Harry G. Frankfurts Probleme der Liebe


Seminararbeit, 2012

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Grundlagen der Frankfurtschen Philosophie der Liebe
2.1 Wünsche
2.1.1DieÖkonomiedes Wünschens
2.1.2 Sorge als »komplexer Modus des Wünschens«
2.2 Liebe
2.2.1NormativitätdurchLiebe
2.2.2 Selbsliebe als Rückkopplung

3.Ausgewählte Probleme der Frankfurtschen Liebeskonzeption
3.1 Interesselosigkeit undReflexivität
3.2 ProblemederSelbstliebe
3.3 DasUnausgesprochene

Resümee: Die »One Man Band Show«

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Jemanden oder etwas zu lieben bedeutet unter anderem ganz wesentlich, seine Interessen als Gründe heranzuziehen, um diesen Interessen zu dienen, ja, es besteht ganz wesentlich daraus. Für den Liebenden ist die Liebe eine Quelle von Gründen.Sie schafft die Gründe, die seine Handlungen liebevoller Zuwendung und Hingabe inspirieren.1

Liebe macht »die Welt lebendig«2, meint Harry G. Frankfurt, indem sie uns, unserem Verhalten: unserem Leben Orientierung verschafft. »Liebe ist eine Art des Sich-Sorgens um Dinge und ihre möglichen Gegenstände umfassen all das, wofür man auf bestimmte Weise Sorge tragen kann«3, heißt es in seinem Aufsatz Autonomie, Nötigung und Liebe. Er definiert Liebe als »interessefreie Sorge um die Existenz dessen, was geliebt wird, um das, was gut für es ist.«4 Sein Konzept sieht die Liebe als Quelle von Gründen für das menschliche Tun, und zwar auf Grundlage der menschlichen Eigentümlichkeit, Volitionen zweiter Stufe ausbilden, willens- und handlungsfrei sein zu können.

Im Rahmen dieser Arbeit soll dieses Konzept näher untersucht werden. Dabei stellt sich die Frage, ob die Liebe Personen tatsächlich eine Antwort darauf zu geben vermag, wie zu leben sei, indem sie ihnen »volitionale Kontinuität« verleiht und sie zu Akteuren werden läßt, die ihr Leben und ihr Handeln selbst in die Hand nehmen5 - kurzum: ob die Liebe, wie Frankfurt behauptet, Personen Endzwecke verschaffen und sie vor Ambivalenzen und Inkonsistenzen bewahren kann.

Seine Bestimmung der Selbstliebe als die »Variante der Liebe [...], die die vollständigste und uneingeschränkteste Befriedigung gewährt«6, als einzige Variante, »die den Liebenden nicht dazu zwingen kann, seine eigenen wahren Interessen zu gefährden oder zu opfern«7, darf dabei nicht außer Acht gelassen werden. Denn Frankfurt selbst räumt ein, »daß es sich auch etwas faul anhört, Selbstliebe als »interesselos« zu charakterisieren«.8

2 Grundlagen der Frankfurtschen Philosophie der Liebe

2.1 Wünsche

Die Frage, »die zugleich am Ende und am Anfang steht«, schreibt Frankfurt in Gründe der Liebe, lautet: »Wie soll eine Person leben?«9 Was den amerikanischen Philosophen bezogen auf diese Frage umtreibt, ist eine seiner Ansicht nach tendenzielle Überbewertung der Moralphilosophie im Bereich der praktischen Vernunft. Die Moral sei, so Frankfurt, »weniger einschlägig für die Bildung unserer Präferenzen und die Orientierung unseres Verhaltens«10, vielmehr drehe sie sich um die Rücksichtnahme auf Bedürfnisse, Wünsche und Ansprüche unserer Mitmenschen in Verbindung mit unseren Einstellungen und Handlungen.11 Diese Rücksichtnahme genieße allerdings nicht zwangsläufig oberste Priorität im persönlichen Leben.

Frankfurt befaßt sich im ersten der drei für eine Vorlesungsreihe konzipierten Texte zunächst mit dem Begriff des Wünschens, der ein wesentlicher, unverzichtbarer Begriff für die Auseinandersetzung mit Strukturen und Strategien der praktischen Vernunft sei, auf vielfältige Weise, jedoch sehr undifferenziert verwendet werde und daher ein mangelhaftes Verständnis gewichtiger Aspekte des Lebens verschulde.12 Um diese Kritik und die Auswirkungen des mangelhaften Verständnisses verstehen zu können, lohnt ein Blick in seinen Aufsatz Willensfreiheit und der Begriff der Person, in dem das Wünschen einer genaueren Analyse unterzogen, und damit ein Frankfurt zufolge wesentlicher Aspekt des Personseins behandelt wird.

2.1.1 Die Ökonomie des Wünschens

In ebendiesem Aufsatz konstatiert Frankfurt, daß ein »wesentlicher Unterschied zwischen Personen und anderen Kreaturen in der Struktur des Willens einer Person zu finden«13 sei. So seien Menschen zwar nicht die einzigen Wesen mit Wünschen, Motiven und der Fähigkeit, abzuwägen und Entscheidungen zu treffen. Jene eingangs erwähnte Eigentümlichkeit der Menschen sei jedoch, »daß sie [...] >Wünsche zweiter Stufet zu bilden fähig sind«.14 So könnten sie sich außerdem wünschen, bestimmte Wünsche oder Motive zu haben (oder nicht zu haben). Sie können, was ihre Vorlieben und Zwecke angeht, gern anders sein wollen, als sie sind. [...] Kein Tier außer dem Menschen scheint [...] die Fähigkeit zur reflektierenden Selbstbewertung zu haben, die sich in der Bildung von Wünschen zweiter Stufe ausdrückt.15

Frankfurt behandelt die einzelnen Stufen des Wünschens anhand diverser »Wunsch­Konstellationen«, und die Problematik einer genauen Ausformulierung verschiedenstufiger Wünsche mithilfe des Beispielsatzes >A möchte Xen<.16 So könne ein solcher Satz Wünsche erster Stufe zum Ausdruck bringen, »also Sätze, in denen sich >Xen< auf eine Handlung bezieht.«17

Im Kontext anderer Wünsche zeige ein Satz dieser Form für sich genommen nicht, mit welcher Intensität A Xen möchte, und ob dieser Wunsch überhaupt entscheidend ist für As Handeln. Zu Xen könne ein Wunsch unter vielen sein, A könne diesem andere Wünsche vorziehen, und selbst wenn es As Wunsch sei zu Xen und A handele, müsse sein Wunsch zu Xen nicht das sein, was ihn dazu bewegt, diese Handlung auszuführen.18 Es sei allerdings ebenso möglich, daß jemand mit dem Satz >A möchte Xen< gerade auszudrücken meint, »daß es ebendieser Wunsch ist, der A veranlaßt [...] zu tun, was er tatsächlich tut [,..].«19 Nur wenn der Satz auf diese Weise gebraucht werde, beschreibe er As Willen:

Den Willen eines Handelnden zu beschreiben heißt [...], den Wunsch oder die Wünsche anzugeben, die ihn zu den Handlungen bewegen, die er tatsächlich ausführt [...]. Der Wille eines Handelnden ist also identisch mit einem oder mehreren seiner Wünsche erster Stufe.20

Sätze der Form >A möchte Xen< können aber auch Wünsche zweiter Stufe beschreiben. Der Ausdruck >Xen< beziehe sich dann nicht auf eine Handlung, sondern auf einen Wunsch erster Stufe: A wünscht, daß er zu Xen wünscht.21

Frankfurt beschreibt zwei Arten von Situationen. In einem Fall könne jemand »einen bestimmten Wunsch haben, aber zugleich ganz eindeutig wünschen, daß dieser Wunsch unerfüllt bleibe«22, in einem anderen Fall möchte jemand, »daß sein Wunsch zu Xen der effektive Wunsch sei, der ihn tatsächlich zum Handeln bewegt«.23 Er veranschaulicht den ersten Fall mithilfe des Beispiels eines Psychotherapeuten, der glaubt, seinen drogensüchtigen Patienten besser helfen zu können, wenn er versteht, wie es ist, das Verlangen nach der Droge zu haben - sich deshalb also wünscht, den Wunsch nach der Droge zu haben. Dieser Wunsch, daß er die Droge nehmen, zur Droge gedrängt werden möchte, d. i. sein Wunsch zweiter Stufe, »schließt nicht ein, daß er einen Wunsch erster Stufe hat, die Droge zu nehmen.«24 Ein solcher Fall taugt Frankfurt zufolge nicht dazu zu sagen, was jemand wirklich will. Werde der Satz jedoch dafür genutzt, die zweite Art von Situationen zu beschreiben - »A möchte, daß sein Wunsch zu Xen der effektive Wunsch sei, der ihn tatsächlich zum Handeln bewegt«25 -, »hat er mit dem zu tun, wovon A möchte, daß es sein Wille sei.«26 In diesem Fall verhalte es sich so, daß der Satz >A wünscht, daß er zu Xen wünscht< einschließt, daß A den Wunsch zu Xen hat; daß A also »möchte, daß ebendieser Wunsch tatsächlich handlungswirksam sei, also das Motiv für das abgebe, was er wirklich tut.«27 Nur wenn A Xen möchte, könne er kongruent dazu auch wünschen, »daß sein Wunsch zu Xen [...] sein Wille sei.«28

Genau dann, wenn jemand nicht nur einen bestimmten Wunsch haben möchte, sondern möchte, daß ein bestimmter Wunsch sein Wille sei, spricht man Frankfurt zufolge nicht nur von >Wünschen zweiter Stufe<, sondern von >Volitionen zweiter Stufe<. Solche Volitionen zweiter Stufe zu haben hält er für ein wesentliches Kriterium, eine conditio sine qua non des Personseins.29 Denn ein triebhaftes Wesen {wanton) etwa, das zwar vernünftig sein und abwägen könne, sei nicht dazu imstande, sich »die Wünschbarkeit seiner Wünsche selber zum Gegenstand«30 zu machen.

Er veranschaulicht den Unterschied anhand eines Beispiels zweier Drogensüchtiger, die sich je im Widerstreit von Wünschen erster Stufe - nämlich dem Wunsch, die Droge zu nehmen, und dem Wunsch, sich von der Droge zurückzuhalten - befinden. Während der triebhafte Süchtige keinen seiner Wünsche vorzieht, weder einem Wunsch den Vorzug gibt noch willentlich keine Partei ergreift, sorgt sich der andere Süchtige, der eine Person ist, durchaus darum, daß der Wunsch, sich von der Droge zurückzuhalten, über den anderen Wunsch siegt. Er identifiziert sich [...] durch die Bildung einer Volition zweiter Stufe, die sich eben nur auf den einen, nicht den andern der widerstreitenden Wünsche erster Stufe bezieht. Er macht einen der Wünsche wirklich mehr zu seinem eigenen als den anderen, und indem er das tut, zieht er sich von dem anderen zurück.31

Es gehört also zum Personsein, so Frankfurt, daß man sich die Frage stellt, was der eigene Wille sein soll, so »daß das wesentliche Moment des Personseins nicht in der Vernunft, sondern im Willen liegt«32 - wenngleich die »Willenstruktur einer Person voraus[setzt], daß sie ein vernünftiges Wesen ist«33, da sie der Vernunft bedarf, »um sich ihres eigenen Willens kritisch bewußt zu werden und Volitionen zweiter Stufe zu bilden.«34 Hat eine Person Volitionen zweiter Stufe ausgebildet, stimmt also ihr Wille mit ihrem Wollen überein, genießt sie Frankfurt zufolge Willensfreiheit und bestimmt sich autonom.35

2.1.2 Sorge als »komplexer Modus des Wünschens«

Frankfurt schlägt für die genauere Analyse der Fragen der Lebensführung eine Erweiterung des Begriffsrepertoires durch »sich sorgen«, »am Herzen liegen«, »wichtig sein« und »lieben«, kurz: durch die Sorge um etwas (to care) als komplexen Modus des Wünschens36 vor.

Denn - wie aus Abschnitt 2.1 dieser Arbeit hervorgeht - das Wünschen einer Sache bedeutet noch nicht, daß sich der Wünschende auch um diese Sache sorgt, die Intensität eines Wunsches gibt keinen Aufschluß darüber, ob dem Wünschenden die Sache wirklich wichtig ist. Auch sorgt man sich nicht notwendig um eine Sache, der man einen intrinsischen Wert zuschreibt.

Frankfurt spezifiziert das Sich-Sorgen als etwas den Willen Bindendes. Ist einer Person das Gewünschte wirklich wichtig, will sie den Wunsch nicht nur erfüllen, sondern ihn auch am Leben erhalten. Es sei ein Wunsch, »mit dem sich die Person identifiziert und der für sie ausdrückt, was sie wirklich will.«37

[...]


1 Frankfurt, Harry G.: Gründe der Liebe. Übers. von Martin Hartmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005. S. 42.

2 Ebd.

3 Frankfurt, Harry G.: Autonomie, Nötigung und Liebe. In: Freiheit und Selbstbestimmung. Ausgewählte Texte. Hrsg. von Betzler, Monika und Barbara Guckes. Berlin: Akademie Verlag 2001 (= POLIS Schriften zur Ethik und Sozialphilosophie; Bd. 3). S. 166.

4 Frankfurt: Gründe der Liebe. S. 47.

5 Vgl. ebd. S. 22.

6 Frankfurt, Harry G.: Vom Sorgen oder: Woran uns liegt. In: Freiheit und Selbstbestimmung. Ausgewählte Texte. Hrsg. von Betzler, Monika und Barbara Guckes. Berlin: Akademie Verlag 2001 (= POLIS Schriften zur Ethik und Sozialphilosophie; Bd. 3). S. 217.

7 Ebd.

8 Ebd. S. 216.

9 Frankfurt: Gründe der Liebe. S. 9.

10 Ebd. S. 10.

11 Vgl. ebd. S. 11-12.

12 Vgl. ebd. S. 14-15.

13 Frankfurt, Harry G.: Willensfreiheit und der Begriff der Person. In: Freiheit und Selbstbestimmung. Hrsg. von Betzler, Monika und Barbara Guckes. Berlin: Akademie Verlag 2001 (= POLIS Schriften zur Ethik und Sozialphilo­sophie; Bd. 3). S. 66.

14 Ebd.S.67.

15 Frankfurt: Willensfreiheit. S. 67.

16 Vgl.ebd.S.67ff.

17 Ebd.S.68.

18 Vgl. ebd.

19 Ebd.

20 Ebd. S. 68-69. Frankfurt weist an dieser Stelle daraufhin, daß der Begriff des Willens nicht umfangsgleich mit dem Begriff von etwas ist, das den Handelnden nur bis zu einem gewissen Grade geneigt macht, auf bestimmte Weise zu handeln: »[E]s ist der Begriff eines effektiven oder handlungswirksamen Wunsches, der eine Person dazu bringt [...], den ganzen Weg bis zu einer Handlung zu gehen.«

21 Vgl. ebd. S. 69.

22 Frankfurt: Willensfreiheit. S. 69.

23 Ebd. S. 70.

24 Ebd.

25 Ebd.

26 Ebd.

27 Ebd.

28 Ebd. S. 70-71.

29 Vgl. ebd. S. 71-72.

30 Ebd. S. 72.

31 Frankfurt: Gründe der Liebe. S. 74.

32 Ebd.S.73.

33 Ebd.

34 Ebd.

35 Vgl. Betzler, Monika: Bedingungen personaler Autonomie. In: Freiheit und Selbstbestimmung. Hrsg. von Betzler, Monika und Barbara Guckes. Berlin: Akademie Verlag 2001 (= POLIS Schriften zur Ethik und Sozialphilosophie; Bd. 3). S. 23.

36 Vgl. Frankfurt: Gründe der Liebe. S. 16.

37 Ebd. S. 21.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Harry G. Frankfurts Probleme der Liebe
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Seminar für Philosophie)
Veranstaltung
Philosophie der Liebe
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
24
Katalognummer
V204831
ISBN (eBook)
9783656320449
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
harry, frankfurts, probleme, liebe
Arbeit zitieren
Melanie Zimmermann (Autor:in), 2012, Harry G. Frankfurts Probleme der Liebe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204831

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Harry G. Frankfurts Probleme der Liebe



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden