Sprache(n) und Internet: Das ivorische Sprachphänomen Nouchi


Seminararbeit, 2012

26 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Nouchi – ein sich (im Internet) verbreitendes Sprachphänomen in der Côte d’Ivoire
2.1 Die soziolinguistische Situation in der Côte d’Ivoire
2.1.1 Französisch
2.1.2 Einheimische Sprachen
2.2 Von den Ghettos in Abidjan zur ivorischen Nationalsprache?
2.2.1 Begriff, Entstehung und Entwicklung
2.2.2 Abgrenzung und Definition
2.2.3 Linguistische Beschreibung
2.2.4 Sprachverwendung und Spracheinstellungen
2.3 Selbstdarstellung der Kommunikationsgemeinschaft im Internet
2.3.1 Das Internet als Chance für Dialekte, Minderheitensprachen und Nichtstandardvarietäten
2.3.2 Das Portal Le nouchi ivoirien
2.3.3 Die Website der Wochenzeitschrift gbich!
2.3.4 Der Internetauftritt der Musikerin Nash
2.3.5 Ein privater Blog mit gesellschaftspolitischem Anspruch
2.3.6 Schlussfolgerungen

3. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Bibliographie

1. Einleitung

Die Côte d’Ivoire ist ein westafrikanisches Land, das während der Kolonialzeit (1893-1960) durch das Französische geprägt wurde. In den 1970er-Jahren ent­wickelten Kinder und Jugendliche in der Millionenmetropole Abidjan mit Nouchi eine Varietät, welche ihnen als Geheimsprache diente, und sich durch ein spielerisches Zusammenbringen verschiedener Sprachen auszeichnet. Heute ist diese, nahezu landesweit, das bevorzugte Ausdrucksmittel eines gro­ßen Teils der jün­geren Generation und verzeichnet einen stetigen Zuwachs an SprecherInnen.

Diese Arbeit nun verfolgt das Ziel, jenes sprachliche Phänomen näher vor­zustellen und dessen heutige Verbreitung im Internet zu untersuchen. Dabei soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Gemeinschaft der Nouchi-Sprechenden die Möglichkeiten des globalen Netzwerks für die Erhaltung und Verbreitung einer solchen Substandardvarie­tät für ihre Zwecke nutzt.

Hierzu soll in einem einleitenden Kapitel zunächst der soziolinguistische Kontext der Elfenbeinküste beleuchtet werden. Anschließend wird die Entste­hung und Entwicklung des Nouchi nachgezeichnet werden. Es schließt sich der Versuch an, das Phänomen linguistisch näherzubestimmen und zu beschreiben. Mit der Vorstellung einer jüngeren Untersuchung unter Abidjaner SchülerIn­nen sollen nachfolgend die heutige Verwendung der Varietät sowie die Ein­stellungen der SprecherInnen zu dieser ergründet werden.

Ein weiterer Teil wird sich mit der Selbstdarstellung der Nouchi-Kommuni­kationsgemeinschaft im Internet beschäftigen. Dazu werden nach einem allge­meinen Ausloten der Chancen dieses neuen Mediums für den Erhalt und die Verbreitung von Minderheitensprachen und Nichtstandardvarietäten ausge­wählte Internetpräsenzen vorgestellt. Die Arbeit schließt mit einer vergleichen­den Analyse der Webseiten hinsichtlich der Umsetzung bzw. Nutzung der Möglichkeiten des Internets für eine aussichtsreiche Zukunft des Nouchi.

2. Nouchi – ein sich (im Internet) verbreitendes Sprachphänomen in der Côte d’Ivoire

Im nun folgenden Hauptteil dieser Arbeit wird zunächst ein kürzeres Kapitel in die sprachliche Situation der Elfenbeinküste und damit in die Rahmenbedin­gungen des Phänomens Nouchi einführen. Daraufhin soll diese Varietät zu­nächst in ihrer Entstehung und Entwicklung bis heute vorgestellt werden. An­schließend soll eine Näherbestimmung bzw. Abgrenzung des Nouchi von be­nachbarten Varietäten in der Elfenbeinküste versucht werden sowie der aktu­ellen Sprachverwendung und den Einstellungen der Ivorer zu dieser Varietät nachgegangen werden. In einem weiteren Kapitel werden dann, nach einer kurzen Beleuchtung der Chancen des Internets für Minderheitensprachen und Nichtstandardvarietäten, ausgewählte Internetpräsenzen der Nouchi-Sprach­gemeinschaft vorgestellt und diese auf ihre Ziele bzw. Nutzung der Möglich­keiten des globalen Netzwerks für ihre spezifischen Interessen hin untersucht.

2.1 Die soziolinguistische Situation in der Côte d’Ivoire

In der Elfenbeinküste werden heute von etwa 21,5 Mio. Menschen über 60 verschiedene Sprachen gesprochen.[1] Dieses einführende Kapitel soll einige grundlegende Informationen zu jenem sprachlichen Kontext liefern, in dem das Phänomen Nouchi heute in Erscheinung tritt. Zu diesem Zwecke werden im Folgenden das Französische, als offizielle Sprache der Elfenbeinküste, so­wie die einheimischen Sprachen auf ihre heutige Rolle, Verbreitung und Ver­wen­dung innerhalb der ivorische Gesellschaft hin untersucht. Zum Nouchi selbst werden dieselben Betrachtungen im nachfolgenden Kapitel angestellt.

2.1.1 Französisch

Mit der Erlangung der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich im Jahre 1960 wurde das Französische als einzige Amtssprache der neuen Repub­lik Côte d’Ivoire eingeführt. Nach Kube konnte sich die Sprache schnell fest in der Gesellschaft verankern, da sie zu diesem Zeitpunkt als interethnische Ver­kehrssprache bereits von großer Bedeutung war (cf. Kube 2005: 16). Gleich­zeitig erfuhr das Französische im Bereich der nähesprachlichen bzw. Alltags-Kommunikation eine weitgehende Ivorisierung. Kube spricht von der Heraus­bildung einer endogenen ivorischen Norm, dem français populaire ivoirien, welches sich aufgrund des Einflusses der einheimischen Sprachen deutlich vom hexagonalen Standardfranzösisch unterscheidet (cf. Kube 2005: 103).

Bis heute ist das Französische die einzige offizielle Sprache der Elfenbein­küste. In einer klassischen Diglossie genießt es höchstes Prestige und domi­niert, laut Kube, in allen öffentlichen Gesellschaftsbereichen. So ist das Fran­zösische die ausschließliche Sprache in Politik, Justiz und Verwaltung. Nach Kube existieren auch in den Medien und im Bildungswesen des Landes nur wenige Ausnahmen, in denen den indigenen Sprachen eine Rolle zukommt. Für den Erwerb eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Sektor sind gute Franzö­sischkenntnisse eine unbedingte Voraussetzung (cf. Kube 2005: 124-127).

Im Zuge ihrer Untersuchung unter Abidjaner GymnasiastInnen bestätigte Kube die Tendenz, nach welcher das Französische, insbesondere im städti­schen Kontext, zunehmend als Erstsprache erlernt wird. Darüber hinaus dringt die Sprache auch vermehrt in Bereiche vor, welche bisher den einheimischen Varietäten vorbehalten waren, d.h. in die Alltags- und Familienkommunikation (cf. Kube 2005: 130, 141).

Dennoch weist Kube darauf hin, dass die Mehrheit der IvorerInnnen ledig­lich über eingeschränkte bis rudimentäre Französischkenntnisse verfügt. Hier­bei ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen den Generationen (je älter, desto weniger Kenntnisse) sowie bezüglich verschiedener Sozialisationsräume (in ländlichen Bereichen ist das Französische weniger präsent) (cf. Kube 2005: 130).

2.1.2 Einheimische Sprachen

Nach Kube existieren in der Côte d’Ivoire heute etwa 60 indigene Sprachen. Als die Einzelsprachen mit der größten Zahl an SpecherInnen führt Kube Dioula, Baoulé und Bété an. Gleichzeitig betont sie, dass sich bis heute keine ivorische Varietät als überregionale oder gar nationale Verkehrs­sprache durch­setzen konnte (cf. Kube 2005: 89-90).

Ihre hauptsächliche Funktion erfüllen die einheimischen Sprachen heute im privaten bzw. nähesprachlichen Bereich. Bezüglich des ivorischen Bildungs­wesens verweist Kube auf einige wenige Modellschulen im Primarbereich, in denen auch lokale Unterrichtssprachen eine Rolle spielen. Zudem verfügt die Universität in Abidjan über ein Institut de Linguistique Appliquée, an dem zu allen vier indigenen Sprachgruppen geforscht wird, und das auch mit einem Lehrangebot für ausgewählte lokale Einzelsprachen aufwartet (cf. Kube 2005: 125).

Für den medialen Bereich stellt Kube fest, dass die einheimischen Sprachen in keiner Tageszeitung berücksichtigt werden. Dennoch existieren zwei satiri­sche Wochenzeitungen, in welchen einzelne indigene Sprachen, vor allem aber das Nouchi Verwendung finden. Auch im staatlichen Hörfunk und Fernsehen wird jenen Sprachen nur sehr wenig Raum eingeräumt: Laut Kube werden hier einmal täglich (montags bis freitags) fünfzehnminütige Nachrichten in ver­schiedenen lokalen Sprachen ausgestrahlt (cf. Kube 2005: 125-126).

Weiterhin betont Kube die über viele Jahre einseitig zu Gunsten des Franzö­sischen ausgerichtete Sprachpolitik der Elfenbeinküste. So wurde der Schutz und die Förderung der einheimischen Sprachen erst im Jahre 2000 in der Ver­fassung verankert (cf. Kube 2005: 168).

2.2 Von den Ghettos in Abidjan zur ivorischen Nationalsprache?

Mit dem Begriff Nouchi wird heute eine Varietät des ivorischen Französischs bzw. eine Mischsprache bezeichnet, deren syntaktische Basis das Französische darstellt, die gleichzeitig jedoch zahlreiche lexikalische Elemente aus einhei­mischen und auch europäischen Sprachen aufweist. Liegen ihre Ursprünge in den Abidjaner Ghettos der 1970er-Jahre, so erfährt sie seither eine kontinuier­liche Verbreitung und gilt mittlerweile als nationales Phänomen. Im Folgenden soll diese Entwicklung nun genauer nachvollzogen werden und der heutige Zustand bzw. Status der Varietät mittels einer linguistischen Beschreibung und der Vor­stellung jüngerer Ergebnisse zu Sprachverwendung und Spracheinstel­lungen der IvorerInnen näher betrachtet werden.

2.2.1 Begriff, Entstehung und Entwicklung

Nach Ahua et al. stammt der Begriff Nouchi aus den Mandé-Sprachen und ist eine Zusammensetzung von nou (dt.: Nase) und chi (dt.: Haar). Hiermit wurden ursprünglich oftmals wohl eher ungepflegt wirkende Straßenkinder und -ju­gendliche bezeichnet, die sich durch Diebstahl und Kleinkriminalität in Abid­jan durch das Leben schlugen (cf. Ahua et al. 2011). Wie Kube erwähnt, be­kam Lafage den Begriff erstmals im Jahre 1977 im Zuge einer Umfrage unter Abidjaner SchülerInnen genannt (cf. Kube 2005: 105). 1986 erschien zu die­sem Phänomen ein erster journalistischer Artikel in einer ivorischen Tageszei­tung mit dem Titel „ Le nouchi, un language à la mode “ (cf. Ahua et al. 2011).

Wie bereits angeklungen, war das Nouchi in den 1980er-Jahren der Argot der am Rande der Großstadtgesellschaft von Abidjan lebenden Kinder und Jugendlichen und erfüllte hauptsächlich eine kryptische Funktion (Geheim­code). Wie Ahua et al. betonen, kamen zu dieser Gruppensprache bestimmte Verhaltensweisen und ein charakteristisches Lebensgefühl hinzu - neben der Ver­wendung einer spezifischen Lexik definierten sich jene jungen Menschen auch über eine eigene Sprechweise (Prosodie), bestimmte Gesten, Kleidung und Verhaltensregeln (cf. Ahua et al.2011).

Verbreitete sich das Nouchi zunächst in den Ghettos der ivorischen Metro­pole, übernahmen laut Kube im Laufe der Zeit immer mehr SchülerInnen und Studierende diese Varietät. Die Folgen dieser fortschreitenden Verbreitung waren der zunehmende Verlust des kryptischen Charakters sowie der Eingang von Lexik in das Umgangs- bzw. Alltagsfranzösische der Côte d’Ivoire (cf. Kube 2005: 106).

Kube beschreibt, inwieweit das Nouchi derweil in öffentliche Gesellschafts­bereiche vorgedrungen ist. So nennt und zitiert sie Werbeplakate und eine nati­onale Anti-AIDS-Kampagne des staatlichen Fernsehens, die diese Sprache für ihre Zwecke nutzen. Außerdem weist sie darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der ivorischen MusikerInnen bzw. Musikgruppen heute auf Nouchi singt. Zudem existieren zwei satirische Wochenzeitungen[2] , welche zumindest teilweise in dieser Varietät verfasst werden (cf. Kube 2005: 111). In einem 2011 ver­öffentlichten Interview erwähnt Mamba, dass Nouchi mittlerweile auch in Fernsehserien („Sitcoms“) einen Platz gefunden hat (cf. Vakunta 2011). Schließlich findet sich im Internet ein Artikel, der die Verwendung von Nouchi durch ivorische PolitikerInnen belegt. Explizit wird eine Rede des ehemaligen Staatspräsidenten Gbagbo angeführt, in welche dieser mehrfach Elemente jener Varietät eingeflochten hatte (cf. Anonymus 2009).

Zusammenfassend führt Kube an, dass aufgrund der inzwischen landeswei­ten Verbreitung des Nouchi und dessen Eingang in das Französische der Elfen­beinküste heute die Mehrheit der Bevölkerung zumindest über passive Kennt­nisse dieser Sprache verfügt, und dies in allen sozialen Schichten bzw. Bil­dungsniveaus gleichermaßen (cf. Kube 2005: 108).

2.2.2 Abgrenzung und Definition

Nach Kube ist die Abgrenzung des Nouchi von anderen Varietäten, insbe­sondere vom relativ stark ivorisierten Umgangsfranzösisch der Elfenbeinküste (français populaire ivoirien), nur schwer zu ziehen. So wird das Phänomen von den ivorischen SprecherInnen wie auch von WissenschaftlerInnen unterschied­lich definiert und erfuhr im Laufe der Jahre eine Begriffserweiterung. Während beispielsweise Lafage noch im Jahre 1998 hierzu lediglich die Sprache der Straßenkinder und -jugendlichen in Abidjan rechnet, weitet Boutin 2002 seine Begriffsbestimmung auf alle sprachlichen Phänomene aus, die als hybride Va­rietäten eine Mischung des français populaire ivoirien mit lokalen und euro­päischen Sprachen (v.a. dem Englischen) darstellen, und die nach seiner An­sicht in mehreren urbanen Zentren des Landes zu Tage treten. Im Sinne dieser räumlichen Ausweitung des Phänomens gebraucht er den Begriff „argot ivoi­rien“ (Kube 2005: 108).

Kube selbst bekräftigt, dass sich das Nouchi nunmehr zu einer ivorischen, ethnien-vereinenden Verkehrssprache entwickelt hat, welche von SprecherIn­nen aller Bildungsniveaus getragen wird und eine identitätsstiftende Funktion übernimmt (cf. Kube 2005: 107-112).

Ahua spricht 2007 von Nouchi als „l’argot de la jeunesse ivoirienne, [qui] est devenu, [...], la première langue des jeunes âgés de 10 à 30 ans“ (Ahua 2007: 183). Die hinsichtlich SprecherInnen-Gruppe und räumlicher Verbrei­tung am weitesten gefasste Definition formuliert schließlich Bamba 2011 mit den Worten: „Nouchi (let’s call it Ivorian French)“ (Vakunta 2011).

[...]


[1] Die Angaben sind dem Internetportal des CIA The World Factbook entnommen (CIA 2012).

[2] Die beiden einmal wöchentlich herausgegebenen Satireblätter erscheinen unter den Titeln Gbich! und Yafohi (cf. Kube 2005: 111).

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Sprache(n) und Internet: Das ivorische Sprachphänomen Nouchi
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Romanistik)
Note
1,0
Jahr
2012
Seiten
26
Katalognummer
V202291
ISBN (eBook)
9783656283836
Dateigröße
953 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Sprache, Internet, Nouchi, Elfenbeinküste, Französisch, Linguistik, Romanistik, Côte d'Ivoire
Arbeit zitieren
Anonym, 2012, Sprache(n) und Internet: Das ivorische Sprachphänomen Nouchi, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202291

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