Die bürgerliche Gesellschaft, schon immer unkritisch staatstragend gewesen, scheute sich auch stets sich selbst der Kunst zu öffnen.
Vorurteile und Vorverurteilungen der Kunst als zunächst analytischen Prozeß sorgen dafür, daß sich der Bürger auf die Kunst gar nicht erst einläßt, um sich Denkanstößen durch die Kunst zu verweigern, damit er sein gewohntes Lebensmuster nicht aufzugeben braucht.
Wider die WiderlichkeitKunst, Revolte und Bürgertum
– Charakteristik der bürgerlichen Gesellschaft
→Verinnerlichung des „Systems“ und Ausrichtung des Lebens nach äußeren Ansprüchen
– bürgerlicher Kunstbegriff
– Ästhetik
– Kunst soll schön sein, erbaulich, Wochenendbeschäftigung, damit Herauslösung aus der Wirklichkeit, Erschaffung einer Scheinwelt zur Erholung, keiner Abbildung der Realität, keine schmutzigen, brutalen Aspekte des Lebens, damit kein Zusammenhang mit der Welt
→ Bezug zum Verhältnis Avantgarde und Bürgertum
– Kultur als Freizeitelement
– Massenkultur
– Negation von Kultur als Identität(sdynamik)
Das Wesen des Menschen wird in der bürgerlichen Gesellschaft danach bestimmt, was er hat. Besonders sein Werdegang muß möglichst geradlinig sein und schon früh das Ziel im Sucher ersichtlich machen, an dem der Mensch im Jetzt ist. Das heißt, der Begriff des Seins wird nicht, wie sich vermuten ließe, daraus definiert, was man wirklich ist, sprich was den Menschen in seinem Inneren ausmacht, sondern danach, was er hat und nach außen repräsentieren kann. Weder Gedanken, Auslöser, Wirkungen, Einflüsse oder Gefühle des Lebenslaufes finden Berücksichtigung, sondern werden bewußt als Privatsache vom öffentlichen Wesen des Menschen abgespalten. Die Materialisierung des Seins übergeht damit das Sein an sich, indem es nur für den Produktionsprozeß oder die bürgerliche Gesellschaft nutzbaren Aspekten des Lebens Beachtung schenkt und pervertiert es zu einem auswechselbaren Pseudo- Individuum, das immer gezwungen ist den schauspielerischen Spagat zwischen Sein und Erscheinen zu übertünchen.
Die Ausrichtung der bürgerlichen Identität auf das Haben distanziert sich bewußt vom Begriff des Wesens indem sie den Ursprung des Seins als Zufall nur beiläufig und zu vernachlässigen bemißt. Heidegger definiert das Wesen als das, „was etwas ist, wie es ist“.[1] Heidegger bezieht sich dabei zwar dezidiert auf das Kunstwerk, seine Defition vom Wesen des Kunstwerks läßt sich aber leicht und ebenso sinnig auf das des Menschen adaptieren. Der Ursprung von etwas sei sein Wesen, die Frage nach dem Ursprung fragt also nach der Herkunft seines Wesens.
Der Ursprung aber ist verpönt in der bürgerlichen Gesellschaft, vor allem und nämlich in ihrer postmodernen Ausprägung. Ursprung, das scheint ein reaktionär anmutender Begriff von Heimat, eng verwoben zwischen Blut und Boden, Kitsch und Bergfilmen, von Familie, Rasse und Kindheit. Ursprünglich, das wurde zum wohlwollenden und zugleich herablassenden Euphemismus für primitiv, ordinär und hinterwäldlerisch. Ursprünglich findet der Bürger im Sommerurlaub die Bergbauern, die urigen Mannsbilder an kleindörflichen Bars im Süden, wo er gern die Sommermonate verbringt um sich dem Schein der heilen Welt hinzugeben und im Inneren doch froh zu sein, zum einen aus seiner Welt der Hektik erzwungener und notgedrungener Produktionsprozesse ausbrechen zu können, sich der „Natur“ hinzugeben und zum anderen aber sich selbst seines eigenen Status bewußt zu werden, was er „ist“ und vor allem „hat“.
Kulturelles Desinteresse und Verweigerungshaltung als Selbstschutz
D
as ist ja nur ein Hobby“ lächelt der Bürger[2] mit gütig- milder Verachtung spätestens in der Museumsbuchhandlung beim Blick auf ausliegende Theoriewerke, die er in seinem beschränkten Horizont als Selbstbeschäftigungsmaßnahme für seiner Meinung nach „gescheiterte Existenzen“ betrachtet. Das sind all jene, die sogenannte „brotlose Kunst“ studiert haben und vom Bürger gern im langzeitstudentischen Stereotypen der philosophischen Fakultät charakterisiert werden, also Geisteswissenschaftler, sprich jene, die Kultur nicht nur konsumieren, sondern analysieren, die Rezeption, geistige Grundlagen und Werdegang der Kultur wissenschaftlich begreifen und bearbeiten. Daß deren Arbeiten zumeist den geistigen Horizont des Bürgers übersteigen liegt dabei aber nicht etwa an seiner natürlichen Dummheit, sondern an seiner häufig sogar durch sich selbst anerzogenen! Geisteswissenschaftliche Arbeiten zu Ästhetik, Kunstbegriff oder Strömungen in der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wollen einfach nicht in seinen festgefahrenen Kunstbegriff passen. Sie gönnen sich die Faulheit, ebendiesen gar nicht erst revidieren zu müssen, wissen sie ja schließlich was gut und schlecht und schön und scheiße ist. Sie brauchen dazu keine Theoretiker, in ihren Augen ohnehin wirtschaftlich nutzlose Existenzen, deren Degradierung allerdings nicht nur auf der bürgerlichen Faulheit beruht, sondern auf einer der Hauptgrundlagen der bürgerlichen Gesellschaft schlechthin, dem Produktionsprozeß.
Eingeschränkt, wie er nunmal denkt, kann der Bürger nämlich nur denjenigen umfassend respektvoll behandeln, der einem sogenannten „Brotjob“ nachgeht, der also irgendeine (sic!) Form von Arbeit gegen Buchgeld tauscht und damit sein Dasein unterhält. Die Möglichkeit, durch das Hauptfeld identitärer Definition, der Kultur, ebenfalls zu produzieren, ist für ihn weitestgehend wertlos. Auf die Analyse von Kunst legt er deshalb keinen Wert. Für die bürgerliche Gesellschaft hat nur das Resultat materiell faßbarer Produktionsergebnisse einen Wert, weil dieses ebenfalls materiell definierbar und eintauschbar ist. Der Gedanke als Produktionsergebnis dagegen bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene des physisch nicht Greifbaren und schließt sich dabei aus dem bürgerlichen Kreislauf der ichbezogenen „Was-bringt-mir-das-Frage“ aus.
Das bürgerliche Verständnis von Kunst ist nämlich von von seiner Erwartungshaltung geprägt. In seinem Buch „Wahrheit und Methode“ unterscheidet der konservative Literaturwissenschaftler H.-G. Gadamer zwischen Vorurteil und Applikation: Vorurteil besagt, daß der Rezipient bestimmte Vorstellungen von vornherein mitbringt, die notwendigerweise in die Interpretation des Werkes eingehen. Die Applikation, die Anwendung, dagegen, ist aber jene Deutung vor dem im Vorhinein bereits reflektierten Gebilde der eigenen Gegenwart, das wiederum die Auseinandersetzung mit dem eigenen Wesen voraussetzt. Gadamer betont, daß „im Verstehen immer so etwas wie eine Anwendung des zu verstehenden Textes (auch im Sinne von Kunstwerk, Anm. d. Verf.) auf die gegenwärtige Situation des Interpreten stattfindet.“[3]
„Für den konservativen Gadamer fällt Verstehen letztendlich mit der Unterwerfung unter die Autorität der Tradition zusammen“[4], resümmiert Peter Bürger in seiner „Theorie der Avantgarde“ Dem gegenüber hat Jürgen Habermas auf die „Kraft der Reflexion“[5] hingewiesen, die die Kraft des Vorurteils, der Erwartungshaltung transparent macht und sie dadurch zu brechen vermag, indem über die Richtigkeit besagter Erwartung zunächst selbst reflektiert wird. Habermas macht darin deutlich, daß einer Hermeneutik als Selbstläufer die Tradition nur deshalb als maßgebliche Macht erscheint und wirklich reflektierenden Gedanken über die Kunst behindert, weil ihr die Systeme von Arbeit und Herrschaft nicht in den Blick kämen.[6] In genau diesen Systemen bewegt sich aber der Bürger nicht nur stets unreflektiert, sondern akzeptiert sie unüberdacht als maßgebliche Rahmenbedingungen seiner Existenz und versteht sie als Grundlage für die Repräsentation seiner selbst vor Dritten, die lustigerweise das gleiche Schicksal mit ihm teilen.
[...]
[1] Martin Heidegger, „Der Ursprung des Kunstwerkes“, Reclam, Stuttgart, 1960
[2] Vgl. Charakteristik der bürgerlichen Gesellschaft
[3] H.-G. Gadamer, „Wahrheit und Methode“, Tübingen 1965, S.291
[4] Peter Bürger „Theorie der Avantgarde“, edition suhrkamp 272, Frankfurt a.M. 1974, S.10
[5] Jürgen Habermas „Logik der Sozialwissenschaft“, S.283f
[6] Jürgen Habermas ebda. S.289
- Quote paper
- Alexander Schleyer (Author), 2012, Wider die Widerlichkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203495
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.