Der Ionische Aufstand - „Nationales“ Aufbegehren oder Verlegenheitsaktion eines Tyrannen?


Dossier / Travail, 2012

16 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau

2 Forschungsstand und Quellenproblematik

3 Das griechische Ionien
3.1 Ionische Frühgeschichte
3.2 Poseidon-Kult, Panionion und Ionischer Bund
3.3 Klima, Wirtschaft und Kultur

4 Die Ursachen des Ionischen Aufstands
4.1 Wirtschaftlicher Niedergang infolge der persischen Oberherrschaft
4.2 Tyrannis und Stasis in Milet vs. allgemeiner Stimmungswandel
4.2 Das Scheitern der Naxos-Mission als Anlass für den Aufstand
4.3 Persönliche Motive von Aristagoras und Histiaios

5 Wertung und Gewichtung von Ursachen und Motiven

6 Schlussbetrachtung
6.1 Fazit
6.2 Ausblick

7 Bibliographie

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Der berühmte Herodot von Halikarnassos (ca. 485-425 v. Chr.) machte nicht nur als Geograph und Völkerkundler von sich Reden, sondern gilt vielen auch heute noch als „Vater der Geschichtsschreibung“. Diese Würdigung beruht im Wesentlichen auf seinem einzigen erhalten gebliebenen und aus neun Bänden bestehenden Werk, welches unter dem Titel „Historien“[1] eine Universalgeschichte des Verhältnisses von „Hellenen“ und „Barbaren“ im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. zeichnet.

Interessanterweise hat Herodot „die fünf um die barbarischen Großherrscher zentrierten Geschehenskreise [...] in eigenartiger Weise mit der Frage nach der Freiheit der Ionier verknüpft“[2], weshalb der Darstellung des Ionischen Aufstands innerhalb der Gesamtkomposition eine besondere Bedeutung zukommt.

Ziel dieser Arbeit ist es, die Ursachen für das Aufbegehren gegen die persische Oberherrschaft zu ergründen und im günstigsten Fall deren Gewichtung vorzunehmen. Der Fokus liegt dabei auf zwei grundlegenden Themenkomplexen: Zum einen spielen die persönlichen Motive des milesischen Tyrannen Histiaios und – noch deutlicher – seines Stellvertreters Aristagoras eine wichtige Rolle. Zum anderen sind aber auch die semi-nationalen, freiheitlichen und wirtschaftlichen Interessen der Bürger in den kleinasiatischen Griechenstädten, die dem Ionischen Bund als Schicksalsgemeinschaft angehörten, nicht zu vernachlässigen.

1.2 Aufbau

Im folgenden Kapitel wird zunächst eine kurze Übersicht zum aktuellen Forschungsstand gegeben, bevor eine Erläuterung der Quellenproblematik bei Herodot erfolgt. Insbesondere hinsichtlich seiner Methodik erscheinen einige Anmerkungen erforderlich.

Kapitel 3 widmet sich im Zuge einer inhaltlichen Einführung der ionischen Frühgeschichte, dem Poseidonkult mitsamt dem gemeinsamen Heiligtum „Panionion“ sowie der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Ioniens. Zugleich dient es der ersten Sensibilisierung für bestimmte Motivlagen.

Im Anschluss daran (Kapitel 4) werden die Ursachen und Motive für den Ionischen Aufstand anhand einzelner Unterkapitel thematisiert und – soweit möglich – mit Herodot selbst belegt, um sie im darauf folgenden Abschnitt (Kapitel 5) gegenüberzustellen, abzuwiegen und den Versuch einer Wertung anzustellen.

Die Schlussbetrachtung fasst die Ergebnisse und Erkenntnisse der Untersuchung noch einmal in kompakter Form zusammen und gibt einen Ausblick auf offen gebliebene bzw. neu aufgeworfene und damit möglicherweise künftige Fragestellungen.

2 Forschungsstand und Quellenproblematik

Ionien und der Ionische Aufstand als „Vorspiel“ zu den großen Perserkriegen finden regelmäßig eine gewisse Beachtung in den einschlägigen Überblicksdarstellungen zur Geschichte des antiken Griechenland, meist jedoch ohne allzu viel Raum einzunehmen – so etwa bei Oswyn Murray et al.[3] und Karl-Wilhelm Welwei[4]. Dagegen liefert Wolfram Hoepfner mit seinem 2011 erschienenen Buch „Ionien – Brücke zum Orient“[5] eine sehr umfangreiche und modern gestaltete sowie reich illustrierte Abhandlung zur ionischen Natur, Kultur und Geschichte. Eine explizite Auseinanderersetzung mit den Ursachen des Ionischen Aufstands findet sich in einem Beitrag, den Uwe Walter bereits 1993 in der renommierten Fachzeitschrift „Historia“ veröffentlicht hat.[6]

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem herodotischen Geschichtswerk hat zu zahlreichen Kontroversen geführt, die von konstruktiver Kritik über die Anzweiflung seiner Glaubwürdigkeit bis hin zu der Unterstellung reichen, dass Herodot der Begründer einer „Lügenschule“ sei.[7] Doch mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand bleibt, unabhängig von individuellen Einstellungen, eines Fakt: Wir müssen uns heute größtenteils auf seine Angaben verlassen, denn „außer bei Herodot ist kein geschlossener Bericht über die Ereignisse im ionischen Raum erhalten“[8]. Er beschrieb die „Ereignisse der nahen Vergangenheit“[9], nachdem er offenbar verschiedene Poleis aufgesucht hatte, um mündliche Überlieferungen aus unterschiedlichen Quellen zu einem – seiner Meinung nach – sinnhaften Gesamtbild zusammenzufügen und somit Ereignisabläufe zu rekonstruieren. Dies impliziert natürlich von vorn herein eine (nicht beabsichtigte) persönliche Wertung, wenngleich Herodot durch die Darstellung ein und derselben Sachverhalte aus mehreren Perspektiven durchaus um Neutralität und die nötige Distanziertheit bemüht war. Er charakterisierte dieses Vorgehen folgendermaßen: „Doch ist meine Pflicht, alles, was ich höre, zu berichten, freilich nicht, alles Berichtete zu glauben. Dies gilt für mein ganzes Geschichtswerk“[10]. Sein wissenschaftliches Selbstverständnis zwang ihn also zum Einbeziehen aller sich im Umlauf befindlichen Versionen, doch „bei divergierenden Aussagen verließ sich Herodot auf sein eigenes Gefühl von der Richtigkeit“[11]. Infolgedessen bietet er prinzipiell nicht mehr, aber eben auch nicht weniger als einen „Spiegel dessen, was allgemein bei den ionischen Griechen erzählt wurde“[12]. Dass dieser Spiegel als Abbild seiner Zeit für die Nachwelt erhalten blieb, ist Herodots historisches Verdienst.

3 Das griechische Ionien

3.1 Ionische Frühgeschichte

Die Ionier lebten nicht immer an der Westküste Kleinasiens (heutige Türkei), sondern waren die Nachfahren von Stämmen griechischer Herkunft, welche ab dem Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. infolge eines allgemeinen politischen Strukturwandels und den daraus resultierenden Wanderungsbewegungen im Mittelmeerraum verstärkt damit begonnen hatten, in der Region Land zu nehmen. Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung wurden – auf die eigene Kampfkraft und das Verhandlungsgeschick vertrauend – in Kauf genommen, um in den Besitz der begehrten Orte zu gelangen. Mitunter halfen aber auch vereinzelte, schon dort lebende Griechen bei den „Eroberungen“ mit.[13]

Insbesondere die Niederlassung von Kaufleuten in den umliegenden Ländereien führte in der Folgezeit zur Ausbreitung der griechischen Kultur. Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. kam es beispielsweise zur schrittweisen Hellenisierung Kariens, und neu gegründete Städte wurden zum Teil okkupiert.[14]

Diese auf den ersten Blick als äußerst erfolgreich erscheinende Siedlungsstrategie soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Freiheit der Ionier über Jahrhunderte hinweg immer wieder zur Disposition stand. Tatsächlich wurden die Griechen in Kleinasien fortwährend von außen bedroht, was nicht zuletzt auf die strategisch bedeutsame Lage am Rande des asiatischen Kontinents zurückzuführen ist.

Nachdem die Kimmerer im 7. Jahrhundert v. Chr. das Königreich Phrygien erobert hatten, drängten sie schon bald nach Lydien und auch Ionien. So wurde „Magnesia am Maiandros (Mäander), eine der mächtigsten ionischen Städte, [...] vollständig zerstört“[15]. Der Sage nach konnten die übrigen Siedlungen nur deshalb gerettet werden, weil Artemis von Ephesos den Kimmerern bei ihrem Rückzug eine Pest schickte. Somit sollten sie künftig keine Gefahr mehr darstellen.[16]

Unterdessen erholten sich die Lyder recht schnell vom Einfall der Kimmerer und schickten sich ihrerseits an, Ionien zu unterwerfen. Dem lydischen König Alyattes wird die zeitweilige Besetzung des milesischen Umlandes sowie die Zerstörung der Städte Kolophon und Smyrna zugerechnet, während seinem Sohn und Nachfolger Kroisos Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. schließlich die Eroberung von Ephesos und allen übrigen ionischen Küstenstädten gelang.[17]

Die lydische Fremdherrschaft, mit der sich die Ionier trotz anfänglicher Brutalität rasch arrangierten, war jedoch nur von kurzer Dauer, denn um 547 v. Chr. unterlag Kroisos dem Perserkönig Kyros II. in einer Schlacht bei Sardeis.[18] Auf die Eingliederung Lydiens ins Perserreich folgte unweigerlich auch die Unterwerfung der benachbarten Griechenstädte – und „so verlor Ionien zum zweitenmal seine Unabhängigkeit“[19].

3.2 Poseidonkult, Panionion und Ionischer Bund

Die gemeinsame Abstammung der Ionier war zweifellos ein wichtiger, aber nicht der entscheidende Faktor für ihr stets empfundenes Zusammengehörigkeitsgefühl. Viel bedeutender bei der Grundlegung eines kollektiven Gemeinsinns erscheint die kultische Verehrung des Meeresgottes Poseidon, den Bruder des Zeus. Weil der Poseidonkult in ähnlicher Weise schon in der westgriechischen Landschaft Achaia zelebriert wurde, entstanden bereits in der Antike Sagen, welche aus dieser vermeintlichen Verbindung eine Erklärung für die genaue geographische Herkunft der Ionier abzuleiten versuchten.[20] Und in der Tat spricht auch Herodot davon, dass sie einst zusammen mit den Achaiern „in der Peloponnes wohnten“[21], bevor sie von diesen vertrieben wurden. In ihrer neuen Heimat war die Huldigung Poseidons von existentieller Bedeutung, „da die Bewohner der ionischen Städte vor allem über das Meer miteinander verkehrten und der Wohlstand dieser Städte auf dem Handel beruhte, der [...] auf dem Seeweg erfolgte“[22], sowohl zum Mutterland als auch zu den Pflanz- und Schwarzmeerstädten.

[...]


[1] Vgl. Herodot: Historien. Deutsche Gesamtausgabe. Übersetzt von A. Horneffer. Neu herausgegeben und erläutert von H.W. Haussig. Mit einer Einleitung von W.F. Otto, 4. Auflage (Kröner), Stuttgart 1971.

[2] Walter, Uwe: Herodot und die Ursachen des Ionischen Aufstandes. In: Historia: Zeitschrift für Alte Geschichte, Bd. 42, H.3/1993, S. 257.

[3] Vgl. Murray, Oswyn et al.: Die Geschichte des antiken Griechenland, Düsseldorf 2006.

[4] Vgl. Welwei, Karl-Wilhelm: Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Beginn des Hellenismus, Paderborn 2011.

[5] Vgl. Hoepfner, Wolfram: Ionien – Brücke zum Orient, Darmstadt 2011.

[6] Vgl. Walter, Uwe: Herodot und die Ursachen des Ionischen Aufstandes. In: Historia: Zeitschrift für Alte Geschichte, Bd. 42, H.3/1993, S. 257-278.

[7] Vgl. Pritchett, William Kendrick: The liar school of Herodotus, Amsterdam 1993.

[8] Gottlieb, Gunther: Das Verhältnis der außerherodotischen Überlieferung zu Herodot (Univ. Diss. 1962), Frankfurt/M. 1963, S. 42.

[9] Struwe, W.W. (Hrsg.): Geschichte der Alten Welt. Chrestomathie, Band 2: Griechenland und der Hellenismus, Berlin 1954, S. 166.

[10] Herodot VII 152.

[11] Schuller, Wolfgang: Griechische Geschichte, 5., überarbeitete und erweiterte Auflage, München 2002, S. 66.

[12] Gottlieb (1963), S. 47.

[13] Vgl. Hoepfner (2011), S. 20f.

[14] Ebd., S. 47.

[15] Murray et al. (2006), S. 305.

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. ebd., S. 305f.

[18] Vgl. ebd., S. 312.

[19] Herodot I 169.

[20] Vgl. Prinz, Friedrich: Gründungsmythen und Sagenchronologie, München 1979, S. 344.

[21] Herodot I 145.

[22] Hoepfner (2011), S. 29.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Der Ionische Aufstand - „Nationales“ Aufbegehren oder Verlegenheitsaktion eines Tyrannen?
Université
Technical University of Chemnitz
Note
1,0
Auteur
Année
2012
Pages
16
N° de catalogue
V203481
ISBN (ebook)
9783656295969
ISBN (Livre)
9783656297086
Taille d'un fichier
536 KB
Langue
allemand
Mots clés
Antike, Ionien, Perserreich, Griechenland, Kleinasien, Perserkriege, Ionische Aufklärung, Mittelmeerraum, Ionischer Bund
Citation du texte
Frank Bodenschatz (Auteur), 2012, Der Ionische Aufstand - „Nationales“ Aufbegehren oder Verlegenheitsaktion eines Tyrannen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203481

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