Teilen wir alle dieselbe Lebenswelt?

Der Begriff der Lebenswelt nach Husserl


Dossier / Travail de Séminaire, 2012

24 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Lebensweltbegriff - Bedeutung für Husserls Phänomenologie
2.1 Definition des Husserlschen Lebensweltbegriffs
2.2 Wissenschaftskritik
2.3 Intersubjektivität der Lebenswelt - haben wir alle die gleiche Lebenswelt?

3 Fazit

Literatur

1 Einleitung

Edmund Husserl gilt als Begründer der Phänomenologie, einer neuen Form von Philosophie, die er Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte. Grundsatz dieser neuen „strikten“ philosophischen Methode war, dass Urteile durch subjektive Anschauung der Phänomene erlangt werden könne. Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Begriff der Lebenswelt, den Husserl erstmals 1936 in seiner Schrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen stellt.

Husserl kritisiert, dass die Lebenswelt als Basis jeglichen Handelns und Denkens von der modernen Wissenschaft ignoriert werde. Der empirischen Objektivität der Wissenschaft setzt Husserl die subjektive Erfahrung allerdings nicht etwa entgegen, sondern zielt darauf ab, dass die Rolle der Lebenswelt erkannt und bei wissenschaftlicher Arbeit bedacht werden solle. Die strikte Trennung von objektiv-logischer Erkenntnis und subjektiv-relativem Zugang zur Welt hebt Husserl auf, indem er deren Widersinn erläutert. In dieser Hausarbeit soll Husserls Lebenswelt-Konzept vorgestellt und untersucht werden.

Dazu wird zuerst das Prinzip der Phänomenologie knapp umrissen, um deutlich zu machen, aus welchem Grund der Begriff der Lebenswelt für Husserl zentral wird. Danach soll der Versuch unternommen werden, den Lebensweltbegriff nach Husserl zu definieren. Insbesondere wird daraufhin erläutert, weshalb Husserl die moderne Wissenschaft kritisiert und welche Rolle dabei die Lebenswelt spielt. Als letztes soll die Frage beantwortet werden, ob nach Husserl alle Menschen dieselbe Lebenswelt teilen, bzw. was Husserl unter der „Intersubjektivität der Lebenswelt“ versteht. Diese Frage scheint vor allem deshalb interessant, da in diesem Zusammengang auch die Sozialwissenschaften den Begriff der Lebenswelt aufgenommen haben, wodurch die Lebenswelt bis heute eine große Rolle spielt.

2 Lebensweltbegriff - Bedeutung für Husserls Phänomenologie

Grundgedanke und Basis Husserls Philosophie ist, dass Erkenntnis aus der wahrnehmenden Erfahrung hervorgehe. Dieses Prinzip ist essentiell für Husserls Phänomenologie. Paragraph 7 in „Erfahrung und Urteil“ überschreibt er mit der Annahme, dass die „Welt als universaler Glaubensboden für jede Erfahrung einzelner Gegenstände vorgegeben“ sei.1

Man kann nach Husserl sagen, dass wir gewisse Grundannahmen über die Welt haben, die wir immer schon voraussetzen. Wir sind also im Besitz „[...] eines ursprünglichen schlichten Glaubensbewußtseins, in dem zunächst alles Seiende der Erfahrung für uns einfach vorgegeben ist - solange nicht der weitere Verlauf der Erfahrung eben Anlaß zum Zweifel, zur Modalisierung jeder Art gibt. Vor jedem Einsatz einer Erkenntnistätigkeit sind schon immer Gegenstände für uns da, in schlichter Gewißheit vorgegeben.“2

Somit widerspräche er offenbar dem Platonischen Höhlen-Konzept und auch dem Descartschen Prinzip des Zweifels an allem außer meinem eigenen Bewusstsein. Die Wirklichkeit einer uns umgebenden Umwelt, von Husserl unter dem Begriff der „Lebenswelt“ gefasst, ist demnach unbezweifelbar. Im alltäglichen Leben sind Dinge für uns gegeben, und man käme nicht auf die Idee, ihre jeweilige Existenz per se anzuzweifeln. Zudem ist es unmöglich zu beweisen, dass die Dinge, wie wir sie wahrnehmen tatsächlich existieren. Die Frage danach, ob die Welt wirklich sei und kein bloßes Trugbild oder Schatten, die uns vorgegaukelt werden, stellt sich daher für Husserl nicht.

„ […]: die Existenz der Welt ist völlig zweifellos, und diese Zweifellosigkeit liegt in der Weltwahrnehmung, in der wir kontinuierlich leben, selbst beschlossen. Wer, durch skeptische Argumente verwirrt, urteilt und glaubt, die Welt sei in Wahrheit nicht, oder auch nur urteilt, man müsse dessen ständig gegenwärtig sein, der folgt der Motivation der theoretischen, und dann wohl verbal-begrifflichen Argumente, und sieht nicht hin auf den Sinnesgehalt der Welterfahrung und den trotz all solcher Argumente in ihr liegenden unzerbrechlichen Weltglauben; es ist ein Glaube, der nicht die leiseste Vermutung und reale Möglichkeit des Andersseins neben und in sich duldet. Nichts spricht dafür, daß die Welt nicht sei, und alles dafür, dass sie sei [...]“3

Damit führe die Phänomenologie zu der Überzeugung, dass weder die Existenz der Welt noch ihre Nicht-Existenz bewiesen werden können. Also wird die Frage danach hinfällig.

Husserl greift den Begriff der Epoché aus der antiken Philosophie auf und bezeichnet damit seine philosophische Methode der phänomenologischen Reduktion. Dafür werden zunächst alle vorgefassten Urteile über die umgebende Welt abgelegt, um über reine Anschauung eines Gegenstandes zu Urteilen darüber zu gelangen. Dabei wird, wie zuvor schon begründet, die Frage nach der Existenz beiseite gelassen, da es keine Erkenntnis darüber geben kann.

Stattdessen sei es also sinnvoller, von dem schon vorhandenen Glauben daran, dass die Welt, in der wir leben, vorhanden ist, auszugehen. All unsere Handlungen, sowohl des alltäglichen Leben als auch der Erkenntnis basieren auf der Grundannahme, dass die Lebenswelt als Doxa existiert, das heißt „ein Boden universalen passiven Seinsglaubens, den jede einzelne Erkenntnishandlung schon voraus setzt.“4, oder auch als der „universale Boden des Weltglaubens“.5 Sie ist nach Husserl daher das Apriori jeglicher Erkenntnis. Was wir auf dieser lebensweltlichen Basis als Seiendes wahrnehmen, ist für uns also intuitiv immer erst einmal wirklich. Durch das Urteilen wird dann geprüft, ob es auch tatsächlich wahrhaftig ist.

Es stellt sich die Frage, wie diese „Lebenswelt“ beschaffen ist. Es soll im nächsten Abschnitt näher darauf eingegangen werden, wie Husserl diesen Begriff umreißt, denn eine exakte Definition hat er selbst nie gegeben. Es wird zu sehen sein, welche Fragen sich bei der Beschäftigung mit der Husserlschen „Lebenswelt“ aufwerfen, wo Widersprüche zu finden sind, und dass der Begriff der „Lebenswelt“ von Husserls Wissenschaftskritik untrennbar ist.

2.1 Definition des Husserlschen Lebensweltbegriffs

Husserl thematisiert den Begriff der „Lebenswelt“ ausführlich 1936 in seiner Krisis- Schrift6. Doch auch in anderen Texten, wie z.B. „Erfahrung und Urteil“, wird die „Lebenswelt“ immer wieder aufgegriffen. Da Husserl das Wesen der „Lebenswelt“ nie genau bestimmt hat, kann man nur aus verschiedenen Texten zusammentragen, was die „Lebenswelt“ nach Husserl ausmacht. Es stellt sich zuerst die Frage, warum Husserl diesen Begriff überhaupt einführt. Man müsste an sich davon ausgehen, dass es einen Unterschied für ihn gibt zwischen den Begriffen „Welt“ und „Lebenswelt“, sonst hätte er es vermutlich nicht für nötig befunden, einen neuen Begriff zu verwenden.

Nach Christian Bermes kann man allerdings sagen, dass Husserl es ablehnt von verschiedenen Welten zu sprechen, für ihn gebe es demnach nur eine Welt. Vielmehr kritisiere Husserl, dass das Phänomen der unterschiedlichen Weltanschauungen oft mit der Existenz vieler verschiedener Welten verwechselt werde.7 Dementsprechend gehe Husserl auch davon aus, dass es eine objektiv-wahre Welt geben müsse und stellt sich die Frage, was die Bedingungen dafür seien.8 Über die Jahre fand er Antworten darauf. Bermes meint, Husserl sehe die Welt mit der Zeit immer weniger als festes Konzept wahrer Aussagen oder als Horizont, sondern sie „konstituiert sich nun in einem zeitlichen, subjektiv-intersubjektiven Prozeß der Einstimmigkeitsbewährung und -gewinnung; dieser Vorgang kann sich sowohl in Passivität als auch in Aktivität vollziehen“.9

Husserl führt in diesem Sinne dann den Begriff der Lebenswelt ein, als der „»einzig wahre[n] Welt«, »die als die eine wirklich seiende im Wandel ihrer Relativitäten und Jeweiligkeiten zur Geltung kommt«“.10 Das heißt, er will mit diesem neuen Begriff wohl unter anderem genau diese stetige Veränderungen ausdrücken, während „Welt“ für etwas statisches stand. Der Zugriff auf die „Lebenswelt“ sei aber nicht auf direktem Wege möglich, sondern könne nur zugänglich werden als Horizont eines personalen Erfahrungsaktes.11 Das heißt nichts anderes als dass sie eben nur aus der subjektiven Wahrnehmung des Menschen heraus erfahren werden kann.

Während nach Husserl die Wissenschaft und auch die Philosophie aber den Fehler gemacht haben, Subjektives (Seiendes) von Objektivem (Seiendem) strikt zu trennen, sucht er nach der Verbindung zwischen beiden, die notwendig für ihn vorhanden sein müsse. Der Mensch ist in der Welt gleichzeitig Subjekt, das wahrnimmt und erfährt, und auch Objekt, das in seiner Körperlichkeit wahrgenommen werden kann. Dieser Umstand beweist einerseits, dass Subjektives und Objektives zusammen gehören. Andererseits bezeichnet Husserl dies aber auch als paradox.12 Wir betrachten also die Welt und sind doch gleichzeitig Teil von ihr, was ein Problem aufwirft, was unsere objektive Urteilsfähigkeit angeht, wie in den Abschnitten über Wissenschaftskritik und Intersubjektivität noch festzustellen sein wird.

Wie bereits zuvor angesprochen, stellt die „Lebenswelt“ für Husserl die Basis, den Boden aller Erkenntnis dar:

„Die Lebenswelt ist ein Reich ursprünglicher Evidenzen. Das evident Gegebene ist jenachdem in Wahrnehmung als »es selbst« in unmittelbarer Präsenz Erfahrenes oder in Erinnerung als es selbst Erinnertes; jede sonstige Weise der Anschauung ist ein es selbst Vergegenwärtigen; […] Auf diese Modi der Evidenzen führt alle erdenkliche Bewährung zurück, weil das »es selbst« (des jeweiligen Modus) in diesen Anschauungen selbst liegt als das intersubjektiv wirklich Erfahrbare und Bewährbare, und keine gedankliche Substruktion ist, während andererseits eine solche, soweit sie überhaupt Wahrheit beansprucht, eben nur durch Rückbeziehung auf solche Evidenzen wirkliche Wahrheit haben kann.“13

Die Dinge in der Lebenswelt sind einem also unmittelbar durch die eigene Wahrnehmung bzw. Erinnerung dieser Wahrnehmung gegeben und somit ist ihre Existenz für das Subjekt selbst bewiesen. Reine Verstandeserkenntnis kann es nach dieser Argumentation nicht geben, da auch solche gedanklichen Konstrukte immer an Erfahrungen in der „Lebenswelt“ gebunden sind, für einen Menschen, der in der „Lebenswelt“ existiert. Diese eigene Lebenswelterfahrung ist notwendig immer verbunden mit Leiblichkeit, sowohl durch das Einwirken des eigenen Leibs in die Welt, als auch durch die durch den Körper vermittelte Wahrnehmung der Welt. Das heißt, man hat nur Zugang zur Welt über seine Sinnesorgane, weshalb man in gewisser Abhängigkeit von den „normalen“ Körperfunktionen zur Welt steht. Die Lebenswelt ist also auch eine Welt der Normalität, der alltäglichen Bedingungen und Umgebung. Auch der kulturelle Rahmen und die damit verbundenen Traditionen spielen hier mit hinein. Auf diesen Aspekt der Lebenswelt soll im Kapitel über Intersubjektivität genauer eingegangen werden.

Wenden wir uns noch einmal der Stellung zu, die Lebenswelt für Husserl in Bezug auf menschliche Erkenntnis hat:

„[...] als Aufgabe des Rüc k g a n g s a u f d i e W e l t, wie sie als universaler Boden aller einzelnen Erfahrungen, als W e l t d e r E r f a h r u n g vorgegeben ist, unmittelbar und vor allen logischen Leistungen. Der Rückgang auf die Welt der Erfahrung ist Rüc k g a n g a u f d i e „L e b e n s w e l t“, d.i. die Welt, in der wir immer schon leben, und die den Boden für alle Erkenntnisleistung abgibt und für alle wissenschaftliche Bestimmung.“14

Wir sind also angewiesen auf unsere lebensweltlichen Erfahrungen, uns ist die Welt in diesem Sinne subjektiv-relativ gegeben, wohingegen Objektivität, die die Wissenschaft anstrebt für uns nicht unmittelbar zugänglich ist. So formuliert Husserl:

„Und übersehen wird immer, daß dieses Universum von Bestimmtheiten an sich, in dem exakte Wissenschaft das Universum des Seienden erfaßt, nichts ist als ein Kleid von Ideen, geworfen über die Welt unmittelbarer Anschauung und Erfahrung, über die Lebenswelt, so daß jedes der Ergebnisse der Wissenschaft in dieser unmittelbaren Erfahrung und Welt der Erfahrung sein Sinnesfundament hat und auf sie zurückbezogen ist.“15

Man kann also sagen, dass diese Ideen-Welt der Wissenschaft eine Abstraktion der Lebenswelt darstellt. Demnach ist das rein objektiv-logische Denken eher eine Art Hilfsmittel, um die Komplexität der sich stetig wandelnden subjektiv-relativen „Lebenswelt“ zu vereinfachen und vielleicht auf einfache Gesetzmäßigkeiten herunter zu brechen.

Husserl verfolgt nun das Ziel, dieses Ideenkleid abzustreifen und dahin zu kommen, wo die Erfahrung Erkenntnis möglich macht. Die „Lebenswelt“ ist der Ort, wo dies möglich sein soll:

„Wollen wir also auf eine Erfahrung in dem von uns gesuchten letztursprünglichen Sinne zurückgehen, so kann es nur die ursprüngliche lebensweltliche Erfahrung sein, die noch nichts von diesen Idealisierungen kennt, sondern ihr notwendiges Fundament ist. Und dieser Rückgang auf die ursprüngliche Lebenswelt ist kein solcher, der einfach die Welt unserer Erfahrung, so wie sie uns gegeben ist, hinnimmt, sondern er verfolgt die in ihr bereits niedergeschlagene Geschichtlichkeit auf ihren Ursprung zurück -16 [...]“

Hinzu kommt also noch, dass die historische Entwicklung ebenfalls dabei berücksichtigt werden soll. Näheres zu diesem Thema wird im nächsten Abschnitt, der sich mit der Wissenschaftskritik Husserls genauer auseinandersetzt, geklärt werden. Da die „Lebenswelt“ also die Welt der subjektiven Erfahrung ist, in der menschliche Erkenntnis entsteht, stellt sich für Husserl auch die Frage danach, wie und ob diese subjektive Erkenntnis zwischenmenschlich transportierbar sei bzw. ob trotz der Subjektivität gleiche Erkenntnisse möglich seien. Er geht davon aus, dass dies in Form von Intersubjektivität vorstellbar sei. Ein weiteres Merkmal der Husserlschen „Lebenswelt“ ist also die Intersubjektivität, die über Aktualität hinaus geht und allen Subjekten gleichermaßen gegeben ist. Wie genau das zu verstehen ist, soll im letzten Abschnitt vorliegender Arbeit thematisiert werden.

Zuvor steht die angesprochene Wissenschaftskritik im Fokus. Insbesondere in seiner Krisis-Schrift prangert Husserl an, dass die empirisch-objektive Wissenschaft, wie sie sich im Lauf der Geschichte entwickelt hat, keinen Bezug habe zur Lebenswelt, den Bereich der ursprünglichen Erkenntnis. Er begründet ausführlich, warum eine Zusammenführung von Lebenswelt und moderner Wissenschaft daher nötig wäre. Im folgenden Abschnitt wird seine Argumentation zu diesem Thema nachvollzogen.

2.2 Wissenschaftskritik

Der von ihm so genannten „Weltwissenschaft“ macht Husserl den Vorwurf, dass sie sich von der vorwissenschaftlichen „natürlichen“ Erfahrung immer weiter entferne, ohne sich dabei bewusst zu machen, dass diese unmittelbare Erfahrung doch Grundlage, „Substrat“ aller wissenschaftlichen Fragestellung und Untersuchung darstelle.17 Husserl bezieht sich in seiner Wissenschaftskritik vornehmlich auf die Psychologie, die der Phänomenologie insofern nahe steht, als dass beide das Bewusstsein untersuchen und in den Mittelpunkt stellen.18

So kritisiert Husserl im ersten Band seiner Logischen Untersuchungen ganz explizit den Psychologismus, der ihm augenscheinlich vorgeworfen worden ist und grenzt sich davon ab, indem er die Phänomenologie als Gegenentwurf dazu präsentiert.19 Das Problem der auf objektive Wahrheit ausgerichteten Wissenschaft, wie eben beispielsweise der Psychologie, ist, dass sie Annahmen voraussetzt, die von ihr selbst nicht hinterfragt werden. Eine Philosophie der Wissenschaft muss sich mit der kritischen Prüfung solcher Annahmen beschäftigen. Diese Überzeugung kann man als den Ausgangspunkt bezeichnen, von dem aus Husserl seine Wissenschaftskritik entwickelt.20

Es ist wichtig zu sagen, dass Husserl Wissenschaft nicht per se ablehnt. Vielmehr geht es ihm darum zu zeigen, dass diese Wissenschaft eine „Unterschiebung der mathematisch substruierten Welt der Idealitäten für die einzig wirkliche, die wirklich wahrnehmungsmäßig gegebene, die je erfahrbare Welt.“21 darstellt. Da aber eben die lebensweltliche Erfahrung uns erst die Möglichkeit zum Beweis wissenschaftlicher Theorie- und Ideengebilde eröffnet, nämlich in der Empirie, ist es für Husserl widersinnig, sich als Wissenschaftler von dieser unabhängig zu verstehen und zu positionieren. Vielmehr sollte die Lebenswelt als vorwissenschaftlich gegeben immer mitgedacht werden, als Boden jeder Wissenschaft.

Wie im vorigen Kapitel schon klar geworden ist, hat man nach Husserl unter Lebenswelt also den gesamten möglichen Erfahrungshorizont zu verstehen, der alles einschließt, was an Erfahrungen möglich ist. In diesem Horizont ist das wahrnehmende Subjekt, also der Mensch auf Gegenständlichkeit ausgerichtet.

Husserl kritisiert nun, dass die Mathematik dazu geführt habe, dass man sich von dieser Lebenswelt entfernt habe. Einen zeitliche Einordnung, wo diese Entwicklung ihren Anfang genommen habe, nimmt er vor, indem er Galileo Galilei als Startpunkt der modernen Mathematik und Wissenschaft setzt, wobei dieser aber auch schon die Geometrie aus der Antike „geerbt“ habe. Durch die Idealisierung der geometrischen Körper sei nun die Abkehr von der Lebenswelt möglich geworden. Wird also in vorliegender Arbeit von der „modernen Wissenschaft“ die Rede sein, so ist damit diese, auf reine Objektivität ausgelegte, Wissenschaft gemeint, die Husserl mit Galilei als Startpunkt zeitlich definiert.22

[...]


1 Husserl Erfahrung und Urteil, S. 23

2 Ebd., S. 23

3 Husserl, zitiert nach Christian Bermes: Welt als Thema der Philosophie - Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff, Hamburg 2004, S. 214

4 Edmund Husserl, Erfahrung und Urteil, S. 24

5 Ebd., S. 25

6 Abkürzung für: Edmund Husserl (1936): Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie: Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie; Der Text wird in vorliegender Arbeit zitiert aus: Edmund Husserl: Das Problem der Lebenswelt, in Klaus Held (Hrsg.): Phänomenologie der Lebenswelt - ausgewählte Texte II, Stuttgart 1986.

7 Christian Bermes: Welt als Thema der Philosophie - Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff, Hamburg 2004, S. 168

8 Ebd., S. 170

9 Ebd., S. 171

10 Edmund Husserl, zitiert nach Ebd. S. 171

11 Ebd., S. 171

12 Ebd., S. 177

13 Edmund Husserl: Das Problem der Lebenswelt, in Klaus Held (Hrsg.): Phänomenologie der Lebenswelt - ausgewählte Texte II, Stuttgart 1986, S. 283 f.

14 Edmund Husserl: Erfahrung und Urteil - Untersuchungen zur Genealogie der Logik, Hamburg 1985, S.38

15 Ebd., S.42

16 Ebd., S.43 f.

17 Christian Bermes: Welt als Thema der Philosophie - Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff, Hamburg 2004, S. 178-179

18 Karl Mertens: Nach und vor der psychologischen Forschung. Überlegungen zu einer Phänomenologischen Wissenschaftstheorie, in: Carl Friedrich Gethmann (Hrsg.): Lebenswelt und Wissenschaft, Hamburg 2011, S. 231

19 Edmund Husserl: Formale und Transzendentale Logik - Versuch einer Kritik der logischen Vernunft, Tübingen 1981, S. 137 ff.

20 Karl Mertens: Nach und vor der psychologischen Forschung. Überlegungen zu einer Phänomenologischen Wissenschaftstheorie, in: Carl Friedrich Gethmann (Hrsg.): Lebenswelt und Wissenschaft, Hamburg 2011, S.232

21 Edmund Husserl nach Ebd., S. 233

22 Edmund Husserl: Das Problem der Lebenswelt, in Klaus Held (Hrsg.): Phänomenologie der Lebenswelt - ausgewählte Texte II, Stuttgart 1986, S. 222

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Teilen wir alle dieselbe Lebenswelt?
Sous-titre
Der Begriff der Lebenswelt nach Husserl
Université
http://www.uni-jena.de/  (Institut für Philosophie)
Cours
Husserl - Erfahrung und Urteil
Note
1,0
Auteur
Année
2012
Pages
24
N° de catalogue
V204387
ISBN (ebook)
9783656304951
Taille d'un fichier
509 KB
Langue
allemand
Mots clés
teilen, lebenswelt, begriff, husserl
Citation du texte
Katrin Nowka (Auteur), 2012, Teilen wir alle dieselbe Lebenswelt?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204387

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