Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Figurationssoziolgie von Norbert Elias
2.1. Begriff Figuration
2.2. Machtbalancen
3. Etablierte-Aussenseiter-Studie von Norbert Elias
3.1. Vorstellung der Studie
3.2. Theoretischer Schluss
4. Ausgrenzungsmechanismen der etablierten Deutschen
4.1. Ein gesellschaftliches Leitbild entsteht
4.2. Ausgewählte Ausschlussmechanismen gegenüber jugendlichen Ausländern
5. Schlussfolgerung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wir leben in einer Welt, in der die soziale Mobilität immer weiter zunimmt. Durch die Globalisierung ist es den Menschen möglich, sich im Prinzip überall auf der Welt niederzulassen. Dennoch gibt es Menschen, die aufgrund von Kriegen und Armut oder aus wirtschaftlichen Gründen ihr Land verlassen müssen und auf der Suche nach einer besseren Lebenssituation sind. Auf Deutschland bezogen sind hier zum Beispiel die in den 60er und 70er Jahren angeworbenen Gastarbeiter und deren Nachkommen oder auch die ca. 1 Millionen hier lebenden Flüchtlinge zu nennen. Überall, egal in welchem Land, sind zugewanderte Menschen zunächst Neuankömmlinge und treffen in dem Gastgeberland auf eine feste bestehende soziale Ordnung. Dieses verursacht in vielen Fällen gesellschaftliche Probleme. Nicht selten sind die zugewanderten Gruppen Opfer von Diskriminierungen und auch im Gastgeberland noch in besonderem Maße von Armut betroffen. Als Problemgruppe wird in der Bundesrepublik von Medien, Politikern oder Experten immer wieder die Gruppe der jugendlichen Ausländer bezeichnet. Sie sind vor allem in den Kriminalstatistiken überrepräsentiert. Die Erklärungen hierfür sind genauso vielfach wie die Forderungen der Politik und der Mitte der Gesellschaft nach einem härteren Umgang mit diesen und der fehlenden Assimilierung der Jugendlichen.
Ich möchte in meiner Arbeit darlegen, dass sich jugendliche Ausländer und die Mehrheitsgesellschaft der Deutschen in einer ganz bestimmten Positionierung bzw. Verflechtung zueinander befinden. Um dieses zu verdeutlichen, stelle ich zunächst die Figurationssoziologie von Norbert Elias vor. Den Begriff Figuration verwendet er das erste Mal in seiner 1969er Ausgabe `Über den Prozess der Zivilisation`. Der Begriff besagt, dass sich Menschen immer in Interdependenzen zu anderen Menschen befinden und nie alleine betrachtet werden können. In diesem Zusammenhang soll erklärt werden, was Elias unter Machtbalancen versteht und wie er seine theoretischen Schlüsse hierzu in seine Figurationssoziologie einbindet. Im Anschluss stelle ich seine, zusammen mit seinem Schüler John L. Scotson im Jahr 1960 durchgeführte und 1965 erschienene, Studie mit dem Titel ´Etablierte und Außenseiter´ vor. Während der Studie wurde beobachtet, dass sich alteingesessene Familien eines kleinen englischen Vorortes gegen zugezogene Familien abschotteten und diese von sämtlichen wichtigen gesellschaftlichen Positionen ausschlossen. Sie behandelten sie als >>Außenseiter<<. Elias führt dies auf ein hohes Machtgefälle zwischen den alten Familien und den Zugezogenen zurück. Die alten hatten Angst ihren Status durch die Ankunft der Neuen zu verlieren und lehnten diese daher ab. Daran anknüpfend gehe ich auf die Thematik der in Deutschland lebenden jugendlichen Migranten ein und betrachte die ihnen entgegengebrachten Vorurteile seitens der deutschen Bevölkerung sowie ausgewählte und damit im Zusammenhang stehende Ausgrenzungsmechanismen. Im Schlussteil übertrage ich diese Punkte auf die Ergebnisse der Etablierten-Außenseiter-Studie von Elias und stelle dar, in wie fern sich die Verflechtung der deutschen Mehrheitsgesellschaft und den jugendlichen Ausländern der in der Studie herausgearbeiteten Verflechtung von alten und neuen Familien ähnelt.
2. Figurationssoziologie von Norbert Elias
2.1. Begriff Figuration
Ein Kernpunkt der Soziologie von Norbert Elias ist die Ansicht, dass kein Mensch vollkommen autonom sei. Den völlig unabhängig voneinander entscheidenden, agierenden und existenten Einzelmenschen gebe es nicht. Dies sei ein Kunstprodukt der Menschen, das für eine bestimmte Entwicklungsstufe ihrer Selbsterfahrung stünde (Elias, 1981, S. 65).
Im Gegensatz zu Sternen, Pflanzen oder Tieren, die Konfigurationen bildeten, erzeugten Menschen Figurationen. Das Zusammenleben der Menschen, ob es große oder kleine Gruppen seien, sei einzigartig und beeinflusst durch die Wissenstradierung von einer Generation auf die nächste, d.h. durch den Beitritt eines Individuums in eine schon existierende Figuration. Für Menschen sei es notwendig, bestimmte gesellschaftliche Symbole zu verinnerlichen. Ohne dieses, zum Beispiel das Erlernen der individuellen Sprache einer bestimmten Gesellschaft, sei es den Menschen nicht möglich, sich in dieser Umgebung zu recht zu finden. Ein sich in der Entwicklung befindendes menschliches Wesen, dem es nicht ermöglicht werde, die für seine Menschengruppe spezifischen Sprech- und Wissenssymbole zu internalisieren, könne keinen Zutritt zu sämtlichen menschlichen Figurationen finden und sei somit eigentlich kein Mensch (Elias, 1992, S. 89).
Den Begriff Figuration mit dem Elias die Interdependenz der Menschen untereinander zum Ausdruck bringt, verwendet er das erste Mal in der 1969er Ausgabe des Werkes „Über den Prozess der Zivilisation“ :
An die Stelle des Menschen als einer ,geschlossenen Persönlichkeit´ … tritt dann das Bild des Menschen als einer ,offenen Persönlichkeit`, die im Verhältnis zu anderen Menschen einen höheren oder geringeren Grad von relativer Autonomie, aber niemals absolute oder totale Autonomie besitzt, die in der Tat von Grund auf Zeit ihres Lebens auf andere Menschen ausgerichtet und angewiesen, von anderen Menschen abhängig ist. Das Geflecht der Angewiesenheit von Menschen aufeinander, ihre Interpendenzen, sind das, was sie aneinander bindet. Sie sind das Kernstück dessen, was hier als Figuration bezeichnet wird, als Figuration aufeinander ausgerichteter, voneinander abhängiger Menschen (Elias, 1981, S. 67).
Aufgrund dessen, dass Menschen zunächst von Natur aus, durch gesellschaftliches Lernen, durch Erziehung bzw. Sozialisierung und bestimmte Bedürfnisse in Abhängigkeiten zu anderen Menschen geraten würden, könnten Menschen nur im Plural betrachtet werden. Daher sei das Bild vom Einzelmenschen ungeeignet. Geeigneter sei das Bild vom Menschen, der in einer Interdependenz zu vielen anderen Menschen stünde und mit ihnen Figurationen, d.h. verschiedene Gruppen oder Gesellschaften, erzeuge. So betrachtet, werde deutlich, dass Individuen nicht ohne Gesellschaften und Gesellschaften nicht ohne Individuen existieren könnten. Der Begriff Figuration verdeutliche klarer als andere Begrifflichkeiten der Soziologie, dass das, was als Gesellschaft bezeichnet werde, ein von den Individuen erzeugtes Interdependenzgeflecht sei und keine Abstraktion von Eigentümlichkeiten gesellschaftslos bestehender Individuen oder ein Gebilde außerhalb der Individuen (Elias, 1981, S. 67-68).
Menschliche Figurationen seien im Gegensatz zu den Konfigurationen, die andere Lebewesen miteinander bildeten, weder gattungsmäßig noch biologisch festgelegt. Es bestünde immer die Möglichkeit der Veränderung, d.h. aus Dörfern könnten Städte aus Sippen Kleinfamilien, aus Stämmen Staaten entstehen. Menschen die miteinander in einer bestimmten Figuration lebten, veränderten sich, genau wie die Figuration selbst. Diese Wandlungen würden auf verschiedenen Ebenen geschehen. Nur in absoluten Ausnahmefällen, zum Beispiel des Wahnsinns, könnten Individuen eine völlige Autonomie gegenüber Figurationen haben (Elias, 1992, S. 90).
2.2. Machtbalancen
Elias meint, dass Figurationen über die Menschen, die eben diese Figurationen untereinander erschufen, Macht hätten und deren Freiheit einschränkten. Die Macht liege hier nicht außerhalb der Individuen, sondern entstehe durch die Abhängigkeiten zwischen diesen (Elias/Scotson, 1990, S. 267).
Nach Elias habe der Begriff Macht für viele Menschen eine negative Bedeutung. Ursache hierfür sei, dass im Laufe der Geschichte Machtgewichte höchst ungleich verteilt gewesen seien und Menschen bzw. Menschengruppen die über große Machtchancen verfügten, diese konsequent und oftmals mit enormer Brutalität durchgesetzt hätten. Machtbalancen seien Teil jeder menschlichen Beziehung (Elias, 1981, S.76-77).
Auch Menschen, bei denen sonst die Auffassung vertreten werde, dass sie machtlos seien, hätten diese dennoch. Selbst ein Baby oder Sklave hätten Macht über die Eltern bzw. den Herren, so lange sie irgendeine Bedeutung für sie hätten. Auch wenn die Machtgewichte hier sehr ungleich verteilt seien, gebe es Machtbalancen überall dort, wo es funktionale Interdependenzen gebe (Elias, 1981, S. 77).
Man müsse Macht als eine Struktureigentümlichkeit einer jeden Beziehung erkennen. Diese kann sowohl gut als auch schlecht sein. Jedes Individuum hänge von anderen Individuen ab. Je größer die Abhängigkeit sei, desto größer sei die Macht eines oder mehrerer Individuen über andere. Es entstehe eine bestimmte Machtbalance mit einem Machtsaldo zu Gunsten des einen oder des anderen (Elias, 1981, S. 97-98).
Mit diesen unterschiedlichen Machtbalancen haben sich Elias und sein Schüler Scotson in ihrer Etablierte und Außenseiter Studie eingehend befasst. Diese stelle ich im Folgenden vor.
3. Etablierte -Außenseiter- Studie
3.1 Vorstellung der Studie
Elias führte Anfang der 60er Jahre zusammen mit seinem Schüler John L. Scotson eine Untersuchung einer kleinen englische Gemeinde mit Namen „Winston Parva“ durch. Grund der Studie sei eine hohe Delinquenzrate einer der drei vorhandenen Nachbarschaften gewesen. Diese habe als kriminell gegolten und hätte einen besonders schlechten Ruf unter den übrigen Nachbarschaften gehabt. Im Verlauf der Studie sei die Aufmerksamkeit des Forschungsinteresses von den Ursachen der Delinquenz zu den Eigenheiten der Nachbarschaften und ihrer Beziehungen zueinander gewandert (Elias/Scotson, 1990, S. 59).
Bei Winston Parva handelte es sich um eine Kleinstadt mit ca. 5000 Einwohnern. Die Stadt sei in drei Wohngebiete aufgeteilt gewesen. Bei Zone 1 handelte es sich um eine Mittelklassegegend, bei Zone 2 und 3 um Arbeiterviertel. Zone 1 und 2 seien von den Bewohnern der Stadt auch unter den beschriebenen Charakteristika wahrgenommen worden. Zwischen Zone 2 und drei hätten hinsichtlich der Nationalität, der ethnischen Herkunft, der Hautfarbe oder Rasse, des Einkommens, der Berufe und der sozialen Klasse der Bewohner keine nennenswerten Unterschiede bestanden. Bemerkenswert sei gewesen, dass sich im Zuge der Untersuchung herausstellte, dass die Scheidelinie des gesellschaftlichen Lebens nicht, wie die meisten Menschen es erwarten würden, zwischen Zone 1 und den beiden übrigen verlaufen sei, sondern zwischen Zone 1 und 2 auf der einen Seite und Zone 3 auf der anderen. Die Bewohnergruppen von Zone 1 und 2 hätten sich in ihrem Status der Zone 3 als überlegen angesehen. Die Grenze des gesellschaftlichen Verkehrs zwischen Zone 2 und 3 sei hierbei noch größer gewesen als die Grenze zwischen Zone 1 und den beiden Arbeitervierteln. Die Bewohner von Zone drei hätten den ihnen zugewiesenen Status, wenn auch mit Widerstreben, geduldet. Als Antwort, warum sich die Bewohner der Zone 2 in der Art verhielten, habe sich aufgedrängt, dass es sich bei diesen um alteingesessene Familien gehandelt habe, die seit langer Zeit in der Gemeinde gelebt hätten. Sie seien Etablierte gewesen. Bei den Bewohnern aus Zone 3 habe es sich um Neuankömmlinge gehandelt, die eine sehr viel kürzere Zeit in der Gemeinde sesshaft gewesen seien. Im Verhältnis zu den alten Bewohnern seien sie Außenseiter gewesen. Die Tatsache, dass die Wohndauer am selben Ort für Gruppen und Familien im Bezug auf die Rangordnung von Bedeutung sei, sei hinreichend bekannt (Elias/Scotson, 1990, S. 63-65).
Jede der drei Zonen hätte ihre eigene Minderheitsgruppe: Zone 1 hätte eine geringe Zahl von Arbeitern, Zone 2 eine geringe Zahl Mittelklassebewohnern und Zone 3 eine kleine Zahl von Problemfamilien, Familien mit vielen und delinquenten Kindern sowie Eltern, die fast ausschließlich einer ungelernten Arbeit nachgegangen seien.
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