Genieästhetik und Dramentheorie. Kritik an Shakespeare in Herders Shakespear-Aufsatz von 1773


Trabajo, 2012

18 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Entstehung von Herders Aufsatz Shakespear

2. Fortgang des Aufsatzes

3. Inhaltliche Schwerpunkte des Aufsatzes
3.1. Das antike Drama im 18. Jahrhundert
3.2. Herders Kritik an Shakespeare
3.3. Die Genieästhetik
3.4. Historismus

4. Schlussfolgerung

I. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit widmet sich Herders Shakespear -Aufsatz von 1773. Nach seiner Veröffentlichung wurde klar, dass sich Herder in dem Text ganz bewusst gegen gängige Theaterprinzipien seiner Zeit richtet. Besonders die scheinbar zeitlosen Regeln der normativen Poetik, an denen sich Gottsched und speziell der französische Klassizismus festhielten, werden stark kritisiert und in einen neuen Kontext gebracht. Auf welche Art und Weise Herder diese Argumentation vollzieht und welche wegweisenden neuen Gedanken sich daraus für den Sturm und Drang ergeben haben, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. Für die Untersuchung des Textes soll seine Entwicklung knapp umrissen werden. Danach folgt ein zusammenhängender Umriss des Fortgangs des Aufsatzes, um seine Argumentationsstruktur und Herders Stil zu charakterisieren. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf dem dritten Hauptkapitel, in dem eine inhaltliche Analyse Aufschluss zu den auftretenden Kerngedanken der Genieästhetik und dem Historismus geben soll. Dazu leiten die Kapitel zur Bedeutung der antiken Dramentheorie im 18. Jahrhundert und Herders Kritik an Shakespeare im Bezug auf die Wirkung seiner Stücke und deren Art und Weise seiner Ästhetik diesen Abschnitt ein. Den Abschluss wird eine Schlussfolgerung aus der erarbeiteten Analyse bilden.

1.1. Entstehung von Herders Aufsatz Shakespear

Herder schrieb den Shakespear -Aufsatz ursprünglich als Antwort auf Gerstenbergs Versuch ü ber Shakespeares Werke und Genie aus dem Jahre 1766. Beide standen wie viele andere Künstler der damaligen Zeit in Korrespondenz zueinander. So war der erste Entwurf des Aufsatzes vom Juni 1771 wesentlich kürzer und wies noch nicht die klare Struktur der Endfassung von 1773 auf, wie sie in dem Sammelband Von deutscher Art und Kunst erschienen ist. Hatte der erste Entwurf noch die Züge eines Briefes, nähert sich der zweite, der zwischen September 1771 und Anfang 1772 entstand, der fertigen Version an. Die Entstehung des Textes wurde dabei von mehreren Briefen begleitet, in denen sich Herder - typisch für die damalige Zeit - mit anderen Künstlern und Kritikern über bestimmte Werke Shakespeares austauscht.1

2. Fortgang des Aufsatzes

Herder strukturiert seinen Aufsatz sehr klar und verfolgt durchgängig eine genaue Argumentation. Wiesen die vorherigen Entwürfe schon die meisten Gedanken und Hauptthemen des Textes auf, waren sie doch vergleichsweise unübersichtlich und dadurch weniger überzeugend. Scheinbar lies Herder in früheren Versionen seine Gedanken zum Thema noch freien Lauf, sodass er teilweise von seiner Hauptargumentation kurz abdriftete. Dies ist beispielsweise in einem der Entwürfe zu sehen, in dem Herder meint, dass es „durch eine ästhetische Anschauung des Ganzen der Geschichte möglich sein könnte, die Spuren Gottes in ihr in einer Art »Theodicee a posteriori« zu entdecken“.2 Herder verwirft solche Gedanken in den späteren Fassungen jedoch zugunsten einer klaren Linie.

Der Aufsatz gliedert sich in mehrere Argumentationsstufen. Diese sind durch die Absätze sichtbar hervorgehoben worden. Den Anfang macht eine Anrede des Lesers, in dem Herder diesen um seine Aufmerksamkeit bittet. Er stellt Shakespeare als Dichter vor, dessen Größe von vielen scheinbar nicht verstanden wird, obwohl seine Stücke sich durch etwas Besonderes auszeichnen, das es im Verlauf des Textes zu benennen und erläutern gilt. Dies tut Herder auf eine besonders emphatische Weise. Seine Rhetorik bittet nicht nur um Verständnis, sondern möchte beim geneigten Leser Sympathie erzeugen. Herder begründet sein Anliegen und den Zweck des Aufsatzes mit dem Ziel, die bisherige Sichtweise auf Shakespeare zu ändern und beantwortet seine rhetorische Frage, ob diese Unternehmung anmaßend sei, gleich selbst mit einer eindeutigen Verneinung.

Seine Argumentation geht von einer grundlegenden Neubetrachtung von Dichtung aus und da sich diese auf zumeist wesentliche Vorgaben aus der antiken Poetik des Aristoteles stützt, beginnt er mit einer Neuinterpretation dieser Schrift. Das Drama und die Tragödie sind ein Erbe Griechenlands.3 Ihr Regelvorrat wurde durch Traditionen überliefert und dient der aktuellen Dichtung als Vorbild. Allerdings kann das hier erwähnte „nordische Theater“ von Shakespeare dieses Vorbild nicht als Schablone nutzen und einfach nachahmen. Der Beweis soll im Shakespear -Aufsatz an späterer Stelle folgen.

Herder betont den geschichtlichen Zusammenhang von Aristoteles Buch, indem er festhält, dass dieses aus den Gegebenheiten seiner damaligen Zeit erwachsen ist. Die Vorstellungen des griechischen Dramas sind aus bestimmten Entwicklungs- zusammenhängen entstanden, die er hier aufzählt.4 Damit benennt Herder einen revolutionären Gedanken, denn die Idee, dass das griechische Drama durch äußerliche Umstände geformt worden wäre, ist ein Novum der Zeit. Er setzt die Vorstellung einer Tragödientheorie damit in einen poetisch-historischen Zusammenhang, der gedanklich so vorher nicht vorhanden war. Besonders im Bezug auf Aristoteles Poetik ist diese Aussage soweit revolutionär, haben andere Theorien wie die von Gottsched oder des französischen Klassizismus dieses Werk doch bisher als systematische Normenvorgabe verstanden. Herder geht weiter davon aus, dass ein Drama natürlich aus seinen Umständen erwachsen sein muss wie schon das griechische Theater. Ändern sich die Gegebenheiten, muss sich deswegen zwangsläufig auch die Form des Theaters ändern.

So kommt Herder zum zweiten Punkt der Argumentation: Dem französischen Theater. Dieses setzte sich das antike griechische Theater als Vorbild und versuchte, es nachzuahmen. Allerdings ist dieses Unterfangen notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Versucht man alte und fremde Vorgaben auf neue Zustände zu legen, entsteht daraus nur „Puppe, Nachbild, Affe, Statüe“.5 Herder entwirft in diesem Zusammenhang das Bild von den Gegensätzen des Inneren und des Äußeren oder von Kern und umschließender Schale. Sofern der innere Kern, der sich aus „Handlung, Sitte, Sprache, Zweck“6 ergibt, nicht natürlich sind, spielt es keine Rolle, wie sehr man sich um das Äußerliche bemüht. Das Ergebnis wird immer etwas Konstruiertes sein, das keine Rührung hervorruft. Herder geht sogar weiter: Kein tragischer Zweck ist in den französischen Stücken zu finden, sie wären also nutzlos. Der geneigte Leser könne sich auch selbst davon überzeugen, wie er meint.

Denn nun beginnt Herders genanntes Hauptthema: Die Suche nach einem geeigneten, natürlichen, rührenden, nordischen Theater. Die Kriterien dafür richten sich nach „Geschichte, nach Zeitgeist, Sitten, Meinungen, Sprache, Nationalvorurt[h]eilen, Traditionen und Liebhabereien“7, die der Dichter als Umstände seiner Zeit wahrnimmt. All diese Vorgaben sieht Herder im antiken, griechischen Theater und in Shakespeares Stücken verwirklicht. Diese sind zwar oberflächlich betrachtet weit voneinander entfernt, setzen aber dieselbe Grundidee um, sodass Shakespeare dem Vorbild der Antike letztendlich näher ist, als es das französische Theater je sein könnte. Herder vertieft an dieser Stelle lediglich seinen Grundgedanken von der Historisierung der Tragödientheorie.

Vor allem die Vollkommenheit Shakespeares als Dichter macht diesen Punkt aus. Er bezeichnet ihn als Genie, das schöpferisch wirkt und vergleicht ihn direkt mit Sophokles. Zudem beschreibt Herder die Umstände, die Shakespeare selbst vorfand und aus denen er dieselben Wirkungen hervorbrachte wie einst die antiken Dichter: Furcht und Mitleid. An dieser Stelle wird von derselben Terminologie für die aristotelischen Begriffe des eleos und phobos Gebrauch gemacht wie bei Lessing,8 heute sind jedoch eher die Übersetzungs- varianten „Jammer und Schaudern“ von Manfred Fuhrmann gebräuchlich.9 Aristoteles hätte Shakespeare hierfür bewundert, wie er es schon bei Sophokles in seiner Poetik getan hat und auch Herder selbst fühlt sich dem nordischen Dichter näher als der griechischen Tragödie.10 Dies ist eine logische Konsequenz aus dem Grundgedanken, dass sich der griechische Dichter vorzugsweise nach dem Zuschauer und seiner Reaktion richtet11 und so muss auch Shakespeare, sofern er, wie Herder zu beweisen versucht, nach dem Kern des griechischen Tragödienideals handelt. Shakespeare ist nur ein schöpferisches Genie, wenn er den Rezipienten seiner Zeit mehr berührt, als irgendein anderes Drama egal welcher Epoche es könnte. Herder vergleicht ihn an mehreren Beispielen mit Sophokles, wobei die shakespeareschen Charakteristika göttliche Weisen haben.12 Vielfach werden christliche Termini im Bezug auf den nordischen Dichter verwendet, die beschreiben, wie der „Hauptklang seines Concerts“13 einen engelsgleichen Klang besitzt. Wenn Herder Shakespeare als „Er“ anspricht und diese Anrede bewusst mit einem Majuskel gebraucht, deutet dies ebenso darauf hin, dass er dem Dichter göttliche Züge beimisst, da es in der Frühen Neuzeit üblich war, Gott ebenfalls mit einem großgeschriebenen unpersönlichen Personalpronomen zu benennen.

Es folgt eine genauere exemplarische Beweisführung an den Stücken Lear und Othello. Hier wird der Leser mit einzelnen Eindrücken der Handlung, Charaktere, Konflikte, Umstände, Wendungen u.ä. montagehaft konfrontiert. Herder verdeutlicht, wie verwoben und komplex das Stück ist, doch das Genie führt die einzelnen Teile harmonisch zusammen, sodass sie sich fügen und den Zuschauer emotional mitreißen.

[...]


1 Vergleich KARTHAUS: Sturm und Drang. S. 62.

2 IRMSCHER: Johann Gottfried Herder. S. 181.

3 Vgl. HERDER: Shakespear. S. 66.

4 Vgl. HERDER: Shakespear. S. 67 ff.

5 Ebenda. S. 71.

6 Ebd. S. 72.

7 Ebd. S. 75.

8 Vgl. LESSING: Hamburgische Dramaturgie. S. 156.

9 ARISTOTELES: Poetik. S. 19.

10 Vgl. HERDER: Shakespear. S. 77.

11 Vgl. ZIERL: Affekte in derTragödie. S. 31 ff.

12 Vgl. HERDER: Shakespear. S. 77.

13 Ebd.

Final del extracto de 18 páginas

Detalles

Título
Genieästhetik und Dramentheorie. Kritik an Shakespeare in Herders Shakespear-Aufsatz von 1773
Universidad
University of Rostock  (Germanistik)
Curso
Tragödie und Tragödientheorie in der Frühen Neuzeit
Calificación
2,0
Autor
Año
2012
Páginas
18
No. de catálogo
V201923
ISBN (Ebook)
9783656698616
ISBN (Libro)
9783656699675
Tamaño de fichero
407 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Germanistik, Shakespeare, Herder, Tragödie, Tragödientheorie, Literaturwissenschaft, Frühe Neuzeit, shakespear, johann, gottfired, aufsatz, poetik, theater
Citar trabajo
Katrin Weiß (Autor), 2012, Genieästhetik und Dramentheorie. Kritik an Shakespeare in Herders Shakespear-Aufsatz von 1773, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201923

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