Lassen sich regionale Disparitäten durch die Integration in globale Warenketten überwinden?

Die Exportproduktionszone von Ouanaminthe/ Haiti und ihr Impact auf das Gefüge des nordhaitianischen Sozialraums


Epreuve d'examen, 2008

109 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Einführung in das Thema und Forschungsstand
1.1 Fragestellung
1.2 Forschungsstand und Relevanz
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Der theoretische Bezugsrahmen
2.1 Netzwerkperspektivische Theorien
2.1.1 Global Commodity Chain Ansatz
2.1.2 Global Production Network Ansatz
2.1.3 Ansatz der Industriedistrikte
2.2 Entwicklungs- und Wachstumstheorien
2.2.1 Ausgleich oder Polarisierung regionaler Disparitäten
2.2.2 Fragmentierende Entwicklung
2.3 Exportproduktionszonen in der wissenschaftlichen Diskussion
2.3.1 Definition der Exportproduktionszonen
2.3.2 Zielsetzung von Exportproduktionszonen
2.3.3 Diskussion: Wohlfahrtsgewinne durch Exportproduktionszonen?
2.3.4 Linkages und spillover effects in der Diskussion um Exportproduktionszonen
2.3.5 Voraussetzungen für die Entstehung von Rückkopplungs- und Ausstrahlungseffekten
2.3.6 Kontroverse Diskussion
2.4 Synthese aus Theorien und empirischen Modellen und Kriterien für die eigene empirische Forschung

3. Die Bekleidungsindustrie in Haiti und der Dominikanischen Republik.
3.1 Bekleidungs- und Textilindustrie in globalen Warenketten
3.1.1 Entwicklung der internationalen Arbeitsteilung und räumliche Verlagerung in der Textilindustrie
3.1.2 Die Warenkette in der Bekleidungsindustrie
3.1.3 Mögliche industrielle Entwicklung in der Bekleidungsindustrie
3.2 Handelsabkommen zur Förderung der exportorientierten Textilindustrie im Karibischen Raum - Schaffung von neuen regionalen Integrationsräumen
3.3 Die Fertigungsindustrie in den Exportproduktionszonen in der Dominikanischen Republik und Haiti
3.3.1 Exportproduktionszonen in der Dominikanischen Republik:Herausforderungen und Umstrukturierung
3.3.2 Exportproduktionszonen in Haiti: am unteren Ende der Warenkette
3.4 Zwischenresümee

4. Der regionale Kontext: Haiti und die Dominikanische Republik und ihre gemeinsame Grenzregion
4.1 Sozial- und wirtschaftsräumliche Disparitäten zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik und innerhalb der Länder
4.1.1 Disparitäten in der sozialen Entwicklung
4.1.2 Disparitäten in der wirtschaftlichen Entwicklung
4.1.3 Disparitäten im Raumgefüge
4.2 Gründe der Entwicklung von regionalen Disparitäten, unterschiedliche Industrialisierungspfade
4.2.1 Historischer Rückblick auf eine ungleiche Entwicklung
4.2.2 Von der Import-Substitution zur Exportorientierung
4.3 Die Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum und Entwicklung
4.4 Untersuchungsraum Ouanaminthe/Dajabon
4.4.1 Methodische Vorgehensweise
4.4.2 Der Grenzraum in der geographischen Diskussion
4.4.3 Die Grenzregion Ouanaminte/Dajabon
4.4.4 Wirtschaftliche und soziale Aktivitäten im Grenzraum Ouanaminthe und Dajabon und soziokultureller Kontext

5. Die Exportproduktionszone in Ouanaminthe
5.1 Vergünstigungen für Unternehmen in den Exportproduktionszonen
5.2 Ortsbegehung: CODEVI
5.3 Das niedergelassene Unternehmen: CODEVI/Grupo M
5.3.1 Industrietyp und Produktionssystem von Grupo M
5.3.2 CODEVI als Ergebnis von Auslagerungsprozessen
5.3.3 CODEVI als Teil von Entwicklungsstrategien
5.4 Auswirkungen der Implementierung der EPZ auf den Sozialraum Ouanaminthe Dajabon
5.4.1 Konflikte vor der Implementierung der EPZ
5.4.2 Arbeitsnehmerrechte und gewerkschaftliche Aktivitäten
5.4.3 Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen der Exportproduktionszone

6. Schlussfolgerung und Ausblick: Lassen sich regionale Disparitäten durch die Implementierung der Exportproduktionszone in Ouanaminthe überwinden?

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Vor- und Nachteile der EPZ

Tab. 2 Auszug aus dem HOPE Act

Tab. 3 Entwicklung der exportorientierten Bekleidungsindustrie der Dominikanischen Republik, 1995-

Tab. 4 Komparative Kostenvorteile nach Wegfall der Quoten

Tab. 5 Bekleidungsexporte und ihr Anteil am Gesamtexport ausgewählter Länder, 1990-

Tab. 6 Anteil der USA am Gesamtexport und -import ausgewählter Länder

Tab. 7 Wirtschaftliche und soziale Disparitäten zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik

Tab. 8 Durchschnittliches jährliches Wachstum des BIP pro Kopf,1961 bis

Tab. 9 Entwicklung von Import und Export Haitis

Tab. 10 Entwicklung von Import und Export der Dominikanischen Republik in Mio. US-Dollar

Tab. 11 Ouanaminthe und Dajabón: Demographische und soziale Grunddaten

Tab. 12 Bevölkerungsentwicklung von Ouanaminthe im Vergleich zuanderen nordosthaitianischen Städten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Operationalisierung

Abb. 2 Die Kettensegmente der Bekleidungswarenkette

Abb. 3 Die Fragmentierung der Bekleidungswarenkette

Abb. 4 Das OEM-Modell (full package production)

Abb. 5 EU-Projekte im Grenzraum (Brückenbau)

Abb. 6 EU-Projekte im Grenzraum (Markt)

Abb. 7 Moderne Fabrikhalle der EPZ in Ounaminthe

Abb. 8 Werkzaunsgrenze

Abb. 9 Das Werksgelände von CODEVI - Einrichtungen und Funktionen

Abb. 10 Grad der Einbindung in die Warenketten unter unterschiedlichen Handelsregimes (Ist-Zustand und Szenarien)

Kartenverzeichnis

Karte 1 Die größten Städte auf Hispañola

Karte 2 Das räumliche Gefüge und dynamische Prozesse in Haiti und in der Dominikanischen Republik

Karte 3 Grenzraum Dajabon/ Ouanaminthe

Karte 4 Lagebeziehungen und Infrastrukturprojekte im haitianischen und dominikanischen Norden

Karte 5 Flächenwachstum der Stadt Ouanaminthe von 1777 bis 2004

1. Einleitung 1

1. Einleitung: Einführung in das Thema und Forschungsstand

Das dynamische Wachstum des Welthandels während der letzten 30 Jahre ging mit strukturellen, politischen und technologischen Veränderungen einher, die eine Reorganisation der globalen Produktion zur Folge hatten. Eines der Kennzeichen dieser Reorganisation ist die vertikale Desintegration transnationaler Unternehmen. Im Zuge der Globalisierung, die durch die rasante Entwicklung und Verbreitung kostengünstiger Transport- und Kommunikationsmittel gekennzeichnet ist, wurde die räumliche Zerlegung der Produktionsprozesse, insbesondere die Auslagerung von arbeitsintensiven und wertschöpfungsgeringen Produktionsschritten in Niedriglohnländer zur Erhöhung der Gewinnmargen befördert. Produktion findet seither zunehmend in globalen Warenketten statt, die sich über den ganzen Globus spannen.

Die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen internationalen Institutionen zur Regu- lierung des Welthandels- und Weltfinanzsystems (WHO, GATT, Weltbank, IWF) ver- folgten vor allem in den 80er und 90er Jahren die Strategie, wirtschaftliche Stagnation und regionale Disparitäten durch eine verstärkte Integration der Volkswirtschaften der südlichen Länder in den Weltmarkt zu überwinden, und schufen auf diese Weise die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, die die Globalisierung der Warenketten beförderten. Zentrale Elemente dieser Strategie waren: Deregulierung und Öffnung der Volkswirtschaften für private, vor allem ausländische, Investoren, Liberalisierung des Handels (insbesondere Abbau von Schutzzöllen) und exportorientierte Wirtschaftspoli- tik (World Bank 1992).

Dadurch, dass die Unternehmen die Warenproduktion immer mehr in Teilfertigungen aufspalten, können sie diese jeweils der günstigsten Kombination von Kapital und Arbeitskräften räumlich zuordnen (Schamp 2000). Seitens der Politik geschaffene Voraussetzungen erleichtern die internationalen Interaktionen und erlauben den Unternehmen eine optimale Nutzung vorhandener Ressourcen (global sourcing) mit dem Ziel der Kosteneinsparung und Gewinnmaximierung (Kulke 2005).

Vor allem arbeitsintensive Produktionsschritte, in denen keine Größeneffekte erzielt werden, wurden aus den Industrieländern in Exportproduktionszonen der Niedriglohn- länder verlagert. Die Ausfuhr von teilgefertigten Produkten zur arbeitsintensiven Bear- beitung in den Niedriglohnländern und die anschließende Wiedereinfuhr in die Indust- rieländer werden als passive Lohnveredelung beschrieben (Fröbel et al. 1977). Das Zeitalter des tayloristischen Arbeitssystems existiert somit in seinen Grundzügen (Massenfertigung) weiter (Schamp 2000). Diese standardisierten Arbeitsschritte erfordern überwiegend wenig qualifizierte, preiswerte Arbeitskraft. Während höherwertige, wert- schöpfungsintensivere Segmente der Warenketten im Herkunftsland verbleiben, bieten Entwicklungsländer nach Fröbel et al. (1977) ein unerschöpfliches Potential von Ar- beitskräften, die zu niedrigen Löhnen zur Verfügung stehen und eine rentable Produk- tion gewährleisten. Diese Umstrukturierung nennen Fröbel et al. (1977) die neue inter- nationale Arbeitsteilung. Fröbel et al. (1977) beschrieben als erste anhand empirischer Untersuchungen diese qualitativen Umstrukturierungsprozesse in der Arbeitsteilung. Sie betonen vor allem die einseitig gesteuerten Interessen und Strategien der Unter- nehmen in der Ausnutzung der Arbeitskräfte in Entwicklungsländern und argumentie- ren, dass sich hieraus nur in seltenen Fällen wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven für das jeweilige Land herausbilden können. Unter anderem untersuchten Fröbel et al. (1977) die Arbeitsbedingungen in den neu entstandenen Produktionsstätten.

Die Globalisierung der Warenketten, die exportorientierten Wirtschafts- und Entwick- lungsstrategien und die Öffnung der Volkswirtschaften für den Welthandel finden ihren deutlichsten räumlichen Ausdruck in der Einrichtung von Exportproduktionszonen (EPZs), vorwiegend in den Ländern des Südens. Bereits 1950 gab es die ersten Ex- portproduktionszonen. Die Implementierung von EPZs löste oftmals andere Industriali- sierungsstrategien wie den Export von heimischen Waren und die Import-Substitution ab (Dicken 2007). Gab es nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 1975 erst in 25 Ländern 79 Exportproduktionszonen, belief sich die Zahl im Jahr 2006 auf 130 Länder mit einer Gesamtzahl von 3.500 Exportproduktionszonen. Diese EPZs beschäftigen über 66 Millionen Menschen weltweit (ILO 2007).

Aufgrund der geographischen Nähe zum US-Markt wurde der karibische Raum zu ei- nem bevorzugten Ziel der von US-amerikanischen Unternehmen vollzogenen Auslage- rungsschritte. Diese Auslagerung wurde durch Handelsabkommen zwischen den USA und den Karibikanrainerstaaten unterstützt. Insbesondere die Dominikanische Republik wurde zu einem bedeutenden Standort der ausgelagerten Produktionsschritte, vor al- lem in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Von der Dominikanischen Republik aus setzt jetzt die weitere Auslagerung niedrig qualifizierter Arbeitsschritte in das ärmere Nachbarland Haiti ein. Vollzogen wird diese Auslagerung durch die Implementierung einer Exportproduktionszone im haitianisch-dominikanischen Grenzraum, in der haitia- nische Arbeitskräfte für ein dominikanisches Unternehmen produzieren, das wiederum US-Markenhersteller beliefert.

1.1 Fragestellung

Am Beispiel der Integration Haitis in die globale Warenkette der Bekleidungsindustrie sollen in der vorliegenden Arbeit unter Einbeziehung des aktuellen Forschungsstands einige wichtige Theorien überprüft werden. Dabei wird die Implementierung von Exportproduktionszonen in Haiti in den Fokus gerückt und das Beispiel der EPZ in der nordosthaitianischen Stadt Ouanaminthe an der haitianisch-dominikanischen Grenze vorgestellt und diskutiert. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen die folgenden ü- bergeordneten Fragen erörtert werden:

Lassen sich durch die Integration in globale Warenketten und somit in den Welt- markt regionale Disparitäten, die vor allem im Grenzraum sichtbar werden, über- winden?

Ist die EPZ eine Enklave, von der keine Entwicklungsimpulse für das umgebende sozialräumliche Gefüge ausgehen, spitzt sie regionale Disparitäten zu oder unter welchen Bedingungen kann sie solche abbauen?

Unter welchen Bedingungen kann die EPZ eine nachhaltige Position in der Warenkette einnehmen?

Unter diesen Fragenstellungen werden die Implementierung der Exportproduktionszo- ne CODEVI (Compagnie Développement Industriel) des dominikanischen Beklei- dungsunternehmens Grupo M in der haitianischen Grenzstadt Ouanaminthe seit 2003 und ihre konkreten Auswirkungen (Impact) auf das soziale Umfeld untersucht. Wäh- rend mehrerer Aufenthalte in der Region hatte ich bereits im Vorfeld dieser Forschung die Gelegenheit, Eindrücke und Stimmungen einzufangen und sich bereits vollziehen- de Veränderungen zu beobachten. Die Implementierung der EPZ erschien mir umso mehr als interessanter Untersuchungsgegenstand, als sie derzeit die am stärksten wahrnehmbare Neuerung in der Grenzregion darstellt. Zugleich ist zu erwarten, dass - bei wirtschaftlichem Erfolg - weitere solche EPZs im Grenzraum entstehen werden.

1.2 Forschungsstand und Relevanz

Die Globalisierung der Warenketten war auch das Thema des Geographentages vom 29.09. bis 05.10.2007 in Bayreuth. Unterschiedliche Konzepte und Interpretationen trafen aufeinander. Berndt betonte den Perspektivenwechsel, der sich in diesem Zu- sammenhang vollzieht: In der Wirtschaftsgeographie finden immer mehr Ansätze Ein- gang, die territoriale Konzepte durch die einer Netzwerkperspektive ersetzen. Mit diesem Perspektivenwechsel und mit dem gestiegenen Interesse an globalen Wirtschaftsprozessen, an der räumlichen Organisation von Produktionsprozessen und an der neuen internationalen Arbeitsteilung wird die globalisierte Ökonomie als ein Netz von Orten begriffen, die unterschiedliche Aufgaben und Funktionen innerhalb der arbeitsteiligen Produktionsprozesse übernehmen.

Auch Castells (2001) vollzog bereits diesen Perspektivenwechsel. Er unterscheidet Gebiete, die in den Weltmarkt integriert und somit in globale Netzwerke oder Waren- ketten eingebunden sind, von solchen, die ohne Anschluss an die globale Ökonomie sind. Scholz (2002; 2004) unterscheidet in seiner Analyse der fragmentierenden Ent- wicklung globale, globalisierte und marginalisierte Orte, die sowohl im Norden als auch im Süden anzufinden sind, die sich im Kontext der Machtverhältnisse innerhalb globa- ler Wirtschaftsbeziehungen herausbilden und die auf- oder absteigen können.

Als Grundlage zur Analyse der Verknüpfung globaler Produktionsnetzwerke und zur Beobachtung räumlicher Aspekte lokaler industrieller Erscheinungsformen innerhalb der neuen Arbeitsteilung findet disziplinübergreifend das Konzept der Warenkette zu- nehmend Anwendung (Gereffi et al. 1994; Hassler 2006; Depner 2007; Krüger 2007; Kulke 2007). Dabei wird nicht nur der Frage nachgegangen, was die Einbindung in globale grenzüberschreitende Warenketten/ Produktionssysteme für Unternehmen, sondern im erweiterten Sinne auch für weitere Akteure (Nichtregierungsorganisationen, Arbeiter) bedeutet und wie institutionelle Rahmenbedingungen Einflüsse auf die Wa- renketten ausüben (Glückler 2001; Hendersen et al. 2002; Dicken 2007). Auf dem deutschen Geographentag wurde des Weiteren diskutiert, in welchem Verhältnis regio- nale und lokale Entwicklung zu den Erfordernissen und Prozessen der Produktion in globalen Warenketten steht. Auch stellte sich die Frage, ob die Weltmarktintegration von wirtschaftlich schwach entwickelten Regionen und ihre Einbindung in globale Wa- renketten die Chance auf soziale und wirtschaftliche Entwicklung und auf Überwindung regionaler Disparitäten bietet.

In der geographischen Fachliteratur wurden die Auswirkungen dieser Strategie auf die räumliche Entwicklung vorwiegend kritisch diskutiert. Zwar wird auf der einen Seite die Chance gesehen, dass wirtschaftlich weniger entwickelte Regionen durch verstärkte internationale wirtschaftliche Verflechtungen und Interaktionen sowie ausländische Direktinvestitionen von Kapital- und Wissenstransfer profitieren (Altenburg 2000; 2001; Schamp 2000), auf der anderen Seite jedoch werden zunehmende Abhängigkeit und Marginalisierung von einzelnen Regionen sowie die Zunahme sozialer Spannungen(Berndt 2002; 2004; Kulke 2004; Scholz 2004) und eine weitere Polarisierung zwischen entwickelten und stagnierenden bzw. absteigenden Regionen beobachtet (Fritz 2005).

Haiti ist das ärmste Land Lateinamerikas (UNDP 2007). Seine Entwicklung war über Jahrzehnte von wirtschaftlicher Rezession, politischen Krisen und sozialen Spannun- gen geprägt. Umso deutlicher treten die Disparitäten zur benachbarten Dominikani- schen Republik zu Tage, die sich in derselben Zeit als Tourismusziel und zum bedeu- tendster Industriestandort der Karibik entwickelte. Mit der Einrichtung der EPZ in Oua- naminthe, direkt an der haitianisch-dominikanischen Grenze, verknüpfen sich daher auf haitianischer Seite viele Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, auf Ar- beitsplätze und auf einen Abbau des Wohlstandsgefälles gegenüber der Dominikani- schen Republik. Zugleich stehen Befürchtungen im Raum, dass durch die Implementie- rung der EPZ soziale und ökologische Spannungen verstärkt würden. Vor Ort tätige Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschafter wenden ein, die EPZ werde isoliert von den übrigen lokalen wirtschaftlichen Aktivitäten und Beziehungen bleiben oder diese einseitig dominieren. Vor diesem Hintergrund sollen die bereits vollzogenen Pro- zesse, die Funktion, die Haiti in der neuen Arbeitsteilung einnimmt, Stimmungsbilder und Aussichten dargestellt und unter Berücksichtung der Fragestellung diskutiert wer- den.

1.3 Aufbau der Arbeit

in Kapitel 2 wird ein theoretischer Bezugsrahmen für die Fragestellung geschaffen, um sodann aus der Synthese der beschriebenen Ansätze eine Operationalisierung der Fragestellung zu entwickeln und sich damit empirisch dem Forschungsgegenstand zu nähern. Es gibt bereits unterschiedliche empirische Studien zur Integration schwach entwickelter Volkswirtschaften des Südens in globale Warenketten und zur Rolle, die den EPZs dabei zukommt.1 Diese Studien beinhalten u.a. Empfehlungen für die jeweils untersuchten Länder, unter welchen Bedingungen sich die exportorientierte Industrie positiv auf ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung auswirken kann und welche Eingriffe unterschiedlicher Akteure dazu förderlich wären. Diese Länderstudien dienen als Orientierungshilfe für die zu untersuchende Fragestellung. Dabei werden in der vorliegenden Arbeit vor allem die Rolle der Bekleidungsindustrie als Start-up-Industrie, also Einstieg in die Einbindung in globale Warenketten, und die auf zwischenstaatlicher und internationaler Ebene gesetzten Rahmenbedingungen - insbesondere die unterschiedlichen Handelsabkommen im Textil- und Bekleidungsbereich - betrachtet (Kapi- tel 3).

Anschließend werden die vorhandenen regionalen Disparitäten zwischen und innerhalb von Haiti und der Dominikanischen Republik und die Geschichte ihrer Entstehung dar- gestellt, die maßgeblich Aufschluss über die Bedingungen für die weitere wirtschaftli- che Entwicklung und die Form der Einbindung in globale Warenketten geben (Kapitel 4). Der Fokus wird auf die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen auf unterschiedlicher Maßstabsebene gelegt, die den Untersuchungsraum und somit den möglichen Impact der EPZ auf den Sozialraum (Grenzraum Ouanaminthe/ Dajabon) beeinflussen.

Vor diesem Hintergrund werden schließlich die Einrichtung der EPZ im Untersuchungsraum beschrieben und die Bewertungen unterschiedlicher Akteure hinsichtlich der damit verbundenen Entwicklungspotenziale interpretiert (Kapitel 5). Dazu wurden Akteure mit unterschiedlichen Interessen (Gewerkschaften, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen) befragt. Ergänzend wurden Diskussionen in der haitianischen Presse, Internetauftritte beteiligter Akteure und statistisches Material - soweit vorhanden - ausgewertet. Vor dem Hintergrund des theoretischen Bezugsrahmens werden aus den Ergebnissen der empirischen Untersuchung Schlussfolgerungen bezüglich der zugrunde liegenden Fragestellung gezogen (Kapitel 6).

2. Der theoretische Bezugsrahmen

Es gibt keine umfassende Theorie aus der einschlägigen geographischen Literatur, die die zu untersuchende Fragestellung adäquat beantworten könnte. Daher wird die Syn- these aus mehreren Theorien den Bezugsrahmen der Arbeit schaffen. Dabei sollen die internationale Arbeitsteilung, ihre internationale Integration und innerhalb dieser die Rolle der EPZs im Kontext der Globalisierung näher beleuchtet werden. Zuerst werden grundlegende netzwerkperspektivische Theorien und Entwicklungs- und Wachstums- theorien, um schließlich auf dieser Grundlage die Debatte um den Impact von Export- produktionszonen auf ihre soziale und wirtschaftliche Umwelt zu diskutieren.

2.1 Netzwerkperspektivische Theorien

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Ansätze entwickelt, die sich mit Unter- nehmensketten oder -netzwerken beschäftigen. Oftmals gibt es keine klare Trennung zwischen den einzelnen Ansätzen, sie lassen sich jedoch bezüglich der Perspektive, die sie einnehmen, unterscheiden. Einige Ansätze nähern sich der Thematik aus be- triebwirtschaftlicher, andere aus entwicklungsökonomischer Sicht (Henderson et al. 2002).

2.1.1 Global Commodity Chain Ansatz

Das Konzept der globalen Warenkette (global commodity chain = GCC) richtet das Augenmerk auf Produktions- und Handelsverflechtungen und unternehmerische Netz- werke in der globalen Ökonomie. Der Ansatz der globalen Warenkette versucht, die Neuorganisation arbeitsteiliger Produktionsprozesse zu erklären, die zentral koordi- niert, aber weltweit verteilt sind. Der GCC-Ansatz dient als Instrument zur Analyse von weltweiten Wirtschaftsbeziehungen und der Integration von Ländern in unterschiedli- chen Warenkettenteilen. Er diskutiert Machstrukturen zwischen den einzelnen Produk- tionsschritten sowie die daraus resultierenden räumlichen Formen von Dispersion und Konzentration (Kulke 2005: 8). Schließlich kann der GCC-Ansatz auf Regionen ange- wendet werden und der Frage nachgehen, welche Netzwerktypen Entwicklungschan- cen für die lokale Industrie in wenig entwickelten Ländern bieten.

Hopkins & Wallerstein (1986: 159) führten den Begriff der global commodity chain in die wissenschaftliche Analyse ein und definieren sie als „ a network of labour and production processes whose end result is a finished commodity. In building this chain we start with the final production operation and move sequentially backward [ … ] until one reaches primarily raw materials in- puts. “

Diese Definition der GCC reicht nicht aus, um die Machtbeziehungen innerhalb der Produktionsschritte zu analysieren. Sie beschäftigt sich vorwiegend mit dem Material- fluss, der eine Warenkette durchläuft. Die Definition und der Theoriegehalt wurden spä- ter von Gereffi et al. (1994: 2) ergänzt und weiterentwickelt. Sie beschreiben eine Wa- renkette als

„ set of interorganizational networks clustered around one commodity or product, linking households, enterprises, and states to one another within the world- economy ” .

Der Analyseschwerpunkt dieses GCC-Ansatzes unterstreicht somit die vorherrschenden Netzwerkbeziehungen zwischen Firmen, den Haushalten und dem Staat und geht über die bloße Beschreibung der Arbeits- und Produktionsprozesse innerhalb der Warenkette hinaus. So wurde der GCC-Ansatz um vier Dimensionen erweitert. Bei den Dimensionen unterscheidet Gereffi (1994: 98):

1. die materiellen Input-Output-Strukturen: Auf dieser Betrachtungsebene wer- den die tangiblen und intagiblen Ströme, die in den Wertschöpfungsprozess hineinfließen, untersucht und verknüpft.
2. die Raummuster: geographische Konzentration oder Dispersion, als räumli- cher Ausdruck unternehmerischer Produktions- und Verteilungsnetze.
3. die Governance-Struktur, die über Machtbeziehungen und die Verteilung der finanziellen, materiellen und personellen Mittel innerhalb der Warenkette Aufschluss gibt, und
4. das institutionelle Gefüge, das den nationalen und internationalen Rahmen für die Verflechtung der Warenkettenteile vorgibt.

Der dritten Dimension „Governance-Struktur“ wird in der Diskussion um Warenketten viel Bedeutung beigemessen (Fuchs 2003: 177ff.). Nach Bair & Gereffi (2000: 195) herrscht Übereinstimmung, dass grenzüberschreitende Netzwerke sowohl positive als auch negative Folgen für den Wirtschaftsprozess haben. Ungleiche Machtbeziehungen innerhalb der Warenkette können zu negativen Effekten wie neuen Abhängigkeiten, unausgeglichenem Informationsaustausch, Wettbewerbsnachteilen, aber im positiven Sinne auch zu Lerneffekten für das schwächere Glied führen. Oftmals stehen räumli- che Cluster mit guter Vernetzung und damit einhergehenden Macht- und Wettbe- werbsvorteilen innerhalb der Warenkette einzelnen fast isolierten Produktionssegmenten, meist im wertschöpfungsniedrigen Bereich der Warenkette, gegenüber (Dannen- berg 2007: 43). Ungleich auftretende Machtverhältnisse zwischen den Akteuren und innerhalb der Warenketten werden daher als wichtige Größe zur Erklärung anhaltender Unterentwicklung und zunehmender räumlicher Disparitäten auf unterschiedlichen Maßstabsebenen herangezogen. Dieser Ansatz knüpft in der Dimension der Gover- nance-Strukturen somit an dependenz- und weltsystemtheoretischen Überlegungen an (Stamm 2005: 20).

Steuerungsmodi innerhalb der Commodity Chains Der Theorie-Ansatz GCC von Gereffi unterscheidet zwischen zwei Grundformen von Warenketten. Zum einen wird in der Literatur von Producer-driven Commodity Chains (deutsch: herstellergesteuerte oder produzentendominierte Warenketten), zum ande- ren von Buyer-driven Commodity Chains (deutsch: abnehmergesteuerte oder käufer- dominierte Warenketten) gesprochen (Bair & Gereffi 2000: 195; Kulke 2004: 121; Schamp 2000: 96).

1. Producer-driven Commodity Chains werden meist von großen, transnational produzierenden Unternehmen gesteuert. Als Kernakteure spielen die Unter- nehmen eine zentrale Rolle bei der Koordinierung der Produktionsnetzwerke und beeinflussen sowohl ihre Zulieferer als auch Abnehmer. Dieses Muster der herstellergesteuerten Warenketten tritt vorwiegend in kapital- und technologie- intensiven Industriezweigen wie der Automobilindustrie auf. Kennzeichnend für das Produktionssystem ist eine mehrgliederige Aufteilung in Mutter- und Toch- tergesellschaft und Zulieferer. Wenige Anbieter stehen vielen Nachfragern ge- genüber, Gewinnmaximierung innerhalb der Warenkette wird durch Produkti- onsvolumina und technologische Innovationen erreicht. Die Eintrittsbarrieren in herstellergesteuerte Warenketten sind daher hoch (Bair & Gereffi 2000: 195; Stamm 2005: 22).

2. Buyer-driven Commodity Chains gelten als neue Organisationsform der Produktion (Schamp 2000: 96). Käuferunternehmen (buyers, auch: Leitfirmen) wie Einzelhandelsketten, Großhändler und Markenhersteller spielen bei der De- zentralisierung von Produktionsnetzwerken eine entscheidende Rolle. Die Struktur der abnehmergesteuerten Warenketten findet man überwiegend in der standardisierten, arbeitsintensiven Konsumgüterproduktion wie Bekleidung, Schuhe und Spielzeug. Typisch bei dieser Art der Warenkette ist ein mehrstufi- ges Netzwerk von Zulieferern, meist in Entwicklungsländern, das das fertige Produkt an ausländische Käuferunternehmen liefert. Die Produktion der Güter findet vorwiegend in Firmen der Entwicklungsländer statt, während die buyers aus den Industrieländern über den Marktzugang verfügen. Typisch für die ab- nehmergesteuerte Warenkette ist, dass eine Vielzahl von Produzenten auf eine begrenzte Zahl von Käuferunternehmen trifft. Diese können gegenüber den Herstellern ihre Produkt- und Preisvorstellungen durchsetzen und entscheiden letztendlich darüber, wie viel Gewinn auf jeder Stufe der Warenkette anfällt. Forschungs-, Finanzierungs- und Marketingstrategien werden kombiniert und arbeitsintensive Produktionsschritte meist in Entwicklungsländer ausgelagert, um die Profitrate zu maximieren. Bair & Gereffi (2000: 198) sprechen in diesem Zusammenhang von „Herstellern ohne Herstellungsstätten“. Abnehmergesteu- erte Ketten sind gekennzeichnet durch ein global dezentralisiertes und wettbe- werbsintensives System von Fabriken. Aufgrund der Auslagerung der arbeitsin- tensiven und wissensarmen Produktionsschritte in Entwicklungsländer und der hohen Zahl von verfügbaren, ungelernten und billigen Arbeitskräften sind die Eintrittsbarrieren in die Produktion gering (Gereffi 1994: 97; Kulke 2004: 121; Halder 2004: 19).

Kritikpunkte am GCC-Ansatz und die theoretische Weiterführung

Henderson et al. (2002) kritisieren an dem GCC-Ansatz analytische Probleme. Sie füh- ren an, dass viele Arbeiten nach der GCC-Tradition das Hauptinteresse auf die Be- schreibung der derzeit vorherrschenden Machtstrukturen und der aktuellen Input- Output-Relationen innerhalb von Warenketten zu legen scheinen. Der GCC-Ansatz erkläre jedoch nur unzureichend die Faktorausstattung und die daraus resultierenden Entwicklungspotentiale eines Sozialraums, die dessen Position innerhalb der Waren- kette beeinflussen. Zwar berücksichtige Gereffi (1994; 2002) in seiner Definition von Warenketten die meisten Elemente, die für die Entwicklung von Netzwerken zwischen Unternehmen relevant sind, doch fehlen nach Henderson et al. weitere Einflussgrößen wie Akteure, die als Handelnde in der Herausbildung internationaler Warenketten agie- ren. Die innerhalb des GCC-Ansatzes stark gestützte Unternehmensperspektive sollte demnach um die Analyse von weiteren Akteuren und institutionellen Rahmenbedin- gungen des Sozialraums ergänzt werden. Denn Regierungen, Gewerkschaften, Nicht- regierungsorganisationen, Firmen und andere Akteure haben aufgrund ihrer unter- schiedlichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen und Prioritäten maß- geblich Auswirkungen auf das Verhalten der innerhalb der Ketten Handelnden. Die strukturellen Bedingungen, innerhalb derer Unternehmen operieren, sind nicht festege- legt. Unternehmen haben unter der Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes und in einer Wechselwirkung mit diesem die Möglichkeit, eigene Strategien innerhalb der Firma und zwischen den Firmen zu entwickeln.

Wichtig nach Henderson et al. (2002) wäre deshalb, die Entwicklungsgeschichte von Warenketten genauer zu untersuchen, um Aussagen über deren Beschaffenheit und Auswirkungen zu treffen. Historisch bedingte und gewachsene Strukturen innerhalb von Ländern, die Anteile an Warenketten haben, beeinflussen den Grad der Einbin- dung in die Warenketten und das Erreichen nachhaltiger Entwicklungschancen. Nach Henderson et al. (2002: 451f.) müssen soziale und institutionelle Einbindungen (em- beddeness) in die unternehmerischen Netzwerke als ein potentieller Einflussfaktor für den Aufstieg und die Stabilität der Standorte berücksichtigt werden.

Eine weitere von Henderson et al. (2002: 450) formulierte Anregung bezieht sich auf die Bedeutung der nationalen Herkunft von Unternehmen. Die Nationalität der in einem gegebenen Land operierenden Unternehmen kann ein Schlüsselfaktor für ökonomi- schen und sozialen Fortschritt sein. Befinden sich im Land einige lokale Firmen, die für die Zulieferung von Rohmaterialien oder Halbfertigprodukte zuständig sind und den Input in ein weiteres Warenkettensegment liefern, lässt dies Rückschlüsse über mögli- che lokale Netzwerke und deren Stabilität und Aufstieg in der Einbindung von Waren- ketten zu (backward linkages).

2.1.2 Global Production Network Ansatz

Aus dieser Auseinandersetzung mit dem GCC-Ansatz entwickeln Henderson et al. (2002) den Ansatz des Global Production Network (GPN), in dem nicht der Begriff der Warenkette im Mittelpunkt steht, sondern das Produktionsnetzwerk. Der Ansatz richtet den Blick auf die globale, regionale und lokale Wirtschaft in ihren Verschränkungen mit sozialen Prozessen und Beziehungen an den Standorten. In Abgrenzung zu einem Verständnis der Warenketten als lineare Prozesse beschreiben Henderson et al. (2002: 444 f.) komplexe Netzwerkstrukturen unter Berücksichtigung der von außen in das Netzwerk einfließenden Inputs wie Materialflüsse, Zulieferung von Halbfertigpro- dukten, Design, Marketing. Diese Bewegungen verlaufen oftmals zirkulär und sind nicht einseitig miteinander verbunden. Damit messen Henderson et al. (2002: 442) den Wechselbeziehungen zwischen den Kettensegmenten und dem Raum, in den sie ein- gebettet sind, größere Bedeutung bei. Des Weiteren soll der GPN-Ansatz aufzeigen, wie der Transfer von Wissen als entscheidende strategische Ressource für den Auf- stieg innerhalb von Warenketten zwischen Unternehmern, Konsumenten und Mittels- leuten zirkuliert.

Folgende Faktoren finden in die Analyse von globalen Produktionsnetzwerken Ein- gang:

Unternehmen, Regierungen und andere ökonomische Akteure mit unterschiedli- chen Interessen üben bedeutenden Einfluss auf die Wirtschaft, den Grad der Ein- bindung einer Region in Warenketten und die Entstehung von Netzwerken aus. Den Input-Output-Strukturen in zirkulär verstandenen Netzwerken wird bei dem GPN-Ansatz größere Bedeutung beigemessen: Sie entscheiden über Standorte, an denen Wert und Beschäftigung generiert werden. Somit ist der Raum, in dem die Wechselbeziehungen zwischen den Kettensegmenten eingebettet ist, von beson- derem Interesse. Das Interesse richtet sich auf die Territorialität von Produktions- netzwerken, das heißt auf die Charakteristika der sozialen, wirtschaftlichen und po- litischen Gegebenheiten vor Ort, um aus dieser umfassenden Betrachtung Rück- schlüsse über mögliche Entwicklungsperspektiven der Region abzuleiten. Unter Berücksichtung der vorangegangenen Punkte werden solche Faktoren in- nerhalb des Netzwerkes, die eine technologische Weiterentwicklung und damit ei- nen ökonomischen Aufstieg befördern oder behindern, analysiert. Neben dem Prozessualen (Bedingungen der Entstehung einer Warenkette), den Rahmenbedingungen der Wertschöpfung und der embeddedness wird darüber hin- aus, ähnlich wie bei dem GCC-Ansatz, die Verteilung von Machtstrukturen inner- halb der Netzwerke untersucht. Dabei stehen unterschiedliche Formen von Macht im Fokus der Analyse.

1. Corporate Power: Diese Form von Macht entspricht der GovernanceStruktur bei Gereffi. Vor allem werden hier die Machtstrukturen zwischen den Unternehmern untersucht. Trotz des dominierenden Einflusses der Leitfirmen (buyers) auf die Produktionsnetzwerke und Warenketten, der zu einer asymmetrischen Machtverteilung führt, können auch nachgeordnete Firmen eine gewisse Selbständigkeit besitzen und eigene Strategien zur Verbesserung ihrer Position innerhalb des Netzwerkes entwickeln.

2. Institutionelle Macht: Diese Form von Macht wird von staatlichen, supra- staatlichen und globalen Institutionen ausgeübt und nimmt auf Netzwerkbe- ziehungen Einfluss. Dazu zählen politische Entscheidungen im Land eben- so wie bilaterale oder multilaterale Abkommen.

3. Kollektive Macht bezieht sich auf die Möglichkeit, dass lokale Akteure wie NGOs oder Gewerkschaften GPN mitgestalten oder beeinflussen. Kollekti- ve Macht kann sich aber auch auf Internationale Organisationen wie IMF und WTO beziehen, die mit ihren politischen Strategien sowohl die lokalen Unternehmen als auch den politischen Kontext direkt oder indirekt beein- flussen.

Somit greifen Henderson et al. (2002: 448f.) die Verortung von industriellen Unterneh- men und die Bedingungen, unter denen sie agieren, auch auf Mikroebene auf. Gereffi (1994) hingegen beschreibt die Raummuster von Konzentration und Dispersion als Ausdruck unternehmerischer Produktionsnetze vor allem auf Makroebene, die sich aufgrund neuer Arbeitsverteilungen innerhalb der Warenketten ergeben. Das heißt: Globale Produktionsnetzwerke verbinden Unternehmen nicht nur funktional und territo- rial, sondern sie verbinden auch Aspekte der sozialen und räumlichen Anordnungen, in welchen Unternehmen agieren, und Einflüsse auf ihre strategische Weiterentwicklung ausüben.

Zum Beispiel können Leitfirmen Nutzen aus einem Cluster von kleinen und mittleren Unternehmen ziehen, die entscheidende soziale Netzwerke und lokale Absatzmärkte haben. Genauso können Leitfirmen neue regionale ökonomische und soziale Netzwer- ke generieren, und bestehende Firmen miteinbeziehen. So könnte die Einbindung ei- ner Region in globale Produktionsnetzwerke ein Schlüsselelement zur regionalen öko- nomischen Entwicklung werden. Die Dauer und die Nachhaltigkeit der industriellen Entwicklung und die Ausbreitung positiver Ausstrahlungseffekte auf das Land hängen von den stattfindenden Prozessen und Dynamiken in der betreffenden Region ab: Ent- scheidend sind dabei u. a. wirtschaftspolitische Aktivitäten des Staates, historisch ge- wachsene Strukturen und Abhängigkeiten, Handelsabkommen, institutionelle Rahmen- bedingungen.

2.1.3 Ansatz der Industriedistrikte

Der Ansatz der Industriedistrikte geht auf Arbeiten von Marshall (1927) zurück, der, auf der Grundlage von Beobachtungen der Baumwollwarenherstellung in Lancashire und der Messwarenindustrie in Solingen, auf die Bedeutung regionaler Produktionsnetz- werke innerhalb eines Branchensektors hinweist. Unter Industriedistrikten werden räumliche Agglomerationen von Produzenten mit nationaler und internationaler Bedeu- tung für spezielle Produkte verstanden. Die Produzenten, bestehend aus kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), sind eng miteinander verflochten und weisen eine hohe horizontale und vertikale Arbeitsteilung auf (Kulke 2004: 113). Die Fertigungstiefe ent- steht somit nicht notwendigerweise in den einzelnen Unternehmen, sondern aus der Kooperation der Unternehmen untereinander. Eine weitere den industriellen Distrikten zugesprochene Eigenschaft ist, dass nur einige Unternehmen Zugang zu den Weltmärkten haben und dadurch ihr erworbenes Wissen um neue Produkte, Strategien und neue Design-Erfordernisse des Marktes in den Industriedistrikt und an ihre Zulieferer weitergeben. Der Industriedistrikt wird somit als lernende Einheit mit hoher Innovationsfähigkeit und als eigenständiges Netzwerk verstanden. Er kann sich zu einem eigenständigen sozioökonomischen System entwickeln.

Innerhalb dieses Systems agieren die beteiligten Unternehmen unter ähnlichen Werten, Grundhaltungen und Erwartungen (Schamp 2000: 75). Dabei wird dem gegenseitigen Vertrauen eine bedeutende Rolle für Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit des Industriedistriktes beigemessen. Diese räumliche Ballung, die in ihr soziokulturelles Umfeld eingebettet ist und sich durch eine permanente Interaktion auszeichnet, wird nach Marshall (1927) als „industrielle Atmosphäre“ bezeichnet.

Dieser Ansatz wurde in den 70er und 80er Jahren wieder verstärkt diskutiert, als indus- trielle Massenproduktionen ins Ausland verlagert wurden und viele Branchen durch den zunehmenden internationalen Wettbewerb unter Kostendruck gerieten. Industrielle Distrikte gelten in diesem Sinne als eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen eines veränderten Produktionsprozesses, der durch die Flexibilisierung der Arbeitsor- ganisation, neue Aufgaben- und Funktionsverteilung und Produktionskonzepte (lean production und just in time production) gekennzeichnet ist (Maier et al 2006: 136).

In der wirtschaftsgeographischen Literatur wird als erfolgreiches Beispiel für die Ent- wicklung von Industriedistrikten auf das Dritte Italien verwiesen, das sich vor dem Hin- tergrund der neuen Arbeitsteilung des Wandels des Produktionsprozesses von For- dismus zum Postfordismus aufgrund seiner engen Zulieferverflechtungen von kleinen und mittleren Unternehmern und aufgrund der langen Tradition seiner Textilindustrie gegen die Niedriglohnkonkurrenz aus dem Ausland in Italien behaupten konnte.

Eine kritische Auseinandersetzung zu der Frage der Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf andere Regionen führt H. Bathelt (1998). Zwar lässt sich der Modellcharakter des Dritten Italiens als eine neue Form der Regionalentwicklung und der Nachhaltigkeit auch in weiteren Regionen wie Silicon Valley (High-Tech-Cluster) bestätigen, dennoch bleibt es fraglich, ob sich genügend Marktnischen für die Spezialisierung der Produkte finden lassen.

2.2 Entwicklungs- und Wachstumstheorien

In der theoretischen Auseinandersetzung darüber, ob bzw. unter welchen Bedingungen regionale Disparitäten in der wirtschaftlichen Entwicklung eher ihrer weiteren Zuspit- zung oder ihrem Ausgleich zustreben, stehen sich Gleichgewichts- und Polarisations- theorien gegenüber.

2.2.1 Ausgleich oder Polarisierung regionaler Disparitäten

Neoklassische Modelle gehen von einer Ausgleichsbewegung durch Marktmechanis- men aus (Ricardo 1817/2006; Ohlin 1933). Export-Basis-Theorien nehmen an, dass für das wirtschaftliche Wachstum in einer Region die Expansion ihrer Exportmärkte aus- schlaggebend ist, während die Endogene Entwicklungstheorie die endogenen Poten- tiale und ihre Inwertsetzung als ausschlaggebend für eine erfolgreiche Entwicklung ansieht. Im Gegensatz zu den vorgenannten Theorien geht die Polarisationstheorie von der Verstärkung räumlicher Ungleichgewichte durch einen zirkulär-kumulativen Entwicklungsprozess aus (Schätzl 2003: 158ff.). Polarisationstheoretische Erklärungen basieren „auf der Annahme der Existenz regionaler und sektoraler Entwicklungspfade“ (Bathelt & Glückler 2003: 69). Dahinter verbirgt sich die Überlegung, dass Strukturen, Entscheidungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart und Zu- kunft hineinwirken können. Die heutigen Möglichkeiten und Entscheidungen hängen somit von historisch gewachsenen Bedingungen und Strukturen ab, die das gegenwär- tige Handeln beeinflussen.

Die Neue Endogene Wachstumstheorie stellt eine Synthese aus Polarisations- und neoklassischen Theorien dar. In ihr werden Szenarien sowohl einer divergierenden Entwicklung, als auch der Angleichung regionaler Disparitäten entworfen. Technischer Fortschritt durch das Wachstum von Humankapital ist demnach der entscheidende Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region und entsteht innerhalb der Wirt- schaftsprozesse in der Region selbst bzw. kann zusätzlich von externen Impulsen, etwa im Rahmen von Investitionstätigkeiten, befördert werden (Maier et al. 2006: 95). Dadurch können die Unternehmen in der betreffenden Region einen Wettbewerbsvor- teil gegenüber den Konkurrenten erzielen und ihre Produktion erhöhen. Dieser Wett- bewerbsvorteil kann sich positiv in Form von innovativem Wissen auf andere Unter- nehmen auswirken, indem sie diese Innovationen nachahmen. Ausstrahlungseffekte entstehen (auch: spillover effects). Jedoch hängt nach der Neuen Endogenen Wachs- tumstheorie die wirtschaftliche Entwicklung einer Region oder eines Landes davon ab, wie teuer diese Innovationen sind und wie schnell diese von den Wirtschaftsakteuren übernommen werden können.

2.2.2 Fragmentierende Entwicklung

Die fragmentierende Entwicklung wird nach Scholz (2002; 2004) durch Wettbewerb in Gang gesetzt und bestimmt. Die Bedeutung des Nationalstaates als Handlungsträger im Sinne eines Container-Staates nimmt immer mehr durch Globalisierungsprozesse ab. Der Nationalstaat gibt nach Scholz (2002) Kompetenzen an territoriale und funktio- nale Fragmente ab, die als hierarchische Handlungs-Cluster den Forderungen des Wettbewerbs unterliegen. Er unterteilt diese Handlungscluster in drei Ebenen. Zum einen die globalen Orte als Schaltstellen des globalen Wettbewerbs, an denen die Ge- schäftsführenden transnational agierender Konzerne und Finanzinstitutionen (Global Players) als Kommandozentralen in High-Tech-Produktions- und Forschungsbereichen fungieren. Des Weiteren werden Industriezonen für qualitativ hochwertige Güter und innovative Milieus als globale Orte bezeichnet (vgl. auch Sassen 1997: 39ff.). Hierar- chisch und funktional sind den globalen Schaltstellen auf der nächsten Ebene globali- sierte Orte untergeordnet. Dazu zählen unter anderem Standorte von Auslagerungsin- dustrien und der Billiglohn- und Massenkonsumgüterproduktion. Davon abgegrenzt findet sich auf unterster Hierarchiestufe die ausgegrenzte „Restwelt“, auch als New Periphery (Scholz 2002: 8) bezeichnet.

„ Dabei handelt es sich um die entgrenzten, um Standortqualit ä t streitenden, um Territorialit ä t, Machtkompetenz und Legitimit ä t ringenden nominellen National staaten. “ (Scholz 2002: 8)

Bei den angesprochenen räumlich-funktionalen Fragmenten handelt sich dabei nicht um dauerhaft angelegte raumstrukturelle Cluster und Netzwerke, sondern sie sind ständiger Verdrängung und Konkurrenz ausgesetzt. Globale Orte wie auch globalisier- te Orte müssen um ihre Stellung innerhalb der Hierarchiestruktur kämpfen. Sie können auf- oder absteigen. Abstieg und Aufstieg von globalisierten Orten sind durch das Ver- hältnis zu den Global Players und von der Wettbewerbssituation bestimmt. Die Frag- mentierungen können auf unterschiedlichen geographischen Maßstabsebenen räum- lich nebeneinander existieren.

2.3 Exportproduktionszonen in der wissenschaftlichen Diskussion

Exportproduktionszonen werden nach Scholz (2002) als globalisierte Orte begriffen, die zwar einseitig in den Globalisierungsprozess eingebunden sind, aber jederzeit durch die vorherrschende Konkurrenzsituation an Bedeutung verlieren können. In der Diskussion um Standorte, wirtschaftlichen Erfolg und Impact von Exportproduktionszo- nen (EPZs) werden in der Fachliteratur seit 30 Jahren unterschiedliche Theorieansätze und empirische Studien herangezogen, um aufzuzeigen, warum Exportproduktionszonen an bestimmten Standorten implementiert werden, welche möglichen Auswirkungen sie auf ihr soziales Umfeld haben und unter welchen Bedingungen EPZs zu Katalysatoren der Wirtschaft oder möglicherweise zu Enklaven innerhalb der umgebenden Gesellschaft werden (Kinunda-Rutashobya 2003: 228).

2.3.1 Definition der Exportproduktionszonen

In der Diskussion um Exportproduktionszonen werden unterschiedliche Begrifflichkei- ten wie Industrieparks, Freihandelszonen, Sonderwirtschaftszonen und Maquiladoras in der Literatur meist gleichbedeutend verwendet. Seinen geschichtlichen Ursprung hat der Begriff der Exportproduktionszone in den mit Freihandelsprivilegien ausgestatteten, umgrenzten Räumen in den europäischen Häfen zur Zeit der Industrialisierung, die umfangreiche Lagermöglichkeiten ohne Zusatzkosten boten (Mathelier et al. 2004: 99).

Die Weltbank beschreibt Exportproduktionszonen als abgegrenzte Bereiche von einer Größe von 10 bis 300 Hektar innerhalb eines Staates, die sich auf die Weiterarbeitung von Gütern für den Export spezialisiert haben. Die Exportproduktionszonen unterliegen einer anderen Gesetzgebung als der Rest des Landes, in dem sie sich befinden. Sie bieten Unternehmen Freihandels- und liberale Rahmenbedingungen und besondere arbeitsrechtliche Bestimmungen an (World Bank 1992: 7).

Madani (1999: 5) fasst wesentliche Merkmale von Exportproduktionszonen zusammen: Insbesondere profitieren EPZs von Ausnahmeregelungen, die ihnen von Seiten des Staates, in dem sie sich ansiedeln, gewährt werden, wie z. B. die unbeschränkte zollfreie Einfuhr von Rohmaterialien, teilgefertigten Produkten und Kapitalgütern für die Exportproduktion, geringere bürokratische Hürden, besondere arbeitsrechtliche Standards sowie Steuerbefreiungen. Außerdem wird ihnen eine vergleichsweise moderne Infrastruktur (Zufahrtsstraßen, Telekommunikation, Strom, Wasserversorgung) zur Verfügung gestellt. EPZs lassen sich unterscheiden:

- nach den Eigentumsverhältnissen (private oder öffentliche Betreiber, inländische oder ausländische, Mischformen/joint ventures) (Mathelier 2004: 102);
- nach ihrer Möglichkeit, ihre Produkte auf den heimischen Märkten zu verkaufen(Madani 1999: 16), die nur in einigen Fällen und nur eingeschränkt gegeben ist;
- hinsichtlich der Qualität der hergestellten Güter („low-end“ oder „high-end“ Zonen, Zonen erster, zweiter oder dritter Generation). Diese Unterscheidung rich- tet sich nach der Fertigungstiefe, dem Qualifikationsniveau der Beschäftigten und den zusätzlich angebotenen wertschaffenden Dienstleistungen vor Ort (Berndt 2004: 31).

2.3.2 Zielsetzung von Exportproduktionszonen

Die vier von der Weltbank formulierten Hauptziele von Exportproduktionszonen für die neuen weltmarktintegrierten Länder sind die Schaffung von Arbeitsplätzen und somit Generierung von Einkommen (1), das Anlocken von ausländischen Direktinvestitionen(2), Erzeugung von Wissens- und Technologietransfer (3) sowie Sicherung von Rück- kopplungseffekten mit der heimischen Industrie oder Märkten und die Verbesserung des Deviseneinkommens über die Förderung neuer exportorientierten Industriezweigen (4) (Madani 1999: 5; Kraus 2002: 3). Vor allem kommt den Rückkopplungseffekten mit der heimischen Wirtschaft und den Ausstrahlungseffekten eine bedeutsame Rolle zu . Nur wenn diese Ziele erreicht werden, schafft es eine EPZ, ihren Enklavencharakter zu überwinden und einen Antrieb für den wirtschaftlichen Aufschwung ihrer Umgebung auszulösen (Johansson & Nilsson 1997: 2115). In der Hoffnung, neue Arbeitsplätze zu generieren und Anreize für die eigene wirtschaftliche Entwicklung zu empfangen, sind die Gastländer bereit, kostengünstig Infrastruktur bereitzustellen und großzügige An- reize zu gewähren, darunter: die Bereitstellung von billiger Arbeitskraft (z. B. durch niedrige gesetzliche Mindestlöhne) sowie die Möglichkeit, Kapital und Gewinne zu re- patriieren (Mathelier 2004: 100).

2.3.3 Diskussion: Wohlfahrtsgewinne durch Exportproduktionszonen?

An der proklamierten Zielsetzung, durch Rückkopplungs- und Ausstrahlungseffekte Wohlfahrtsgewinne zu erzielen, setzt die wissenschaftliche Diskussion an. Hamada (1974) untersuchte als erster die Wohlfahrtseffekte von EPZs unter Zuhilfenahme des Heckscher-Ohlin-Modells (Ohlin 1933). Das Heckscher-Ohlin-Modell erklärt komparati- ve Vorteile durch die in den Ländern gegebene divergierende Faktorausstattung und untersucht in deren Abhängigkeit die Außenhandelsstruktur. Die verschiedenen Fak- torausstattungen führen zu unterschiedlichen Faktorpreisen und zu international unter- schiedlichen Güterpreisen, die zu einer Initiierung des Außenhandels führen. Die Heckscher-Ohlin-These lautet, dass ein Land das Gut exportiert, das in seiner Herstel- lung seinen relativ billigeren, d.h. reichlicheren Faktor intensiv nutzt, und die Ware im- portiert, in deren Herstellung der knappe Faktor intensiv genutzt wird.

Dabei werden immobile Produktionsfaktoren und die Abwesenheit von Handelshemm- nissen und Transportkosten unterstellt. So nutzen Regionen, die sich auf arbeitsinten- sive Produktion spezialisiert haben den Faktor Arbeit immer intensiver. Durch die Im- mobilität des Faktors Arbeit ist es nicht möglich, den Arbeitskräfteeinsatz durch Anwer- bung von Arbeitskräften aus anderen Regionen zu steigern. „Durch diesen erhöhten Bedarf [an Arbeit] wird der Produktionsfaktor Arbeit [...] in Relation zu Kapital teurer.“ (Bathelt & Glückler 2003: 68) Dasselbe gilt umgekehrt für den Faktor Kapital. Das heißt, die Faktorpreise bewegen sich aufeinander zu. Wie alle neoklassischen Modelle gehen auch Heckscher & Ohlin also davon aus, dass räumliche Disparitäten tendenziell abgebaut werden.

Angenommen, ein Land hat seinen komparativen Vorteil in der Faktorausstattung Ar- beit und schützt den kapitalintensiven Bereich, reduzieren die EPZs die Wohlfahrtsef- fekte auf das Land. Ausländisches Kapital (ADI) fließt in EPZs, was eine Subventionie- rung des Faktors Kapital mit sich bringt, wodurch Arbeitskräfte aus der inländischen Wirtschaft angezogen werden. Das heißt, die Produktion von kapitalintensiven Gütern steigt an, während die arbeitsintensive Produktion heimischer Güter sinkt. Nach der neoklassischen Herangehensweise würde das bedeuten, dass die Implementierung dieser EPZs einen negativen Wohlfahrtseffekt auf das Land zur Folge hätte, weil die Produktion in diesem geschützten Sektor nicht dem komparativen Vorteil dieses Lan- des, hier des Faktors Arbeit, entspricht.

“ The neo-classical analysis suggests that EPZs have a negative welfare effect on the country: the creation of zones will increase inefficiency by distorting production away from its comparative advantage. ” (Hamada 1974: 226)

Warr (1989) hinterfragt den neoklassischen Ansatz und seine Annahmen und Schlussfolgerungen.

“ This literature has drawn upon the classical Hecksher-Ohlin model of production. Insofar as the model treats capital as being internationally immobile, it fails to capture the international mobility of capital goods - which is central to the functioning of EPZs. The main conclusion of most of this literature - that EPZs necessarily reduce the welfare of the countries - is thus largely irrelevant for EPZs as they actually operate ” (Warr 1989: 66).

Warr (1989) entwickelte den Kosten-Nutzen-Ansatz, der einige Zeit zur Untersuchung der Effizienz von EPZs herangezogen wurde. Nach diesem Ansatz sollten alle Kosten und Nutzen, die von einer EPZ ausgehen, ermittelt und gegenüber gestellt werden. Dieser Ansatz errechnet die unterschiedlichen Kapitalströme und Kosten, die in die EPZ fließen oder die von ihr ausgehen. Ergibt sich dabei kein messbarer Nutzen für die Gesellschaft und den Staat, spricht Warr von einer EPZ als Enklave.

Frühere Arbeiten nach diesem Ansatz gelangten eher zu einer positiven Einschätzung der Wohlfahrtseffekte von EPZs, während in späteren Arbeiten die Skepsis überwog. Viele Studien belegen, dass öffentliche Ausgaben zur Errichtung der EPZInfrastrukturen gegenüber den durch die EPZ die Arbeiter und die Gesellschaft geschaffenen Gewinnen überwogen (Madani 1999: 21). Der Ansatz konnte sich in seiner Umsetzung jedoch nicht etablieren, weil oftmals notwenige Daten zu einer KostenNutzen-Analyse fehlten.

Sowohl Hamada (1974) als auch Warr unterschätzten die Dimension der Verflechtun- gen von EPZs mit ihrer Umgebung. Neuere Ansätze haben sich genau darauf konzent- riert. Johanson & Nilsson (1997) wendeten die Neue Endogene Wachstumstheorie auf die Untersuchung von EPZs an und entwickelten daraus eine eigene Theorie, die die Schwächen der voran gegangenen Ansätze berücksichtigt und die Potentiale für eine Region bei der Implementierung einer EPZ herausstellt. Johanson & Nilsson (1997) untersuchten die durch die Ausländische Direktinvestitionen (ADI) bedingten Ausstrah- lungseffekte auf die lokale Wirtschaft und erkannten darin eine Chance für die Entwick- lung der Gastgesellschaften. Insbesondere hoben sie folgende positive Aspekte her- vor:

1. Wissenstransfer: Oftmals verfügen lokale Unternehmen nicht über die Kapazi- tät, technisches und höherwertiges Wissen (Design und Marketing) aus inter- nen und externen Quellen zu bündeln. Diese Verflechtungen könnten durch die ADI innerhalb dieser EPZ entstehen.
2. Marktzugang: Lokale Unternehmen haben selten direkten Zugang zu internati- onalen Märkten und Verteilungskanälen. Durch die Verbindung etablierter in- ternationaler Unternehmen mit lokalen Exporteuren oder Unternehmen könnte der Zugang zu diesen Märkten gewährleistet und die heimische Wirtschaft an- gekurbelt werden.

2.3.4 Linkages und spillover effects in der Diskussion um Exportproduktionszo- nen

Altenburg (2000: 1ff.) definiert unterschiedliche Arten von Verflechtungen (linkages), die durch Direktinvestitionen in Gang gesetzt werden können. Dabei kommt den Rück- kopplungseffekten von den Transnationalen Unternehmen (TNU) zur heimischen In- dustrie, vor allem mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), eine entscheidende Rolle zu. Die Begriffe „ linkage “ und „ spillover “ müssen also näher erläutert werden.

Backward linkages with suppliers (Rückwärtsverflechtung mit Zulieferern): TNU könnten einige Komponenten, Materialien und Dienstleistungen direkt aus der heimischen Wirtschaft beziehen. Vor allem Unternehmen mit Massenanfertigungen könnten mit der Flexibilität und schnelleren Spezialisierung von kleineren Unternehmen kombiniert werden und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Diesen KMU wird somit ein neuer Markt eröffnet und dadurch wäre es möglich, dass sie ihr eigenes Profil modernisieren und entwickeln. So kann eine langfristige Beziehung mit dem TNU und den KMU entstehen, während im Gegenzug die KMU von ihrem ü- berlieferten Wissen und Strategien profitieren können Forward linkages with costumers (Vorwärtsverflechtungen mit Abnehmern):

TNU entwickeln zwei unterschiedliche Verflechtungen mit dem Abnehmer. Die wichtigste Verflechtung stellt sich über die Vermarktung her. Manchmal wird der Vertrieb von Markenprodukten an KMU ausgelagert, die wiederum von Schulungen seitens der TNU profitieren. Eine zweite mögliche Verflechtung wäre die mit den Kunden eines KMU, die im Anschluss des Kaufs zum Beispiel einer Maschine oder eines Produktes auf eine sachkundige Einführung angewiesen sind, damit sie mit dem neu angelernten Wissen diese bedienen können und als zukünftige Käufer eines ähnlichen Produktes wieder in Frage kommen.

Linkages with competitors (Verflechtungen mit Konkurrenten): Als TNU neh- men sie üblicherweise in dem Land eine starke Marktposition gegenüber den loka- len kleinen und mittleren Unternehmen ein. Ausländische Direktinvestoren setzen neue Standards und neue Rahmenbedingungen, die neue Innovationen ankurbeln.

Linkages with technology partners (Verflechtungen mit Technologiepartnern): TNU initiieren Projekte mit lokalen Firmen, wie Joint-Ventures und strategische Allianzen, oder vergeben Lizenzen. Diese Form von technology partnering mit Unternehmen in Entwicklungsländern wird zunehmend üblich.Other spillover effects (andere Rückkopplungs- und Ausstrahlungseffekte)können Demonstrationseffekte und Humankapitalgenerierung beinhalten. Demonst- rationseffekte erscheinen, wenn neue, meist effizientere Firmenstrategien der TNU, die als Vorzeigeprojekte neuer Innovationen gelten, von lokalen KMU kopiert wer- den. Auf der Ebene von Humankapital können spillover effects erscheinen, wenn TNU ihr Personal über ihre Bedürfnisse hinweg schulen oder das erfahrene Perso- nal zu lokalen Firmen überwechselt und das gesammelte Wissen anwendet.

2.3.5 Voraussetzungen für die Entstehung von Rückkopplungs- und Ausstrahlungseffekten

Diese unterschiedlichen linkages und spillover effects müssen sich nicht zwangsläufig bei der Implementierung einer EPZ einstellen. Der Erfolg von EPZs hängt von den vor- gefundenen Rahmenbedingungen ab. In der Empirie kommen Wissenschaftler, die in ihren Studien Effekte der EPZs wie Einkommensgenerierung, Technologietransfer und Exportwachstum betrachten, zu unterschiedlichen Resultaten (Kapilinsky 1993).

So zitiert Kraus (2002: 5) einen UN-Bericht aus dem Jahre 1991, der die Entwicklung von EPZs in 15 Ländern während der zurückliegenden 20 Jahre untersuchte und zu dem Schluss kam, dass sich diese nur in wenigen Fällen wunschgemäß entwickelt hätten. Dies wurde auf die mangelhaft qualifizierte Verwaltung seitens der Regierungen sowie auf infrastrukturelle Defizite zurückgeführt. Insgesamt sei kein hinreichend attraktiver Rahmen für ADI geschaffen worden.

Auch wenn EPZs erfolgreich für den Export produzieren und Devisen in das Land brin- gen, erreicht die Produktion oftmals nur innerhalb der Zone eine gewisse Fertigungstie- fe, die wiederum auf die lokale Umgebung gerichtete linkages überflüssig macht. Zu- sätzlich werden linkages durch Restriktionen und Handelsabkommen behindert, wenn etwa die Herkunft von Ausgangsmaterialien vorgeschrieben wird. Weitere Kritikpunkte in Bezug auf EPZs sind, dass sie empirischen Forschungen zufolge nur selten die von der Weltbank proklamierten Ziele wie Wissenstransfer und Bildung von Humankapital erreichen (Kapilinsky 1993: 1861ff.). Diese Entwicklungsimpulse und Ausstrahlungsef- fekte hängen aber maßgeblich vom Unternehmens- und vorherrschenden Industrietyp ab (Altenburg 2001: 15).

2.3.6 Kontroverse Diskussion

Der Nutzen und der Erfolg von EPZs werden kontrovers diskutiert. Befürworter un- terstreichen vor allem die Generierung von Deviseneinnahmen sowie Beschäftigungs- und Einkommenseffekte für die Niedriglohnländer, in denen meist nur wenige formelle Arbeitsstellen zur Verfügung stehen. Die Kritiker hingegen verweisen auf die prekären und geringbezahlten Arbeitsstellen mit geringen Sozialstandards in den EPZs, die einer nachhaltigen Verbesserung der sozialen Situation der Betroffenen entgegenstehen. Zusätzlich werden durch steuerliche Begünstigungen Einnahmeverluste des Staates in Kauf genommen und damit staatliche Investitionsmöglichkeiten eingeschränkt. Des Weiteren wird darauf verwiesen, dass EPZs oftmals keine lokalen Netzwerkstrukturen bilden oder Technologie- und Wissenstransfer erzielen. Das heißt, die formulierten Ziele der Weltbank erfüllen sich nur in wenigen Fällen.

In Tab. 1 werden wichtige Intentionen und Hoffnungen, die mit der Errichtung von Exportproduktionszonen verbunden sind, den möglichen negativen Effekten und Risiken gegenübergestellt:

1 Zu Mauritius: Kinunda-Rutashobya (2003); zu Vietnam: Waibel (2003); zur Dominikanischen Republik: Kapilinsky (1993); Willmore (1995); Mathews (2002); FLA (2007); zu Bangladesh: Feuchte (2007); zu Mexiko: Gereffi et al.

[...]

Fin de l'extrait de 109 pages

Résumé des informations

Titre
Lassen sich regionale Disparitäten durch die Integration in globale Warenketten überwinden?
Sous-titre
Die Exportproduktionszone von Ouanaminthe/ Haiti und ihr Impact auf das Gefüge des nordhaitianischen Sozialraums
Université
Free University of Berlin  (Fachrichtung Anthropogeographie, Arbeitsbereich: Theoretische Empirische & Angewandte Stadtforschung)
Note
1,0
Auteur
Année
2008
Pages
109
N° de catalogue
V203670
ISBN (ebook)
9783656319894
ISBN (Livre)
9783656320913
Taille d'un fichier
3333 KB
Langue
allemand
Mots clés
Haiti, Wertschöpfungsketten, Bekleidungsindustrie, Exportproduktionszonen, Grenzraum, Quanaminthe, Wirtschaftsgeographie, soziale Disparitäten
Citation du texte
Christine Scherzinger (Auteur), 2008, Lassen sich regionale Disparitäten durch die Integration in globale Warenketten überwinden?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203670

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