Nachzeitigkeit im Französischen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

23 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Futur simple
2.1. Entstehung
2.2. Morphologie
2.3. Semantik

3. Futur périphrastique
3.1. Entstehung
3.2. Morphologie
3.3. Semantik

4. Présent futural

5. Vergleichende Betrachtung

6. Zusammenfassung und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In vielen Sprachen, wie zum Beispiel im Französischen, Italienischen oder auch im Deutschen, fällt auf, dass es im Vergleich zu den Vergangenheitstempora nur wenige Zeiten gibt, um Nachzeitigkeit auszudrücken. Da also die Verwendung des Futurs mehr oder weniger eindeutig scheint, gibt es auch wenig Forschungsliteratur darüber.[1]

Bei näherer Betrachtung wird jedoch schnell klar, dass mehr als nur die „reinen“ Zukunftstempora untersucht werden müssen, um Aussagen darüber treffen zu können, welche Möglichkeiten die Sprecher[2] einer Sprache haben, um Zukünftiges auszudrücken. In besonderem Maße muss natürlich, bei Ermangelung formal festgelegter grammatischer Ausdrucksmöglichkeiten, der Fokus auf die Untersuchung der gesprochenen Sprache gelegt werden. Hierbei sei kurz darauf hingewiesen, dass eine adäquate Untersuchung erst seit wenigen Jahrzehnten – seit der Erfindung der Tonbandaufnahme – möglich ist.[3]

Im Gegensatz dazu sind grammatikalisierte Formen des Futurs schon länger zu untersuchen. Trotzdem findet sich relativ wenig Literatur, die sich der Semantik der Futurtempora widmet. Abgesehen von quantitativen Analysen sind sehr wenige Werke erschienen, die die Besonderheiten und Unterschiede der Ausdrucksformen der Nachzeitigkeit ausreichend untersuchen. Vor allem die Betrachtung des Kontextes, in welchem das eine oder andere Tempus verwendet wird, ist nur unzureichend untersucht.[4]

Im Folgenden soll zunächst die diachrone Entwicklung der Futurtempora im Französischen dargestellt werden. Woraus haben sie sich entwickelt, wie lief diese Entwicklung ab? Dann wird auf Einzelheiten der Semantik und der Morphologie eingegangen werden. Abschließend erfolgt in synchroner Betrachtung ein Vergleich der Ausdrucks- und Verwendungsmöglichkeiten der verschiedenen Tempora im Französischen. Welche Möglichkeiten gibt es, Nachzeitigkeit auszudrücken? Welche morphologischen, aber besonders, welche semantischen Unterschiede gibt es zwischen diesen Möglichkeiten ?

Leider kann im Rahmen dieser Seminararbeit nicht auf die modalen Ausdrucksmöglichkeiten der Zukunftstempora eingegangen werden, ebenso wenig wie auf eine quantitative Analyse. Des Weiteren muss der Kontext der Futurformen weitgehend unberücksichtigt bleiben.

2. Futur simple

2.1. Entstehung

Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass sich das Futur simple nicht – wie man annehmen könnte – aus dem lateinischen futurum simplex entwickelte, sondern aus einer lateinischen Verbalperiphrase. Es soll sich aus dem Verb im Infinitiv + habere entwickelt haben.[5] Gänzlich sicher ist sich die Forschung bei dieser Annahme allerdings nicht. Zwar wird inzwischen eine morphologische Erweiterung des synthetischen lateinischen Futurs zu den heutigen Formen ausgeschlossen, doch zum Beispiel das rumänische Futur, das wohl aus der Periphrase von Infinitiv + volere entstanden ist, wirft die Frage auf, ob dies nicht auch der Fall in den anderen romanischen Sprachen sei.[6]

Warum aber entwickelte sich überhaupt eine periphrastische Form aus dem synthetischen futurum simplex? Coseriu nennt zwei häufig thematisierte Gründe. Der erste mögliche Grund ist eher morphologischer Natur. Schon im klassischen Latein waren die Futurformen eine Art Schwachstelle, da sie „in den 4 Konjugationsklassen nach zwei verschiedenen Verfahren gebildet“[7] wurden und darüber hinaus „in der 1. Person Sing. mit dem Konjunktiv Präsens der 3. und 4. Konjugation“[8] zusammenfielen. Diese Unvollkommenheit wurde durch lautliche Veränderungen im Vulgärlatein, durch den Quantitätenkollaps und die daraus resultierenden Homophonien noch verstärkt. Demzufolge war also das Bedürfnis der Sprecher, sprachökonomisch sinnvoll zu handeln, der Grund für den Wandel von synthetischen zu periphrastischen Futurformen.[9]

Die zweite mögliche Erklärung nennt Coseriu „semantisch“[10]. Hierbei steht als Grund für den Wandel zu periphrastischen Futurformen das Bedürfnis, modale und affektische Werte des Futurs zu übermitteln – Werte, die nicht mit den synthetischen Formen zu transportieren waren. So sollte zum Beispiel die Motivation der zukünftigen Handlungen durch die Futurform ausgedrückt werden. Es war also wichtig, debeo, habeo und volo + Verb unterscheiden zu können.[11] Anders ausgedrückt, stehen also „die kognitiven Kategorien

VERPFLICHTUNG und ZUKUNFT […] in Kontiguität zueinander“[12], weshalb sich der Bedeutungswandel vollzieht. Eine andere Interpretation dieses Bedürfnisses findet sich bei Vossler. Er geht davon aus, dass das einfache Volk den Sinn des Futurs nicht versteht, sich nicht einer subjektiven Sichtweise erwehren kann. Das heißt, der Sprecher situiert sich immer selbst zum Zukünftigen und somit wird dieses moduliert in die „Bereiche der Furcht und Hoffnung, des Wunsches und der Unsicherheit“[13]. Hierin sieht Vossler eine Abschwächung der Kategorie des Futurs.[14]

Allerdings äußert Coseriu an beiden Modellen Kritik. Er betrachtet zwar beide als komplementär, jedoch einzeln betrachtet „als unzureichend und angreifbar“[15]. Die morphologische Begründung sieht er als historisch erwiesen an; Schwachpunkt des lateinischen Systems waren die oben genannten zu wenig differenzierten Formen des Futurs. Coseriu sieht so zwar die Notwendigkeit neuer Futurformen erklärt, jedoch fehlt eine Begründung dafür, dass eben die Formen entstanden sind, die wir heute verwenden und keine anderen. Eine rein morphologische Erklärung scheint also zu eng gefasst, da diese nicht erklärt, warum die periphrastischen Futurformen einen modalen oder aspektuellen Inhalt haben oder hatten, bevor sie rein temporal wurden – und dies nicht nur in den romanischen, sondern auch in vielen anderen Sprachen. Diese Entwicklungen können also nicht nur auf die Schwachstelle der lateinischen synthetischen Formen zurückgeführt werden.[16]

Die semantische Erklärung scheint ebenso unzureichend, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Kategorie Futur abgeschwächt worden ist, da sich sonst ja keine neuen Formen entwickelt hätten, sondern „sich lediglich ihr materieller Ausdruck und ihre Bedeutungsrichtung[17] “ geändert haben. Dies kann sogar als starkes Interesse der Sprecher an dieser Kategorie gewertet werden, da nur Kategorien erneuert werden, die benötigt werden. Unwichtige verschwinden mit der Zeit. Des Weiteren ist einzuwenden, dass sich die Sprecher wohl nicht derart veränderten, dass sie als Sprecher des klassischen Lateins in der Lage waren, neutrales Futur zu denken und wiederzugeben, diese Fähigkeit jedoch später verloren. Coseriu sieht deshalb in der semantischen Erklärung vielmehr eine Schlussfolgerung, eine Beschreibung der neuen Formen.[18]

Demnach muss ein anderer Grund für den Wandel gefunden werden. Coseriu geht davon aus, dass die Futurformen in vielen Sprachen immer wieder erneuert werden. Dabei werden Formen, mit zunächst temporaler Bedeutung, erst modal, bevor sie dann „temporalisiert“[19] werden. Spitzer sieht darin die ständige Konkurrenz zwischen logischer und affektiver Ausdrucksweise. Dieser Meinung widerspricht Coseriu allerdings. Er geht hingegen davon aus, dass jeder Sprecher einen bestimmten Bezug zum Sprechakt hat und deshalb jede Sprachform eine Einstellung des Sprechers transportiert.[20]

[...]


[1] Vgl. Hablützel, Ernst: Der Ausdruck des Zukünftigen im Französischen. Winterthur, 1965, S. 1ff.

[2] Aus Gründen der Lesbarkeit werden in dieser Arbeit nur die maskulinen Formen verwendet, es sind jedoch stets beide Geschlechter gemeint.

[3] Lorenz, Bettina: Die Konkurrenz zwischen dem futur simple und dem futur périphrastique im gesprochenen Französisch der Gegenwart. Münster, 1989. (=Münsterische Beiträge zur romanischen Philologie 2), S. 1.

[4] Vgl. Schrott, Angela: Futurität im Französischen der Gegenwart. Semantik und Pragmatik der Tempora der Zukunft. Tübingen, 1997, S. 11ff.

[5] Vgl. Sokol, Monika: Das Zusammenspiel der Verbalkategorien und die französischen Futura. Tübingen, 1999. (=Linguistische Arbeiten 409), S. 127ff.

[6] Vgl. Wunderli, Peter: Modus und Tempus. Tübingen, 1976, S.300ff.

[7] Coseriu, Eugenio: Über das romanische Futur. In: Coseriu, Eugenio: Sprache – Strukturen und Funktionen. XII Aufsätze zur allgemeinen und romanischen Sprachwissenschaft, Tübingen, 1971. (=Tübinger Beiträge zur Linguistik 2), S. 73.

[8] Ebenda, S. 73.

[9] Vgl. Ebd., S. 73f.

[10] Ebd., S. 74.

[11] Vgl. Ebd., S.74f.

[12] Blank, Andreas: Prinzipien des lexikalischen Bedeutungswandels am Beispiel der romanischen Sprachen. Tübingen, 1997, S. 262.

[13] Vossler, Karl: Neue Denkformen im Vulgärlatein. In: Geist und Kultur in der Sprache, Heidelberg 1925, S. 68.

[14] Vgl. Ebenda, S. 68f.

[15] Coseriu, 1971, S. 76.

[16] Vgl. Coseriu, 1971, S. 79ff.

[17] Ebenda, S. 77.

[18] Vgl. Ebd., S. 76ff.

[19] Ebd., S. 83.

[20] Vgl. Ebd., S. 82ff.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Nachzeitigkeit im Französischen
Hochschule
Universität Stuttgart  (Linguistik/Romanistik)
Veranstaltung
Vergleichende Grammatik des Französischen und des Italienischen
Note
2,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V203729
ISBN (eBook)
9783656300618
ISBN (Buch)
9783656331551
Dateigröße
696 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Futur, habeo, cantare, Futurmarker, Coseriu, Französisch
Arbeit zitieren
Konrad Rupp (Autor:in), 2009, Nachzeitigkeit im Französischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203729

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