Rassismus und Rassismuskritik: Von der Theoriebildung zur schulischen Praxis


Thèse de Master, 2011

90 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

I. Einleitung

II. Rassismusforschung: Ansätze und Definitionen

III. Pädagogische Konzepte zum Umgang mit Heterogenität und Rassismus

IV. Rassismus und Schule: Ein kritischer Blick auf die schulische Praxis
2.1 Institutionelle Diskriminierung
2.2 Heimlicher Lehrplan
2.3 Schulentwicklung als Chance und Gefahr
3.1 Lehrpläne
3.2 Schulbücher
3.3 Schlussfolgerungen

V. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Typen diskriminierenden Verhaltens

Abbildung 2 Reduktionistisch-determinierender Kulturbegriff

I.Einleitung

„Rassismus ist weltweit verrufen und dauert überall an“ (Hund 2007, S. 5).

Mit diesen treffenden Worten eröffnet der Soziologie Hund sein Buch mit dem Titel “Rassismus“. Diese Worte sollen nun zugleich als Anlass genommen, um in die vorliegende Arbeit mit dem Titel ‚Rassismus und Rassismuskritik: Von der Theoriebildung zur schulischen Praxis’ einzuleiten.

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, besagt der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Hieran erinnert auch der jährlich am 21. März stattfindende Internationale Tag gegen Rassismus, gegründet in Gedenken an die Opfer des ‚Massakers von Sharpeville‘ von 1960 während einer Demonstration gegen die südafrikanischen Apartheidgesetze. Auf internationaler Ebene verabschiedeten die Vereinten Nationen zudem 1963 eine Erklärung zur Beseitigung jeder Form rassistischer Diskriminierung, schufen zur Überwachung das Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) und veranstalteten bisher – nebst der vielfach kritisierten Nachfolgekonferenz 2009 – drei Weltkonferenzen gegen Rassismus (vgl. Hund 2007, S. 5f.). Ähnliche Bestrebungen lassen sich auch auf europäischer Ebene finden, wo 1993 die European Comission against Racism and Intolerance (ECRI) gegründet wurde. Das 1997 errichtete European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) lieferte bis 2007 Daten zu Rassismus in Europa und wurde anschließend abgelöst von der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA), die seitdem mit thematisch erweitertem Mandat operiert. Weltweit setzen sich darüber hinaus Nichregierungsorganisationen gegen Rassismus und Diskriminierung in allen Lebensbereichen ein und auch die Wissenschaft setzt sich, wie die Fülle an Literatur zeigt, engagiert mit dem Thema auseinander. Neben rein wissenschaftlichem Interesse wird dabei implizit oder auch ganz explizit an die gemeinsame Verantwortung appelliert, das Ideal der Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu fördern und zu schützen. Rassismus scheint somit – zumindest auf den ersten Blick - tatsächlich verrufen zu sein.

Zugleich zeugen die Implementierung von Maßnahmen gegen Rassismus und die vielfältigen Aktionen gegen rassistische Gewalt, Beleidigung und Diskriminierung, dass Rassismus immer noch ein drängendes Problem ist – weltweit. Hieran erinnern massive rassistische Gewalttaten in Städten wie Hoyerswerda, wo Jugendliche im Herbst 19991 mehrere aus Vietnam stammende Wochenmarkthändler verprügelten und in den nächsten Tagen mit Hunderten Mittäterinnen und Mittätern unter Beifall vieler Anwohnerinnen und Anwohner drei Asylbewerberheime belagerten (vgl. Leiprecht 2005, S. 317). Die Ortsliste ähnlicher massiver und brutaler Gewalttaten ist lang. Hinzu kommen die tagtäglichen psychischen Angriffe wie beispielsweise Beleidigungen und Schmähungen, die in den offiziellen Statistiken zu Rassismus zumeist gar nicht auftauchen. Eine Umfrage der Europäischen Grundrechteagentur (FRA) mit europaweit 23.500 Personen ergab, dass 55 Prozent der Befragten Diskriminierung als großes Problem ansehen, 37 Prozent von ihnen gaben an, wegen ihrer Herkunft noch in jüngster Vergangenheit Opfer von Diskriminierung geworden zu sein und zwölf Prozent berichten darüber hinaus von tätlichen oder verbalen Angriffen, während zugleich deutlich wird, dass 80 Prozent der direkt von Rassismus Betroffenen den Vorfall nicht meldeten (vgl. Spiegel Online v. 22.04.2009). Darüber hinaus verweisen wissenschaftliche Studien wie auch Berichte von Selbstorganisationen von People of Color auf die vielfältigen rassistischen Diskriminierungen im Bildungsbereich, bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt, aber auch auf die subtilen Rassismen und Grenzziehungen im Alltag. Öffentliche Diskussionen um Leitkultur, Parallelgesellschaft und Co. wie auch reißerische Medienberichte über ‚die Ausländer‘ und ‚Fremde‘ tragen ihren Teil zum allgegenwärtig Rassismus der Gesellschaft bei. Faktisch, um auf das Eingangszitat zurückzugreifen, dauert Rassismus somit überall an.

Die Vielfalt des Phänomens ‚Rassismus‘ mag dabei ein wesentlicher Grund für die Diskrepanz von vielfach geäußertem Anspruch und Wirklichkeit sein. Denn als ideologische bzw. pseudowissenschaftliche Theorie ist der Rassismus „ein gesellschaftliches Regulativ, dass sowohl auf ein klassifizierendes Denken, d.h. auf intellektuelle Mittel der Unterwerfung, als auch auf ökonomische, politische, gesellschaftliche und kulturelle Prozesse, d.h. insbesondere auf die Teilhabe an den Ressourcen des Kollektivs, rekurriert“ (Luttmer 2008, S. 77). Letztlich kann Rassismus daher auch als einflussreiche Normalität gesellschaftlichen Zusammenlebens verstanden werden: „Als Mitglieder dieser Gesellschaft bewegen wir uns in einem von Rassismen auf struktureller, institutioneller und individueller Ebene durchzogenen Raum“ (Scharathow 2009, S. 16).

Auch Schule muss daher als Ort angesehen werden, in dem Rassismus stattfindet, aber vor allem – und dies wird die Perspektive der vorliegenden Arbeit sein – durch den beständig Rassismus reproduziert wird. So konnten internationale Schulvergleichsstudien wie PISA zeigen, dass Kinder mit Migrationshintergrund in der Schule schlechter gestellt werden als die Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund. Dies kann auf institutionelle Mechanismen der Diskriminierung zurückgeführt werden. Die ethnozentrische Ausrichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde sodann in der Diskussion um diese Ergebnisse deutlich: „Die weit verbreitete Überlegung, wie ‚Deutschland‘ abschneiden würde, wenn die Kinder mit Migrationshintergrund ‚herausgerechnet‘ würden, ist ein zentrales Deutungsmuster, das entgegen vieler wissenschaftlicher Hinweise und Differenzierungen die Struktur der Abwehr bestimmt“ (Hamburger 2005, S. 7). Meinungsumfragen und Medienberichte geben eine ähnliche Richtung vor, wenn zum Beispiel Schulen mit vielen Migrantenkindern als schwierig und Ausländerkinder als Hemmnis des Lernfortschritts deutscher Kinder gewertet werden (vgl. Hamburger 2005, S. 8). Im Kontext der Schule selbst zeigen sich wiederum beispielsweise in der Personalzusammensetzung – Lehrkräfte gehören eher der Mehrheitsgesellschaft an, während Reinigungsstellen häufig von Minderheiten wahrgenommen werden – Hierarchien entlang natio-ethno-kultureller Zugehörigkeiten und auch in Schulbüchern, pädagogischen Fördermaßnahmen usw. werden oftmals gar nicht bewusst Grenzziehungen zwischen ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘ gezogen. Rassismus durch die staatliche Institution Schule ist dabei besonders fatal. Er betrifft alle Schülerinnen und Schüler insofern, dass durch Beobachtung gelernt wird, was als legitimes (rassistisches) Wissen und Handeln von Seiten der Schule angesehen wird. Schule ist schließlich der Ort, in dem die zu mündigen Bürgerinnen und Bürgerinnen heranzuziehenden Kinder und Jugendlichen erfahren, ob und inwieweit der Staat selbst willig und in der Lage ist, die im Bildungsauftrag und den allgemeinen Lernzielen verankerten demokratischen Werte umzusetzen und entsprechende Grundrechte zu wahren (vgl. Koch/Dollase 2009, S. 346). Im Kontext von Heterogenität, Rassismus und Diskriminierung muss sich „[e]ine Schule der Zukunft (…) intensiv mit diesen Herausforderungen und Problemen auseinander setzen, ihre Reaktionen auf diese Prozesse kritisch überprüfen und konzeptionell durchdachte schulpädagogische und didaktische Innovationen vornehmen und evaluieren müssen“ (Lüddecke 2003, S. 11).

Schule ist dabei zugleich einer der wohl geeignetsten Orte, um Rassismus anzugehen. Sozialwissenschaftliche und pädagogische Konzepte zum Umgang mit Rassismus stehen nämlich in der Praxis oftmals vor dem Problem, dass sie nur eine äußerst begrenzte Anzahl an Adressaten erreichen. Oder wie Auernheimer, van Dick, Petzel und Wagner sagen würden: „Rassisten gehen antirassistischen Argumentationen aus dem Weg“ (Auernheimer/van Dick/Petzel/Wagner 2001, S. 17). Umso mehr kommt der Schule eine besondere Rolle bei der Rassismusprävention zu, bietet sie doch aufgrund der allgemeinen Pflichtschulzeit die Chance, besonders viele Kinder und Jugendliche zu erreichen. Schule vermag dabei durch Anstrengung aller Beteiligten demokratische Werte und die normativen Ideen der Menschenrechte vorzuleben. Dabei haben es „Ansätze die in pädagogischen Arbeitsfeldern präventiv gegen Rassismus vorzugehen versuchen (…) nicht einfach, wenn gleichzeitig in Politik und Medien massive Bedrohungsszenarien gegenüber Eingewanderten produziert und dichotome Polarisierungen (…) unterstützt werden“ (Leiprecht 2009b, S. 338). Rassismuspräventive und das heißt auch rassismuskritische Arbeit würde den Kindern und Jugendlichen jedoch als Bürgerinnen und Bürger von Morgen ermöglichen, eben solche Phänomene des Rassismus zu identifizieren und problematisieren sowie Handlungsalternativen zu entwerfen. Obgleich die Schule somit allein zwar keine humane Gesellschaft zu garantieren vermag, „so spielt sie doch eine Rolle bei der Konstitution einer Gesellschaft, die die Weltlichkeit und die Pluralität der Menschen unter dem Vorzeichen von Menschenwürde und Gleichheit realisiert“ (Luttmer 2008, S. 44). Entsprechend empfahl auch der Sachverständigenrat für Bildung 1999 im Hinblick auf die Fundierung der Zivilgesellschaft durch Bildung, der Sicherung des sozialen Zusammenhalts und des Aushandelns eines Konsens über einen fairen Umgang miteinander „den Umgang mit Differenz als bestimmend für die Arbeit der Bildungseinrichtungen zu gestalten“ (Sachverständigenrat für Bildung 1999, S. 8, zit. n. Kiper 2005, S. 311). Kein leichtes Vorhaben, denn letztlich geht es auch darum, homogenisierende Mechanismen und Strukturen in Frage zu stellen, die sich seit Etablierung des öffentlichen Schulwesens herausgebildet haben.

Die vorliegende Arbeit widmet sich diesem soeben skizzierten Spannungsfeld, in dem Schule einerseits als Rassismus (re-)produzierende Institution und Schule andererseits als Ort rassismuskritischen Denkens steht. Dabei wird mit Scharathow davon ausgegangen, „dass eine gelingende diskriminierungs- und rassismuskritische Bildungspraxis nicht auf theoretische Fundierungen und die dazu notwendigen Forschungsergebnisse verzichten kann“ (Scharathow 2009, S. 14). Mit der vorliegenden Arbeit soll mit Blick auf die Schule gefragt werden, womit das Missverhältnis zwischen dem Anspruch auf ein gleichberechtigtes Miteinander und der gelebten Realität erklärt werden kann. Einer Antwort wird auf drei Ebenen nachgegangen, wodurch zugleich eine Präzisierung der Fragestellung einhergeht. Zuerst wird in Kapitel I die Frage verfolgt, welche relevanten Ansätze in der Rassismusforschung aufzufinden sind. Denn von dem jeweiligen Verständnis von Rassismus hängt es letztlich ab, inwiefern Rassismus sich in der Schule zeigt und welche rassismuspräventiven Maßnahmen ergriffen werden können. Aufzudeckende Defizite der theoretischen Zugänge zu Rassismus haben möglicherweise zudem hohen Einfluss auf die Erziehungs- und Bildungskonzepte sowie auf die schulische Praxis (vgl. Mönter/Schiffer-Nasserie 2007, S. 11). Es geht also darum, unterschiedliche Analyseebenen des Rassismus zu erfassen und kritisch mit Blick auf theoretische Defizite zu diskutieren. Gleichwohl der Titel dieser Arbeit „Rassismus und Rassismuskritik: Von der Theoriebildung zur schulischen Praxis“ womöglich suggerieren könnte, es gäbe so etwas die Theorie, können in Anbetracht der Fülle an Forschungsperspektiven nur ausgewählte Ansätze exemplarisch und prototypisch dargestellt werden. Die Fragestellung im Anschluss lautet sodann, welche pädagogischen Ansätze und welche Schwächen in der schulischen Praxis vorzufinden sind. Hierfür werden zunächst in Kapitel III Bildungskonzepte dargelegt, die ethno-natio-kulturelle Heterogenität zum Thema haben und sich mal mehr, mal weniger direkt mit der Prävention von Rassismus beschäftigen. Konkret geht es um die Ausländerpädagogik sowie um Ansätze der interkulturellen, antirassistischen und rassismuskritischen Bildung. Auch sie entscheiden letztlich mit über Erfolg und Misserfolg pädagogischer Maßnahmen und der schulischen Praxis, so dass im Rahmen einer kritischen Untersuchung auch nach den Konsequenzen dieser Ansätze für die Institution Schule gefragt wird. Abschließend wird in Kapitel IV die Schule selbst in den Blick genommen – als Teil des ‚Problems‘ und als Teil der ‚Lösung‘ -, um Schwächen und Probleme der gängigen Praxis aufzuzeigen und Handlungsbedarf zu markieren. Fokussiert werden hier erstens die Schule als diskriminierende Institution, ihr heimlicher Lehrplan und Aspekte der Schulentwicklung wie Leitbild und Schulprogramm (Kapitel IV.2). Zweitens werden inhaltliche Fragen in den Blick genommen, indem sich mit der Rolle des Lehrplans und Schulbuchs auseinandergesetzt wird (Kapitel IV.3). An dritter und letzter Stelle wird sodann der Fokus auf das pädagogische Denken und Handeln gerichtet. Dabei gilt es stets zu analysieren, ob und wie Schule auf verschiedenen Ebenen die diskutierten Forschungs- und Präventionsansätze aufgreift bzw. welche Konsequenzen die erarbeiteten Unterschiede in den Konzepten für die Umsetzung in der schulischen Praxis haben.

II.Rassismusforschung: Ansätze und Definitionen

Rassismus als Phänomen kann auf eine lange Vergangenheit verweisen, obgleich der Begriff ‚Rassismus‘ als solcher noch nicht alt ist. So lässt sich erstmals in den 1890er Jahren das Wort ‚raciste‘ als Selbstbezeichnung französischer Nationalisten nachweisen, das dann drei Jahrzehnte später erneut als Übersetzung der deutschen Parteibezeichnung ‚völkisch‘ Eingang in die französische Sprache fand. Ebenfalls in den 1920er Jahren entstand neben dem Begriff ‚Rassenwahn‘ das Substantiv ‚Rassismus‘. Es etablierte sich als antirassistischer Kampfbegriff gegen das von rassistischen Gruppierungen genutzte Wort der ‚Rassenlehre‘ und somit auch gegen das damit einhergehende Denken und Handeln (vgl. Koller 2009, S. 8). Die sich im Laufe der Zeit entwickelnde Rassismusforschung griff verschiedenste Aspekte des Rassismus in Vergangenheit und Gegenwart auf und trug so zu Definitionen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten bei. Die Diskussion um eine angemessen Definition des Begriffs ‚Rassismus‘ kann dabei als noch nicht abgeschlossen gelten. Als gemeinsamer Konsens eines Rassismusbegriffs gilt lediglich, dass Rassismus einerseits als komplexes System zur Etablierung einer hegemonialen Ordnung und andererseits als Legitimationsversucht eben dieses Systems zu verstehen ist (vgl. Scharathow 2009, S. 13). Dieser Minimalkonsens soll zunächst als Ausgangslage genutzt werden, um im Folgenden auf Erklärungsansätze und Analyseperspektiven der Rassismusforschung einzugehen. Die Frage nach einer Definition wird sodann im Anschluss wieder aufgegriffen werden.

Die interdisziplinäre Forschung zu Rassismus nimmt ganz unterschiedliche Perspektiven ein, um die Frage nach den Erklärungszugängen zu rassistischen Phänomenen, d. h. den Ursachen von Rassismus zu beantworten. Entsprechende Systematisierungsvorschläge, die letztlich immer auf einer gewissen Freiheit des Klassifizierenden beruhen (vgl. Mönter/Schiffer-Nasserie 2007, S. 19), unterscheiden beispielsweise zwischen individuell-psychogenetischen und gesellschaftlich-kollektiven Faktoren, was als Versuch einer Differenzierung zwischen Mikro- und Makroansätzen verstanden werden kann (vgl. Rinke 2000, S. 94f.). Auch Mecheril und Scherschel unterscheiden schematisch zwei grundlegende Zugänge: Die einen, in Deutschland weit verbreiteten Ansätze, konzentrieren sich auf das Individuum, seine psychosoziale Situation und seine Einbindung in soziale Gruppen (vgl. Mecheril/Scherschel 2009, S. 43). Dabei wird vornehmlich eine (sozial-)psychologische Perspektive eingenommen, die beispielsweise Vorurteile gegenüber anderen Menschen als Erklärung für Rassismus heranzieht. Der zweite Typ von Ansätzen setzt rassistische Phänomene verstärkt in einem systematischen Zusammenhang mit Verteilungsfragen und Machtrelationen zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten (vgl. Mecheril/Scherschel 2009, S. 46). Entsprechend wird Rassismus auch als gesamtgesellschaftliches Phänomen begriffen; eine Sichtweise, die die im engeren Sinne rassismustheoretischen Ansätze repräsentiert. Hierunter fallen zum Beispiel solche Erklärungen – Mönter und Schiffer-Nasserie sprechen von einer politökonomischen Perspektive -, die Rassismus als Ideologie des Ausschlusses und/oder als strukturellen Bestandteil moderner Gesellschaften sehen (vgl. Mönter/Schiffer-Nasserie 2007, S. 63-82). Hinsichtlich des entscheidenden Kriteriums zur Unterscheidung beider Ansätze, deren Übergang durchaus fließend sein kann, kann somit formuliert werden: „Die eher individuumszentrierten Ansätze fragen in erster Linie danach, wie es dazu kommt, dass Individuen ‚Fremden‘ gegenüber feindselig und gewalttätig eingestellt sind. Der zweite Typ von Erklärungsansätzen ist daran interessiert, die historischen, kulturellen, ökonomischen und politischen Voraussetzungen aufzuklären, die verständlich machen, warum in einer spezifischen Weise zwischen Menschen unterschieden wird“ (Mecheril/Scherschel 2009, S. 46).

Wer Rassismus im Sinne von Ursache und Funktion zu erklären versucht, hat sich auch damit auseinanderzusetzen, wie Rassismus in Erscheinung tritt. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung werden dabei ganz unterschiedliche Phänomene unter dem Begriff des Rassismus thematisiert: Rassismus zeigt sich in Gefühlen, Fantasien, Einstellungen oder Handlungsweisen, in Redewendungen, Bildern, Texten, Institutionen und Organisationen wie auch in Gesetzen, Strukturen und mehr (vgl. Leiprecht/Sulzer 2007, S. 234). Es geht dabei von unbedachten Äußerungen und Handlungen, die kränken und verletzen, über mutwillige, körperliche Gewalt auf einzelne Personen bis hin zu einer direkten oder indirekten rassistischen Ungleichbehandlung von Gruppen durch staatliche Institutionen. Dahinter steht die einvernehmliche Annahme, dass Rassismus nicht nur das ‚Problem‘ einer jugendlichen Minderheit ist, sondern sich im gesamten gesellschaftlichen Miteinander zeigt und somit Grundlage von Positionen und Werturteilen breiter Bevölkerungsschichten ist (vgl. Terkessidis 1998, S. 68). Der Rassismusbegriff bietet somit letztlich einen analytischen Blick auf ein Phänomen, das sich in mannigfaltiger und wandelnder Form manifestiert und somit als „ein allgemein zur Verfügung stehendes und wirksames Deutungsschema, eine Deutungs- und Handlungsoption, die hinsichtlich ihrer Bedeutungen, Verankerungen und Effekte auf ideologisch-diskursiv-kultureller, strukturell-gesellschaftlicher, institutionell-organisationeller, interaktiver sowie intrapersonal-subjektiver Dimension untersucht werden kann“ (Broden/Mecheril 2010, S. 14).

Die bislang genannten Erklärungsansätze und Analyseebenen können mit Blick auf den Umfang dieser Arbeit im Folgenden nicht gänzlich dargestellt werden. Mit Blick auf die Fragestellung sollen sie es auch gar nicht. Entsprechend werden nur diejenigen Forschungsperspektiven näher betrachtet, in denen eine gewisse Relevanz für den Kontext ‚Schule und Rassismus‘ gesehen wird. Auch hierbei wird jedoch nicht der Anspruch auf eine vollständige Darstellung der aktuellen Diskussion erhoben. Vielmehr geht es darum, schematisch leitende Ideen der Ansätze herauszuarbeiten und die sich daraus ergebenen Fragestellungen, Kritikpunkte und/oder Konsequenzen knapp darzulegen. Einleitend wird die Auffassung, Rassismus sei ein Vorurteil, dargestellt und kritisch beleuchtet. Im Anschluss sollen folgende vier Analyse- bzw. Erscheinungsebenen des Rassismus in den Blick genommen werden: Alltagsrassismus, institutioneller Rassismus, Rassismus als Diskurs sowie Kulturrassismus. Abschließend wird die zu Beginn dieses Kapitels angesprochene Diskussion um eine Definition von Rassismus wieder aufgenommen und näher ausgeführt.

1 Die psychologische Sichtweise: Rassismus als Vorurteil

Rassismus wird im Alltagsbewusstsein vieler Menschen – beflügelt durch Mediendiskurse, politische Maßnahmen und öffentliche Maßnahmen - häufig unter dem Terminus der ‚Fremdenfeindlichkeit‘ und mit Bezug auf rechtsradikale und/oder gewalttätige Ausschreitungen als individuelle Haltung ausgelegt. Eine solche Sichtweise korrespondiert mit psychologischen, sozialpsychologischen und sozialisationstheoretischen Überlegungen (vgl. Mecheril/Scherschel 2009, S. 43). Rommelspacher unterscheidet hierbei den individualpsychologischen Erklärungsansatz, den gruppensoziologischen Ansatz sowie die zwischen den beiden vorangegangenen Ansätzen stehende Vorurteilsforschung (vgl. Rommelspacher 1997, S. 153f.), die im Folgenden exemplarisch diskutiert werden soll. Die auch in sich divergierenden Erklärungsansätze der Vorurteilsforschung gehen im Kern davon aus, dass Vorurteile und Stereotype nützliche psychologische Funktionen für das Individuum bereithalten, die jedoch in Rassismus aufgehen können. Stereotype können dabei als kollektive Bilder bzw. Repräsentationen aufgefasst werden, die sich in Verallgemeinerungen und groben Vereinfachungen darstellen (vgl. Eckmann/Eser Davolio 2003, S. 14). Die verschiedensten Auffassungen des Begriffs Stereotyp treffen sich zudem bei der Annahme, „dass dem Begriff zwar eine negative Konnotation anhaftet, dass Stereotypen andererseits aber einen Beitrag zur individuellen Lebensbewältigung leisten, indem sie als unsichtbare Brille oder geistige Schublade Ordnung in eine komplexe Welt bringen“ (Koller 2009, S. 12). Vorurteile wiederum basieren auf Stereotypisierungen. Es handelt sich um vorgefasste Einstellungen und Haltungen gegenüber anderen Gruppen, woraus Vermeidungstendenzen und/oder Abwehrhaltungen gegenüber diesen Gruppenmitgliedern resultieren (vgl. Eckmann/Eser Davolio 2003, S. 14). Der ‚Gewinn‘ hierbei besteht im Schutz vor Angst und Selbstkritik, wodurch das Selbstwertgefühl stabilisiert wird; im Schutz vor kognitivem Chaos, da die Realität vereinfacht wird; in der Möglichkeit der Aggressionsabfuhr sowie mit Blick auf Intergruppen-Beziehungen auch in der ethnozentrischen Abgrenzung, die zumeist auf Aufwertung der Eigengruppe und Abwertung der zugleich konstruierten ‚Fremdgruppe‘ basiert (vgl. Güttler 2003, S. 111). Auch Adornos bekannte Charakteranalyse zur autoritären Persönlichkeit, in denen die Neigung zu Rassismus als ein in der Persönlichkeit von Individuen verankerte Merkmal verstanden wird, lässt sich dieser individualisierenden und psychologisierenden Betrachtungsweise des Phänomens Rassismus zuschreiben (vgl. Dittmer 2008, S. 34; Mecheril/Scherschel 2009, S. 44f.). Diese, laut Rommelspacher, eine ganze Gesellschaft pathologisierende These der engen Beziehung eines von Vorurteilen geleiteten autoritären Charakters zu rassistischen Verhaltensweisen, konnte jedoch empirisch nicht bestätigt werden (vgl. Rommelspacher 1997, S. 157ff.).

Gleichwohl haben Analysen, die die Ursachen von Rassismus in psychologischen Spannungen, Handlungsunsicherheit, Ohnmachtserfahrungen und Ängsten und/oder in Vorurteilen bzw. Fehlurteilen über andere Mitmenschen sehen (vgl. Eser Davolio 2000, S. 3), nur wenig von ihrer Prominenz eingebüßt. Dies gilt zumindest für Deutschland, da hier – nicht zuletzt durch die finanzielle Förderung von Vorhaben, die auf die Bekämpfung von rechtsextremer Gewalt, neonazistischer Propaganda und jugendkulturellen Ausprägungen des Rechtsextremismus zielten (vgl. Scherr 2009, S. 85) - die Rechtsextremismusforschung stark vertreten ist. Eine Forschung, „die weniger historische, diskursive und gesellschaftsstrukturelle Bedingungszusammenhänge ins Zentrum stellt als vielmehr sozialpsychologische Erklärungen, die – zugespitzt formuliert – im Kern darauf abzielen zu erklären, warum vermeintlich offenkundig irrationale und moralisch abzulehnende Orientierungen bei einer gesellschaftlichen Teilgruppe Resonanz finden, die durch spezifisch problematische Lebenslagen und damit verbundene psychische Dispositionen gekennzeichnet ist“ (Scherr 2009, S. 84f.). Genau hier setzt jedoch auch die Kritik an sozialpsychologischen Ansätzen an. Denn selbst wenn Vorurteile und Stereotype Bestandteile des Rassismus sein sollten, reichen sie allein nicht zu seiner Definition und Beschreibung seiner Auswirkungen aus (vgl. Eckmann/Eser Davolio 2003, S. 14). Gomolla spricht daher auch von einem ‚minimalistischen‘ Konzept von Rassismus als individuellem Vorurteil (vgl. Gomolla 2009, S. 41). Rassismus würde „als pathologische Ausnahme vom Normalfall aufgefaßt“ (vgl. Gomolla/Radtke 2007, S. 38). Leiprecht ergänzt, dass solche Erklärungen zudem „dazu neigen, zu Verharmlosungen, ja fast schon zu Rechtfertigungen zu verkommen: Eine prominente Figur ist hier die des arbeitslosen Jugendlichen, der Schwierigkeiten in seiner Schullaufbahn hatte und ohne Zukunftsperspektive, ohne Halt verunsichert und orientierungslos in der Welt steht“ (Leiprecht 2009b, S. 325). Ferner wird kritisiert, dass ‚Fremde‘ zwar als konstruiert betrachtet werden, die Unterscheidung zwischen ‚Fremden‘ und ‚Nicht-Fremden‘ aber bereits vorausgesetzt werde und somit eine implizite Reproduktion eben dieser Grenzziehung in den anwendungsorientierten Vorschlägen (z. B. ‚Wie können wir Vorurteile gegen Fremde abbauen‘?) stattfinde (vgl. Mecheril/Scherschel 2009, S. 46).

Entsprechend besteht auch für die (schul-)pädagogische Arbeit die Gefahr, dass Rassismen primär auf individueller Ebene wahrgenommen und thematisiert werden. Einzige pädagogische Maßnahme im Umgang mit Rassismus wäre dann, im Rahmen einer informierenden Pädagogik die betroffenen Personen entsprechend eines ‚Besseren‘ zu belehren, ohne dass dabei auf die gesellschaftlichen Verhältnisse eingegangen wird (vgl. Scharathow 2009, S. 15). Hier weist Terkessidis zu Recht daraufhin, dass bei Methoden und Annahmen, die Rassismus als ‚persönlichen Irrtum‘ verstehen, unterstellt wird, dass ein richtiges Urteil über ein ‚Objekt‘ möglich und beispielsweise dem vernünftigen Forschenden bekannt ist. „Tatsächlich wird dieses Objekt jedoch durch eine bestimmte Praxis und einen bestimmten Diskurs überhaupt erst hervorgebracht“ (Terkessidis 1998, S. 59). Für die Rassismusforschung heißt dies letztlich, dass „historisch differenzierte und soziologisch fundierte Analysen gefragt [sind], die untersuchen, wie Rassismus tatsächlich jener soziale Konstruktionsprozess angeblich natürlicher Ungleichheit ist, als den ihn zahlreiche seiner heutigen Definitionen bestimmten“ (Hund 2007, S. 34). Rassismusanalysen, so der zunehmende Tenor, sind also weniger sozial- oder gruppensoziologisch, sondern primär macht- und herrschaftssoziologisch sowie gesellschafts- und ungleichheitstheoretisch zu fundieren (vgl. Scherr 2009, S. 85). Eine solche erweitere Perspektive auf Rassismus hat entsprechend auch Eingang in Schule und Unterricht zu finden.

2Rassistisches Wissen – Rassismus als Diskurs

Terkessidis, der in seiner Arbeit ‚Psychologie des Rassismus‘ dezidiert die Vorstellung, Rassismus sei ein individuelles Vorurteil kritisiert, merkt zugleich an: Ideologien wie auch „Vorurteile oder Stereotype sind keine einfache Verzerrung der Realität, sondern sie geben für die Mitglieder der hegemonialen Gruppe auf spezifische Weise die Beziehung zwischen den Gruppen durchaus ‚angemessen‘ wieder. Es handelt sich um Formen ‚sozialer Erkenntnis‘, die für ihre Benutzer die Wirklichkeit einleuchtend erklären und die beständig eine positive Rückmeldung aus dem Konsens der Gruppe erhalten“ (Terkessidis 1998, S. 59f.). Er schlägt daher - in Anlehnung an den von Goldberg geprägten Begriff des ‚racial knowledge‘ – vor, statt von Vorurteilen und Stereotypen zu reden, den gesellschaftlichen Bestand solcher ‚Erklärungen‘ als rassistisches Wissen zu bezeichnen (vgl. Terkessidis 1998, S. 60). Dieses rassistische Wissen ist Teil eines gesellschaftlichen Wissensbestandes – also eines Diskurses -, in dem auch die Subjektivierungsprozesse einer Gesellschaft zum Ausdruck kommen (vgl. Terkessidis 1998, S. 11f.). Diese Forschungsperspektive soll im Folgenden unter dem Aspekt ‚Rassismus als Diskurs‘ näher ausgeführt werden.

Als Diskurs können Gruppen von Aussagen verstanden werden, durch die ein bestimmtes Wissen zur Verfügung gestellt wird, um über einen Sachverhalt zu sprechen (vgl. Hall 1994, S. 150). Wesentlich dabei ist, dass dieses Wissen mit Macht verknüpft ist, da in Diskursen Wahrheiten darüber produziert werden, wie die Welt ‚ist‘. Auch sind Diskurse „selbst eines der ‚Systeme‘, durch die Macht zirkuliert. Das Wissen, das ein Diskurs produziert, konstituiert eine Art von Macht, wie über etwas gewusst wird.“ (Machold 2009, S. 380). Wahrheit ist somit das in einem bestimmten gesellschaftlich-historischen Kontext legitime Wissen, erzeugt von denjenigen, die die Macht haben, dieses Wissen z. B. in Form seiner rechtlichen Geltung und seines wissenschaftlichen Status ‚wahr‘ zu machen (vgl. Hall 1994, S. 154). Dabei verbleiben Diskurse nicht auf der Sprach- und Wissensebene, sondern finden Eingang in Strukturen, Institutionen und das Handeln und Denken von Subjekten. Dieses in der Praxis ausgeübte Wissen führt schließlich dazu, dass diejenigen, über die etwas gewusst wird, zum Gegenstand der Unterwerfung und Unterdrückung gemacht werden.

Was bedeuten diese diskurstheoretischen Annahmen nun für den Rassismus? Wie bereits eingangs mit Terkessidis angemerkt wurde, gibt es so etwas wie rassistisches Wissen. Rassismus ist somit ein Diskurs, der derzeit zum gesellschaftlich legitimen Wissen gehört: „Rassismus zeigt sich auf allen Diskursebenen, also auf der Ebene der Politik, auf der der Medien, im Bereich der Erziehung und – was besonders wichtig ist – demzufolge auch im Alltagsbewusstsein und im alltäglichen Sprechen, und zwar in den unterschiedlichsten Formen“ (Jäger 2001, S. 164). Er zeigt sich in dem legitimen Wissen, das Menschen in biologisch und/oder kulturell sich unterscheidende Gruppen einteilt, also zu ‚Anderen‘ macht. Diese Gruppen sind dabei im Verhältnis zueinander hierarchisch geordnet: Die als höherwertig konstruierten Gruppen – Mecheril spricht von dem „natio-ethno-kulturellen ‚Wir‘“ (Mecheril 2004, S. 22) - haben die Macht, etwas über die minderwertigen ‚Anderen‘ zu wissen und können so ihre Ausgrenzung und Diskriminierung legitimieren (vgl. Machold 2009, S. 381). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler behaupten damit nicht, dass alle Menschen somit zwangsläufig Rassistinnen und Rassisten seien, „sondern sprechen davon, dass sie ‚in rassistische Diskurse verstrickt‘ sind, rassistisches Wissen besitzen. Dies ist ein Unterschied (…), [da] rassistische Einstellungen mit solchen koexistieren können, die ihnen diametral widersprechen“ (Rommelspacher 2009, S. 33).

Ein solches Verständnis von Rassismus als Diskurs bietet vielfältige Möglichkeiten und vor allem die Chance, Rassismus weniger als individuelles ‚Problem‘, denn als ein gesellschaftliches Phänomen zu fassen, ohne dabei jedoch individuelle Positionierungen übergehen zu müssen. So lassen sich beispielsweise Medienberichte, Bilder, Lieder, Gesetze und Schulbücher im Rahmen einer Diskursanalyse daraufhin untersuchen, welche ‚Wahrheiten‘ ihnen zugrunde liegen und ob diese als rassistisches Wissen zu verstehen sind. Zum anderen können auch die Haltungen von Personen in den Blick genommen werden, um sich mit deren Diskurspositionen auseinanderzusetzen. Die Diskursposition ist dabei „das Resultat der Verstricktheiten in diverse Diskurse, denen das Individuum ausgesetzt war und die es im Laufe seines Lebens zu einer bestimmten ideologischen bzw. weltanschaulichen Position (mehr oder minder stringent) verarbeitet hat“ (Jäger 1996, S. 47, zit. n. Quehl 2002, S. 176). Auch Schule und die in ihr lehrenden und lernenden Personen können sich folglich nicht davon freisprechen, von Rassismus nicht betroffen zu sein. Schule hat somit zu reflektieren, wie sie sich im Kontext rassistischen Wissens positionieren will. Hierbei ist auch zu fragen, wie Veränderungen im gesellschaftlichen Diskurs auf die Schule wirken (vgl. Quehl 2002, S. 196), wie rassistische Diskurse selbst in der Schule wirken, inwiefern Schule rassistisches Wissen reproduziert und wie sie letztlich dazu beitragen unter Bezugnahme auf Gehlen darauf hin, dass zwischen Wissen und somit zwischen Diskurs und Institutionen eine praktische Einheit bestehe: „Ein gesellschaftlich verbreitetes Wissen indiziert also einen institutionellen Komplex, in dem dieses Wissen materiell gelebt wird“ (Terkessidis 1998, S. 12). Eine Überleitung zur Forschungsperspektive ‚Struktureller Rassismus‘ mit Blick auf den institutionellen Rassismus scheint somit naheliegend.

3 Struktureller und institutioneller Rassismus

Rassistische Denkweisen finden ihre Entsprechung in gesellschaftlichen Strukturen, indem „Menschen aufgrund ihrer (angeblichen oder tatsächlichen) Zugehörigkeit zu einer ‚anderen‘ Gruppe Ressourcen verweigert [werden]“ (Markom/Weinhäupl 2007, S. 113). Ein solcher Rassismus zeigt sich beispielsweise durch entsprechende Diskriminierung bzw. Benachteiligung im Rechts-, Bildungs- und Gesundheitssystem sowie in der Arbeitswelt. Die dortigen rassistischen Praxen sind in der Regel als formale Rechte, etablierte Strukturen und Wertevorstellungen sowie eingeschliffene Gewohnheiten in Behörden, Betrieben und Anstalten institutionalisiert (vgl. Gomolla/Radtke 2007, S. 18). Unter strukturellem Rassismus können also solche Ausgrenzungsmechanismen verstanden werden, die im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen System mitsamt seinen Rechtsvorstellungen und seinen politischen und ökonomischen Strukturen stehen (vgl. Rommelspacher 2009, S. 30). Struktureller Rassismus schließt den im Folgenden stellvertretend näher zu betrachtenden institutionellen Rassismus daher mit ein.

Der Begriff des institutionellen Rassismus wurde 1967 durch die Black Power Aktivisten Carmichael und Hamilton geprägt. Mit Etablierung dieses Konzepts „erfuhr das wissenschaftlich überholte sozialpsychologisch orientierte Vorurteilskonzept eine sozialwissenschaftlich-soziologische Erweiterung“ (Lüddecke 2003, S. 20). Anders als in den so genannten klassischen Einwanderungsländern wie die USA und Großbritannien fand diese Forschungsperspektive jedoch erst in jüngerer Zeit Eingang in die wissenschaftliche Diskussion der BRD (vgl. Gomolla/Radtke 2007, S. 13). Das Analyseinstrument des institutionellen Rassismus bietet dabei den Vorteil, dass einzelne Personen mit Blick auf gesellschaftlich verankertes rassistisches Wissen nicht allein für ihre Einstellungen und Praktiken verantwortlich gemacht, aber zugleich auch nicht aus ihre Verantwortung entlassen werden (vgl. Quehl 2002, S. 195). Es geht darum, „ sowohl die Institution und ihre diskriminierenden Mechanismen als auch die Einzelnen, die dort tätig sind, und ihr Handeln

zu thematisieren und diese Aspekte zueinander in Bezug zu setzen“ (Quehl 2002, S. 174f. Hervorh. im. Orig.). Denn die gängigen Werte und Normen werden immer auch von den in Schlüsselpositionen sitzenden Entscheidungstragenden, sogenannten ‚gate-keepers‘ gestaltet, vertreten und verteidigt. Dies geschieht, indem sie „die aus ihrer Sicht auffallenden bzw. störenden Personen – je nach deren Alter, Geschlecht, Herkunft, Aussehen, physischer und psychischer Gesundheit, Staatsbürgerschaft usw. als ‚kontrastierend‘ konstruieren und beim Zugang zu Ressourcen, die über Lebenschancen entscheiden, systematisch benachteiligen oder vom Ressourcenzugang ganz ausschließen“ (Flam 2009, S. 239f.). Die so entstehenden Legitimierungsdiskurse naturalisieren, mythologisieren und/oder verwissenschaftlichen Ungleichheiten und verfestigen bzw. reproduzieren sie somit (vgl. Flam 2009, S. 240).

Institutioneller Rassismus zeigt sich zumeist nicht offensiv, sondern ist tendenziell unsichtbar und anonym in den Strukturen verwebt, und kann dann nur an den statistisch beschreibbaren Effekten abgelesen, statt eindeutig auf der Entscheidungsebene nachgewiesen werden. Dies liegt zuletzt daran, dass die beteiligten Individuen ihre Verstrickung in rassistische „Handlungen abstreiten und sich selbst von Verantwortlichkeit für deren Folgen lossprechen können“ (Gomolla/Radtke 2007, S. 43). Relativierend zur oben genannten Anonymität institutioneller Rassismen ist jedoch einzuwenden, dass nicht jede Intentionalität und jedes Bewusstsein über rassistische Mechanismen und Effekte ausgeschlossen werden kann, da es immer auch Personen gibt, die vom rassistischen Strukturen profitieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Gomolla/Radtke 2007, S. 49 (nach Feagin/Booher Feagin 1978, S. 28).

Mit Feagin und Booher Feagin soll daher zwischen den in der in Abbildung 1 dargelegten vier idealtypischen Formen von Diskriminierung unterschieden werden. Neben direkten, beabsichtigt diskriminierenden Handlungen durch Einzelpersonen und kleinen Gruppen interessiert hier vor allem die Unterscheidung in direkte und indirekte institutionalisierte Diskriminierung, die sich durch den Grad der ihr zugrunde gelegten Intentionalität ergibt. Zu ersteren (Typ C) zählen solche Praktiken, die bewusst und somit explizit negative Wirkungen für ausgewählte Personengruppen haben sollen und durch entsprechende Organisationsstrukturen und den Handlungskontext legitimiert werden (vgl. Feagin/Booher Feagin 1986, S. 30-33, zit. n. Gomolla/Radtke 2007, S. 49). Als indirekte (rassistische) Diskriminierungspraktiken (Typ D) sind wiederum solche zu verstehen, die negative oder differenzierende Effekte für ethnische Minderheiten haben, ohne dass die in der Organisation vorgeschriebenen Normen oder Verfahren auf Vorurteile oder Schadensabsichten basieren. Quehl wendet hierbei allerdings ein, dass einige dieser indirekten Praktiken „eher das Ergebnis eines unkritischen als eines unbewussten Rassismus [sind]“ (Quehl 2002, S. 174, Hervorh. im Orig.). Institutionelle Benachteiligungen von Migrantinnen und Migranten werden entsprechend häufig auch nicht als solche erkannt oder sie werden ‚weg-erklärt‘, indem individuelles Versagen, mangelnde Integrationsbereitschaft, die soziale Lage, kulturelle Anpassungsschwierigkeiten und ähnliches als Ursache genannt wird (vgl. Gomolla/Radtke 2007, S. 13). Ein wichtiger und zu recht eingebrachter Einwand, wie der Blick auf die schulische Praxis noch zeigen wird.

4Rassismus: biologistisch, kulturalistisch, alltäglich

Nachdem nun die ausgewählten Erscheinungsformen des Rassismus dargelegt wurden, dürfen die Inhalte des bereits angeführten rassistischen Wissens bzw. der rassistischen Diskurse keineswegs vernachlässigt werden. Stets davon ausgehend, dass Rassismus ‚Andere‘ bzw. ‚Fremde‘ erst als solche konstruiert, kann mit Terkessidis davon ausgegangen werden, dass die jeweiligen Konstruktionen dabei sehr unterschiedlich sein können: „Zum einen können die Merkmale, die eine Gruppe als natürliche Gruppe aufweisen, historisch verschieden gewichtet werden. Zum anderen haben sich die Vorstellungen der Natur in der Geschichte gewandelt. So existiert zwar eine relativ konstante Struktur der Gegenübersetzung von ‚uns‘ und ‚ihnen‘; die inhaltliche Füllung des Unterschiedes allerdings ist variabel“ (Terkessidis 1998, S. 83). Dieser These soll im Folgenden anhand zweier Erscheinungsformen des Rassismus nachgegangen werden. Erstere - im Folgenden wird von biologistischem Rassismus die Rede sein – findet sich beispielsweise in der Meinungen wieder, dass bestimmte Gruppen minderbegabte oder minderwertige ‚Rassen‘[1] seien. Sie sind radikal, offenkundig, „heiß, nah und direkt“, während die zweite Version subtil, „kalt, fern und indirekt“ sei (Pettigrew/Meertens 1995, zit. n. Zick/Küpper 2008, S. 111). Dieser subtile Rassismus drückt „sich in unterschiedlichen Facetten, wie rassistischen Überlegenheitsmythen, symbolischem, modernem, aversivem, ideologischem, differentialistischem, indirektem, color-blind oder kulturellem Rassismus aus“ (Zick/Küpper 2008, S. 111), und wird im Folgenden mit Fokus auf den Kulturrassismus und unter Einbezug des Alltagrassismus erarbeitet.

[...]


[1] Um auf die soziale Konstruktion aufmerksam zu machen, wird in dieser Arbeit der Begriff ‚Rasse‘ – ebenso wie andere Begriffen wie zum Beispiel ‚Fremde‘ - in Orientierung an der Schreibweise vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur in Anführungszeichen verwendet.

Fin de l'extrait de 90 pages

Résumé des informations

Titre
Rassismus und Rassismuskritik: Von der Theoriebildung zur schulischen Praxis
Université
Carl von Ossietzky University of Oldenburg
Note
1,0
Auteur
Année
2011
Pages
90
N° de catalogue
V204204
ISBN (ebook)
9783656307952
Taille d'un fichier
1008 KB
Langue
allemand
Annotations
78 Seiten, umfangreiche Literaturliste, Publikationsvorschlag durch Prüfer
Mots clés
Rassismus, Rassismuskritik, critical whiteness studies, Institutioneller Rassismus, latenter Rassismus, Rechtsextremismus, Schulentwicklung, Interkulturelle Pädagogik, Einwanderungsgesellschaft
Citation du texte
Nika Ragua (Auteur), 2011, Rassismus und Rassismuskritik: Von der Theoriebildung zur schulischen Praxis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204204

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