„Die politikwissenschaftliche Analyse von Wahlsystemen konzentriert sich bisher vornehmlich auf deren Konsequenzen, wobei Wahlsysteme als erklärende Variablen vor allem für die Struktur von Parteiensystemen herangezogen werden.“ Mit diesem Satz kritisiert Harfst, dass Wahlsysteme in wissenschaftlichen Untersuchungen zumeist als unabhängige Variable betrachtet werden. Gleichwohl soll seine Arbeit einen Beitrag dazu leisten, Wahlsysteme ebenso als abhängige Variable wahrzunehmen. An dieses Bestreben wird angeknüpft, indem die deutsche Wahlsystemreform als abhängige Variable in einem interdisziplinären Spannungsfeld behandelt wird, da Wahlsystemreformen nicht nur Teil der politikwissenschaftlichen Debatte sind, sondern ebenso unter mathematischen, juristischen, historischen und terminologischen Gesichtspunkten diskutiert werden. Neben den theoretischen Spannungsfeldern existieren zusätzlich praktische: Da Wahlsysteme als unabhängige Variablen Auswirkungen auf das Parteiensystem haben, sind Wahlsystemreformen Gegenstand der Konsensfindungsprozesse zwischen den Koalitionspartnern sowie zwischen Regierung und Opposition.
Wahlsysteme, als soziale Institutionen, entstehen gängigen Theoriediskussionen zufolge als „Produkt strategisch handelnder, zweckrationaler Akteure“ oder in historisch einmaligen Kontexten als Resultat evolutionärer Prozesse . Die deutsche Wahlsystemreform bildet hierbei jedoch eine Ausnahme: Die Konstitution des neuen Wahlsystems ist zwar das Produkt strategisch handelnder, zweckrationaler Akteure, jedoch wurde der Prozess der Wahlsystemreform erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eingeleitet. Deshalb ergeben sich folgende Leitfragen: Waren der Richtungswechsel des Bundesverfassungsgerichts und die damit verbundene Reform notwendig? Innerhalb welcher Spannungsfelder bewegte sich die Reformdebatte und wie ist das im Zuge der Reform entstandene Wahlsystem im Gegensatz zu seinem Vorgänger zu bewerten – als Verbesserung oder als Rückschritt?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Problemstellung
- Herangehensweise
- Forschungsstand
- Rechtsprechungsentwicklung des Bundesverfassungsgerichts
- Inverser Erfolgswert
- Überhangmandate
- Zwischenfazit
- Spannungsfelder
- Definition Spannungsfelder
- Theoretische Dimension
- Mathematisch
- Juristisch
- Politisch und politikwissenschaftlich
- Historisch
- Terminologisch
- Temporal
- Praktische Dimension
- Konsensfindung zwischen den Regierungsparteien
- Konsensfindung zwischen Regierung und Opposition
- Zwischenfazit
- Evaluation realpolitischer Reformvorschläge
- Das alte Wahlsystem - der Status Quo
- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (alt und neu)
- DIE LINKE
- SPD
- Union/FDP
- Zwischenfazit
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die deutsche Wahlsystemreform aus einem interdisziplinären Blickwinkel. Dabei wird der Fokus auf die Rolle des Bundesverfassungsgerichts und dessen Urteile gelegt, die den Reformprozess maßgeblich beeinflusst haben. Die Arbeit analysiert die Spannungsfelder, die in der Reformdebatte eine Rolle spielten, und bewertet die verschiedenen Reformvorschläge in Bezug auf ihre Vor- und Nachteile.
- Die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts für die Wahlsystemreform
- Die verschiedenen Spannungsfelder der Reformdebatte (mathematisch, juristisch, politisch, historisch, terminologisch, temporal, praktisch)
- Die Evaluation realpolitischer Reformvorschläge
- Die Bewertung des neuen Wahlsystems im Vergleich zum alten System
- Die Auswirkungen der Wahlsystemreform auf das Parteiensystem
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Problemstellung ein und erläutert die Herangehensweise der Arbeit sowie den Forschungsstand. Es werden die Kernaussagen von Harfst und Klecha zur Bedeutung von Wahlsystemen in der Politikwissenschaft vorgestellt.
Kapitel zwei analysiert die Rechtsprechungsentwicklung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf den inversen Erfolgswert und die Überhangmandate. Es wird die Frage aufgeworfen, ob die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die die Wahlsystemreform erforderlich machten, tatsächlich notwendig waren.
Im dritten Kapitel werden die Spannungsfelder der Wahlsystemdebatte beleuchtet. Es wird zwischen theoretischen und praktischen Spannungsfeldern unterschieden und verschiedene Kriterien zur Beurteilung der Reformvorschläge vorgestellt.
Kapitel vier beschäftigt sich mit der Evaluation realpolitischer Reformvorschläge. Es werden die Reformvorschläge der verschiedenen Bundestagsfraktionen und ihre Vor- und Nachteile erläutert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit der deutschen Wahlsystemreform, dem Bundesverfassungsgericht, dem inversen Erfolgswert, Überhangmandaten, Spannungsfeldern, realpolitischen Reformvorschlägen und dem Vergleich zwischen dem alten und dem neuen Wahlsystem.
- Quote paper
- Thomas Meißner (Author), 2012, Die deutsche Wahlsystemreform im interdisziplinären Spannungsfeld, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202859