt zum ersten Mal vollends deutlich. Kingscourt fragt Löwenberg, ob dieser noch einen Abstecher in sein Vaterland wagen möchte. Doch Löwenberg nimmt Palästina gar nicht als Vaterland wahr. „’Mein Vaterland?’ staunt Friedrich. ‚Sie wollen noch einmal nach Triest zurückkehren?’“32

Der Besuch in Palästina gerät für beide zur Enttäuschung: „Vom jüdischen Reiche ist nichts mehr übrig als ein Stückchen Tempelmauer […]“33, stellt Löwenberg angesichts des Zustands fest, in dem er Palästina vorfindet. Einzig die wenigen jüdischen Kolonien, auf die sie der jüdische Augenarzt Eichenstamm nach einem zufälligen Zusammentreffen hinweist, scheinen ein wenig Hoffnung zu versprechen. Enttäuscht reisen Kingscourt und Löwenberg schließlich ab.

3.2 II. Buch

Die Handlung des zweiten Buchs setzt 20 Jahre später ein. Kingscourt hat, ohne es zunächst zugeben zu wollen, aus Neugierde darauf gedrängt, die Insel für einen Ausflug nach Europa zu verlassen. Im Roten Meer treffen die beiden Männer, die nach den gemeinsamen Jahren eine enge Freundschaft verbindet, kaum noch Schiffe an. Auch Port Said wirkt wie verwaist. Kingscourt und Löwenberg erfahren schließlich, dass sich in Palästina in den vergangenen 20 Jahren einiges verändert hat. Obwohl dies nicht ihren eigentlichen Plänen entspricht, beschließen sie, einen Abstecher zu wagen und sich selbst ein Bild von diesen Neuerungen zu machen, womit der utopische Teil des Romans beginnt. Von hier ab lässt Herzl seine beiden Figuren das neue Palästina, das namensgebende ‚Altneuland’ erkunden. Dabei treffen sie früh auf David Littwak. Der ehemalige Betteljunge ist mittlerweile zum Mann gereift und symbolisiert das, was Herzl sich vom neuen Staat34, der im Grunde genommen gar keiner ist, verspricht: Littwak ist ein erfolgreicher, angesehener Mann, dem der ‚Judenstaat’ die Chance eröffnet hat, ein besseres Leben zu führen. Littwak steht so stellvertretend für den Aufstieg, den jeder zuvor benachteiligte Jude in diesem neuen Staat schaffen kann. Er besteht darauf, Löwenstein und Kingscourt zu sich nach Hause einzuladen und führt sie durch die Hafenstadt Haifa hin zu seinem Anwesen. Dabei bietet sich den beiden Neuankömmlingen ein völlig anderer Anblick, als noch bei ihrem ersten Aufenthalt in Palästina 20 Jahre zuvor. Geschildert wird eine moderne, wohlhabende Stadt mit Palmengärten, einer elektrischen Schwebebahn und vielen prächtigen Anwesen35. Auf dem Weg nach Friedrichsheim, dem nach Löwenberg benannten Anwesen der Familie Littwak, klärt David Littwak seine Gäste in Grundzügen über Altneuland auf. Dabei ist auch erstmals die Rede von der ‚neuen Gesellschaft’, die als Genossenschaft den Staat trägt. In Friedrichsheim angekommen treffen Löwenberg und Kingscourt schließlich auf weitere Figuren, die für den Ausgang der Geschichte noch entscheidend sein werden: Neben David Littwaks Ehefrau Sarah ist dort auch Davids jüngere Schwester Mirjam, die Friedrich zuletzt als Säugling gesehen hatte, sowie Davids Sohn Fritz. Zwischen Kingscourt und Fritz entwickelt sich schnell eine beinahe schon (groß)väterliche Bindung: „Mit diesem Augenblick begannen die Beziehungen zwischen dem alten Menschenfeinde Kingscourt und dem jüngsten Littwak“.36 Auch Mirjam, eine „schlanke, schwarzlockige junge Dame von großer Schönheit“37 gewinnt schnell Friedrichs Aufmerksamkeit, die am Ende des Romans mit der Heirat der beiden Figuren ihren Höhepunkt finden wird. Damit neigt sich die Handlung des zweiten Buches beinahe schon ihrem Ende entgegen. Geschildert wird noch, wie die fünf gemeinsam entscheiden, welches Kulturangebot sie für den Abend nutzen sollen, wobei eine breite Auswahl aus Theater, Oper und anderen Aufführungen in verschiedenen Sprachen besteht. Von hier an ändert sich die Erzählweise des Romans deutlich. Die Handlung läuft nur langsam weiter. Das Verhältnis von Erzählzeit zu erzählter Zeit gewinnt Bedeutung und verschiebt sich erheblich. Während zuvor 20 Jahre beinahe völlig übersprungen werden und die Handlung rasch voranschreitet, beginnt Herzl nun, in ausführlichen Dialogen Löwenberg, Kingscourt und somit zugleich auch den Leser über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Altneuland zu informieren. Auffällig ist dabei, wie häufig Littwak und später auch andere Charaktere betonen, dass Altneuland nicht auf neuen Erfindungen beruhe, sondern lediglich Techniken und Ideen nutze, die schon zuvor bekannt gewesen waren. So meint Littwak bereits zu Beginn des zweiten Buches: „Die Leistungsfähigkeit der Kulturmenschheit war ja in dieser Beziehung schon am Ende des neunzehnten Jahrhunderts kolossal.“38 Ähnliche Formulierungen tauchen später noch häufiger auf. Was Herzl damit möglicherweise bezweckt und inwiefern ihm solche Formulierungen auch als Kritik vorgehalten wurden, soll im Laufe dieser Arbeit noch erläutert werden.

Bezüglich der Handlung wird klar, dass Löwenberg und Kingscourt zumindest vorläufig in Altneuland bleiben werden, um das Land unter der Führung von Littwak besser kennenzulernen. Löwenberg gibt Kingscourt sein Wort, das Versprechen zu halten und ihm somit weiter zur Seite zu stehen: „Regen Sie sich nicht auf, Kingscourt! Ich werde nicht länger hierbleiben, als Sie selbst. […] Mein Ehrenwort… Und ich werde auch nicht in Davids neue Gesellschaft eintreten.“39

Littwak erläutert seinen Gästen das Wirtschaftssystem, den ‚Mutualismus‘, sowie das Wesen der genossenschaftlichen Zeitung Altneulands. Anschließend fahren die drei gemeinsam mit Sarah und Mirjam ins Theater, wo Löwenberg zufällig einigen Bekannten aus Wien begegnet. Darunter befindet sich Laschner, ein Börsenhändler, der auch in Altneuland unbeliebt ist. Schiffmann, den er in seinem Wiener Stammcafé häufig getroffen hat, aber ebenfalls nicht gut leiden kann, taucht ebenfalls auf und weist Löwenberg auf einen weiteren Gast hin, der Löwenbergs besondere Beachtung findet: Ernestine Löffler, seine ehemalige Angebetete. Für Friedrich Löwenberg ist dieses Wiedersehen sehr schicksalsträchtig: Ernestine Löwenberg hat sich deutlich verändert: Sie ist eine „fette, verblühte, in allzu grelle Farben gekleidete Dame“40. Löwenberg sieht ein, dass die ‚reale‘ Ernestine nichts mehr mit der Ernestine gemein hat, in die er früher verliebt war und an die er während seines Aufenthalts auf der einsamen Insel immer noch hatte denken müssen: „Er empfand Scham und auch Erleichterung. Um dieses Weib hatte er sich gegrämt.“41

Schließlich treffen Löwenberg und Kingscourt auch auf Eichenstamm, den sie als Augenarzt vor ihrer Abreise in Palästina kennenlernten und der mittlerweile zum Präsidenten der neuen Gesellschaft geworden ist. Beim Gespräch mit dem Präsidenten wird deutlich, dass es in Altneuland eine politische Auseinandersetzung gibt, in den David Littwak involviert ist. Littwak repräsentiert dabei eine tolerante, Fremden gegenüber offene Haltung, während sein politischer Gegner, ein Herr namens Geyer, für eine streng reglementierte, rein jüdische Gesellschaft plädiert. Eichenstamm macht in diesem Zusammenhang klar, welche Geisteshaltung er verfolgt und nutzt dazu einen Satz, der im Endeffekt zu einem Leitspruch für das ganze Konzept hinter Altneuland wird: „Mein letztes Wort an unsere Juden wird sein: Der Fremde soll sich bei uns wohlfühlen.“42

3.3 III. Buch

Das dritte Buch des Romans, das zugleich dessen Mitte darstellt, beginnt mit der Reise einer Gruppe um Kingscourt und Löwenberg nach Tiberias zu David Littwaks Eltern. Der Architekt Steineck sowie der Moslem Reschid Bey, der ein guter Freund Littwaks ist, ergänzen dabei die Reisegemeinschaft. Die Handlung umfasst zunächst die Schilderung dieser Reise, wobei die Reisezeit erneut mit Dialogen gefüllt wird, die genauere Informationen über Altneuland und dessen Wirtschaftssystem und Gesellschaft geben. Unter anderem werden das Verhältnis von Juden und Moslems, die Landverteilung und die Frage der heiligen Stätten diskutiert. Es folgt ein längerer Abschnitt im ländlichen „Neudorf“, in dem vor allem die politische Situation des Landes thematisiert wird. Steineck bemüht sich, die Bürger Neudorfs von der toleranten, offenen Geisteshaltung zu überzeugen und vor der Partei Geyers zu warnen. Steineck erweist sich dabei allerdings als eher schlechter Redner, so dass Mendel, ein Anhänger Geyers, mit seiner Gegenrede die Einwohner beinahe von der fremdenfeindlichen Haltung überzeugt. Erst als David Littwak ein längeres Plädoyer für Toleranz hält, sind die Bewohner Neudorfs überzeugt und lassen den Redner schließlich sogar hochleben.

Die Gruppe besichtigt anschließend landwirtschaftliche Einrichtungen, eine chemische Versuchsstation sowie Neudorfs Maschinenhaus. Dabei nähern sich Mirjam und Friedrich einander an. Dieser gibt ihr gegenüber zu, dass er sich schlecht fühlt, weil er nicht an Altneulands Gründung mitwirken konnte und stattdessen seine Zeit gemeinsam mit Kingscourt auf der Insel verbracht hat. Er erläutert Mirjam zudem, dass er nicht frei handeln kann, da er Kingscourt seine Treue geschworen hat und sich diesem Schwur auch verpflichtet fühlt. Nach einer kurzen weiteren Reiseetappe erreicht die Gruppe schließlich das Haus von David Littwaks Eltern. Für Davids Vater ist das Wiedersehen mit Friedrich ebenfalls eine Freude. Zugleich erfährt man jedoch, dass der Gesundheitszustand von Davids Mutter sehr schlecht ist. Vor Ort besuchen Löwenberg und Kingscourt das Labor von Professor Steineck, dem Bruder des Architekten Steineck. Dort wird an Heilmitteln gegen schwere Krankheiten wie Malaria geforscht, was ebenfalls auf einen entscheidenden Aspekt des Romans hindeutet: In Altneuland wird nicht nur zum Wohle des Judentums, sondern zum Wohl der gesamten Menschheit geforscht. Diese Idee gipfelt in der Suche nach einer Lösung zur „Negerfrage“43.

Im abschließenden Kapitel des dritten Buchs trifft Löwenberg ein weiteres Mal auf Schiffmann, Löffler und die übrigen Juden der Wiener Bourgeoise. Diese werden erneut in komischer, stellenweise fast karikierender Weise dargestellt, was wohl Herzls Abneigung gegenüber deren Einstellung zum Ausdruck bringt.

3.4 IV.Buch

Das vierte Buch beginnt mit einem stark religiös geprägten Abschnitt. Im Haus von David Littwaks Eltern wird das Passahfest gefeiert und in seinen Bräuchen ausführlich erläutert. Darüber hinaus wird der Charakter Joe Levy eingeführt. Dieser tritt zwar nicht selbst auf, wird jedoch als Generaldirektor des Industrieamtes und vor allem als wichtiger Mitbegründer Altneulands vorgestellt. Hier beginnt der wohl am stärksten theoretisch geprägte Abschnitt des Romans, denn in der Folge lässt Herzl die Figuren eine von Joe Levy besprochen Phonographen-Rolle hören, auf der die Entstehung Altneulands detailliert geschildert wird. Auf den folgenden rund 30 Seiten (S. 171-204) steht die Handlung dabei beinahe völlig still, erläutert werden nur noch die historischen Hintergründe Altneulands. Erst im sechsten und letzten Kapitel des vierten Buches läuft die Handlung weiter. Die wenigen Entwicklungen, die sich noch zum Ende des Buches hin ergeben, sind die Folgenden: Die Beziehung zwischen Friedrich und Mirjam vertieft sich. Kingscourt hat Fritz mittlerweile sehr ins Herz geschlossen. Zudem unternehmen die Hauptpersonen wieder einige Ausflüge, bei denen sie mehr über das Land erfahren.

3.5 V. Buch

Nachdem die Rahmenhandlung im vierten Kapitel beinahe zum Erliegen gekommen ist, zieht das Erzähltempo im letzten Buch noch einmal deutlich an. Zunächst erreichen Löwenberg und Kingscourt Jerusalem. Die Stadt hatte vor 20 Jahren bereits einen bleibenden Eindruck bei Löwenberg hinterlassen. Mit dem neu errichteten Tempel und den belebten Straßen wirkt sie noch imposanter und stellt für die beiden Gefährten den Höhepunkt der Reise dar. Nach diesem Besuch überschlagen sich die Ereignisse förmlich. Zunächst findet die Delegiertenwahl statt, danach erreicht die Protagonisten eine schreckliche Nachricht: Fritz, David Littwaks Sohn, ist schwer erkrankt. Eine schwere Halsentzündung entwickelt sich für den Jungen lebensbedrohlich. Kingscourt ist tief betroffen und weicht nun nicht mehr von der Seite des Kranken. Er schwört, für immer in Altneuland zu bleiben, wenn Fritz seine Krankheit überstehe. Die Ärzte geben Fritz schon beinahe auf und sagen, dass nur ein langer Schlaf den Jungen noch retten könne. Schließlich kommt es wie durch ein Wunder doch zur Rettung: Fritz schläft ein und erholt sich. Kingscourt steht zu seinem Versprechen und bricht gemeinsam mit Löwenberg zu Präsident Eichenstamm auf, um Mitglied der neuen Gesellschaft zu werden. Zugleich ereilt die Freunde die Nachricht, dass Geyer sich bei den Wahlen nicht gegen Littwak und Steineck durchsetzen konnte. David Littwak gewinnt gleich mehrere Mandate, nimmt aber nur das von Neudorf, der im dritten Buch eingeführten Siedlung, an.

Bei Eichenstamm angekommen erfahren Friedrich und Kingscourt schließlich vom plötzlichen Tod des Präsidenten. Bei der daraufhin einberufenen Präsidentschaftswahl gelten zunächst Joe Levy sowie sein Gegenkandidat Dr. Marcus als Favoriten. Beide verzichten jedoch und schlagen gemeinsam David Littwak vor, der mit deutlichem Vorsprung die Wahl für sich entscheiden kann. Zur gleichen Zeit erfährt Littwak, dass seine Mutter im Sterben liegt. An ihrem Sterbebett erreicht Littwak schließlich die Nachricht, dass er, ohne sein Wissen, zum neuen Präsidenten der neuen Gesellschaft gewählt wurde. Littwak möchte diese Wahl eigentlich nicht annehmen, will seiner Mutter allerdings eine letzte Freude bereiten und wird schließlich neuer Präsident der Gesellschaft. Gleichzeitig kommen Mirjam und Friedrich endgültig zusammen und erhalten noch im letzten Moment den Segen von Davids und Mirjams Mutter. Nur sehr knapp schildert der Erzähler anschließend noch die Beerdigung von Littwaks Mutter, ehe er mit einem Nachwort seinen Roman vollendet.

4. Zu Altneuland als literarischem Werk

Zur Interpretation von Herzls Roman gehört ohne Frage auch eine literaturwissenschaftliche Untersuchung im Hinblick auf Sprache, formalen Aufbau und Inhalt der Erzählung. Diese ist Gegenstand des folgenden Kapitels. Zunächst soll dazu der Roman im Hinblick auf formale Kriterien wie Umfang und formale Gliederung untersucht werden. Im Anschluss werde ich in einem zweiten Abschnitt eine kritische Auseinandersetzung mit der im vorherigen Kapitel skizzierten Handlung angehen. Weiterhin folgt ein Abschnitt, in dem der sprachliche Stil des Romans analysiert wird.

4.1 Formale Analyse zu Herzls Roman

4.1.1 Zur generellen Einordnung und zum Umfang des Romans

Theodor Herzls Altneuland kann eindeutig der Gattung der Epik, konkreter des Romans, zugerechnet werden. Bezüglich des Genres ist eine präzise Einordnung jedoch nicht unkompliziert. Eine intuitive Wertung des Romans als Utopie ist, nicht zuletzt natürlich auch wegen des Untertitels „Ein utopischer Roman“, sicherlich nachvollziehbar. Dass eine präzise Einordnung allerdings durchaus mit einigen weitergehenden Fragen verbunden ist, zeigt Leah Hadomi in ihrem Aufsatz Altneuland - ein utopischer Roman.44 Dieser Text stellt wohl die ausführlichste Auseinandersetzung mit der gattungspoetischen Einordnung des Romans dar und soll deswegen hier in Kürze wiedergegeben werden. Hadomi ordnet den Roman zunächst als konkrete Utopie ein. Darunter versteht sie eine Utopie, die für konkrete historische Prozesse empfänglich ist.45 Anschließend untersucht Hadomi den Roman anhand dreier Prinzipien, die nach Freyer grundlegend für eine utopische Welt sind: Die Abgeschlossenheit, das dynamische Gleichgewicht der inneren Kräfte sowie der Schutz gegen Störungen von außen. Sie argumentiert im Folgenden anhand einiger konkreter Beispiele, dass Herzls Werk diese Kriterien durchbreche. Als Beispiel mag man hier den ersten Teil des Romans nehmen, der eben nicht abgeschlossen für sich der realen Welt gegenüber steht, sondern einen konkreten Bezug zur Wirklichkeit in Wien herstellt. Weiterhin erklärt Herzl in seinem Roman, wie die Gesellschaft zu Stande gekommen ist, dies sei ebenfalls untypisch für eine Utopie. Zusammenfassend hält Hadomi fest, dass Altneuland „ein 'konkret- utopischer' Roman ist, in dem der historisch-nationale Charakter dem universalen gegenübersteht, in dem in jenem das Neue über das Alte dominiert und der somit die Linien der Abgeschlossenheit, des dynamischen Gleichgewichts und des Schutzes der 'utopischen Welt' gegen Störungen von außen durchbricht.“46 Im direkten Vergleich mit anderen zionistischen Utopien kommt die Autorin schließlich zum Schluss, dass […] die utopische Methode des zionistisch-utopischen Romans nicht nur auf der für Utopie konventionellen sozial-universalen Idee basiert, sondern von nationalen und gesellschaftlichen Ideen dominiert wird. Als Folge verändern sich die drei Grundelemente der utopischen Welt. […] Der zionistisch- utopische Roan der Jahrundertwende ist Ausdruck der Verneinung der historischen Situation der jüdischen Gesellschaft in Europa und der Suche nach Erfüllung ihrer ersehnten nationalen und gesellschaftlichen Wunschbilder.

[...]


1 Rede von Benjamin Netanjahu vor dem Knesset anlässlich des 150 Geburtstags von Theodor Herzl, aus dem Englischen übersetzt durch den Autor dieser Arbeit. Abgerufen am 10.09.10 unter http://www.mfa.gov.il/MFA/History/Modern+History/Centenary+of+Zionism /PM_Netanyahu

2 http://www.mfa.gov.il/MFADE/MFAArchive/2000_2009/2004/7/Herzl+und+der+Zionismus. htm. Abgerufen am 10.09.10

3 Elon, Amos: Theodor Herzl. Eine Biographie. Im Folgenden zitiert als „Elon“

4 Blumenthal, Ernst Pinchas: Diener am Licht. Im Folgenden zitiert als „Blumenthal“ 5 Beller, Steven: Theodor Herzl. Im Folgenden zitiert als „Beller“ 6 Blumenthal, S.9

7 Elon, . S. 20

8 Blumenthal, S. 15

9 Ebd., S.13

10 Ebd., S.18; Elon, S.3111 Beller, S.18

12 Vgl. ebd., S.20

13 Vgl. ebd., S.20

14 Vgl. ebd., S.23

15 Vgl. ebd. S.24

16 Ebd. S.25

17 Blumenthal, S.55 18 Vgl. ebd.

19 Vgl. Elon, S.82

20 Vgl. Beller, S.30

21 Herzl, Theodor: Briefe und Tagebücher, Band 1, S.505f; Band 2, S.46. Zitiert nach: Beller, S.34

22 Vgl. Blumenthal, S.68

23 Vgl. Beller, S.47

24 Ebd., S.49

25 Vgl. Beller, S.128

26 Herzl, Theodor: Altneuland S. 20. Im Folgenden zitiert als Altneuland

27 Ebd.

28 Ebd., S.21 29 Ebd., S.22 30 Ebd., S.26

31 Ebd., S.24

32 Ebd., S.48

33 Ebd., S.52f.

34 Mir ist bewusst, dass die Verwendung des Begriffes ‚Staat‘ im Zusammenhang mit Altneuland schwierig ist -Vgl. hierzu das Zitat auf Seite 249: „[…]denn wir sind kein Staat“. Obwohl Altneuland in seiner genossenschaftlichen Organisation von einem ‚normalen‘ Staat abweicht (Vgl. hierzu auch Abschnitt 5.2), möchte ich der Einfachheit halber bei dieser Terminologie bleiben. Wenn in dieser Arbeit vom ‚Staat‘ Altneuland die Rede ist, so ist hiermit also Herzls Konzept einer genossenschaftlich organisierten Gesellschaft gemeint. Auf das genaue Wesen von Herzls utopischem Konstrukt soll dabei an späterer Stelle eingegangen werden

35 Vgl. ebd., S.68ff; Auf genaue Details soll an dieser Stelle noch nicht eingegangen werden - die Staatsordnung, die Rolle der Technik und das soziale und gesellschaftliche Wesen Altneulands werden an späterer Stelle noch detaillierter analysiert.

36 Ebd., S.77

37 Ebd., S.75

38 Ebd., S.73

39 Ebd., S.86

40 Ebd., S.105

41 Ebd., S.105

42 Ebd., S.107

43 Ebd., S.153

44 Hadomi, Leah: Altneuland. Ein utopischer Roman. In: Moses, Stéphane und Albrecht Schöne (Hrsg.): Juden in der deutschen Literatur. Ein deutsch-israelisches Symposion, S.210-225. Im Folgenden zitiert als „Hadomi“

45 Vgl., auch für den Rest dieses Abschnitts, Hadomi S. 210ff.46 Hadomi, S. 216

Excerpt out of 115 pages

Details

Title
Zwischen Politik, Vision und Literatur - Theodor Herzls Roman "Altneuland"
College
RWTH Aachen University
Grade
1,3
Author
Year
2010
Pages
115
Catalog Number
V201447
ISBN (eBook)
9783656321613
ISBN (Book)
9783656325789
File size
854 KB
Language
German
Keywords
zwischen, politik, vision, literatur, theodor, herzls, roman, altneuland
Quote paper
Lars Odenkirchen (Author), 2010, Zwischen Politik, Vision und Literatur - Theodor Herzls Roman "Altneuland", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201447

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