Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Begriffe für die Analyse
2.1. Akteur / Aktant
2.2. Programm – Gegenprogramm
2.3. Inskription
2.4. Übersetzung
3. Der eingesperrte Einkaufswagen
4. Abschließende Betrachtung
4.1. Bild der Gesellschaft und die Rolle der Technik
4.2. Fazit
5. Literatur
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 1 Übersicht Programm- / Antiprogramm
Abb. 2 Handlungs- / Antiprogramm aufgeschlüsselt
Abb. 3 Links: Hinweisschild Rechts: Speziell umgerüstetes Wagenrad
Abb. 4 Links: Zugang zum Einkaufsgelände Rechts: Markierung des Magnetstreifens
1. Einleitung
Im Alltag sind wir rundum umgeben von Objekten, die uns das Leben komfortabler und angenehmer gestalten. Ein Leben ohne Technik ist kaum mehr vorstellbar, wenn man versucht die Alltagstechniken gedanklich auszublenden. Jegliche Grundbedürfnisse sind verknüpft mit Gegenständen. Ob der Schlummer im weichen Federbett, die Überwindung großer Strecken durch Verkehrsmittel, die Zubereitung von Nahrungsmitteln oder die Freizeitgestaltung durch Unterhaltungstechnik. Mit dieser wachsenden Zahl an Objekten, über die wir verfügen, beschäftigt sich auch Bruno Latour, der seines Zeichens im Bereich der Wissenschafts- und Techniksoziologie tätig ist. Sein Forschungsfokus liegt auf der Konzeptionalisierung technischer Innovationen. Im Zuge seiner akademischen Arbeit entwickelte Bruno Latour zusammen mit Micheal Callon und John Law die Akteur-Netzwerk-Theorie. Grundlegend für die Theorie ist die Annahme, dass Gesellschaft und Natur nicht nur sozial bzw. durch menschliche Zuschreibung konstruiert sein können, sondern dass auch Objekte respektive Technik von sich aus an der Gestaltung teilhaben. Wenn unsere Welt mit so viele Dingen bevölkert ist, wie können dann einzig die menschlichen Wesen einen Erklärungsbeitrag für Gesellschaft und Natur bzw. Wissenschaft leisten? Objekte handeln also mit und nicht durch uns und müssen dementsprechend in der sozialwissenschaftlichen, speziell in der soziologischen Lehre einbezogen werden. Bruno Latour rekurriert die Einbindung der Objekte, als Elemente sozialen Handelns, auf die Fragestellung „Where are the missing masses?“. (Latour 1997: 225) Diese besagten fehlenden Massen beziehen sich auf die Elemente, welche die Gesellschaft zusammenhalten und stabilisieren. Die Antwort findet Latour in der Soziologie der Dinge, die die Moralität innerhalb der Gesellschaften herstellen.
Diese Arbeit möchte die Argumentation von Bruno Latour bezüglich der Beschaffenheit von Alltagsobjekten aufgreifen und auf ein aktuelles Beispiel anwenden. Dabei versuchen wir folgende Fragestellungen zu beantworten: Wie begründet er das Verhältnis von Menschen und Technik? Welche besondere Bedeutung und welchen Einfluss hat Technik in Hinblick auf das soziale Handeln?
Dazu werden wir zunächst die wichtigsten Begriffe für die Analyse unseres Beispiels des eingesperrten Einkaufwagens erläutern. Im Anschluss versuchen wir die Theorie auf ein Praxisbeispiel anzuwenden. Wir wollen zeigen wie unnachgiebig die Moral der Technik ist und welche Konsequenzen sich daraus für die Handlung ergeben. Im Anschluss versuchen wir das Menschenbild Bruno Latours und die Rolle der Technik in diesem Verhältnis zu skizzieren. Im Fazit resümieren wir die Betrachtungen und wägen diese gegeneinander ab.
2. Begriffe für die Analyse
Ziel dieser Arbeit soll eine Darstellung des Verhältnisses von Menschen und Technik aus der Perspektive Bruno Latours und seinem theoretischen Beitrag im Rahmen der Akteur-Netzwerk-Theorie (folgend auch als ANT bezeichnet) sein. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Frage wie Technik das Handeln beeinflusst und welchen Stellenwert diesem Verständnis nach Alltagsobjekte einnehmen.
Der Ansatz der ANT ist eine radikale Ausrichtung des Sozialkonstruktivismus, wonach alles Handeln vom Menschen ausgeht und wir in einer einzig vom Menschen gemachten Realität leben. Im Zuge seiner Theoriearbeit plädiert Latour für eine Aufhebung des Gegensatzes zwischen Technik und Menschen. Im Rahmen der Akteur-Netzwerk-Theorie handeln sie gemeinsam, beeinflussen sich gegenseitig und verändern sich. Technikentwicklung ist das Resultat des Zusammenwirkens von Akteuren in einer Assoziationskette. Sie ersetzen oder verbinden sie zu neuen Entitäten – so genannten Hybriden – sind also eine Modifikation von Assoziationen. Jedes Handeln ist ein Vermögen der Verbindung menschlicher und nicht-menschlicher Wesen und kann immer wieder neu beschrieben werden. (vgl. Latour 2002: 221)
Darüber hinaus versteht Bruno Latour Technik als das unsichtbare Band oder auch den „Ariadnefaden“, der moralisches Handeln in der Gesellschaft verankert. (vgl. Latour 1997: 227) Im Zuge der Vervielfachung nicht-menschlicher Wesen, die das Individuum umgeben, werden sozial wünschenswerte, „moralische“ Verhaltensweisen durch Techniken abgerufen und stabilisiert. Um die Art und Weise wie diese technisch vermittelte moralische Anweisung durch Alltagsobjekte transportiert wird exemplarisch näher erläutern zu können, werden wir zunächst einige Analysebegriffe definieren.
2.1. Akteur / Aktant
Wie bereits zuvor beschrieben, ist Technik gemäß der Akteur-Netzwerk-Theorie als Element einer Handlung zu betrachten. „ Das Soziale ist durchsetzt mit Objekten, die das Soziale konstruieren. Diese Dinge sind real und gleichen sozialen Akteuren.“ (Latour 2008: 14) Hierbei wird die Gleichwertigkeit von Mensch und Objekt als handelnde Entitäten betont. Um der sozialkonstruktivistischen Befrachtung des Begriffes im Sinne der angestrebten analytischen Symmetrie zu entgehen werden menschliche und nicht-menschlichen Wesen als Aktanten bezeichnet.
„ Aktanten sind in einem Prozess des Austausches von Kompetenzen, dadurch stellen sie einander neue Möglichkeiten, Ziele und Funktionen bereit “ (Latour 2002: 221). Das bedeutet, dass die Aktanten sich in der Interaktionskette wechselseitig beeinflussen und definieren. Dabei sind sie miteinander verflochten und konstituieren gemeinsam eine Handlungskette. Es ist die Verbindung von Aktanten. Dabei entstehen neue Relationen, so genannte Hybride.
2.2. Programm – Gegenprogramm
Programme umfassen die Absichten und Intentionen, die Aktanten durch die Handlung, also das Wirken innerhalb einer Assoziationskette zu realisieren versuchen. Dabei verfügt jeder Aktant über ein eigenes Programm. Es umfasst eine Abfolge von Schritten, Zielen und Intentionen. Alles was dem Programm zuwiderläuft und die Erfüllung des Zielvorhabens hemmt wird als das Gegen- bzw. Antiprogramm bezeichnet. Das Handlungsprogramm kann eine Reihe von Unterprogrammen enthalten, wenn ein Ziel nicht direkt realisiert, sondern nur über Umwege erreicht werden kann. Dadurch bleiben Programm und Antiprogramm variabel in ihrer Komposition von Aktanten, aber auch Zielen. Die Abbildung 1 (zur Veranschaulichung entnommen aus Latour 1996: 57) rekonstruiert den Handlungsablauf ex post und zeigt dabei die Veränderungen der Zusammensetzung der Interaktionskette zur Erfüllung des Programms.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Übersicht Programm- / Antiprogramm (Abb. entnommern aus Latour: 1996)
Die horizontale Achse gibt Auskunft über die Zahl der Assoziationen, also Verbindungen von Aktanten. Vertikal werden die Anzahl der Substitutionen bzw. Ersetzungen aufgeführt. Sie schließt die Anzahl und Zusammenstellung der Unterprogramme zur Durchsetzung des Handlungszieles ein. Die durchlaufende Linie kennzeichnet die Grenze zwischen Programm und Gegenprogramm bzw. Ausführung und Beeinträchtigung der Handlungsabsicht.
2.3. Inskription
„Die Festlegung eines Aktanten auf ein Skript, eine Rolle bzw. eine Verhaltensweise (Inskription) kann bestimmte Voraussetzungen für das Verhalten anderer Aktanten erzeugen (Präskription) und umgekehrt.“. (Schulz-Schaeffer 2000: 192)
Ingo Schulz-Schaeffer bestimmt die Analysebegriffe Inskription und Präskription genauer als Verhaltenseinschreibung und Verhaltenserwartung, die wechselseitig von den Aktanten ausgetauscht werden, um einem Skript zu folgen bzw. ein Handlungsprogramm auszuführen. Es werden Bedingungen festgelegt, nach denen eine Realisation und Durchführung eines Programms ermöglicht wird. Diese Festlegungen strukturieren einen bestimmten Interaktionsrahmen für andere Aktanten im Sinne einer Präskription vor.
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