Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Brieflehren Christian Fürchtegott Gellerts und Karl Philipp Moritz‘
2.1 Gellerts Brieflehre
2.2 Moritz Brieflehre
3 Vergleich
3.1 Goethe an Schiller, 14. November 1796
3.2 Schiller an Goethe, 17. Januar 1797
3.3 Schiller an Goethe, 24. Januar 1797
3.4 Goethe an Schiller, 13. Juni 1797
4 Fazit
Literaturverzeichnis
Monographien
Zeitschriftenartikel
Internetquellen
Anhang
Anhang 1 Gellerts Stilkriterien
Anhang 2 Vergleich Gellert - Moritz
Anhang 3 Übereinstimmungen und Abweichungen
Anhang 4 Stilelemente
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Der 1828/29 von Goethe veröffentlichte „Briefwechsel“[1] zwischen Schiller und Goethe ist gattungstheoretisch den uneigentlichen Privat-Briefen zuzurechnen. Es sind jeweils schriftlich fixierte, zielorientierte Sprech- und Rollenhandlungen zwischen Emittent und Rezipient, die sich hier in der 2. Person Plural anreden und durch die räumliche Trennung einen „brieftypischen Phasenverzug“[2] erfahren, also in verzögerter Raum-Zeit-Deixis kommunikative Vorgänge über das Medium Brief austauschen.[3] Durch die Veröffentlichung ist ihre eigentliche Bestimmung aufgehoben, da sie „von Dritten eingesehen werden können.“[4] Insofern ist die kommunikative Situation der Briefe öffentlich für den Leser nachvollziehbar. Goethes Intention in der Veröffentlichung ist, die Entwicklung und persönliche Bildung beider Briefschreiber während der zehn Jahre dauernden Freundschaft deutlich zu machen.[5] Es ist eine Wertschätzung, ein geistiges Denkmal der gemeinsamen Tätigkeit und entspricht der Position Schillers, der laut Fischer den Briefwechsel „als Medium und Dokument der im Austausch sich vollziehenden Bildung“[6] verstanden habe.
Innerhalb der Briefgattung variieren die Briefwechsel zwischen Essay[7] , Rezension, Kurzbrief, Zettel-Mitteilung und Billet.
Wenige ausgewählte Privat-Briefe aus dem Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe[8] , die durch den Dozenten exemplarisch zu diesem Thema vorgegeben waren, dienen in dieser Hausarbeit als Basis, um den Briefstil zu untersuchen. Zunächst wird es darum gehen, herauszufiltern, inwieweit eine Beeinflussung durch Gellerts und Moritz Schriften stattgefunden hat, die zur Veränderung der deutschsprachigen Briefformen des ausgehenden 18. Jahrhunderts beigetragen haben. Ein Überblick der wichtigsten Thesen Gellerts und Moritz zur Briefstilistik wird deshalb vorangestellt und anschließend einzelne Briefe mit maßgeblichen Prinzipien der Gellert‘schen und der Moritz’chen Brieftheorie verglichen. Anschließend werden die Besonderheiten der Briefe herausgearbeitet und der Frage nachgegangen, welche Bedeutung dem Stil im Kontext des jeweiligen Briefes zukommt. Möglich ist, dass Schiller und Goethe auch in ihrem Briefwechsel einen ganz besonderen, jeweils eigenen, literaturproduktionsnorientierten, epochalen, ‚klassischen‘ Briefstil entwickeln.
2 Die Brieflehren Christian Fürchtegott Gellerts und Karl Philipp Moritz‘
Christian Fürchtegott Gellert veröffentlicht zuerst 1742 und dann 1751 seine Brieftheorie[9] und stellt damit gleichzeitig die bisherige deutsche Brieflehre infrage. In „ Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen“ erläutert er seine „wesentlichsten Gedanken über das Briefeschreiben“.[10] Im gleichen Jahr, 1751, werden zwei weitere Brieflehren publiziert, die aber nicht im gleichen Maße rezipiert werden. Einem von diesen, Johann Christoph Stockhausen, komme allerdings laut Nickisch das Verdienst zu, die Reform der deutschen Brieflehre eröffnet zu haben.[11] Hervorzuheben sei, dass diese Reform nur im Zusammenhang der gesamtgesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen zu sehen ist.
Karl Phillip Moritz als Stilästhetiker entwickelt Gellerts Brieflehre zur reinen Stillehre weiter, die für alle Textsorten gelten soll. Er bringt zuerst 1783 seine „ Anleitung zum Briefschreiben“[12] heraus, die als Auftakt für seine 1793/94 publizierten „ Vorlesungen über den Styl oder praktische Anweisungen zu einer guten Schreibart“ zu sehen sind.[13]
2.1 Gellerts Brieflehre
Christian Fürchtegott Gellert ist der Meinung, dass ein Brief „ die Stelle eines Gesprächs vertritt“[14] , wobei dies „ kein ordentliches Gespräch“[15] sei, sodass „ also in einem Briefe nicht alles erlaubt [sei], was im Umgange erlaubt ist. Aber er vertritt doch die Stelle einer mündlichen Rede, und deswegen muß er sich der Art zu denken und zu reden, die in Gesprächen herrscht, mehr nähern, als einer sorgfältigen und geputzten Schreibart. Es ist eine freye Nachahmung des guten Gesprächs.“[16] Um Fehler zu vermeiden, gibt Gellert weitere Hinweise. Er sieht einen Unterschied zur Sprache des Umgangs, die häufig „ in der Art zu denken und sich auszudrücken, unrichtig, müßig, ekelhaft ist“.[17] Dies sei ungesittet, nicht schicklich und nicht gerechtfertigt.[18] Gesellschaftliche Reden seien das Briefvorbild. Für einen Brief habe man mehr Zeit, sodass man beim Briefschreiben „ etwas sorgfältiger in der Wahl seiner Gedanken und Worte, in der Wendung und Verbindung derselben“[19] sein könne. Dies sei deshalb wichtig, weil ein Brief „ genauer bemerkt [werde], als was man bloß hört“[20] . Deshalb solle man Gemeines, Alltägliches vermeiden, was „Ekel“ erwecken könne.[21] Besonders die ästhetischen Prinzipien der Zierlichkeit und Natürlichkeit hebt Gellert hervor, alles Formelhafte lehnt er ab.[22] Natürliches sei mit Leichtigkeit zu verbinden, die durch einen klaren Gedankengang und Ausdrucksdeutlichkeit entstehe.[23] Die zu wählenden Worte sollten ohne Zwang, „ gebräuchlich, aber auch gut und richtig[…], üblich seyn.“[24] Gellert benutzt zur Erläuterung die Adjektive schön, deutlich, fein, kurz, lebhaft.[25]
Ein weiteres Prinzip Gellerts ist die „ Wohlredenheit“[26] , also schöne, an antiken Prinzipien geschulte Rede, die verständlich und geläufig bleibe. Hinzu kommt der Inhalt der Briefe, der mit einer Zimmermetapher erklärt wird.[27] Die Form des Briefes solle dem natürlichen Gedankengang folgen.[28] Gellert hält nichts von formularverhaftetem Schreiben.[29] Er betont z.B. die Empfindsamkeit und Gefühle, die ohne Nachdenken niedergeschrieben werden sollen.[30] Freundschaft und Liebe können mit Naivität (sorglos, offenherzig) ausgedrückt werden.[31] Erzählungen in Briefen sollen kurz und deutlich sein. Lebhaft, prosaisch und nacherlebbar werden sie durch die Wortwahl, die Charakterisierung, den mündlichen Erzählton.[32]
In der Tabelle im Anhang 1 werden Gellerts Stilkriterien noch einmal aufgeführt.[33] Hieraus ergibt sich eine deutliche Tendenz. Wenn man von den zahlenmäßig häufigsten Hinweisen ausgeht, kann man auf Gellerts zentrale Stilprinzipien schließen: Das Natürliche, das Schöne, das Lebhafte, das Deutliche.[34] Tendenziell hervorgehoben seien auch die negativen Kriterien, die es zu vermeiden gelte: das Unnatürliche, das Gezwungene, das Matte, das Undeutliche.
Gellert zielt besonders stark auf den Gesprächscharakter und den persönlichen Charakter des Briefstils ab,[35] wobei er den Umgangston gesitteter und geschickter Leute als Vorbild nennt. Natürlich schreiben kann nur jemand, der humanistisch-literarisch gebildet und geübt ist.[36] Insofern ist Gellerts Prinzip der Individualität und Natürlichkeit darauf eingeschränkt zu gefallen und Neues zu sagen,[37] ein „ Prinzip des schön geglätteten Stils“[38] , eine „ Als-ob-Natürlichkeit“[39] , dessen übergeordnete Kategorie der gute Geschmack ist.[40] Gellerts Brieflehre wird so populär, dass sie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Eingang in den Lehrplan bürgerlicher Schulen findet.[41]
2.2 Moritz Brieflehre
Gellerts Brieflehre bleibt bestimmend und ist die Voraussetzung für die Konkretisierung der von Karl Philipp Moritz vorgenommenen Erweiterungen.
Karl Philipp Moritz ist der Meinung, dass guter Stil bzw. Ausdruck nicht aus Regeln oder Vorschriften erwachse, sondern aus der Übung des Verstandes und des Nachdenkens. Stilübungen seien gleichzeitig Denkübungen, mit denen man seine Gedanken besser ordnen könne.[42] Zwischen Gedanken und Ausdruck kann Moritz keine Grenzlinie ziehen. Guter Stil beziehe sich aber immer auf einen Gegenstand in den Gedanken, den man durch die richtige Auswahl der Worte erlebbarer mache[43] , mit dem Ziel, „ den Hauptgedanken in sein hellstes Licht zu stellen“[44] . Man muss sich für den Gegenstand interessieren und versuchen, ihn vollständig zu erfassen, „ nicht bloß mit dem Gedächtnis und der Einbildungskraft auffassen, sondern es sich durch die Urtheilskraft selber zu eigen machen.“[45] Dieses Verstehen mache das Auswendiglernen von Formeln und Regeln überflüssig.[46] Die Konzentration auf die Hauptsache bedeute eine Kürze der Wortwahl. Nur das Notwendige solle gesagt bzw. geschrieben werden, alles Überflüssige, auch ein „ Mißlaut“[47] weggelassen werden.[48] Dies gelte sogar für Silben und für Zweideutigkeiten, die sonst vom Hauptgegenstand ablenken könnten. Gedanke und Wortlaut sollen deckungsgleich sein.
Moritz Beispielen aus der Literatur (er zitiert u. a. Mendelssohn und Wieland) kann man entnehmen, welche Kriterien z.B. keinen guten Schreibstil darstellen: gesucht und gezwungen, schwülstig, matt poetisch, nicht übereinstimmend, unbescheiden, anmaßend, geschmacklos, unbeholfen, unverständlich, weitschweifig und dunkel, regelloser bildlicher Ausdruck[49] , niedrig und pöbelhaft, gekünstelt, fehlerhafte Parenthese, Weitschweifigkeit, Unbestimmtheit.[50] Demgegenüber fordert Moritz z.B. einen Ausdruckstil mit geordneter und regelmäßiger bildlicher Schreibart, leichthin geworfen, ungekünstelt natürlich, würdig und edel.[51] Für ihn ist das Deutliche und das Echte, das sich als „ das Schön-Wahre, als das Gehalt- und Seelenvolle oder endlich als das Einfach-Herrlich-Natürliche“[52] offenbart, wichtigster Bestandteil des Briefstils. Das Deutliche wird gekennzeichnet als klar, bestimmt, präzise, während das Schön-Natürliche mit den Worten echt, unverbildete Individualität, Schönheit und Natürlichkeit des Stils definiert wird.[53] Jede normative Regel- und Formelhaftigkeit oder Mustervorgaben früherer Briefsteller lehnt er ab.
Moritz besonderes Augenmerk liegt nicht nur auf präziser Deutlichkeit, Lebhaftigkeit, Würde und Wohlklang im Ausdruck,[54] sondern neben Kürze auch auf Bestimmtheit, Schönheit und Individualität.[55] Der Briefstil entspricht nicht einem gesonderten Stil, sondern ist Maßstab aller „ schriftlich-sprachlichen Darstellungs-, Mitteilungs- und Äußerungsformen.“[56] Der gesteigerte Anspruch korrespondiert mit einer allgemein gesteigerten Stilkultur, die eine entsprechende Geistesbildung z.B. durch Werke der Dichtkunst voraussetzt.[57] Eine Unterscheidung zu Gellert findet sich bei Moritz letztlich in der stärker ausgeprägten Ästhetik, der höheren Präzision bzw. Deutlichkeit, der klareren Herausstellung der Individualität und im Anspruch des Schreibstils für alle Textsorten.
[...]
[1] Oellers, Norbert (Hrsg.)(2009): Friedrich Schiller. Johann Wolfgang Goethe. Der Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 1 und 2. Unter Mitarbeit von Georg Kurscheidt. Stuttgart.
[2] Bürgel, Peter (1976): Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells. In: DVjs 50, S. 286.
[3] Nickisch, Reinhard. M. (1991): Brief. Stuttgart, S. 9-11.
[4] Nickisch (1991): S. 107.
[5] Fischer, Bernhard (2011): Literaturpolitik und Pietas. In: Fischer, Bernhard/Oellers, Norbert (2011): Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Beiheft 14 zur ZfDP. Berlin, S.14ff.
[6] Fischer (2011) in: Fischer/Oellers (2011): S. 15.
[7] Barner, Wilfried (2011): Brief oder Essay? Gedankenexperimente in Schillers und Goethes Korrespondenz. In: Fischer, Bernhard/Oellers, Norbert (2011): Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Beiheft 14 zur ZfDP. Berlin, S. 48ff.
[8] Goethe an Schiller, 14. November 1796, Schiller an Goethe, 17. Januar 1797, Schiller an Goethe, 24. Januar 1797, Goethe an Schiller, 13. Juni 1797 In: Oellers, Norbert (Hrsg.)(2009): Friedrich Schiller. Johann Wolfgang Goethe. Der Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 1 und 2. Unter Mitarbeit von Georg Kurscheidt. Stuttgart.
[9] Nickisch, Reinhard. M. G. (1969): Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliographie zur Briefschreiblehre (1474-1800). Göttingen, S. 172.
[10] Nickisch (1969): S. 172.
[11] Nickisch (1969): S. 162.
[12] Moritz (1783/1981): in: Günther (Hrsg.): Werke Bd. 3.
[13] Nickisch (1969): S. 197.
[14] Witte, Bernd u.a. (Hrsg.)(1989): Christian Fürchtegott Gellert. Roman, Briefsteller. Leben der Schwedischen Gräfinn von G***. Gedanken von einem guten deutschen Briefe. Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. Berlin. New York, S. 111.
[15] Witte (Hrsg.)(1989): S. 111.
[16] Witte (Hrsg.)(1989): S. 111.
[17] Witte (Hrsg.)(1989): S. 112.
[18] Witte (Hrsg.)(1989): S. 112.
[19] Witte (Hrsg.)(1989): S. 112-113.
[20] Witte (Hrsg.)(1989): S. 113.
[21] Witte (Hrsg.)(1989): S. 113.
[22] Witte (Hrsg.)(1989): S. 113.
[23] Witte (Hrsg.)(1989): S. 119.
[24] Witte (Hrsg.)(1989): S. 114.
[25] Witte (Hrsg.)(1989): S. 121.
[26] Witte (Hrsg.)(1989): S. 114.
[27] „Ein Brief soll eben nicht einem armseligen Zimmer gleichen, das an allen Wänden leer ist; aber es muß auch kein pralendes Putzzimmer seyn, darinnen man eine Menge von Kostbarkeiten zur Schau ausgesetzt“. Witte (Hrsg.)(1989): S. 114.
[28] Witte (Hrsg.)(1989): S. 126.
[29] Witte (Hrsg.)(1989): S. 127.
[30] Witte (1989): S. 137ff.
[31] Witte (1989): S. 146.
[32] Witte (1989): S. 143ff.
[33] Anhang 1
[34] Nickisch (1969): S. 173.
[35] Nickisch (1969): S. 174.
[36] „Wer keine gute Auferziehung gehabt, wer seinen Verstand noch gar nicht durch den Umgang mit geschickten und vernünftigen Leuten, oder durch das Lesen guter Bücher geübt, und in Ordnung gebracht {[…]der wird freilich nach dieser Regel immer noch elende Briefe schreiben können.“ Witte (1989): S. 126. Nickisch (1969): S. 175.
[37] Witte (1989): S. 115.
[38] Nickisch (1969): S. 181.
[39] Nickisch (1969): S. 175.
[40] Nickisch (1969): S. 181.
[41] Nickisch (1969): S. 192.
[42] Moritz, Karl Philipp (1794): Vorlesungen über den Styl oder praktische Anweisung zu einer guten Schreibart in Beyspielen aus den vorzüglichsten Schriftstellern. Zweyter Theil, Berlin, S. 51.
[43] Moritz (1794): S. 52.
[44] Moritz (1794): S. 55.
[45] Moritz (1794): S. 55.
[46] Moritz (1794): S. 62.
[47] Moritz (1794): S. 66.
[48] Moritz (1794): S. 66.
[49] Moritz (1794): S. 87-104.
[50] Moritz (1794): S. 112-123.
[51] Moritz (1794): S. 104-112.
[52] Nickisch (1969): S. 194.
[53] Nickisch (1969): S. 195.
[54] Moritz (1794): S. 129ff.
[55] Nickisch (1969): S. 200.
[56] Nickisch (1969): S. 200.
[57] Nickisch (1969): S. 201.