„Was ist das Thema deiner Staatsarbeit?“ fragte mich eine Freundin. „Einsamkeit und deren soziologische Bedingungen“, antwortete ich. Betroffenes Schweigen folgte meiner Aussage.
Dieses ist nur ein Beispiel von vielen, welches zeigen soll, dass die Thematik Ein-samkeit in unserer heutigen Gesellschaft, in der es auf Teamfähigkeit und soziale Empathie ankommt, äußerst negativ besetzt ist. Einsamkeit wird als Ausdruck sozia-ler Inkompetenz verstanden, die mit Gefühlen des Schams, des Unbehagens, des Wegblickens und Leugnens verbunden ist. Auch in den wissenschaftlichen Disziplinen ist dieser „Turn-away-Effekt“ zu vernehmen, so dass „Einsamkeit“ bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in den Sozialwissenschaften weitgehend ignoriert worden ist.
Wie abhängig Individuen von einem sozialen Beziehungsgefüge sind, in dem sie Anerkennung finden und Unterstützung erfahren, zeigen die in der Geschichte immer mal wieder aufgetreten Fälle von Wolfskindern oder mutwillig isolierten Kindern.
Ob Psammetich, ein ägyptischer Pharao, oder Kaiser Friedrich II., immer wieder gab es Versuche, Kinder in völliger Isolation aufwachsen zu lassen ohne jegliche menschliche Nähe. Aus der Einsamkeit der Kinder resultierten neben großen Sprachdefiziten auch Bindungsunfähigkeit und geistige Fehlbildungen.
Ein anderes Beispiel aus den Vereinigten Staaten zeigt, dass Frühgeborere im Brutkasten ihren, durch Isolierung herbeigeführten, kognitiven Rückstand schneller durch physischen Kontakt aufholen. In der Tierwelt gibt es ähnliche Beobachtungen: sobald es Neugeborenen an Berührung mangelt, fahren diese ihren Stoffwechsel zurück und hören auf zu wachsen.
Einsamkeitserfahrungen, die Ablehnung durch andere Menschen, entsprechen der Gefühlslage einer physischen Verletzung. Zu diesem Ergebnis sind die Wissenschaftler der Bowling Green State University in Ohio gekommen.
Dass Einsamkeit eine besondere Aufmerksamkeit verdient, zeigt sich ebenfalls durch gesellschaftliche und innerfamiliäre Sanktionstechniken, die als Strafe den Entzug der Freiheit des Individuums einfordern. Einsamkeitsstrafen gehören sogar zu den zentralen Sozialtechniken.
Einsamkeit kann als Hölle oder aber auch als Tor zur Weisheit begriffen werden. Gerade die positive Hinwendung ist unserer westlichen Kultur nicht fremd.
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Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Einsamkeit als Emotion
- 3. Einsamkeit
- 3.1. Historische Einordnung des Begriffs
- 3.2. Einsamkeit vs. Alleinsein
- 3.3. Einsamkeit vs. Soziale Isolation
- 3.4. Definition
- 3.4.1. Verwendung des Begriffs „Einsamkeit“ im Englischen
- 3.5. Arten der Einsamkeit
- 4. Determinanten der Einsamkeit im sozialen Wandel
- 4.1. Globalisierung
- 4.1.1. Arbeit und Mobilität
- 4.1.2. Arbeitslosigkeit und Armut
- 4.1.2.1. Forschungsergebnisse
- 4.1.3. Informationstechnologien
- 4.1.3.1. Forschungsergebnisse
- 4.2. Individualisierung und Pluralisierung
- 4.2.1. Urbanisierung und Verstädterung
- 4.2.1.1. Nachbarschaft im Wandel
- 4.2.1.2. Exkurs: Netzwerkforschung
- 4.2.1.3. Segregation
- 4.2.2. Wandel der Familienstrukturen
- 4.2.2.1. Single-Gesellschaft
- 4.2.2.1.1. Forschungsergebnisse
- 4.3. Demografische Alterung
- 4.3.1. Einsamkeit im Alter
- 5. Schlussbetrachtung
- Historische Entwicklung des Begriffs „Einsamkeit“
- Abgrenzung von „Einsamkeit“, „Alleinsein“ und „Sozialer Isolation“
- Determinanten der Einsamkeit im Kontext des sozialen Wandels
- Der Einfluss von Globalisierung, Individualisierung und demografischer Alterung
- Bedeutung von sozialen Netzwerken und deren Wandel im Kontext der Einsamkeit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit dem Phänomen der Einsamkeit in der heutigen Gesellschaft und analysiert die gesellschaftlichen Bedingungen, die zu diesem problematischen Gefühlszustand führen können. Die Arbeit möchte zum Verständnis des komplexen Zusammenhangs zwischen Sozialem Wandel, Individualisierung und dem Gefühl der Einsamkeit beitragen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die negative gesellschaftliche Konnotation von Einsamkeit und verdeutlicht die Notwendigkeit, sich mit diesem Thema wissenschaftlich auseinanderzusetzen.
Kapitel 2 behandelt Einsamkeit als Emotion, während Kapitel 3 die historische Entwicklung des Begriffs „Einsamkeit“ beleuchtet und eine Abgrenzung zu „Alleinsein“ und „Sozialer Isolation“ vornimmt. Eine Definition von Einsamkeit und deren Verwendung im Englischen runden dieses Kapitel ab. Die verschiedenen Arten der Einsamkeit werden ebenfalls behandelt.
Kapitel 4 widmet sich den Determinanten der Einsamkeit im Kontext des sozialen Wandels und untersucht die Einflüsse von Globalisierung, Individualisierung und demografischer Alterung. Insbesondere werden die Auswirkungen von Arbeitsplatzverlust, Armut, Informationstechnologien und der Veränderung von Familienstrukturen auf das Gefühl der Einsamkeit beleuchtet.
Schlüsselwörter
Einsamkeit, Emotion, Sozialer Wandel, Globalisierung, Individualisierung, Demografische Alterung, Soziale Isolation, Arbeit, Mobilität, Arbeitslosigkeit, Armut, Informationstechnologien, Urbanisierung, Verstädterung, Familienstrukturen, Netzwerkforschung, Segregation.
- Quote paper
- Yvonne Preuth (Author), 2011, Risiko Einsamkeit - Gesellschaftliche Bedingungen eines problematischen Gefühlszustands, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202901